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Vorverständnis des Dämonischen

Hans Urs von Balthasar
Original title
Vorverständnis des Dämonischen
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Language:
German
Original language:
GermanPublisher:
Saint John PublicationsYear:
2025Type:
Article
Die Absicht dieser kurzen Notiz beschränkt sich darauf, einem Gedanken Geltung zu verschaffen. Wenn im klassischen Alten Testament vom Teufel nicht die Rede ist und ebensowenig im nachchristlichen Judentum, wenn die Teufelsvorstellung praktisch erst in der spätjüdischen, sogenannten «zwischentestamentlichen» Literatur auftaucht, um dann das Neue Testament in all seinen Schichten mächtig zu durchherrschen, dann bietet dieser Tatbestand keinen Anlaß, diese Vorstellung als einen sekundären Einschub entmythologisierend zu verabschieden. Dies genau zu beweisen, erforderte ein Buch, hier kann nur, einigermaßen ungeschützt, der Hauptgrund hingestellt werden.
Der Alte Bund kennzeichnet die ungeheure Anstrengung, ein einzelnes Volk aus den umgebenden Heidentümern heraus zu isolieren und es in einen (nicht nur nationalen, sondern universalen) Monotheismus hinein einzuüben: «Höre Israel: Jahwe, unser Gott, ist der einzige Jahwe» (Dt 6,4). Die übrigen Götter sinken allmählich entweder zu Dienern Jahwes (Engeln, Heerscharen) oder, sofern ihre Göttlichkeit anderswo weiterhin behauptet wird, zu «Nichtsen» herab. Nicht zu Dämonen: Jahwe hat keine ihm irgendwie ebenbürtigen Feinde: der «Anklageengel» bei Ijob und Sacharja ist dies keineswegs, er erfüllt nur eine Funktion innerhalb der gerechten Weltordnung. Das ganze Interesse ist restlos konzentriert auf das Bundesverhältnis: Gottes unbegreiflich gnädige Kondeszendenz, Israels entsprechend geforderte Treue: in der unmittelbaren Erfüllung dieses Zueinander liegt jedes Heil (wie die Untreue Israels sogleich konkretes Unheil nach sich zieht), alles übrige ist um dieser Konzentration willen abgeblendet. Es ist fast unfaßlich, daß ein aus dem ganz auf jenseitige Unsterblichkeit ausgerichteten Ägypten herausgeführtes Volk keinen Jenseitshorizont kennt: weder einen (für den Menschen erwartbaren) Himmel noch eine Hölle, keine Unsterblichkeit (das Schatten-Dasein in der Scheol kann nicht so bezeichnet werden), und erst recht keine Auferstehung. Nur das Aug-in-Auge, jetzt und hier, zwischen Jahwe und Israel. Und dies Jahrhunderte lang, von Mose bis zu den Königen und den großen Propheten, und gerade von den letzten immer neu eingeübt. Die Geschichte zwischen Treue und Untreue des Volkes, Heils- und Unheilsperioden, ist dramatisch bewegt (bis hin zum Exil), aber eine endgültige Unheilszeit oder -macht steht – von der Bundeszusage und der Verheißung her – einstweilen nicht im Blick. Die Konzentration auf das alleinige Ich-Du (dessen Tragweite für alle Völker – Abraham!, Deuterojesaja! – hintergründig bewußt ist und Israels Verantwortung erhöht) läßt viele Aspekte späterer Theologie nicht zu: es kann noch keine Gnadentheologie geben: Jahwes Geist wird sich auf Einzelne herabsenken und sie zu entscheidenden Taten (Richter) und Worten (Propheten) ermächtigen, aber das Wort: «Ich werde meinen Geist in euer Herz legen» (Ez 36,26f.) ist erst Verheißung, wie es bis zum Tod Jesu Verheißung bleibt («denn der Geist war noch nicht da, weil Jesus noch nicht verherrlicht war» Joh 7,39). Es kann noch keine Theologie der Erbsünde geben, weil das Volk und jeder in ihm je neu in die Unmittelbarkeit des Bundesgehorsams gestellt wird, wobei zunächst alles Clandenken («korporative Persönlichkeit») und die Vorstellung der Strafe an den Kindern für die Sünden der Eltern allmählich ausgeräumt werden muß (Dt 24,10; Ez 18).
In den letzten Jahrhunderten vor Christus lassen sich mannigfache Ausweitungen des Weltbilds feststellen. Äußerlich betrachtet sind sie teils Weiterentwicklungen von in der prophetischen Zeit vorhandenen Keimen, teils auf hellenistische, vielleicht auch parsische Einflüsse zurückzuführen; aber diese erfolgen nicht willkürlich, denn innerlich passen sie in eine gewandelte Gesamtmentalität. Über das Bundesverhältnis hat sich ein Schatten gelegt: Israel begeht nicht nur zeitweilige Sünden, sondern fühlt eine grundsätzliche Unfähigkeit, dem mosaischen Heiligkeitsgesetz zu entsprechen, eine Unfähigkeit, die in Qumran deutlich gespürt wird (trotz dem dortigen Legalismus) und sich doch auch im pharisäischen Krampf verrät, durch buchstäbliches Gesetzeshalten die Kluft zu überbrücken. Die ungelösten Fragen Ijobs und Kohelets stehen als aktuelle im Raum, sie fordern zur Beantwortung mehr als nur die Dimension der irdischen Zukunft: das Jenseits geht den Menschen an. Der Begriff «Unsterblichkeit» tritt vom Hellenismus her ein, und – in Überhöhung der Endzeit-Vision Ezechiels von den sich wiederbelebenden Gebeinen – auch der Begriff einer eschatologischen «Auferstehung». «Ich weiß», sagt Marta, «mein Bruder wird auferstehen bei der Auferstehung am Jüngsten Tag» (Joh 11,24). Damit haben wir ein sehr kennzeichnendes Beispiel für den Sinn und das Ausmaß der in der «zwischentestamentlichen» Zeit zugewachsenen Vorstellungen. Zu ihnen gehört vor allem auch der Gedanke eines für das Volk, aber auch für den Einzelnen bereitstehenden Endgerichts, das – nicht irdisch, wie im klassischen Alten Bund, sondern jenseitig – einen doppelten Ausgang haben kann: bei Gott sein oder in die (zeitweilige, aber meist als ewig angenommene) Gehenna kommen. Damit hängt zusammen, daß die Idee, vielmehr die Erfahrung der Verfallenheit der Welt (der Heiden gewiß, aber auch eines großen Teils Israels) an das Böse sich konkretisiert, und zwar in vielfältigen, untereinander nicht harmonisierten Formen: als eine Potenz, eine weltumspannende Macht, die einstweilen bis zum endzeitlichen Sieg Gottes und Anbruch des neuen Äons herrscht, als Radikalisierung der altisraelischen Gestalt Satans, der die Menschen verklagt und nun auch verführt, als Vorstellung von einem Engelsfall (abgeleitet aus Gen 6,1-4) und, zumal in Qumran, als «Reich Beliars», des von Gott geschaffenen Geistes der Finsternis, der die «Söhne der Finsternis» in der Endschlacht gegen Gott und die «Söhne des Lichtes» anführen wird. Diese und andere Vorstellungen, die von einem unpersönlichen zu einem personalen Bild des Widersachers hinübergleiten, bleiben vage, unausgeglichen. Nicht anders das Gegenbild: das des Gerechten, der vom guten Geist Gottes beseelt und gelenkt wird: Lebt er im Menschen?, ist er mehr als nur die rechte Gesinnung des Menschen Gott gegenüber?
Diese Andeutungen müssen genügen, um das zu erläutern, worauf es hier einzig ankommt: Die neuen Horizonte, die Jesus von Nazaret, Gottes menschgewordenes Wort, jäh aufreißt, wären völlig unverstanden geblieben, wenn die heilsgeschichtliche Vorsehung nicht ein Feld des Vor-verständnisses geöffnet hätte, das etwas wie eine Vermittlung zwischen dem Alten Bund und dem Neuen schuf. Damit Jesus der Marta antworten kann: «Ich bin die Auferstehung», muß sie wenigstens verstanden haben, was das Wort heißt, auch wenn sie sich Auferstehung nur am Ende der Zeiten vorstellen kann. So gewiß auch die Jünger und die sich über die Auferstehung der Toten streitenden Pharisäer und Sadduzäer, deren keiner aber vorweg fassen konnte, daß diese Auferstehung (für Jesus am Ende der Geschichte) mitten in der (für die andern weitergehenden) Geschichte erfolgen kann.
Aber auch andere schwelende Nebel klären sich; Jesus ist ja zur klaren Scheidung des Verworrenen gekommen. Am Ja und Nein zu ihm vollzieht sich jetzt und hier schon endgültiges Gericht. Über ihm kann man den Himmel offen sehen (Joh 1,51), aber er kann auch den Sturz in die Hölle ansagen (Mt 11,23). Und mehr: er ist der Erste, der «den Geist ohne Maß» hat, und gekommen ist, diesem Geist auf Erden einen Herrsch- und Wirkbereich zu bereiten; so kristallisiert angesichts seiner auch das ungewiß Wallende des widergöttlichen Bereichs zur Gestalt; nichts ist richtiger, als daß beide Geister sich konfrontieren – schon in der Versuchungsgeschichte, in die Jesus vom Heiligen Geist getrieben (Mk 1,12) eintritt, dann in den Exorzismen, bei denen die Dämonen rufen: «Bist du gekommen, uns zu verderben. Ich kenne dich: Du bist der Heilige Gottes» (Mk 1,24). Auch hierfür liefert zwischentestamentliche Literatur Vorverständnis, ohne im geringsten die Dramatik der Konfrontation zu erreichen. Was vage Endzeithoffnung war, wird krude Gegenwart, handgreifliches Ereignis: der Starke, der die Menschen gefesselt hält (Lk 13,16), wird vom Stärkeren überwältigt, selber gefesselt und seiner Habe beraubt (Mt 12,29).
Das alte Israel war auf seine Glaubenstreue konzentriert; wenn es Schlachten schlagen mußte, so um diese Treue zu schützen. Jesus ist die verkörperte Bundestreue Gottes wie des Menschen; seine Schlacht ist zentrifugal: Zurückdrängung des widergöttlichen Geistes, Verbreitung des Reiches Gottes. Und er schenkt an Ostern den Seinen den Heiligen Geist, in einer bisher nie gekannten Innerlichkeit, die sie befähigt, die geistige (nicht wie in Qumran materielle) Schlacht wider die Dämonen mit der «Waffenrüstung Gottes» (Eph 6,11) mitzuschlagen, wie die Apokalypse es vollends schildert. Gekämpft wird gegen «den Fürsten dieser Welt» (Joh 12,21), den «Gott dieses Äons» (2 Kor 4,4) – Ausdrücke, die die zwischentestamentliche Zeit nicht kennt. Und während der Sündenfallbericht die Schlange als ein schwebendes Symbol für das von außen Verlockende eingeführt hatte, um im wesentlichen den Fehltritt dem Menschen (und nicht Gott) zuzulasten, greift nun die Apokalypse bis zur Genesis zurück und identifiziert ausdrücklich «die alte Schlange» mit «Teufel und Satan» und außerdem mit dem «großen Drachen», der schon im Mythos Gottes Urfeind war und in der Vision mit dem kreißenden Weib sichtbar wird (12,9).
Anderseits läßt dieselbe Apokalypse den Teufel gleichsam als die personale Spitze von chaotischen widergöttlichen Mächten auftreten, die in der Gestalt von Tieren die Menschheit weltweit verführen und in Bann schlagen; bezeichnenderweise tauchen diese Mächte (in Apk 13) erst auf, nachdem das Messiaskind geboren und zu Gott entrückt worden ist: wieder wird im Bild gesagt, daß es das Erscheinen Jesu ist, das die böse Macht nicht nur «stellt» und «kristallisiert», sondern sie erst durch sein totales und endgültiges Ja (2 Kor 1,19-20) zum totalen und endgültigen, eben antichristlichen Nein sich auswachsen läßt. Die Johannesbriefe sind hierin formell. Was die zwischentestamentliche Literatur im wesentlichen für die Endzeit erwartete, das läßt das gesamte Neue Testament mit dem Ereignis Jesu Christi schon beginnende Wirklichkeit werden. Denn mit diesem Ereignis geschieht beides: «Ich habe die Welt besiegt», «ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen» – und: der aus dem ewigen Himmel Geworfene, auf die zeitliche Erde Gefallene verdoppelt seine Wut, weil seine Zeit kurz ist (Apk 12,12).
Es ist hier nicht der Ort, die Frage der «Personalität» des Satans im einzelnen zu besprechen1 sicher ist, daß die dämonische Macht, gegen die Jesus auftritt und die durch seine Überlegenheit zur äußersten Kraftentfaltung ihrer Negation gereizt wird, mehr ist als nur die Summe der von Menschen ausgeheckten und prahlerisch begangenen Sünden. Diese Macht erblickt weder der platte Rationalismus (von Spießbürgern, aber auch von Philosophen und Theologen), noch die perverse Neugier derer, die «Satans Tiefen» (Apk 2,24) ausloten möchten, aber kann man denn die Unzahl der Heiligen, die mit ihr in Berührung kam, insgesamt naiver Kredulität bezichtigen, zum Beispiel einen Don Bosco oder einen Pfarrer von Ars? Übermächtigung von Personen durch befremdlich sich gebärdende dämonische Kräfte mag in vieler Hinsicht fragwürdig geworden sein, aber man pflegt hier wohl in falscher Richtung zu schauen; läge vielleicht nicht größere Evidenz bei Phänomenen wie dem des Dichters, der seine Schar statt um das goldene Kalb um einen zum Gott erhobenen Knaben den anbetenden Tanz vollführen läßt, oder eines Schriftstellers, der uns den Himmel als Dissonanz, die Hölle als vollendete Harmonie schildert? Doch wir können, wie gesagt, die Frage der Personhaftigkeit dessen, was H. Schlier uns so eindringlich als «Mächte und Gewalten im Neuen Testament» geschildert hat, wie er selbst offenlassen und beim Bild der Apokalypse stehenbleiben, wo dem «vom Himmel auf die Erde gefallenen Stern der Schlüssel des Schlundes der Hölle gegeben wird» und aus dem geöffneten Abgrund finsterer Rauch wie aus einem gewaltigen Ofen steigt, der die Welt bis zum Firmament hinauf verfinstert (Apk 9,1-2). Der Zweck dieser wenigen andeutenden Zeilen war ja nur der zu zeigen, daß der Dämon nicht deshalb Jesus versucht, weil er bereits in den zwischentestamentlichen Büchern aufgetaucht ist, daß er vielmehr in diesen erscheint, damit die Gemeinde, die von der Versuchung sogar des Messias zu hören bekommt, das Einmalige, aber zugleich Vorbildliche dieses Ereignisses zu würdigen vermag.
- Vgl. K. Lehmann, Vom Geheimnis des Bösen. Vorfragen zur theologischen Diskussion um die Gestalt des Teufels, in: Internationale katholische Zeitschrift «Communio», 8 (1979), 193ff.; W. Kasper/K. Lehmann, Teufel, Dämonen, Besessenheit. Zur Wirklichkeit des Bösen. Mainz 1978; auch meine Theodramatik II/2 (1978) S. 427-460.↩
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