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Zum Tod Erich Przywaras
Erich Przywara SJ (1889-1972) war ein deutsch-polnischer Philosoph und Theologe. Er war wohlbekannt für seine Zusammensetzung des Gedankenguts prominenter Denker über die Analogie des Seins und wurde Autor eines dreibändigen philosophischen Kommentars zu Ignatius von Loyolas Geistliche Übungen, Deus Semper Maior. Er war ein Vorstandsmitglied für die jesuitische Zeitschrift Stimmen der Zeit in München, bis sie von der Gestapo 1941 verboten wurde. Przywara war ein wichtiger Einfluss auf seinen Studenten und Jesuitenfreund Hans Urs von Balthasar, der in ihm einen «unvergesslichen Leiter und Meister» sah.
Die Propheten, die an den Haaren von Engeln hinwegentrückt und vor den Thron der Herrlichkeit geschleppt wurden, um dort zu erfahren, wieviel sie «für Seinen Namen leiden» sollten, sie konnten nur Einsame bleiben. Einsame in der Fülle auftragsbedingter Kommunikation, Ferne im Nachkampfgewühl mit Feind und Freund, mit Volk und Nichtvolk, in die Distanz gezwungen um der befohlenen Geistunterscheidung willen, aber kraft der ersten, nie mehr zu vergessenden, nie zu überholenden Berührung mit dem Verzehrenden Feuer. Ihr Wort brennt, es tauft nicht im Wasser, sondern in Geist und Feuer, der Eifer für Gottes Haus verzehrt sie, Flamme sind sie sicherlich. Und wenn sie, unverstanden, unaufgenommen, von den Eigenen und Nächsten geringgeschätzt, verachtet, verhöhnt und verraten, ihre todmüde Seele Gott zurückgeben, dann kann es sein, dass der Verzehrende ihnen sein Feuergespann schickt, sie heimzuholen.
Przywaras Mitte ist nicht die Immanenz von Welt und Mensch, sondern der unfassbare Punkt der Begegnung mit dem lebendigen Gott. Der Punkt der Bibel, des «Bundes», der kein Ort ist, sondern ein unfasslicher Austausch, admirabile commercium; Gott einfallend und überfallend: sume et suscipe, Welt und Mensch «wie nichts» vor diesem Alles Gottes und dennoch aus der Übermacht des Alles zur Macht des Selbstseins ermächtigt, aus dem Überwallen der unbegreiflichen Liebe zum Geliebten erwürdigt. Przywara hat diesen Punkt, an dem sich nicht leben lässt und der doch gewählt werden muss, Analogia Entis getauft; das Wort ist ins allgemeine Vokabular übergegangen, ohne dass sein wahres Pathos verstanden und mitübernommen worden wäre. Wie liesse sich ein Pathos systematisieren? In dieser schulhaft verharmlosten, nicht mehr unterscheidbaren Gestalt konnte die Analogia Entis von Karl Barth als «die Erfindung des Antichrist» gebrandmarkt werden, während sie in der damaligen Gegenwart doch wohl das war, was seinem eigenen Pathos am verwandtesten war: beide standen gegen Kantianismus und Hegelianismus, gegen schleiermacherische oder modernistische Immanenzmethode, gegen jede Form, unter welcher der Mensch, unfromm oder fromm, sich des lebendigen Gottes bemächtigt. Der Radikalismus Przywaras lässt diesen interkonfessionellen Kampf als ein Missverständnis erscheinen, vorausgesetzt, dass seine Analyse des ursprünglich Protestantischen für richtig anerkannt wird.
Wie jeder, der vor den lebendigen Gott gestellt ward und von ihm künden soll, ist Przywara mehr als nur ein «Denker». Wenn er mit der einen Hälfte seines Wesens ein so scharfer, so unerbittlicher Denker war wie kein anderer seiner Zeit, so hat er als Denker doch nur das paulinische Amt versehen, «mit für Gott mächtigen Waffen Festungen umzulegen, Sophismen zu entlarven und jede hochfahrende Burg, die sich wider die Erkenntnis Gottes aufreckt, zu schleifen, jeden Gedanken in den Dienstgehorsam Christi gefangenzunehmen» (2 Kor 10,4-5). Die Leidenschaft, mit der ab- und aufgeräumt, jegliche Systemmöglichkeit gebrochen und in das Joch der Relativität gebeugt wird, hat ihren Sinn nur daher, dass sie sich selber als Dienstgehorsam an dem Mysterium versteht, das ohne diese Auskehr nicht ansichtig werden konnte. Es ist wichtig zu beachten, wie das Gesamtwerk anhebt: mit Liedern, Gedichten, dramatischen Szenen, dann mit kürzeren religiösen Schriften, in denen das Denkerische und Dichterische noch ungetrennt ineinanderliegen. Auch hier überall schon die kritische Reduktion, mitvollziehend im Dienst, was Eichendorff von Gott sagt: «Du bist’s, der, was wir bauen. Mild über uns zerbricht, Dass wir den Himmel schauen – Darum so klag ich nicht.» Zerbrechen als Einführung in das «Himmelreich», in die «Liebe» als den «Christlichen Wesensgrund», in das ermächtigende Auf und Weiter des «Kirchenjahres», in die «Wandlung» vor allem: Wandlung als Existenz vor Gott und zu Gott. Das ist das Schlüsselbuch der ersten Periode.
Wenn dann die theoretischen Werke in die geistigen Schlachten der philosophischen und theologischen Gegenwart einführen und von Buch zu Buch straffer, steiler, unnachgiebiger alles systematisierende Denken in- und ausserhalb der Kirche und der Christenheit zu Paaren treiben – von «Gottgeheimnis der Welt», «Religionsbegründung», «Gott», zum «Geheimnis Kierkegaards», zu «Kant Heute» und zu den Aufsätzen im «Ringen der Gegenwart», zum ersten Höhepunkt der «Analogia Entis I», aber darüber hinaus zur «Reichweite der Analogia Entis», zur «Summula», zur «Humanitas» und schliesslich zu «Mensch I», so ist immerfort darauf zu achten, dass diese ganze Reihe Schritt für Schritt von einer formal ganz anders gearteten begleitet wird: «Christus lebt in mir», «Karmel», «Homo», «Hymnus», «Crucis Mysterium», «Nuptiae Agni», «Auferstehung im Tod», «Demut, Geduld, Liebe», «Hymnen des Karmel». Dass aber diese beiden Reihen zueinander gehören, dass die erste immer je die zweite meint, wird durch eine mitlaufende dritte Reihe von Werken offenbar, worin Przywara sein eigenes Denken an dem der grossen kirchlichen Überlieferung misst und gemessen sein lässt, in der Frühzeit «Newman»; «Christentum»; auch «Religionsbegründung» als von Scheler weg zu Newman hin orientiert, für die mittlere Zeit Thomas von Aquin (in vielen Aufsätzen und in «Analogia Entis I»), besonders aber «Augustinus, die Gestalt als Gefüge» ausgewählt und aufgebaut, von vorneherein Johannes vom Kreuz, zu dem die grosse Teresa, aber viel stärker Therese von Lisieux hinzutreten (von «Karmel», «Hymnus», über «Crucis Mysterium» zu den «Hymnen des Karmel»), schliesslich von Anfang bis Ende formgebend Ignatius von Loyola (von «Majestas Divina, ignatianische Frömmigkeit», «Heroisch» zum dreibändigen Exerzitienkommentar «Deus semper Major» und endlich zu «Ignatianisch», vier Studien zum 400. Todestag Ignatius’ von Loyola). Hinter den Heiligenbildern, die wie der grosse Kommentar schon fast durchweg Schrifttheologie enthalten, stehen als letzte Ausrichtung die bibeltheologischen Werke: vom frühen «Himmelreich» der Synoptiker zur Paulustheologie in «Christus lebt in mir», zur Johannestheologie in «Christentum gemäss Johannes» zum abschliessenden «Altar und Neuer Bund».
Vielen, die Przywaras Denkbewegung mitzuvollziehen suchten, ist sie als eine Art tantalische Qual erschienen: ewiges, scheinbar fruchtloses Meereswogen zwischen unerbittlich gefangenhaltenden Ufern der Endlichkeit, einem Gott gegenüber, der nicht nur unerkennbar bleibt, sondern geradezu in aller Bemühung und Annäherung immer unerkennbarer über alles hinaus sich entrückt. Und man kann und muss an dieses Denken die Frage stellen, wie denn nun eine solche komparatistische Dynamik noch so etwas wie echte Offenbarung Gottes zulässt und verträgt. Nochmals ist hier zu sagen, dass Przywaras ganzes Pathos ein prophetisches ist, das durch alles Scheitern und Wogenzerschellen der Endlichkeit hindurch nur eines will: das Feuer des lebendigen Gottes – im Nichts des Spürens! – erspürbar machen. Wäre dies nicht, dann könnte die Rasanz dieses Analogie-Denkens vielleicht den Sturz in eine sich selbst verzehrende Dialektik nicht vermeiden. Dann wäre, was Przywara oft genug sagt, aber was nicht abstrakt und vereinzelt hinzunehmen ist, das Kreuz mit seinen sich tödlich durchkreuzenden und aufhebenden Linien der Endlichkeit das einzig gültige Erscheinungszeichen Gottes. Aber mit Augustinus, Pascal, Kierkegaard liest auch Przywara dieses eine Zeichen als die Offenbarung einer – in ihrer Absolutheit je unfasslicheren – Liebe Gottes zum endlichen, seinem Liebensbund untreuen, sündigen Menschen.
So wird es im Sinn Johannes’ vom Kreuz, aber auch Luthers, der ganz auf diesen Grundgedanken hin zentriert wird, Theologie der «Hochzeitlichkeit», wo die Nacht des Denkens zu einer Nacht der unfasslichen Einigung wird, nicht «mystisch», sondern im «wundersamen Tausch» des Kreuzes, das als Nacht die Glorie der Liebe, als Verlassenheit die Einigung ist. Auferstehung ist nicht dahinter, sondern darin, wie der Titel sagt: «Auferstehung im Tod».
Przywaras Gesamtwerk lässt sich nicht einordnen, man wird damit nicht fertig, und so haben die meisten den Weg gewählt, es zu ignorieren. Wer immer aber durch seine Schule gegangen ist, der mag sich später hier oder dort ansiedeln, sein Denken und Leben wird von dieser Begegnung gezeichnet bleiben, und jede Rückkehr zum alten Meister wird ihn seltsam erschüttern, vielleicht weil er einsieht, wieviel jünger dieser alte Meister als alle Jungen geblieben ist.

Hans Urs von Balthasar
Original title
Erich Przywara [Nekrolog]
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Specifications
Language:
German
Original language:
GermanPublisher:
Saint John PublicationsYear:
2025Type:
Article
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