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Communio – Ein Programm
Hans Urs von Balthasar
Titolo originale
Communio – Ein Programm
Ottieni
Temi
Dati
Lingua:
Tedesco
Lingua originale:
TedescoCasa editrice:
Saint John PublicationsAnno:
2024Tipo:
Articolo
Von welcher Warte aus will unsere neue Zeitschrift in das unabsehbare Getümmel der heutigen Weltanschauungskämpfe Ausschau halten und weisende Blinkzeichen geben? Die nach Jesus dem Christus sich benennende Gemeinschaft hat während ihrer langen Geschichte ihren Standort zwischen Gott und der Welt immer wieder neu bedenken müssen; aber es gehört zu ihrem Wesen, daß jedes Kennwort, unter dem sie sich selbst versteht, unabschließbar dynamisch verbleiben muß. In den ersten Jahrhunderten war diese Dynamik bis zum Widerspruch auseinandergespannt: zwar verstanden die Christen sich als die kleine Gruppe, die gegenüber der umgebenden, dunklen, feindlichen Welt eine Gemeinschaft (koinonia, communio) der Liebe bildete, gestiftet und gespeist aus der in Christus erschienenen und geschenkten Liebe Gottes – trotzdem wußte sich diese Gemeinschaft von vornherein (schon bei Ignatios, Brief an die Smyrnäer 8,2) als «katholisch», das heißt universal, und damit für die Welt normativ: welche Spannung! Ausgetragen konnte sie nur werden in einem «naiven» Glaubensbewußtsein: Wind des Heiligen Geistes treibt unser Schifflein voran (vgl. die Apostelgeschichte), trotz aller Verfolgung breitet die Lehre sich wundersam aus, schließlich bekehrt sich der Kaiser selbst, damit kommt eine grundsätzliche Deckung von Christusgemeinschaft und Welt in Sicht, wenn auch die volle Durchwirkung der Welt mit dem christlichen Sauerteig unvollendbare, immer problematische Aufgabe bleibt. Im Mittelalter erlahmt die Spannung, weil der Umfang von Reich und Kirche zu einer Deckung gelangen, beide zusammen die eine Christenheit bilden; Geist und Struktur sind einander grundsätzlich zugestaltet, die notwendige Spannung zwischen beiden bildet Anlaß genug zu immer neuen Reformansätzen, so sehr, daß darüber die tiefere Problematik zwischen dem christlichen Reich und der an den Rändern wogenden heidnischen Welt aus dem Bewußtsein zu schwinden droht. Von da die bekannten Fehlentwicklungen im Übergang zur Neuzeit: einmal die verhängnisvolle Koppelung von Machtkolonialismus und Mission, sodann die gegenreformatorische Betonung der (hierarchisch-institutionellen) Formgestalt der katholischen Christengemeinschaft zu einer Zeit, da die mittelalterliche Reich-Kirche-Einheit endgültig zerbrochen war. Die evangelischen Gemeinschaften aber waren aufgrund der verschärften Wiederaufnahme des frühchristlichen Dualismus Kirche-Welt in einer statischen Scheidung von Erwählten (Prädestinierten) und Verworfenen (vgl. auch den Dualismus von tötendem Gesetz und belebendem Evangelium) grundsätzlich nicht besser dran, wie sich in der Missionspraxis zeigt. Zu enge Nähe sprengten die Kleider. Das Bewußtsein «katholisch», das heißt «universal» zu sein, war für die Besten ein dauernder Stachel, mit allem, was äußerlich getrennt war, in einen existentiellen Dialog zu treten, um den Widerspruch zwischen «Katholizität» und partikulärer Denomination («römisch», überhaupt «Konfession») fortschreitend zu überwinden. Als dann mit Aufklärung und Idealismus die evangelisch-jansenistische Prädestinationsidee überholt war, hatten die Evangelischen die umgekehrte Mühe, von einem abstrakt-allgemeinen Reichgottesbegriff her so etwas wie geformte Gemeinde überhaupt noch zu rechtfertigen.
Von keiner Seite ist heute das Christliche aus dem Spannungsfeld herauszulösen: ist es nicht universal (katholisch) erheblich, so fällt es, mit all seinen Ansprüchen – ob sie nun vom Bibelwort oder von einem kirchlichen Amt her erhoben werden – auf den Düngerhaufen der religiösen rifiuti. Aber um universal erheblich zu sein, muß es gerade gegenüber dem Jedermannshorizont etwas Besonderes, Bestimmtes, Einmaliges sein. Und nicht nur «etwas» Besonderes, unter anderem Besonderen, sondern das Besondere, so sehr, daß es just aufgrund seiner Einmaligkeit universale Bedeutung beanspruchen kann. Diesmal haben wir ein Reflexionsstadium erreicht, das der ursprunglichen Spannung nicht mehr ausweicht, sondern sie ausstehen muß, ohne sie zu erweichen. Wir machen dieses Stadium bewußt, indem wir es durch ein Wort kennzeichnen: Communio.
Nur ein altes Wort kann hier dienlich sein. Es steht an zentraler Stelle im Neuen Testament: in der ganzen öffnenden Weite und zugleich in der ganzen sammelnden Kraft seiner Weisung: von Gottes Geist geformte Gemeinschaft in Christus, der grundsätzlich für alle Menschen lebte, aus den Toten erstand. In den Glaubensbekenntnissen begleitet die Aussage «Sanctorum Communio, Gemeinschaft der Heiligen» ständig, wenn auch irgendwie unbetont und nie völlig ins Licht des Bewußtseins emporgeholt, die Aussage: «Ich glaube die eine heilige katholische Kirche». Heute ist die Zeit gekommen, die Implikationen dieses Wortes aufzuzeigen, denn in ihm scheint uns ein Schlüssel sowohl für das Wesen der Welt wie der Kirchenstunde wie für die gegenseitige Zuordnung beider zu liegen. Das Wort, in seiner Amplitude, enthält ein Programm. Die Zeitschrift als ganze nimmt sich vor, es zu entfalten. In diesem Einführungswort sollen nur die Dimensionen abgesteckt werden.
1. Prinzip
«Com-munio» heißt Gemeinschaft, und zwar im konkreten und prägnanten Sinn eines Zusammen-Verfügtseins in eine gemeinsame Umwallung (mun: zu munio, mit einer Schanze umwallen, moenia: die Stadtmauer), aber auch in eine gemeinsame Leistung, Aufgabe, Verwaltung, die zugleich gegenseitiges Gefälligsein, Geschenk, Gnade sein kann (mun: zu munus). Die sich in Communio befinden, treten also nicht erst aus eigener Initiative aus einem je privaten Bezirk in solche Gemeinsamkeit ein, deren Ausmaß durch sie als Initianten festgelegt werden kann, sondern finden sich je schon darin vor, sind immer bereits, vorweg, vorgegebenermaßen, apriori aufeinander verwiesen, und zwar nicht nur im gleichen Raum miteinander zu leben und auszukommen, sondern auch eine gemeinsame Leistung zu vollbringen. In der Tatsache der Gemeinsamkeit liegt also – aller Freiheit beim Durchführen voraus – ein Anspruch, gemeinsam zu arbeiten. Das faktische «physische» Beisammensein ist als Tatsache zugleich eine Aufgabe, die nur geistig, in Freiheit, «moralisch» gelöst werden kann und so aus dem Beisammensein erst eine menschliche Form, eben Gemeinschaft, gewinnt. Sonst bleiben «die Andern die Hölle».
Das Entscheidend-Unterscheidende ist, daß die Tatsache des Beisammenseins, des Bildens einer «Kom-munität» die Freiheit, eine solche aufzubauen, durchzuführen, womöglich zu vollenden, erst in Bewegung setzt, um die bewußten, überlegten Schritte zur gemeinsamen Leistung zu unternehmen: zusammentreten (con-gredi, zu einem Kongreß, Synodos sich sammeln), sich aufeinander zu in Bewegung setzen (con-cieo, zu einem Konzil aufrufen), sich gegenseitig abtasten (con-tingere, Kontakte pflegen), miteinander ins Gespräch kommen (con-loqui, ein Kolloquium abhalten, in ein dialogisches Dasein treten). In diesem freien Stadium des Beisammenseins kann es, ja wird es normalerweise zu einer Gegenbewegung kommen: die Meinungen der Beisammenseienden schlagen aufeinander und eben damit gegen- und auseinander (dis-cutere: zerschmettern, sprengen, auflösen: daher Diskussion), die Phase der Auseinander-Setzung ist die «kritische» im Kongreß und Konzil. Damit ist ein folgenschweres Wort gefallen: «Krisis» sagt Scheidung (und damit Kampf und Auswahl), sagt aber auch Entscheidung, Ausschlag, und damit es dazu kommen kann: Untersuchung, Ermittlung, Prozeß, schließlich Urteil. Das alles sind notwendige Akte freier Wahrheitsfindung; schon im einzelnen, dessen Vernunft «unterscheiden muß, um zu einen» (intellectus dividens et componens), erst recht in der Gemeinschaft, in der mehrere Freiheiten und Gesichtspunkte sich zu einem gemeinsamen rechten Entschluß durchringen müssen.
Nun wird aber alles davon abhängen, wie tief das primäre Fundament gelegt wird, auf dem alle diese sekundären konziliaren und kritischen Prozesse gründen. Um eine Antwort zu finden, kann man schlicht fragen: was ist denn vorausgesetzt, damit zwischen den Individuen, deren jedes frei und vernunftbegabt ist, überhaupt «Kommunikation» entstehen kann? Genügt dazu ein bloßes Sich-vorfinden, nebeneinander, im Gefängnis einer gemeinsamen Erdoberfläche (wozu freilich das genetische Auseinanderhervorgehen kommt, das ein Verständnis der Individuen als selbständiger «Atome» gründlich in Frage stellt), oder ist dazu nicht schon eine «Kommunion» in der gemeinsamen Vernunft und Freiheit vonnöten, in einem Medium, das wir eines besseren Ausdrucks ermangelnd, die menschliche «Natur» nennen wollen? Was aber ist diese Natur?
Man weiß, daß die Griechen an eine solche Kommunion gedacht haben, dort, wo die gemeinsame Natur, in der alle baden, nicht mehr als eine bloße Idee, sondern – zumal in der Stoa – als konkrete Wirklichkeit erlebt und aufgefaßt wurde. So etwas setzt nun aber notwendig voraus, daß dieses umgreifende Vernunft- und Willenhafte als etwas Göttliches aufgefaßt wird, als der Logos, der allem leibhaftig einwohnt, und wonach sich der Mensch als nach der absoluten Norm erkennend und wollend ausrichten kann. Ein solches Prinzip kann dann auch die menschlichen Geister gemeinsam durchtränken, sie zueinander öffnen, sie in einer gemeinsamen konkreten Wahrheit des Erkennens und Tuns kommunizieren lassen. «Alles ist untereinander verflochten, und das Band ist heilig, und sozusagen kein Ding ist einem andern fremd, es ist miteingereiht und ordnet dieselbe Weltordnung mit. Denn es gibt eine Welt aus allem, und einen Gott durch alles, und eine Substanz, und ein Gesetz, den allen geistigen Wesen gemeinsamen Logos» (Marc Aurel VII,9). Das Gemeinsame und das Besondere sind beide gleich ursprünglich, gleich geistig (Seneca, Helv. 8,2: natura communis et propria virtus), nicht etwa wurzelt das persönlich Freie und Vernünftige in einem kollektiven Unbewußten, denn dann würden die Individuen gerade nicht in ihrem unterscheidend Menschlichen kommunizieren, ebensowenig in einer «Natur», die ihnen bloß die Anlagen und Materialien zu einem personal entschiedenen Schicksal liefert, in dem dann jeder einsam bleibt. Das Grandiose an der antiken Idee der allmenschlichen Communio setzt voraus, daß gerade das unterscheidend Menschliche – Logos als «freie» Vernunft – konkret gemeinsam teilgenommen wird; das geht nur, wenn die Individuen an einem je schon aktuellen «frei» vernünftigen göttlichen Prinzip Anteil haben, dessen «Freiheit» (als Überlegenheit über Zwang) dann zusammenfällt mit der menschlichen «Freiheit» (als Vermögen, dem Gesetz des Logos oder der Allnatur zu folgen).
Eine solche Weltschau mit ihrer Indifferenzlage zwischen Gott und Mensch ist nun aber im nachbiblischen Zeitalter unwiderbringlich dahin. Eine absolute Vernunft, in der alle Menschen kommunizieren, ist jetzt nur noch denkbar entweder christlich als eine der Welt überlegene göttliche, die in echter Freiheit gnadenhaft an sich selber teilgäbe (und in dieser Überlegenheit ja erst wahrhaft göttlich zu nennen Wäre) – oder als das utopische Ziel einer Weltevolution, die von der Materie her aufsteigend, die Individuen der menschlichen Gattung über sich selbst hinaus – «nach vorn» transzendierend – einer vollkommenen Kommunion und gegenseitigen Durchdringung in der vollen Vernunft und Freiheit entgegentreibt: auf sie hin könnte und müßte dann geplant werden, wenn nötig durch gewaltsame, revolutionäre Wegräumung aller retardierenden Momente, die immer im Willen zum Privatisieren liegen. Das Ideal, das so nah vor Augen liegt, daß es schon beinah greifbar ist, muß mit allen Mitteln gepackt und in die Realität einbezogen werden.
Christlich dagegen ist die Communio, die Gott durch Christus in die Menschheit einstiftet, von zwei Seiten her begründet: einmal aus Gott selbst, der personale Communio mit ihm und unter den Menschen nicht schenken könnte, wenn er nicht in einem abgründigen Sinn vorweg in sich selber Gemeinschaft wäre: liebendes Ineinandersein, liebender Austausch, was liebendes Freilassen voraussetzt; wo immer der ahnungsvolle Ausblick auf die Trinität Gottes, die ihn erst als konkrete absolute Liebe erscheinen läßt, verstellt wird, kann sich der Gedanke vollkommener Gemeinschaft nie bis ans Ende entfalten. Sodann in der Menschheit selbst: wäre der Mensch nicht «nach dem Bild Gottes und auf ihn hin» erschaffen, so läge in ihm nicht der Drang, nach einer vollkommeneren Communio der Menschen untereinander Ausschau zuhalten, als er sie sich im Rahmen der irdischen Verhältnisse überhaupt ausmalen kann. Kontakt, Dialog, Gütergemeinschaft sind ja nur Mittel, nicht die Sache selbst, die als solche unvorstellbar, transzendent bleibt.
Strenggenommen gibt es also nachbiblisch nur noch diese Alternative: die christliche Communio im realen Prinzip des göttlichen Logos, der – als Abschluß und Höhepunkt der alttestamentlichen Verheißung – in Jesus Christus uns gnadenhaft und gleichzeitig in echter Menschlichkeit als Ermöglichung voller Communio geschenkt worden ist; oder der evolutive Kommunismus, der – vom Pathos der alttestamentlichen «Hoffnung nach vorn» beflügelt – die volle Communio als die vollendete Leistung der sich selber verwirklichenden Weltidee und Menschheit erstrebt. Man sieht: nur im ersten Fall ist Communio real vorgegebenes Prinzip. Im zweiten bleibt der Kommunismus trotz allem Drängen zu ihm hin ideal, und die Mittel, ihn durch Macht herbeizuzwingen, entsprechen der letzten Freiwilligkeit des «positiven Humanismus» nicht. Die Apostelgeschichte schildert einen urchristlichen freiwilligen Kommunismus: «Die Vielzahl der Gläubigen war ein Herz und eine Seele. Niemand betrachtete etwas, das er besaß, als Privateigentum, vielmehr war (galt) ihnen alles (als) gemeinsam» (Apg 4,32) – der Vers hat in der Theologie der Väter und bis in die Scholastik einen langen Widerhall, und die immer neuen Ordensgründungen verstanden sich als die Fortführung dieses urchristlichen Communionsrealismus. Aber der Vers drückt wesentlich einen «Geist» aus: ist doch von personalem Besitz die Rede, der als solcher nicht als privat gewertet und behandelt wird. Mag sein, daß Lukas hier, um die wirksame Gegenwart des «Heiligen Geistes» zu veranschaulichen, den «Geist» «idealisierend» schon als beinah voll verwirklicht schildert (es folgt aber gleich die Einschränkung: die Geschichte von «Ananias und Sapphira» 5,1ff.). Dann hätte die Kirchengeschichte laut genug geredet, um die gähnende Kluft zu zeigen zwischen dem realen, apriori den Christen geschenkten Prinzip der Communio – Leib und Blut Christi, von Gott als die Gnade der realen Gemeinschaft mit ihm und als der reale Grund der vollen Mitmenschlichkeit geschenkt, und von hier aus die reale geistige Einheit aller im einen Heiligen Geist – und der jammervollen Unfähigkeit, diesem «Leib» und «Geist» entsprechend zu leben. In dieser Kluft gewinnt das Unternehmen des Kommunismus seinen theologischen Ort, obschon die Mittel, mit denen er die Communio anstrebt, diesem Ort nie entsprechen können. Warum? Weil die von Gott vorweg gestiftete Communio auf seiner gnadenhaften Erniedrigung, seiner Demut, seinem Armwerden, der reinen liebenden Verflüssigung der Substanz Jesu Christi beruht, während die aus menschlichen Kräften zu erbauende Communio sich nie ohne Machtanwendung durchsetzen wird, wenn sie es überhaupt kann. Absicht und Ziel des Kommunismus haben Platz in der christlichen Weltaufgabe, seine Mittel widersprechen ihr, weil sie wesentlich die heutige Irrealität des Prinzips Communio voraussetzen. Bonhoeffer hat – in lutherisch schroffen Antithesen – die Unversöhnlichkeit der beiden Gemeinschaftsentwürfe geschildert, unter Benützung der paulinischen Kategorien von «pneumatisch» (Heiliger Geist der Liebe, in Christus vorweg geschenkt) und «psychisch», das heißt, «was aus den natürlichen Trieben, Kräften und Anlagen der menschlichen Seele kommt»: «In der geistlichen Gemeinschaft lebt die helle Liebe des brüderlichen Dienstes, die Agape, in der seelischen Gemeinschaft glüht die dunkle Liebe des frommen-unfrommen Triebes, der Eros; dort ist die demütige Unterwerfung unter den Bruder, hier die demütig-hochmütige Unterwerfung des Bruders unter das eigene Verlangen. Dort ist alle Macht, Ehre und Herrschaft dem Heiligen Geist übergeben, hier werden Macht- und Einflußsphären persönlicher Art gesucht und gepflegt. Dort herrscht die naive, vorpsychologische, vormethodische, helfende Liebe zum Bruder, hier die psychologische Analyse und Konstruktion; dort der demütige, einfältige Dienst am Bruder, hier die erforschende, berechnende Behandlung des fremden Menschen» (Gemeinschaft 1966, S. 22f.). Wir können, katholisch, hinzufügen, daß ohne das letzte Entweder-Oder der beiden Geister zu schwächen, viel «Methodisches», «Psychologisches» in den Dienst der christlichen Communio übernommen werden kann. Aber angesichts dieser notwendigen Verwendung der menschlichen Mittel stellt sich ein neues Problem.
Christlich kann Communio nicht erstrebt werden, weil sie vorweg von Gott in Christus und in der «Durchtränkung» mit dem Heiligen Geist geschenkt worden ist. Alles Eins-sein-Wollen appelliert an ein Immer-schon-eins-Sein: aber nicht durch uns selbst, nicht aufgrund der natürlichen Mitmenschlichkeit, sondern weil Gott uns in seinem Sohn zu Kindern und Miterben eingesetzt hat. Die geschenkte Einheit ist für uns unverfügbar: sie stammt aus Gott, sie verwirklicht sich in Gott, und Gott bleibt unverfügbar. Daß wir, mitten im Beschenktsein mit der göttlichen Communio, unter der Verfügung Gottes verbleiben, erfahren wir immer neu im göttlichen Gericht (Krisis): wer öffnet sich der Liebe Gottes und damit der wahren mitmenschlichen Liebe? Wir erkennen es bis zu einer gewissen Zone, und dann entgleiten uns die Kriterien: Gott allein steht das letzte Gericht zu. Gerade weil wir «nicht richten», sondern Gott das Gericht überlassen sollen, ist im Neuen Testament so viel vom Gericht die Rede. Der Gott, der uns seine Gemeinschaft schenkt – mit ihm und untereinander (1 Joh 1,3.6) –‚ ist im gleichen Akt damit befaßt, zu unterscheiden (krinein), wer dieses Geschenk zu empfangen bereit ist und wer nicht. Es wäre besser, das Wörtchen «kritisch» eine Zeitlang zu meiden, statt es vor jedes Substantiv zu setzen; es gehört Gott zu. Und wenn er Menschen auffordert, mit ihm zusammen zu unterscheiden, dann immer von der Voraussetzung her, daß er der Gott ist, der vorweg Communio zu schenken gewillt ist und auch real schenkt. Daß er sich das Gericht vorbehält, heißt gerade nicht, daß er uns Einsicht schenkt in die Grenzen (oder Grenzenlosigkeiten) seiner sich hingebenden Gnade, daß wir etwas darüber wüßten, ob irgendwelche Menschen endgültig außerhalb der Communio stehen. «Wer bist du, daß du einen fremden Knecht richtest? Seinem eigenen Herrn steht oder fällt er. Er wird aber stehen bleiben, denn der Herr ist mächtig genug, ihn aufrechtzuerhalten» (Röm 14,4).
Allzulang hat kirchliche Theologie, in einer schwer entschuldbaren Unschuld, in Theorien über die doppelte Prädestination (zum Heil und zum Unheil) Jüngstes Gericht gespielt und nicht hinreichend bedacht, daß der Gott, der sich dieses Gericht vorbehält, derselbe ist, der in Jesus Christus in die Gottverlassenheit aller Egoisten, aller geistigen Privatiers und aus jeder Gemeinschaft Gefallenen, in den Abgrund jeder widergöttlichen und inhumanen Einsamkeit abgestiegen ist. Deshalb hat kein Mensch mehr das Recht, der Haltung und Aufgabe der Kritik gleichen Rang und gleiche Würde einzuräumen wie der Tatsache der geschenkten Communio. In jedem mitmenschlichen Kontakt, auch wenn dieser mißlingt und abbricht, hat er zuerst vorweg, dann im Vollzug und schließlich auch nachher die Existenz einer alles umgreifenden Communio vorauszusetzen. So kann auch der Ausschluß aus der sichtbaren Communio der Kirche (die Exkommunikation) immer nur als eine dem Schuldigen helfende, pädagogische, vorläufige Maßnahme aufgefaßt werden (wie Paulus zeigt: 1 Kor 5,5; 2 Kor 2,6f.). Und wenn wir nicht «wissen», daß schließlich alle Menschen von der göttlichen Gnade in die endgültig göttlich-menschliche Communio eingeholt werden, so haben wir doch als Christen das Recht und die Pflicht, es mit einer «göttlichen», gottgewollten und gottgeschenkten Hoffnung zu erhoffen. Das Prinzip, das unsern Gedanken an den letzten Menschen, unsern Dialog mit dem nächsten und übernächsten begründet und untergreift, ist die von Gott gestiftete, nicht nur von fern verheißene, nicht nur angebotene, sondern real der Menschheit als ganzer geschenkte Communio. Innerhalb ihres Raumes reden und schweigen wir, sind zu- oder abgewendet, stimmen überein oder setzen uns voneinander ab.
Beschließen wir diesen ersten Gedankengang mit der Feststellung, daß die Alternative: Stiftung der Communio aus der eigenen Kraft der Menschheit, so etwas nie zu leisten vermöchte. Ist einmal der antike Traum ausgeträumt, daß das Beste des Einzelmenschen wie der Gemeinschaft zugleich ein Göttliches sei, so wird es unmöglich, ein umgreifendes Medium anzugeben, worin alle Menschen mit ihrer Freiheit und Vernünftigkeit kommunizieren, und das deren freie Vernunft nicht zugleich konkurrenzierte, falls es real ist, oder zu schwach wäre, sie zu einen, falls es nur ideal ist. Es ist klar, daß zum Beispiel ein gemeinsames Unbewußtes kein geeignetes Medium ist, eine letzte Schicksalsgemeinschaft (consortium) von freien Personen zu tragen, aber ebensowenig ein Hegelscher Weltgeist, der die Einzelsubjekte nur um den Preis einbegreift, daß sie ihre Endgültigkeit in ihn hinein aufgeben. Um diesen Preis können auch in den östlichen Religionen die Individuen im Göttlichen miteinander kommunizieren, aber dieser Preis ist überzahlt: Identität zerstört die Kommunion. Unterzahlt ist er, wo Kommunion bloßer Gegenstand eschatologischer Menschheitshoffnung ist, und nicht reale Vorgabe. Denn dann werden alle Generationen, die erst unterwegs waren zu ihr, zurückgelassen, sie sind nur Material; sie haben keinen Zugang zum großen Fest der Gemeinschaft.
2. Ausgriff
Die universale (katholische) Communio ist keine beliebige unter andern. Sie ist die durch Gott geschenkte und uns frei gegebene Gemeinschaft mit dem einzig unbeschränkten Ausgriff. Machen wir uns klar, daß die Weite dieses Ausgriffs am Realismus ihrer Voraussetzungen hängt: 1. an der Wirklichkeit des (gewiß nie durchschaubaren) trinitarischen Wesens Gottes, der in sich selbst absolute Communio ist, und den Menschen nach seinem Bild geschaffen und zur Gemeinschaft an seiner Natur (2 Petr 1,3) berufen hat; 2. an der Wirklichkeit seiner Selbsthingabe an alle in der Aneignung der (gesamt-)menschlichen Natur in Jesus Christus, um nach seinem Weltplan alle zu retten (1 Tim 2,4), die Verlorenheit aller auf sich zu nehmen (2 Kor 5,20), die gesamte Welt in Christus mit sich auszusöhnen (2 Kor 5,18f.), im Gekreuzigten die trennenden Scheidewände niederzulegen (Eph 2,12ff.), ja in ihm, dem Auferstandenen, die Grenzen der Vergeblichkeit, des Sterbens und der Vereinsamung der Toten zu durchbrechen, um alle in ein endgültiges, todloses, ewiges Leben einzubergen (1 Kor 15,22); 3. an der Wirklichkeit der eucharistischen Selbstverteilung Jesu in seinem Abendmahl und der von ihr her begründeten, keineswegs magischen, aber sakramental-objektiven Communio der Mahlteilnehmer, die unauflöslich sowohl Teilhabe an Gott in Christus wie gegenseitige Teilnahme ist (1 Kor 10,16ff.): dies eröffnet die Möglichkeit eines Für-andere-Könnens, das rein menschliches Können überschreitet, sofern es Teilnahme an dem stellvertretenden Leiden Christi für die Kirche (und darin für alle Menschen) ist (Kol 1,24), Schicksalsgemeinschaft mit dem Herrn («mitleben», «mitleiden», «mitgekreuzigtwerden», «mitsterben», «mitbegrabenwerden», «mitauferwecktwerden», «mitbelebtwerden», «mitverherrlichtwerden», «miterben», «mitherrschen»), die von vornherein auf ein allmenschliches Mit offensteht und so allein die Differenz zwischen «Kirche» und «Welt» erklärt und rechtfertigt. 4. Von diesem sakramental-objektiven Raum muß sich zuletzt und ohne Zwischenpause die Communio im Heiligen Geist ergeben: da das «Vorweg» der Gemeinschaftsstiftung Gottes die menschliche Freiheit nicht überspielt, sondern sie von vornherein (hier hat die Mariologie ihren Platz, die endgültig jeden Magieverdacht abwendet!) in sich aufnimmt. Der uns geschenkte gemeinsame Geist ist weder nur «objektiver Geist», noch bloß «eschatologisch verheißener Geist», sondern der jetzt schon in unsern freien Geist hineingegebene absolute Geist (Röm 5,5; 8,8f.; 15,26f.; Gal 4,6 usf.), dessen Ausgriff in uns ebenso grenzenlos wird wie in Gott: «alles ist euer», sofern ihr in Christus Gottes seid (1 Kor 3,21). Er ist es, der Christi Werk vollendend, die Geister «zu einem Leib verbindet», indem er sie gesamthaft «durchtränkt» (1 Kor 12,13); er wirkt nicht nur von oben herein, sondern von innen heraus, aus dem Kern der menschlichen Freiheit (1 Kor 2,10-16; 7,40; Röm 8,26f.). Diese Voraussetzung des katholischen Ausgriffs ist in der Religions- und Geistesgeschichte völlig analogielos, weil sie kein Element unterschlägt, das menschliche wie das mehr-als-menschliche gleicherweise beachtet; sie berechtigt zu jeder Kühnheit, fordert aber auch am unerbittlichsten ein.
In Christus ist grundsätzlich der «Friede» hergestellt zwischen Himmel und Erde, zwischen dem Standpunkt des Schöpfers und dem der geschaffenen Welt, die abstrakt in sich selbst ein Getrenntsein vom Himmel, eine Abwesenheit oder einen Tod Gottes erleben und verkünden kann, oder deren treibende Mächte und Gewalten sich selbst als Aggressivität, als Wille zur Macht und ähnlichem, somit als feindselig gegenüber einem Gott der bloßen Liebe, der edlen, aber ohnmächtigen Werte (Scheler) erleben und empfehlen können. Eine solche Opposition mag sich noch so real gebärden und (Apokalypse!) auf ihrem Gebiet es auch sein: sie ist trotzdem an einem letzten Punkt überholt, dort, wo allem innerweltlichem Kampf vorweg die trennende Mauer zwischen Gott-Himmel und Mensch-Erde niedergerissen ist (Eph 2,14f.). Indem Gott in Christus sich gerade in die Macht der Finsternis und aller zermalmenden Kosmosgewalten preisgab, schuf er die Eucharistie – verzehrtes Fleisch, vergossenes Blut –‚ die Communio zwischen dem, was sich schlechthin auszuschließen scheint. Bei Johannes wird der Bissen gerade dem Judas gereicht (Joh 13,26). Im Geist der Communio ist der Christ «überzeugt: weder Tod noch Leben, weder Engelsmächte noch Weltprinzipien, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges (!)‚ noch irgendwelche Gewalten, weder Überhöhtes noch Eingetieftes noch sonst irgendein Geschöpfliches kann uns von der Liebe Gottes trennen, die da ist in Jesus Christus, unserem Herrn» (Röm 8,38). Es ist ohne weiteres erlaubt, die an das alte Weltbild gebundenen Vorstellungen in das neue zu übertragen: evolutive und technische Gesetze, Machtballungen und Planungen, ideologische Überbauten und tiefenspychologische Unterwühlungen, Atomwaffen, Kybernetik, Genenmanipulierung, und was sonst noch am Weithorizont emportauchen kann: alles ist vorweg eingeklammert durch die hergestellte Communio, den gestifteten Frieden, «der alles Ausdenkbare übersteigt» (Phil 4,7).
Und nun die großen Spannungen, die innerweltlich scheinbar unversöhnlich sind, wenn man nicht (was sich immer rächt) oberflächlich ihre wahre Tragweite verharmlost. Nicht zuerst die zwischen Kapitalismus und Kommunismus, in der sich schon so viele Federn entspannt haben Sondern die zwischen Juden und «Heiden», die untergrundig zentral die Weltgeschichte bis heute – und heute mehr als je – befehligt (vgl. meine Broschüre: In Gottes Einsatz leben, 1971). Denn hier geht es um ein letztes Sic et Non: die Versöhnung ist grundsätlich geschenkt (sagen die Christen), und muß nur ernstlich angenommen und gelebt werden; sie steht noch aus (sagen die Juden), und muß mit allen Kräften als das «Kommende» erstrebt werden. Dies Sic et Non schneidet tödlich scharf durch die Evangelien hindurch; nicht in ihren Dialogen wird es überwunden, sondern im wortlosen Gekreuzigtsein Jesu für sein Volk, und nicht nur für dieses, «sondern auch um die (in der Welt) zerstreuten Kinder Gottes zur Einheit zu versammeln» (Joh 11,52). Petrus, der Verleugner, übergibt das Gericht dem Herrn und solidarisiert sich mit den Juden: «Ich weiß, liebe Brüder, ihr habt aus Unwissenheit gehandelt, wie auch eure Vorsteher» (Apg 3,17), deshalb beläßt er der uralten, ewigen jüdischen Zukunftshoffnung ihre Chance: gemeinsam mit euch Juden warten wir Christen auf die (Wieder-)Ankunft des Messias (Apg 3,20-26). Und trotz seiner Kehre vom «Gesetz» zum «Evangelium», von der menschlichen Selbstleistung zum Tun aus dem Geschenk, bleibt Paulus ein «Pharisäer, aus einer Pharisäerfamilie», und steht «wegen der Hoffnung und der Auferstehung der Toten vor Gericht» (Apg 23,6); aber er weiß um das Erwähltsein Israels, um die Gegenseitigkeit eines geheimnisvollen Einander-Platz-Machens von Kirche und Synagoge (Röm 11).
Die innerchristlichen Spannungen zu ertragen und auszutragen kann der Dialog zwar helfen, aber nur die Communio wird es zu Ende führen. An der ersten Stelle steht die Spannung zwischen Ostkirche und Westkirche, zwischen denen ja grundsätzlich communicatio in sacris, Sakramentengemeinschaft, als Zeichen tiefer Einmütigkeit besteht. Ob aber diese wichtigste und innigste Kommunion der westlichen Theologie katholischen oder protestantischen Gepräges in ihren Planungen und Diskussionen lebendig vor Augen steht? Oder entfremdet sich diese in ihrem Verständnis von Tradition, Liturgie, kirchlichem Amt nicht – von wenigen (wie Louis Bouyer) abgesehen – mit steigender Eile von der ehrwürdigen Kirche der Ursprünge, als zähle diese schon gar nicht mehr ernstlich, sei im Weltgespräch eine quantité négligeable, gewiß zum größten Schaden ihrer zerstreuten Verächter? Und nochmals enger: Dialogisieren wir nicht am ehesten noch – vielleicht aus politischen Gründen? – mit der Orthodoxie und übergehen dabei, als existierten sie kaum, die unierten Kirchen, für deren künstliche «Westlichkeit» (soweit sie besteht) doch einzig die westlichen Kirchenmänner verantwortlich sind? Es gibt auch innerchristliche Genocide.
Erst dann sind die Dialoge mit den Evangelischen und Anglikanern an der Reihe, die nur innerhalb der Communio in Christus sachlich geführt werden können, aber immer mit dem Wissen, daß wir über diese Communio nicht selber verfügen können, sondern uns von ihr umfassen lassen müssen. Mehr Recht wird im Gespräch jeweils der haben, der sie tiefer, realer, fordernder versteht, von den oberflächlichen Argumenten und einseitigen Gesichtspunkten in das Universalere hinabdringen kann. Nicht indem wir rational und politisch an Unionen herumbasteln, begegnen wir uns in dieser Tiefe, sondern indem wir die Ansprüche jener Communio anerkennen, die uns vorweg in der Selbstteilgabe Gottes gewährt worden ist.
Der Übergang zu den Nichtchristen und Christengegnern erfolgt gradmäßig, denn die Atmosphäre der Welt ist von Auswirkungen des Christlichen – eben noch kenntlichen und schon unkenntlichen – durchtränkt. Und bei den Gegnern ist immer erst zuzusehen, ob sie nicht gegen Zerrbilder ankämpfen, die von der Wahrheit des Christlichen nichts mehr herzeigen, sie viel eher gründlich verdecken; und ferner ob sie nicht wesentliche Anliegen, die den Christen oblagen und diese versäumt haben, auf ihre Art nachzuholen versuchen. Erst ganz an der Grenze stehen jene bewußt «Abständigen» (Apostaten), vor deren Kontakt die apostolische Kirche so oft und ausdrücklich gewarnt hat, gewiß auf Zusehen hin, denn auch das Herz des harten Neinsagers kann schmelzen, der Vereinsamte Todeskälte zu spüren beginnen und sich insgeheim nach einer Hand umsehen. Daß einer die Communio aufsagt, heißt noch nicht, daß er ihr im letzten Bereich entrinnen kann. Wer aufgibt, ist deshalb noch nicht aufgegeben. Der Christ aber, für den «Communio» das Losungswort ist, gesellt sich zu seinem Herrn, der nicht aufgibt.
Communio besteht auch und soll geübt werden mit allen, die um einen Gott oder ein Göttliches oder Absolutes wissen, und allen, die ein solches nicht annehmen zu können meinen. Wieder sind die Grenzen fließend: man denke an den Buddhismus. Vom Christen wird aber beides verlangt: daß er in existentiellem Ernst – und nicht weil es modisch ist oder aus einer missionarischen Überlegenheit – mit den Anhängern anderer Religionen spricht, auch des Islam, mit dem ihn viel Biblisches verbindet, auch der indischen und fernöstlichen Formen vorwiegend negativer Theologie, zu der jeder außerchristliche Religionsentwurf sinnvollerweise gelangt, und denen wir mit der gleichen Ehrfurcht und dem gleichen Verständnis begegnen müssen wie einst die Kirchenväter. Und von hier aus wird der Christ nicht nur in Dialog, sondern in Communio (die jenen einschließt) mit den Marxisten treten müssen, weil sie in Christus immer schon besteht, und in der umgreifenden Liebe ein sauberes, unterscheidendes, weiterhelfendes Gespräch zu führen versuchen, ohne Bezauberung und Verfallenheit, aber ohne Haß und Vorurteil. Diesmal ist er vielleicht der Aufgegebene; der aber von seinem Herrn, der nicht aufgibt, keine Erlaubnis erhält, aufzugeben.
Das sagt nochmals, daß dem Menschen, auch dem Christen, auch der Kirche, die Realität Communio nicht als solche verfügbar ist. Sie ist zwar ein Horizont, auf den hin, sich alle christliche Erfahrung mit Gott und dem Mitmenschen zubewegt, aber sie läßt sich an dieser Erfahrung nicht messen. Das heute zu betonen ist wichtig, wo die kirchliche Gemeinschaft sehr vielen nur noch als ein Gerippe von Institutionen erscheint, und wo die kleine Gruppe, in der christliche Gemeinschaft erfahrbar wird, immer mehr zum Kriterium kirchlicher Lebendigkeit wird. Kirche als katholisch-universal schwebt für diese Leute wie ein mit dem Haus nicht mehr verbundenes Dach hoch über den Stockwerken, die sie bewohnen. In der Communio-Erfahrung der Gruppe liegt gewiß die große Hoffnung einer Regeneration von unten, aber ebenso die Gefahr des Zerfalls in charismatische Sekten. Die ganze Anstrengung Pauli ging dahin, die kirchliche Communio dem Zugriff der charismatischen «Erfahrung» zu entziehen und sie – durch das apostolische Amt – über sich hinaus auf das Katholische zu beziehen. Das Amt ist allerdings «Dienst» und nicht «Herrschaft», aber ein Dienst mit der «Vollmacht», alle Bollwerke, die die Charismatiker gegen die universale Communio errichten, zu schleifen und «Christus dienstbar zu machen» (2 Kor 10,5). Wer das kirchliche Amt charismatisch (demokratisch) einebnet, verliert damit das Moment, das jeden Sonderauftrag unerbittlich, kreuzigend über sich selbst hinaus bezieht und erhöht: auf das Niveau der Catholica, deren Einheitsband nicht die Erfahrung («Gnosis») ist, sondern die verzichtende Liebe («Agape»). Jene zerstört im letzten, diese baut auf (1 Kor 8,1).
Die Agape aber ist zuerst Geschenk von oben; dann erst kann sie – versuchsweise – von uns her nachvollzogen werden. Deshalb kann die horizontale zwischenmenschliche Communio nie das Maß für die vertikal von Gott her gestiftete abgeben. Sonst wären wir schon wieder bei der Selbsterzeugung der Kirche, im pharisäisch interpretierten Gesetz. Oder auch in der donatistischen Häresie (die heute wohl gefährlicher grassiert als je), nach der jeder Christ soviel zu geben vermag, als er existentiell realisiert.
Die Communio ist der äußerste, von uns nie erfahrungs- oder leistungshaft einholbare Horizont; er bleibt das ewig umsonst Geschenkte. Eben deshalb ist das Gebet nie überholt, wird es auch nie mit dem Tun identisch: «Betet allezeit», explizit (wie alle biblischen Menschen, auch Jesus) und implizit im mitmenschlichen Umgang, aber auch im «Kämmerlein». Sprache ist das Privileg des Menschen, weil er Bild des Gottes ist, der wesenhaft Wort ist; ohne die bewußte, freie Kommunikation im Wort bliebe Communio kosmisch-magisch. Immer ist unsere Realisierung dessen, was von Gott her ist, zu erbitten, immer ist für alles Geschenkte zu danken, immer ist die Tatsache der Communio preisend anzubeten.
3. Die Forderung
Wer um die Weite der Communio weiß, ist auch am härtesten angefordert. Er braucht kein brillanter Denker zu sein, der (etwa aufgrund Hegelscher Dialektik) sich auf jeden Standpunkt versetzen und ihn distinguierend an seinen Platz zurückverweisen kann: der Mann, der alles versteht. Aber er muß der Mann sein, der auch die Situation, die er denkerisch, sogar menschlich nicht oder kaum mehr begreift, noch durchsteht. Der letzte Horizont der Gemeinsamkeit ist ihm ja nicht verfügbar. Nicht das absolute Wissen, sondern die absolute Liebe umgreift die beiden. In ihr sind sie, die sich nicht mehr verstehen, vielleicht nicht mehr riechen können, allem zu Trotz versöhnt. Im Leib des Gekreuzigten hat Gott «die Feindschaft getötet» (Eph 2,16), so daß es strenggenommen christlich gar keine Feindesliebe mehr gibt: der vermeintliche Feind weiß nicht, daß er (in der einzigen als Wahrheit endgültigen Sphäre) als Feind überholt ist. Nun kann zwar auch ein Buddhist oder ein Stoiker diesen Satz wörtlich unterschreiben. Aber der Unterschied liegt in der Haltung des Herzens. Buddhist und Stoiker trainieren sich in die Sphäre der Leid- und Haßlosigkeit hinein: die Widersprüche, die gegen sie anprallen, erreichen sie nicht, sie kommunizieren mit dem Feind in einem überpersönlichen Absoluten. Der Christ aber muß sein Herz auftun und sich im Innersten betreffen, herausfordern, verwunden lassen. Gott ist in Christus an den Ort des einsamsten Sünders gegangen, um mit ihm in der Gottverlassenheit zu kommunizieren. Christliche Gemeinschaft ist in der Eucharistie gestiftet, die den Abstieg zur Hölle (meiner und deiner) voraussetzt. Da ist keine Flucht in eine abstrakte Einheit erlaubt. Da ist der Mut gefordert, vorzudringen bis zur wohlbestückten Festung des andern, und im Wissen, daß sie im letzten schon erobert und übergeben ist, sich – mit einem geistigen Fallschirm – in ihr Innerstes einzulassen. Das kann den andern zum grausamsten Widerstand reizen. Er muß durchgestanden werden. Das kann aber nur in der vollkommenen Demut des Glaubens an die vorgängige Tat der Liebe Gottes geschehen, ohne irgendeinen Triumphalismus selbst der Liebe. Zu einem solchen wird gar keine Zeit bleiben, denn ich muß mich ja mit der Verschlossenheit des andern solidarisieren, und ihm so beweisen, daß es auch im Einsamsten Gemeinschaft, im Abgekehrtesten Zuwendung gibt. Communio wird gestiftet am Karsamstag, nach dem Verlassenheitsschrei, vor der Sprengung des Grabes: im wortlosen, transdialogischen Schweigen des Mitseins im Allein. «Allein mit dem Alleinen», hatte Plotin gesagt; es vertieft sich auf befremdende Weise – sowohl vertikal wie horizontal – im Letzten, woher das Christliche sich begründet.
Nicht als müßte dieses in jedem Gespräch eigens evoziert werden, das wäre höchst indiskret. Aber es muß – als die Wirklichkeit der Communio – immer als Realität vorausgesetzt sein, sonst bleibt jeder Dialog unfruchtbar. Man redet ein Stück weit miteinander, dann, wo es schwierig und einstweilen aussichtslos wird, läßt man voneinander ab. Jeder geht seiner Wege. Nun aber gibt es keine doppelte Wahrheit, auch im Zeitalter des Pluralismus nicht, sondern christlich nur die eine, die aber nicht in der Macht, sondern in der Ohnmacht der Solidarität mit dem Letzten sich als solche erwiesen hat. Alle im Dialog vorgebrachten und vielleicht überzeugenden Argumente konvergieren zuletzt auf diesen letzten Punkt hin. Die ganze harte Theorie von Marx stammt schließlich aus einem durch den Jammer der Ärmsten zerrissenen Herzen. Von diesem Herzen muß der Christ sich provozieren lassen, und der Dialog kann dann klären, was heute zu planen und zu unternehmen ist.
Nämlich das in der Welt Mögliche, das nicht die Zertrümmerung aller Strukturen ist, in der utopischen Hoffnung auf ein ganz anderes irdisches Morgen. Gegen diesen Irrealismus steht die größere Wahrheit der heute gegenwärtigen realen Communio. Immer, in jedem Dialog, hat die größere Wahrheit Recht, und immer haben die Partner sich auf sie hin beziehen zu lassen. Das Geltenlassen, das sich selbst In-Frage-stellen-Lassen durch diese größere Wahrheit ist das Katholische, und diese exorbitante Forderung ist die Bedingung, durch die wir der realen Communio entgegenschreiten, und ihrer, die uns schon hat, teilhaft werden. Wer weiß übrigens schon, wer der Ärmste ist? Sind die Reichen nicht ärmer als das Kamel, das nicht durch das Nadelöhr kann? Die Gabe der Unterscheidung und alle dialektische Denk- und Redekunst soll im Wettkampf der Weltanschauungen zum Zuge kommen. Augustin hat sich vor der verstiegensten griechischen Philosophie nicht gefürchtet, so wenig wie Thomas vor der raffinierten Spekulation der Araber, oder Cusanus, Leibniz, Kepler, Teilhard vor den Weltentwürfen der Neuzeit. Sie weisen die Richtung, sie umgehen nicht die täglich neu geforderte Anstrengung. Aber wie sehr wußten gerade diese Größten um das Größere der Communio. Denn wir alle sitzen im gleichen Schiff.
Wir werden es mit «Communio» versuchen. Nicht aus einem Hinterhalt reden, aus einem kapitalistischen Besitz von «Glaubenswahrheiten». Daß diese Wahrheit, an die wir glauben, uns entblößt, wurde vorhin gesagt. Wie Lämmer unter die Wölfe. Es geht nicht um Bravour, aber immerhin um christlichen Mut, sich zu exponieren. Menschen treten in Kommunion, wenn sie sich nicht scheuen und nicht schämen, sich voreinander zu exponieren. Dort ist der Satz kein leeres Paradox: «Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark» (2 Kor 12,10).
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