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Vorwort zum Josef-Pieper-Lesebuch
Hans Urs von Balthasar
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Ficha técnica
Idioma:
Alemán
Idioma original:
AlemánEditorial:
Saint John PublicationsAño:
2023Tipo:
Prefacio
In jedem seiner dichten kleinen Bücher ist Josef Pieper als Denker wie als Mensch ganz gegenwärtig und legt sich so unverborgen aus, dass ein Buch über ihn kaum einen Sinn hätte. Mir hat es sein wundervolles Nachwort zu C.S. Lewis’ Werk «Über den Schmerz» besonders angetan; es trägt die Überschrift: «Über die Schlichtheit der Sprache in der Philosophie». Er zeigt dort, dass die Einzelwissenschaften, die immer vom Sinn des Seins im ganzen abstrahieren, sich eine präzise Sprache leisten können (oder sich damit begnügen müssen), während der Philosoph, der das «heilig öffentlich Geheimnis» (Goethe) des Seins im ganzen und seiner Bedeutung betrachtet, sich am besten an die immer auch aus der Weisheit der unbewusst philosophierenden Menschen gewachsene Sprache hält. «Das Wort der gewachsenen Menschensprache fasst mehr Realität als der künstliche Terminus.» Und es folgt die erstaunliche, aber richtige Aussage: «Nicht allein Laotse, Platon und Augustin, sondern auch Aristoteles und Thomas kennen, so unwahrscheinlich es klingen mag, keine eigentliche Fachterminologie.» Diese Namen bürgen dafür, dass die von Pieper gemeinte Schlichtheit – «sie ist das Siegel der Glaubwürdigkeit» – keineswegs «die plane oder gar triviale ‹Leichtverständlichkeit›» meint.
Warum nicht? Weil die Methode jeder Wissenschaft dann richtig ist, wenn sie sich von ihrem Gegenstand her bestimmen lässt. Die Geschichte oder die Psychologie haben eine andere Weise, exakt zu sein, als etwa die Physik oder die Biologie. Dieser fundamentale Satz ist für Pieper immer Ausgangspunkt geblieben: Annahme und Geltenlassen des Gegebenen, wie es sich gibt, in seiner eigenen Wahrheit, Gutheit und Schönheit, ist Voraussetzung dafür, etwas von ihm zu erfahren. Und wenn wir auf den Menschen übergehen, so kann man an ihm ablesen, wann und wie er sich in der ihm eigenen Wahrheit und Richtigkeit, Voll-kräftigkeit (virtus) darstellt: die Kardinaltugenden, wie Pieper sie in seinen berühmten vier Büchlein nach Platon und Thomas neu interpretiert, sind nichts als das Sich-Geben des Menschen, des Abbilds des absoluten Seins.
Wie aber gibt sich die Wirklichkeit, das «heilig öffentlich Geheimnis», das wir nach Goethe «ohne Säumnis» ergreifen sollen? Immer als ein Mehr als was erfassbar ist, immer als ein «unaustrinkbares Licht». Am Erlebnis eines sich mir schenkenden liebenden Du erfahre ich, dass dieses Mehr, nämlich die Freiheit des sich öffnenden Andern, nicht greifbar ist, obschon sie sich mir in der Hingabe ja nicht entzieht.
Piepers Kenntnis der Philosophiegeschichte ist universal; auch wenn er nie damit prunkt, kann er mit einem ins Schwarze treffenden Zitat aus einer beliebigen Periode sein Gemeintes erklären und stützen.
Aber er ist weit entfernt, Halbwahres gelten zu lassen; nach dem Gesagten hat er ein klares und scharfes Nein gesagt – und sich damit zum Unzeitgemäßen gestempelt – gegenüber dem Philosophiebegriff Descartes’ und Bacons, nach denen das Wissen «uns zu Herren und Eigentümern der Natur machen» soll, die Theorie sich an der herstellenden Praxis misst. Nicht als dürfte und sollte der Mensch nicht schaffen, aber erst wenn er vorgängig empfangen hat. Sonst stellt er sich – folgerichtig atheistisch – an die Stelle des Schöpfergottes. Deshalb muss Pieper auch Nein sagen zum bewunderten angeblichen Höhepunkt der modernen Philosophie, zu Hegel, wenn dieser daran mitarbeiten möchte, dass die Philosophie «dem Ziel näherkomme, den Namen ‹Liebe zum Wissen› ablegen zu können und wirkliches Wissen zu sein». Absolutes Wissen, worin das Geheimnis des Seins hineinverschwunden ist in die von der Vernunft beherrschte dialektische Methode. Was ist bei unsern Nachhegelianern aus diesem dämonischen Griff nach dem göttlichen Wissen geworden? Entweder das leere Geklapper von Logistik, das hermetische Getuschel über Hermeneutik oder die letztlich spießbürgerliche Unterwerfung des Wissens unter den Staat (Hegel), das Volk (Hitler), die Wirtschaft und Gesellschaft (Marx, Stalin, der Amerikanismus).
Wo sich nichts mehr «gibt» und von sich her «eröffnet», nichts mehr von sich her sich «überliefert», wo also der Ursprung nicht mehr bedacht wird, da ist auch keine Eröffnung auf Zukunft mehr möglich. Nur wenn Philosophie als liebende Sehnsucht nach dem Immer-Mehr im Geheimnis des Seins den Menschen unbedingt auf den Weg setzt, erhält die von Pieper immerfort bedachte Öffnung der Zukunft, als Hoffnung, allererst eine Grundlage.
Ein Letztes, das Pieper auch zu einem der Unzeitgemäßen macht, die ja zumeist die Notwendigsten sind. Wenn Philosophie nur dadurch möglich ist, dass sich Sein «immer schon», wenn auch im Geheimnis, erschlossen hat, dann hat Philosophie auch immer schon mit Theologie zu tun. Für die Griechen war das selbstverständlich: Philosophie war suchendes Wissen nach dem absoluten Urgrund der Welt. Wie ist es nur möglich, dass Philosophie heute von dieser Höhe herabgesunken ist und sich unter den Spezialwissenschaften eingereiht und gemeingemacht hat? Deshalb vielleicht, weil sich christliche Theologie als die – ebenfalls speziale – «Wissenschaft» von der Selbsterschließung des göttlichen Urgrunds in Christus etabliert hat? Aber dies doch wohl erst seit einer rationalistischen Spätscholastik und den Auswirkungen Descartes’, während für die Väter und die Hochscholastik das «Staunen» des Philosophen vor dem «heilig öffentlich Geheimnis» immer die Grundlage und Voraussetzung der christlichen «Liebe» zu dem im Alten und Neuen Bund sich ganz hingebenden Gott geblieben war. «Liebe» nicht primär «zu», sondern zuvor «Liebe von her»: wie der gnädige, treue, barmherzige Bundesgott Israels schließlich vollkommene Liebe vom antwortenden Menschen einfordert, so fordert Jesus als der auf Gott Durchsichtige, Gott Auslegende eine (wahrhaft staunende!) Liebe für sich: «Liebst du mich mehr als diese?» «Wenn ihr mich liebt, dann haltet mein Gebot»: nämlich das der Liebe, in der (allein) sich jetzt die höchste Einsicht in das Absolute öffnet. Haben die Theologen überlegt, was für eine «wissenschaftliche» Methode ein Gegenstand braucht, der höchste Liebe für sich einfordert? Sicher keine, die ihn zu beherrschen sucht.
Pieper hat die unvermeidliche, immer schon bestehende Vermählung der Philosophie mit der Theologie ungescheut mitgefeiert. Seine Werke bewegen sich alle in dem einzig konkreten Raum unserer Welt, in dem der Philosoph nicht umhin kann, sich mit der Selbsterschließung des Seins in Jesus Christus positiv oder negativ auseinanderzusetzen. In diesem konkreten Raum haben alle echten christlichen Denker unseres Jahrhunderts gelebt: Marcel und Eliot, Lewis und Siewerth, um nur diese zu nennen. Wer dies Konkrete zerfällt, in eine in sich geschlossene Philosophie und eine sich selbst genügende Theologie, ist weder Philosoph noch Theologe, so sehr eine solche Aussage den modernen «Fach»-Leuten gegen den Strich gehen mag.
Wir schulden Josef Pieper großen Dank, dass er uns in seinen unzeitgemäßen Betrachtungen das für unsere Zeit Notwendigste unermüdlich neu sagt.
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