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Im Grenzbereich des Laientums
Die Tatsache, daß in der Kirche der Bereich des Laientums nicht exakt abgrenzbar ist, ist heilsam und tröstlich, denn warum sollte in einem Volk Gottes überall unüberschreitbare Zäune aufgerichtet sein? Theologisch besteht eine deutliche Grenzziehung zwischen dem Bereich des sakramental geweihten Amtes (das den Bischof, den Priester und in einer bereits analogen Weise den Diakon in sich enthält), aber neben diesem klar abgesetzten Amt gibt es im Bereich der Laien zahlreiche Weisen der Anteilnahme am Amt – mit oder ohne eigene Weihe dazu –‚ die den laikalen Charakter des mit solchen Amtsaufträgen Versehenen nicht in Frage stellen. Der Diakon selber ist im Grunde einer, der beim Gottesdienst und im sonstigen kirchlichen Lesen normalerweise Aufgaben übernimmt, die ausnahms- oder fallweise auch jeder andere Laie übernehmen könnte, etwa Kommunion austeilen und sie zu Kranken ins Haus bringen. So hat es in der alten Kirche und auch später noch vereinzelt weibliche Diakone für Dienste gegeben, die angemessenerweise einer Frau zustanden. Und da hier die Frau im engeren Amtsbereich bereits Funktionen übernehmen konnte, ist an sich der Gedanke nicht unverständlich, daß Frauen – warum nicht? – auch zu den eigentlichen Ämtern: Priestertum und Bischofsamt zugelassen werden könnten. Aber dieses vielbesprochene Thema soll hier nicht weiterverfolgt werden; es treten aus der Gründungsgeschichte der Kirche, ihrer Tradition und der bleibenden Symbolik der Geschlechter Gründe genug hervor, um ein antithetisches Zueinander von männlichem Amt und gesamthaft weiblicher Gemeinde zu befürworten.
Eine nicht minder umstrittene, bewegliche Kampffront existiert zwischen Laientum und «Ordensstand» (um auch hier zunächst vom kirchenrechtlich am eindeutigsten Festgelegten auszugehen). Zum letztern gehören Personen, die zu einer kirchlich anerkannten Ordensgemeinschaft gehören und entweder «feierliche» (Profeß-)Gelübde oder «einfache», aber «öffentliche» Gelübde abgelegt haben. (Von den «Laienbrüdern» in Orden braucht hier nicht eigens die Rede zu sein, da «Laie» hier nichts anderes als Nicht-Priester besagt und diese Ordensleute in keiner Weise den «Laien in der Welt» annähert.) Die hier sichtbar gewordene Abstufung läßt aber ahnen, daß diese Art der besonderen Weihe des ganzen Lebens an Gott noch andere Stufen und Formen zulassen wird, was in der Tat auch der Fall ist: Warum sollten «einfache» Gelübde oder bindende Versprechen nur «öffentlich» und nicht auch «privat» abgelegt werden können, wobei «privat» wiederum verschiedene Abstufungen in sich fassen kann: können doch solche privaten Versprechen innerhalb einer kirchlichen (diözesan oder römisch) approbierten Gemeinschaft oder einfach einem Beichtvater als dem Vertreter der amtlichen Kirche oder schließlich noch einfacher direkt zu Gott hin abgelegt werden.
Daß jeder Laie das Recht hat, vor Gott und auch vor seinem Beichtvater eines oder mehrere Gelübde (z. B. der Jungfräulichkeit, aber auch des Gehorsams an einen geistlichen Führer) abzulegen, ist ebenso evident wie sein Recht, zu heiraten oder nicht zu heiraten. Nicht minder unbeanstandet ist sein Recht, einer frommen Bruderschaft, Solidarität oder sonstigen Vereinigung beizutreten, ohne dabei aufzuhören, Laie zu sein. Zum Problem wird erst der laikale Charakter der Mitglieder von Säkularinstituten, wie sie seit 1947 offiziell von der Kirche anerkannt sind, und die daran erkennbar sein sollen, daß sie «in weltlichem Stand und weltlicher Lebensform» ihre Mitglieder «zu jener vollen Lebensweihe und Selbsthingabe führen, die auch in foro externo das Bild des perfekten und seiner Substanz nach wahrhaft ‹religiösen› Vollkommenheitsstandes widerspiegelt» (Instructio «Cum Sanctissimus» 1948, Nr. 7). Man weiß, daß diese Säkularinstitute, die der Religiosenkongregation unterstellt sind, aber in ihr eine eigene Abteilung bilden, beim Konzil erfolgreich darum gerungen haben, nicht zu den «instituta religiosa», also zum Ordensstand gezählt, sondern als zum Laienstand gehörig davon abgesetzt zu werden (Dekret über die Erneuerung des Ordenslebens Nr. 11), obschon es doch zu ihrem Wesen gehört, eine «volle Hinweihung des ganzen Lebens» (plena totius vitae consecratio: Motu proprio Primo feliciter 1948, III) zu vollziehen.
Wir stehen hier offensichtlich an einer Grenze. Daß Glieder solcher Gemeinschaften, die alle mehr oder weniger einzeln in weltlichen Berufen leben und wie alle übrigen christlichen Laien eine ihrem Stand angepaßte apostolische Tätigkeit ausüben sollen, soziologisch als Laien zu betrachten sind, vor allem als solche betrachtet sein wollen, und gerade auch um ihres christlichen Wirkens willen betrachtet werden müssen, ist fraglos. Daß sie aber theologisch dem Ordensstand, dessen «substantielles Wesen» sie ja ausprägen sollen, nächstverwandt sind, und daß deswegen auch die amtliche Kirche Einblick in ihre Verfassung und Lebensweise zu haben wünscht, ist ebenso wahr und verständlich, wenngleich an diesem Punkt solche Gemeinschaften begreiflicherweise oft unruhig werden.
Manche suchen einen theologischen Ausweg aus ihrer Grenzsituation, indem sie den Akzent darauf legen, daß die Lebensweihe die sich im Versprechen, die evangelischen Räte zu leben, ausdrückt, wurzelhaft schon in der Taufe enthalten sei, so daß man nur diese ernstzunehmen brauche und eigene Gelübde, Versprechen oder Schwüre sich erübrigen. Aber wenn das letzte Konzil die Befolgung der Räte durch Laien begrüßt (Lum. Gent. 42), so sieht es das Räteleben doch als «durch einen neuen und besonderen Titel auf Gottes Dienst und Ehre hingeordnet», als «inniger geweiht» und «auch in besonderer Weise mit der Kirche und ihrem Geheimnis verbunden» (ebd. 43), so daß die Anerkennung dieser Lebensform durch die Kirche und die Entgegennahme der Gelübde oder Versprechen durch sie gerechtfertigt scheinen.
Anderseits ist die Kirche vorsichtig in der Anerkennung von Weltgemeinschaften: sie müssen sich zuvor vielfältig bewährt haben. Obschon verfügt wurde, daß alle im christlichen Volk erwachenden Bewegungen, die Leben in der Welt mit Leben nach den Räten Christi verbinden möchten, sich den Normen der Säkularinstitute unterzuordnen haben, verweilen manche dieser Bewegungen bewußt im Vorfeld (und es scheint, daß solches Zögern auch geduldet wird), um nicht vor Mitchristen und Nichtchristen als im Geheimen kirchlich «organisiert» zu erscheinen und gerade durch dieses anscheinende Geheimwesen suspekt zu werden.
Wir befinden uns hier an einer echten Frontlinie, an der die Gründe für oder gegen eine offizielle kirchliche Anerkennung von solchen aus der Spontaneität des Laientums aufsteigenden Gruppierungen leidenschaftslos abgewogen werden müssen. Vordergründig stehen sich (freies) Charisma und (gebundenes) Amt gegenüber; aber eine solche starre Gegenstellung ist nicht neutestamentlich, denn hier ist Charisma der umfassende Begriff; auch und gerade das Amt ist grundlegend ein Charisma. Anderseits ist jedes «freie» Charisma auf den Dienst an und innerhalb der Gesamtkirche bezogen, so daß seine praktische Art der Ausübung dem Wächteramt nicht gleichgültig sein kann. Dieses Zu- und Ineinander von freiem Wehen des Geistes innerhalb aller Lebensformen der Kirche, gerade auch des Laienvolkes, und von folgender Überwachung durch das bestellte Amt ist eben das, was sich im Ganzen und Großen beobachten läßt – man denke nur an die zugleich wohlwollende und kritische Aufnahme der verschiedenen «Pfingstbewegungen» durch das bischöfliche und päpstliche Amt.
Aber andere Bewegungen kommen der Grenze näher, die zum approbierten Institut heranführen; soll sie überschritten werden oder nicht? Hier kann abermals der soziologische Aspekt mit dem theologischen in eine gewisse Spannung treten. Es kann für einzelne Bewegungen vordringlich sein, möglichst offen und empfangsbereit zu erscheinen, wenigstens nach außen keine strikten Bedingungen der Mitgliedschaft aufzustellen, das christlich-Großmütige aus der vollen Spontaneität der Mitmachenden zu erwecken. Wenn sich innerhalb einer solchen Bewegung Einzelne zum Räteleben entschließen – sei es durch Eintritt in den eigentlichen Ordensstand oder zu einem Räteleben im Geist der Säkularinstitute –‚ so bilden sie gleichsam einen Sonderzweig der Bewegung, sosehr sich die dazu Entschlossenen dann fast zwangsmäßig als die gegebene Leader des Ganzen anbieten werden. In solchen Fällen dürfte es angezeigt sein, daß vom Amt her eine sehr diskrete und geschmeidige Weise der Überwachung geübt wird.
Aber solche offenen Bewegungen sind keineswegs die einzige Form des Wirkens des Geistes in der Kirche. Er kann immer wieder, wie so oft in früheren Jahrhunderten, Gründergestalten erwecken, die an der Spitze einer bestimmten und bald auch innerlich durchgeformten Gemeinschaft stehen, und, theologisch gesehen, mehr die Richtung vom Räteleben her in die offene Säkularität als – wie die vorher erwähnten Bewegungen – den umgekehrten Weg einschlagen. Hier kann das Moment des kirchlichen Dienstes einen etwas anderen Stellenwert gewinnen und der theologische Wert einer Vollhingabe an Gott durch die Kirche viel stärker im Vordergrund stehen.
Es dürfte nun eine reine Ermessensfrage sein, ob man für die in den mehr offenen Bewegungen Lebenden die Bezeichnung «Laie» aufsparen soll, oder diese nicht ebenso den ausdrücklich kirchlich organisierten zubilligen darf. Oder soll man vielleicht den Schluß ziehen, daß die Grenzen zwischen «Laienstand» und «Ordensstand» überhaupt fließend sind, auch wenn es für beide gewisse unübersehbare Schwerpunkte gibt? Warum sollte dies ein Nachteil für die Kirche sein, in der alle Brüder sind und alle Glieder des einen Leibes unter dem einen Haupt bilden?
Zwei Schlußbemerkungen. Die eine soll nur der kurze Hinweis darauf sein, daß es auch Säkularinstitute für Priester gibt, eine gewiß sehr merkwürdige Sache, wenn man bedenkt, daß die «Weltlichkeit», verbunden mit dem Räteleben, das Spezifikum der Säkularinstitute ist. Priester, die solchen Instituten angehören, müßten sich also zugleich in Richtung auf das den «Laien» und das den «Ordensleuten» Vorbehaltene hin entwickeln, was aufs Ganze gesehen problematisch ist und mit verschiedensten Akzenten versehen werden kann. Aber die ausdrückliche Aufrechterhaltung dieser Lebensform zeigt einmal mehr die Osmose zwischen den sogenannten kirchlichen «Ständen» auf.
Das Zweite ist nachdenklicher. Es gibt heute Länder – und es könnte morgen deren noch mehr geben –‚ wo die offizielle Kirche verfolgt und Christsein im Ordensstand ausdrücklich verboten oder auf kümmerliche Reste eingeschränkt ist. Schwestern werden vielleicht noch bei der Pflege von Alten oder von Irren geduldet, ein «Schau-Kloster» wird erhalten, damit das Verschwinden von hunderten weniger bemerkt wird. In solchen Ländern, wo es auch die christlichen Laien schwer genug haben, werden Gebilde wie Säkularinstitute oder wie geistlich durchgebildete Bewegungen zum beinah einzigen Weg der kirchlichen Ausstrahlung und Missionierung. In solchen Ländern fragt man kaum noch nach «Ständen», nur die priesterliche Amtsgewalt bleibt unterscheidend wichtig. Hier erwacht, wie so viele erschütternde Dokumente bezeugen, der elementare Sinn des Christseins, das jeder der ihm verliehen Gnade gemäß zu leben versucht.

Hans Urs von Balthasar
Original title
Im Grenzbereich des Laientums
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Specifications
Language:
German
Original language:
GermanPublisher:
Saint John PublicationsYear:
2025Type:
Article