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In der Welt, doch nicht von der Welt
Zwei «endzeitliche» Lebensbewegungen
Hans Urs von Balthasar
Original title
In der Welt, doch nicht von der Welt
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Specifications
Language:
German
Original language:
GermanPublisher:
Saint John PublicationsYear:
2022Type:
Article
Das Reich ist, nach Jesus, weder erst in der Zukunft kommend, noch auch schon gekommen, aber durchaus «am Kommen», was beide Aspekte rätselhaft einschließt und zusammenfasst. Da in seinem Da-Sein das Reich «unter uns weilt», ist der Gegenwartsaspekt jedenfalls höchst real, sosehr, dass es mit seinem Da-gewesen-sein sogar einen (dritten) Vergangenheitsaspekt gewinnt, der aber durch Jesu verheißene Parusie wie durch seine Eucharistie und sein lebendiges Wort je in den Zukunfts- und Gegenwartsaspekt hinein aufgeht. Dieses geheimnisvolle, aber ganz auf Christus hin zentrierte Geflecht der Zeitlichkeit heißt biblisch «Fülle der Zeit».
In diese Fülle hinein ruft der Herr, und ruft auf doppelte Weise, obwohl er beide Menschengruppen in die gleiche Fülle ruft: die kleine Gruppe der Apostel ruft er so, dass sie «alles verlassen und ihm nachfolgen» sollen, in einem Radikalismus, der auch das Abschiednehmen, das Begraben des Vaters, das Zurückschauen, wenn man Hand an den Pflug gelegt hat, verbietet: die so Gerufenen stehen bei ihm, aus der Familie und dem Besitz, den sie hatten, heraus, um mit ihm zusammen, als von ihm Beauftragte, mit Vollmachten und Kräften Begabte, Ausgesendete ihren Dienst zu tun und abends, nach vollbrachtem apostolischem Tagewerk, zu ihm zurückzukehren, von ihm die Begutachtung des Geleisteten entgegenzunehmen (Mk 6,30) und neue Weisung abzuwarten. Aber nur eine geringe Schar wird auf diese Weise gerufen, die Großzahl wird in der Predigt angesprochen, auch einzeln begegnet: Sünder kommen, Kranke kommen, sie werden losgesprochen, gereinigt, dann mit einem «Geh…» entlassen, zurück in ihr Dorf, in ihre Familie, gelegentlich sogar kategorisch, entgegen dem Wunsch des begnadeten Menschen, «bei ihm bleiben zu dürfen» (Mk 5,18 f.; Lk 8,38 f.). Zwei «endzeitliche» Lebensbewegungen entstehen so, von zwei entgegengesetzten Standorten, «Ständen» aus: die einen, Herausgerufene, stehen beim Herrn und gehen mit ihm, seiner Menschwerdungsbewegung vom Vater zur Welt folgend, zu den Menschen, in christlicher Sendung, um zu ihm zurückzukehren, den ruhenden Punkt bei ihm zu haben. Die andern stehen «in der Welt», aber mit der inneren Unruhe, die sie immerfort neu transzendieren lässt: Ausschau haltend, wo er wohl weilen möchte, ihm nachfolgend in die Wüste «wie Schafe, die keinen Hirten haben», harrend, hoffend, und wenn sie erhalten haben, dankend und lobpreisend. Zwei kreisende Bewegungen: von Gott zur Welt zu Gott, von der Welt zu Gott zur Welt; gegenläufig und bei jedem Kreisgang sich zweimal kreuzend. Zwei Bewegungen, die beide Ausdruck der gleichen Liebe sind, in welcher die eine einzige Vollkommenheit besteht: die erste gleichsam in sich gestillt, weil der Schritt zu Gott formal ein für allemal vollzogen ist und sich inhaltlich in jedem Neuausgang und Rückweg bewähren und bewahrheiten muss; die zweite mehr sehnsüchtig offen, weil alles Irdische unbefriedigt lässt, weil das Herz unruhig bleibt, bis es ruht in Dir, aber wann ruht es denn, außer in den kurzen Augenblicken stillender Begegnung, die doch sogleich mit neuer Aussendung vom Herrn weg enden. Beide Bewegungen sind Unruhe, beide sind gestillt: die Unruhe des Apostels ist, dass der Herr ihn fortschickt (apo-stellein) in eine Welt, in der Er nicht und noch nicht ist, und doch ist auch diese Unruhe gestillt, weil Er selber der vom Vater zur Welt hin Fortgeschickte ist, und der Apostel nur auf Christi Welt-Bahn wandeln, auf Ihm selber, der ihn gerade in seiner Sendung als «der Weg» begleitet, überhaupt zu den Menschen gelangen kann. Der Weltchrist dagegen ist unruhig, weil er in allen Dingen, die als solche nicht Gott sind, Gott zu finden trachtet, aber gerade in diesem sehnsüchtigen Suchen die Seligsprechungen der nach dem Rechtsein Hungernden und Dürstenden zu hören und auch zu fühlen bekommt. So ist es eigentlich umgekehrt, als man gewöhnlich annimmt. «Weltzugewandt» sind jene, die sich ein für allemal bei Christus aufgestellt haben, um von ihm und mit ihm zusammen die Sendung in die Welt hinein zu erhalten; «weltabgewandt» sind jene, die in der Welt stehend, deren Vorläufigkeit, Vergänglichkeit, Fremdheit zu spüren bekommen, und notgedrungen das Auge zu Gott erheben. Auf einer ersten Ebene sind die beiden Bewegungen einander entgegengesetzt, und es lässt sich, vom Evangelium her betrachtet, nichts daran ändern, dass es in der Kirche zwei «Stände» gibt, dieses Wort nun nicht im mittelalterlich soziologischen, sondern ganz im ursprünglich biblischen Sinn gefasst. Auf das Wort kommt es übrigens nicht an, man kann es als mittelalterlich «belastet» durchaus fallen lassen, und behält dann die (wie immer benannten) zwei «Lebensformen» (frühmittelalterlich und patristisch: duae vitae) übrig, die theologisch das gleiche aussagen. Auf einer zweiten Ebene berühren beide einander aufs innigste und mannigfachste, weil beide in der bewegten Schwebe zwischen Gott und Welt, Welt und Gott existieren lassen, geradezu zu existieren zwingen, weil sie als Kreislauf immer wieder den einen und dann den andern Pol zu berühren nötigen, von beiden her angezogen, bereichert, aber auch von beiden immer wieder auf den andern verwiesen, gleich als könnte Gott nicht bei Gott, sondern nur beim Menschen gefunden werden, und der Mensch nicht beim Menschen, sondern nur bei Gott.
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