menu
Menschengeist – Gottesgeist
Hans Urs von Balthasar
Titolo originale
Menschengeist – Gottesgeist
Ottieni
Temi
Dati
Lingua:
Tedesco
Lingua originale:
TedescoCasa editrice:
Saint John PublicationsAnno:
2022Tipo:
Articolo
Was ist Inspiration?
Wir werden es nie feststellen können: Wo die genaue Grenzlinie durchschneidet zwischen Natur und Gnade, zwischen natürlicher Inspiration, die den angestammten Geisteskräften des Menschen entströmt, und Inspiration des Heiligen Geistes, der dem Geist des Menschen etwas zuweht, was seinen höchsten und tiefsten Sphären nicht mehr entstammen kann. Natürlich wissen wir, dass diese Höhen und Tiefen des Menschen geheimnisvoller sind, als er selber je wissen wird, dass sein bewusstes Geistesleben in einem Unterbewussten badet, auch in ein Überbewusstes eintaucht, dass es «natürliche» Osmosen zwischen ihm und andern, vielleicht fernen Menschen gibt, Telepathie und vielerlei Divination. Und wir wissen auch, dass es die Wunder der Genialität gibt, die fast immer mit einem immensen Fleiß, einem zähen Ringen um den eigenen Daimon verbunden, plötzlich jene Blüten treibt, die das Gemein-Menschliche schlechthin und einmalig zu überragen scheinen, die Wunder der großen Kunst, wo nach einer Generation von Fleißlingen so etwas wie eine Makromutation sich ereignet, und auf einmal ein Mozart oder der «Zweite Faust» dasteht, die Wunder auch bei den großen Entdeckern in Physik, Chemie, Medizin usw., deren Leistung nicht Zufallstreffer sind, sondern die Unbegreiflichkeit eines einfachen intuitiven Blicks, der auf einmal sieht, was tausend andere vielleicht schon hätten sehen können, die aber vor lauter Bäumen den Wald oder vor lauter Wäldern den Baum nicht sahen. Was war denn das geheimnisvolle «Daimonion» des Sokrates, das ihn zuweilen «wie eine Stimme» warnte, das er dann als «das gewohnte Zeichen» wiedererkannte, und das ihm, als er den Zeugentod für die Wahrheit sterben sollte, den Weg nicht verstellte, sondern freigab? Plutarch wird in seinem geschwätzigen Buch «Über den Daimon des Sokrates» berichten, der Daimon sei die unmittelbare Berührung zwischen dem Gott und dem Menschen, die Gedanken der Daimonen haben einen gewissen Glanz, womit sie die, die dazu fähig sind, erleuchten, ohne der Namen, Wörter oder sonstiger Symbole zu bedürfen». Wenn Nietzsche daran geht, seine Inspiration zu beschreiben, greift auch er nach religiösen Vorstellungen: Man kann den Gedanken «bloß Inkarnation, bloß Mundstück, bloß Medium übermächtiger Gewalten zu sein, kaum abweisen… Der Begriff Offenbarung, in dem Sinn, dass plötzlich, mit unsäglicher Sicherheit und Feinheit, etwas sichtbar, hörbar wird, etwas, das einen im Tiefsten erschüttert und umwirft, beschreibt einfach einen Tatbestand… Man fragt nicht, wer da gibt; wie ein Blitz leuchtet ein Gedanke auf, mit Notwendigkeit, in der Form ohne Zögern – ich habe nie eine Wahl gehabt… Eine Glückstiefe, in der das Schmerzlichste und Düsterste nicht als Gegensatz wirkt, sondern als bedingt, als herausgefordert, als eine notwendige Farbe innerhalb eines solchen Lichtüberflusses; ein Instinkt rhythmischer Verhältnisse, der weite Räume von Formen überspannt… Die Unfreiwilligkeit des Bildes, alles bietet sich als der nächste, der richtigste, der einfachste Ausdruck. Auf jedem Gleichnis reitest du hier zu jeder Wahrheit. Hier springen dir alles Seins Worte und Wort-Schreine auf; alles Sein will hier Wort werden…» (Ecce Homo). Aber überlassen wir den Atheisten seinen Ahnungen, vom Sein, von der Wahrheit selbst inspiriert zu sein, und nehmen wir das Beispiel jenes seltsamen Heiligen, der auf der Höhe seines Lebens den Vorsatz fasste, mit dem heiligen inspirierten Text der Bibel solange zu ringen, bis der keinem Christen damals bekannte hebräische Urtext sich eingießen ließ in ein makelloses, zugleich klassisches und ganz neues Latein: Hieronymus; Claudel hat seine «Vulgata» das größte Werk der lateinischen Sprache genannt: «Wenn es nicht im theologischen Sinn inspiriert ist, sicher ist es im literarischen Sinn ‹inspiriert›, wie man die Ilias und die Aeneis inspirierte Werke nennt… Sie ist Brot, von dem wir uns nähren, Arznei, an der wir genesen, Leben, aus dem uns Leben strömt» (J’aime la Bible). Hier, an diesem großen Beispiel, scheinen uns die Grenzen zwischen menschlicher (psychologischer) und göttlicher (theologischer) Inspiration fließend zu werden. Und wenn wir weiter hineinschreiten in das Gebiet der ganz gewöhnlichen, alltäglichen, unauffälligen christlichen Heiligkeit, wird die Grenze vollends unerkennbar: Ist die heilige, wahrhaft demütige Seele nicht jene, die ohne bei sich und bei andern Aufsehen zu erregen, durchlässig ist für Winke des Heiligen Geistes, die vielleicht einem Trostbedürftigen etwas zu sagen vermag, was genau das Rechte ist, viel zentraler trifft als der Redende selber weiß?
Wir haben heidnische, gegenchristliche, neutrale, christliche Beispiele wahllos aneinandergereiht. Lässt sich aus einer so bunten Reihe irgendetwas Einheitliches erschließen? Gibt es eine Konvergenz, eine Konnivenz zwischen menschlichem und übermenschlichem, göttlichem Geist? Kann so etwas wie eine Gesetzlichkeit dafür aufgestellt werden? Und widerspricht Gesetzlichkeit nicht von vornherein diesem allerfreiesten Gottesgeist, der weht, wo er will und sich nicht festlegen lässt?
Wenn wir sehr vorsichtig und zurückhaltend bleiben, mag es uns doch erlaubt sein, zwei christliche und theologische Wahrheiten zu äußern. Die eine betrifft das Wirken des Heiligen Geistes. Die andere betrifft den Menschen, der von ihm berührt wird…
Vom Wirken des Geistes
Dem Heiligen Geist ist es eigen, die souveräne Freiheit Gottes auszudrücken. Die Theologie sagt, er gehe in Gott vom Vater und vom Sohn aus; und sie sagt, dem Vater eigne in besonderer Weise das Werk der Schöpfung, dem Sohn in besonderer Weise das Werk der Erlösung. Muss es dann nicht das Besondere des göttlichen Geistes sein, sowohl in der Gesamtwelt als Schöpfung, wie im besonderen Raum der Erlösung, in der Kirche, zu wehen? Durch beide hindurch und beide verbindend? Nichts in der Schöpfung ist ihm fremd, er hat ja am Anfang über dem Chaos brütend und befruchtend geschwebt und alles geformte Leben ihm eingesenkt oder aus ihm hervorgelockt. Er kennt die Dinge von innen, er ist ihnen «innerlicher als sie sich selber sind». Und dann hat er in der Fülle der Zeit das Wort Gottes in den Schoß der Jungfrau Maria getragen und sich damit nochmals «innerlicher als sie sich selbst» in sie eingesenkt. Nach Paulus ist er innen in unsern Herzen, er, der mit unaussprechlichen Seufzern noch beten und mit Gott reden kann, wenn dem Menschen die Gebetsworte ausgehen, und Gott, heißt es, der die Herzen erforscht, versteht dann dieses wortlose Gebet, das tiefer aus den Herzen aufsteigt, als sie sich selber bewusst sind. Hier sind es eigentlich gerade nicht die «Begeisterten», die als inspiriert vom Geist beschrieben werden, sondern die Ratlosen, die am Ende ihres Lateins sind, die eine Erfahrung ihrer Ohnmacht gemacht und diese ehrlich eingestanden haben.
Die Freiheit des Geistes, durch den Bereich der Schöpfung wie der Erlösung hindurch zu wirken, verbietet uns, seinem Wirken äußerlich Schranken und Bedingungen aufzuerlegen. Warum sollte er nicht auch in solchen wehen, die wir äußerlich als Heiden (wie Sokrates) oder vielleicht als Antichristen (wie Nietzsche) ansprechen, deren letzte Herzensintention aber nur ihm bekannt ist? Wer weiß, was in Nietzsches Seele vorging, als er auf jener Loggia des Quirinal, mit dem Rauschen der römischen Brunnen unter sich, sein ganz gewiss inspiriertes «Nachtlied» schrieb, das Lied von der Sehnsucht aller Reichen und Schenkenden nach der Armut, die allein zu empfangen vermag: «Ach, dass ich dunkel wäre und nächtig! Wie wollte ich an den Brüsten des Lichts saugen! Oh, ihr erst seid es, ihr Dunkeln, ihr Nächtigen, die ihr Wärme schafft aus Leuchtendem!»
Man kann sich wirklich fragen, ob Psychologie, mit all ihren Tiefendimensionen, genügt, echte Inspiration zu erklären. Werden hier nicht immer doch Sphären angerührt, die jenseits der Seele liegen? Sphären zuweilen, die nicht allein solche des guten, sondern auch des bösen Geistes sind, denn es scheint oft so etwas wie eine dämonische Inspiration zu geben. Aber wie ist der Mensch beschaffen, der in echter Weise inspiriert genannt werden kann?
Der Mensch im Heiligen Geist
Wir lassen hier alle niedern Formen von Erregungszuständen («in high spirits») außer Acht. Sie schwingen in sich selbst, wie die ihnen entgegengesetzten Depressionen und seelischen Erkältungen. Wir fragen nur nach den Bedingungen echter Inspiration. Man darf vielleicht sagen, dass dafür zweierlei sich begegnen muss; Übernahme höchster Verantwortung – und Loslassen aller Eigenwilligkeit, verzichtende, demütige belehrbare Öffnung zu einer größeren, sachlichen Wahrheit, von deren Zentrum her die vorhandenen Elemente und Fragemente ihre Ordnung erhalten, wie Metallspäne vom Magneten. Aber das Loslassen ist eben kein bloßes passives Wort, sondern erfolgt auf der Spitze der Verantwortung, die die ganze aszetische Anstrengung der geistigen, intellektuellen oder geistlichen Arbeit geleistet, alle Daten gesammelt, alle Techniken erlernt hat. Wie könnte ein großer Pianist «inspiriert» spielen, indem er gleichsam von sich weg in den Genius des Werkes hineinlauscht, außer wenn er sich über alle technischen Probleme erhoben hat? Oder wie ein Atomphysiker eine neue synthetische Vision haben, wenn er nicht alle bisherigen Forschungsergebnisse beherrschte? In der Phase des Aufstiegs, des Sammelns kann der Ehrgeiz eine (weitgehend berechtigte) Rolle spielen. Im Augenblick der Inspiration muss er zurückbleiben, vergessen sein, unter einem liegen. Jetzt geht es nur um die Wahrheit, sie ist die Herrin, ich bin nur noch «die Magd». Das Höchste – auf welchem Gebiet immer – wird nur geschenkt. «Veni Creator Spiritus» (Goethe hat den Hymnus übersetzt, Mahler hat ihn vertont in seiner «Symphonie der Tausend» als ungeheures Inspirationslied).
Darum sind alle Großen des Geistes im letzten Demütige, verwandt jenen «Armen des Geistes», die ganz einfältig Heiligen Geist durch sich hindurch wirken lassen, womöglich, ohne es zu merken. Sie gehören in eine Gattung zusammen, gegenüber all denen, die es nie dazu bringen, von sich selbst abzusehen, die immer an ihre Zwecke denken, und in welchem Licht sie dastehen, und es deshalb nie zu einer Inspiration bringen. Sie haben weder den wahren Sinn der Verantwortung, denn der ist immer sachlich und selbstlos, noch haben sie den Mut, sich einmal ganz fahren zu lassen, damit der wahre Geist von ihnen Besitz ergreife.
«Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht und zu später Stunde schlafengeht und euer Brot in Mühsal esst: Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf» (Ps 127,2).
Altri articoli dello stesso periodo