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Die zweite Brotvermehrung
Predigt beim Gottesdienst am 11. Juli 1966 in Sankt Clara, Basel, anlässlich des 40. Jahrestages der Priesterweihe des Pfarrers F.Ch. Blum. (Mk 8,1-9; Evangelium vom 6. Sonntag nach Pfingsten)
Liebe Festgemeinde Sankt Clara,
Zu dieser Abendfeier, bei der wir dem Herrn danken für die vierzig Jahre Priestertum eures Pfarrers, schenkt uns die Kirche im Tagesevangelium ein vollkommenes Bild: das Bild einer um den Herrn als Mittelpunkt versammelten Gemeinde, wobei die Jünger priesterlich dienend zwischen Christus und dem Volke vermitteln. Betrachten wir zuerst den Herrn, dann die Jünger in ihrer Funktion, dann die Gemeinde.
I. Der Herr
1. Man erkennt ihn daran, dass er das Unnachahmliche tut, das, was nur er tun kann und was ihn in seiner Erlösersendung kennzeichnet. Auf die zweifelnde Frage, ob er es wirklich sei, lässt Jesus dem gefangenen Täufer antworten; «Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, Armen wird die Frohe Botschaft verkündigt» (Mt 11,5; vgl. Lk 4,18-21). Nur er kann all diese menschlichen Gebrechen beheben, nur er, wie in diesem Evangelium, die hungernde Menschheit so stillen, dass sie gesättigt wird. Und deutlich geht es ihm ja bei diesen leiblichen Wundern um sinnenfällige Zeichen für geistige Wunder, die er durch alle Zeiten hindurch wirken wird. Wer ist dieser Lahme, wenn nicht ich mit meinem lahmen Glauben, meiner lahmen Liebe? Wer ist dieser Blinde, wenn nicht ich, der ich die Zeichen Gottes nicht sehen will, die er doch so groß vor meine Augen gemalt hat? Dieser Schwerhörige, wenn nicht ich, der vorgibt, das klare Wort Gottes nicht recht hören zu können? Dieser Tote, wenn nicht ich, der ich «meine erste Liebe nicht mehr habe» (Apk 2,4)?
Und so muss ich es hören: «Ich kenne deine Werke, du lebst nur noch dem Namen nach, du bist tot!» (Apk 3,1). «Du sagst: Ich bin reich und lebe im Überfluss und brauche nichts, und du weißt nicht, wie elend, erbärmlich, armselig, blind und nackt du bist» (Apk 3,18). Immer sind die Wunder des Herrn aktuell, und die leiblichen Wunder sind für uns Bilder, an denen wir ablesen können, was uns alles fehlt, und worum wir den Herrn bitten müssen.
2. Hier stillt er den Hunger einer großen Volksmenge. «Er nahm die sieben Brote, sprach den Segen darüber, brach sie und gab sie…» (8,6). So hatte es schon bei der ersten Brotvermehrung gelautet: «Er nahm nun die fünf Brote… blickte zum Himmel auf, sprach den Segen, dann brach er die Brote und gab sie zum Vorsetzen» (Mk 6,41). Kein Christ hört aus diesen drei Worten: benedixit, fregit, deditque nicht das größte Wunder des Herrn heraus: «Während des Mahles nahm Jesus Brot, sprach den Segen darüber, brach es und reichte es ihnen mit den Worten: Nehmt hin, dies ist mein Leib» (Mk 14,22). Für alle Zeiten macht Christus sich selbst zum stillenden Brot für jeden Hunger der Menschheit. Er weiht sich selber dem Vater für die Menschen, um für die ganze Welt zur heiligen Speise zu werden (Joh 17,17), und gebrochen wird er am Kreuz, wo das Fleisch des Lammes geschlachtet, sein Blut vergossen wird, denn nur im Zustand vollkommenen Geopfertseins kann er sich auch vollkommen und grenzenlos an alle austeilen.
3. So sehr dies alles sein unnachahmliches Tun ist, so sehr beteiligt er aber seine Jünger daran. Angesichts der Notlage in der Wüste «rief er seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Mich erbarmt des Volkes». Er zeigt ihnen seine Gesinnung, sein Herz: «Drei Tage harren sie schon bei mir aus und haben nichts zu essen.» Die Jünger sollen das realisieren. Und nun sollen sie auch sehen, welche Gedanken der Herr sich macht: «Wenn ich sie hungrig nach Hause schicke, brechen sie unterwegs zusammen; manche sind ja von weither gekommen.» Er fordert seine künftigen Seelsorger auf, mit ihm zusammen die Schwierigkeit der Lage zu sehen. Er führt sie in eine gewisse Ratlosigkeit, und wie sollte er als Mensch nicht auch zuerst die Schwierigkeit einer Situation erfahren haben, ehe er im Gebet und im Heiligen Geist nach der Lösung suchte? Markus zeigt uns Frage und Gegenfrage: «Seine Jünger erwiderten ihm: Woher soll man hier in der Wüste Brot bekommen, um sie zu sättigen?» «Wieviele Brote habt ihr?» fragte er sie. Im andern Bericht raten die Jünger, die Leute ziehen zu lassen, damit sie sich unterwegs etwas kaufen können. Und der Herr fordert dort von ihnen: «Gebt ihr ihnen zu essen!» So wird den Jüngern sogar die Verantwortung für die Speisung der Tausende aufgeladen. Und da sie sich erkundigen, ob sie selber Brot kaufen gehen sollen, kommt die Frage: «Wieviele Brote habt ihr? Geht hin und schaut nach» (Mt 6,37-38). Bevor man eine lange Wanderung unternimmt, um einkaufen zu gehen, erkundigt man sich erst einmal, was vorhanden ist. Johannes, der wohl das beste Gedächtnis hat, weiß noch etwas anderes, dass nämlich der Herr selber den Philippus fragte: «Wo sollen wir Brot kaufen, dass die Leute essen können?» (Joh 6,5). In diesem «Wir» nimmt der Herr die Jünger ganz in seine eigene Sorge hinein: er und sein Priester zusammen fragen sich, wo man die Nahrung für die große Gemeinde finden kann. Beide müssen eins sein in ihrem Mitleid, in ihrem Suchen und Planen, und erst wenn der Jünger alle Möglichkeiten durchgedacht und versucht hat und keinen Weg mehr sieht, vertraut er und weiß er, dass der Herr einen Plan hat, wie das nötige Brot beschafft wird.
II. Der Priester
1. Nachdem die Jünger gemeldet haben, es seien sieben Brote da, weist Jesus sie an, die Menge in Tischgemeinschaften sich setzen zu lassen (Mk 6,39), und wenn er das Brot gesegnet und gebrochen hat, übergibt er es ihnen zur Verteilung. Es ist keine Rede davon, dass die Jünger im voraus ein Wunder erwarten, etwa dem Volk aus dem Wissen von Eingeweihten eine «großartige» Brotvermehrung voraussagen könnten. Nachdem sie die Sorge des Herrn geteilt haben, werden sie in einen strengen Gehorsam genommen. Auch der Herr wirkt seine Wunder nur im strengsten Gehorsam gegenüber dem Vater. Und das Wunder ereignet sich während die Jünger gehorchen, während sie austeilen. Sie merken es wahrscheinlich nicht einmal, dass das Brot in den Körben nicht abnimmt. Auf jeden Fall sind sie nicht neugierig damit beschäftigt, zu untersuchen, wie es zugeht, denn ihre Aufmerksamkeit ist auf den Befehl des Herrn und den Dienst am Volk gerichtet. Sie reflektieren nicht; sie folgen. Sie folgen aber, weil sie dem Herrn vertrauen, der schon weiß, was er tut. Und sie lassen sich von den Wirkungen des Herrn ebensosehr und noch mehr überraschen als das Volk, dem das Wunder zugute kommt.
2. Was damals war, geschieht durch alle Zeiten. Die Priester als Gehilfen des Herrn lassen das Volk sich lagern, versammeln es zum Gottesdienst und teilen das Brot des Herrn aus. Es ist zuerst das Brot des Wortes. Sie brechen das Wort auf der Kanzel, indem sie es verkleinern, in Stücke zerlegen, damit jeder seinen Bissen erhält (Origenes). Sie erleben dabei das Wunder der Brotvermehrung. Denn je mehr das Wort Gottes geteilt und zerlegt wird, umso reicher wird es. Aus jedem Zimmer, in das man durch eine Türe eingeht, führen wieder zehn Türen hinaus, die Räume werden immer größer, weiter, unübersehbarer. Das passiert auch in jedem echten Gebet: alles Göttliche zeigt sich viel größer, schöner, fordernder, als man gemeint hatte. Und es passiert in jeder Predigt: Wenn der Prediger das Geheimnis kennt (im Gebet es kennen gelernt hat), dann kann er es auch der Gemeinde zeigen und sie es erleben lassen: dass Gottes Wahrheit immer größer, schöner und fordernder ist, und dass man, indem man sich daran sättigt, erst richtig Hunger danach bekommt. – Und was beim Wortbrechen erfahren wird: dass Christus, das Wort des Vaters, in jeder Partikel als Ganzer gegenwärtig ist, das geschieht auch beim eucharistischen Brotbrechen: Millionen von Hostien werden verteilt, und immer ist es der ungeteilte Herr, der sich dem Menschen hingibt und den ungeteilten Gott, Vater, Sohn und Geist, in jedes Herz bringt.
3. Aber wie der Herr nur deshalb das Brot Gott weihen, brechen und verteilen konnte, weil er sich selber Gott weihen und sich von ihm brechen lassen und verteilen lassen wollte, so kann der Jünger, der Priester, der an der Sorge des Herrn teilhatte, diesem Gesetz nicht entgehen. Er hat sein ganzes Leben dem Herrn zur Verfügung gestellt, und nur mit einem ungeteilten Dienst kann sein Herr etwas anfangen. Dieser Dienst aber führt auch ihn unweigerlich dorthin, wo der Sohn Gottes gebrochen wird, um verteilt werden zu können. Rein menschlich werden die Kräfte des Dieners überfordert, weil Gott dem Gehorsamen übernatürliche Kräfte gibt, um seinen Dienst zu versehen. Gehorcht einer wirklich, so wird ihm die Erfahrung des Überfordertseins nicht erspart. Es geht weiter, als er anfangs gedacht hatte. «Man wird dich führen, wohin du nicht willst» (Joh 21,18). Damit deutete Jesus dem Petrus an, dass er Gott durch den Kreuzestod verherrlichen sollte. Wunderbare Verheißung für den Vertreter der amtlichen Kirche! Eigentlich wäre die Deckung von «Amt» und «Liebe» ein Vorrecht des alleinigen Christus; nur er ist Priester und geschlachtetes Lamm zugleich. Aber er will diesen Petrus, der dreimal verleugnet hat, nicht seinem Schicksal überlassen. «Liebst du mich mehr als diese?» Du musst es, also kannst du es. Und da Petrus seine Liebe bekennt (er kann nicht anders) und daraufhin das Amt erhält, bekommt er außerdem noch die große Verheißung der Nachfolge ans Kreuz. – Selig der Priester, der im Schatten dieser Verheißung stehen darf, und selig auch die Gemeinde, die in ihrer Mitte den Schatten des Geheimnisses spüren darf. Wir dürfen darum beten, dass in dieser Franziskanerkirche der heilige Franz etwas von der Gnade seiner Wundmale lebendig werden lasse und die heilige Clara, dreißig Jahre fast immer ans Bett gebunden, etwas von der Fruchtbarkeit ihrer Leiden ausstrahle.
III. Die Gemeinde
1. Aber nun fragen wir doch: Woher kam denn schließlich das Brot, das dem Herrn gebracht und zur Vermehrung unterbreitet wurde? Es kam nicht vom Herrn, auch nicht von den Jüngern. «Hier ist ein Knabe, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische mit» (Joh 6,9). Die Mutter wird ihm das als Proviant in den Rucksack gesteckt haben, für die Exkursion. Das Brot kommt aus der Gemeinde. Der Herr will nicht allein der Gebende sein. «Bringt von den Fischen her, die ihr eben gefangen habt» (Joh 21,10): so ladet er auch am See die Jünger zum gemeinsamen Frühstück ein. Und in der Apokalypse: «Ich klopfe, und wenn jemand meine Stimme hört und mir auftut, zu dem trete ich ein und halte Mahl mit ihm und er mit mir» (Apk 3,20). Zur Kirche bringt die Gemeinde mit: ihren liebenden Glauben, aber auch Brot und Wein; und die Gaben der Gemeinde werden bei der Aufopferung auf den Altar gelegt, bei der Wandlung verwandelt und ihr als Geschenk Gottes des Vaters bei der Kommunion wiedergegeben. Die Gemeinde ist alles andere als passiv. Sie empfängt beim gemeinsamen Mahl den Herrn als Wort und Brot (die Priester sind nur vermittelnde Diener), aber sie muss ihm dabei immer schon die lebendige Liebe eines christlichen Glaubens und Hoffens entgegenbringen, und Besseres könnte der Mensch Gott nicht bieten. Und wohl hat er auch das zuvor von Gott erhalten, aber er gibt ihm seine Gaben doch zusammen mit seinem Menschenherzen zurück.
2. Der Knabe hatte vielleicht ein wenig Angst, als man ihm seinen Proviant wegnahm; wer garantierte ihm, dass er ihn wieder bekam? Und doch bekam er alles reichlich zurück, aber so, dass eben auch alle andern mit bekamen. Dass die Gemeinde immer wieder angebettelt wird, ist normal. Mehr oder weniger willig gibt man – und man sollte nach der Lehre des Evangeliums und des heiligen Thomas von Aquin und des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht nur vom eigenen Überfluss geben, sondern auch vom Nötigen, man sollte bereit sein, auch das Kostbarste und Liebste zu geben (die eigenen Kinder zum Beispiel, wenn Christus sie als Priester und Ordensleute dringend braucht), und im Augenblick, da man gelernt hat, ohne Berechnung und Hintergedanken zu geben, bekommt man hundertfältig zurück. Aber eben so, dass dann alle bekommen. «Alle aßen und wurden satt» (Mk 6,42; 8,8). Und es wäre nicht verwunderlich, dass gerade die Jünger die vor lauter Austeilen ganz vergessen hatten, selber zu essen, zuletzt durch die Freude des Schenkens am meisten gesättigt waren.
3. Am Schluss sammelt man die übriggebliebenen Stücke, und sieben Körbe werden voll. Was für ein seltsames Ende dieses Festes! Wenn sonstwo viertausend Leute gegessen haben, wird man mehr als sieben Körbe Abfälle, Schalen und Papierfetzen auflesen können. Und hier das beste Brot. Es bleibt viel mehr übrig, als am Anfang da war, Gnade ist immer Verschwendung über alles hinaus, was der Begnadete davon auffangen kann. Und doch geht der Überfluss nicht verloren, die Jünger, die Priester sammeln es ein und verwalten es als den geheimnisvollen Reichtum der Kirche, den Kirchenschatz, in dem alle armen Sünder, die etwas brauchen, immer das Nötige finden. Gutes, frisches Brot. Gottes Rechnungen gehen nie auf. Und so ist am Ende jeder heiligen Messe immer viel mehr da als am Anfang: der Reichtum des Herrn wurde verteilt, und die Liebe zwischen Gott und der Gemeinde wurde erneuert, durch Vermittlung der Priester. Eucharistia heißt Danksagung, und wenn wir nunmehr miteinander das heilige Opfer feiern werden, dann sei es in der Dankgesinnung für diesen unberechenbaren Überfluss, an dem wir neuen Anteil erhalten: Dank an Gott, Dank auch an die dienenden Priester, den Pfarrer und seine Vikare, die dienenden Ordensleute und alle Laien, die in der Pfarrei irgendeinen Dienst oder Auftrag oder ein Amt versehen; aber unser Dank öffne sich zur katholischen Kirche im ganzen, damit sie nicht nur in ihrem Klerus, sondern in all ihren Gliedern «ein heiliges Priestertum», «ein priesterliches Volk» sei (1 Petr 2.5.9), geweiht, gebrochen und ausgeteilt zur Erlösung der ganzen Welt. Amen.
Hans Urs von Balthasar
Titolo originale
Die zweite Brotvermehrung
Ottieni
Temi
Dati
Lingua:
Tedesco
Lingua originale:
TedescoCasa editrice:
Saint John PublicationsAnno:
2022Tipo:
Articolo
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