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Schöpfung und Trinität
I
Die Aussagen des Neuen Testaments, daß Christus «der Erstgeborene der ganzen Schöpfung», daß «alles durch ihn und auf ihn hin geschaffen» ist und «alles in ihm seinen Bestand hat» (Kol 1,15-17), daß Gott «den zum Erben des Alls eingesetzt hat», «durch den er auch die Welt geschaffen hat» (Hebr 1,2), daß «alles durch das Wort (das ‹bei Gott war›) geschaffen wurde» und «ohne das Wort nichts von dem wurde, was geworden ist» (Joh 1,1-3), sind einzig aufgrund des Glaubens zu rechtfertigen, daß Jesus von Nazareth der ewige Sohn Gottes ist. Und dieser Glaube legt dar, daß sowohl von dem, den Jesus seinen erschaffenden Vater nennt, wie von ihm selbst der von beiden verschiedene, von beiden ausgesandte Heilige Geist die vom Vater im Sohn geschaffene Welt vollendend durchwaltet.
Diese Bindung der trinitarischen Form des einen Gottes an die Inkarnation macht, daß die Idee einer trinitarischen Begründung von Existenz, Gestalt und Sinn der Schöpfung in der Weltgeschichte analogielos sein muß. Weder können religionsgeschichtliche Analogie («Trimurti» als drei Aspekte göttlichen Seins und Wirkens) damit vergleichbar sein, noch kann sie echte Vorstufen haben (auch wenn am Anfang der Genesis vom erschaffenden Gott, seinem schöpferischen Sprechen und seinem über dem Chaoswasser brütenden Geist [Gen 1,1-3], die Rede ist, auch wenn am Ende des Alten Bundes im Weisheitsbuch der schaffende Gott seine «Besitzerin Weisheit» [oder Wort, Wh 9,1] und der «Heilige Geist» [1,5; 7,22 usf.] unterschieden werden: es sind wiederum nur Aspekte des einen Schöpfers), noch kann deshalb als Grundlage aller Philosophie ein dreieiniges Schema angesetzt werden, das sich nachweisbar stufenweise durch die Geschichte entfaltet und in der Gestalt Jesu seine alles Frühere endgültig rechtfertigende Begründung findet (Hegel). Um die letztgenannte Systematik durchzuführen, müßte etwa neben die These eines abstrakten Monotheismus der Juden der ebenso abstrakte und ästhetische (weil keine endgültige Inkarnation zulassende) Polytheismus der Griechen gleichwertig antithetisch gestellt werden, woraus sich die konkrete christliche Synthese ergäbe, in der sowohl die wahre Menschwerdung Gottes wie dessen trinitarische Verfaßtheit – beides sich gegenseitig bestätigend – gesetzt wären. In einer solchen Sicht wäre die endgültige Form und Sinnspitze der Welt das Ergebnis einer von ihren Anfängen her sich (dialektisch) entwickelnden Intention: der evolutive Weltprozeß liefe auf Christus (als die endgültige Synthesis von Gott und Welt) hin, anders gesagt, der Prozeß Natur fiele überein mit dem Ereignis Gnade.
Nun ist angesichts dieses Philosophie und Theologie ineinssehenden Welt- (und Gott-)Werdens nochmals auf die anfangs zitierten Aussagen der Schrift zurückzudenken. Zunächst scheint dort mehreres für die Richtigkeit der hegelschen Systematik zu sprechen, und von ihr her könnten dann auch die alttestamentliche Dreiheit Gott-Weisheit(Wort)-Geist, ja die Vorschattungen von «Trinitätsschemata» in den andern philosophisch-religiösen Entwürfen miteingeborgen werden.
Denn erstens wird ja von Paulus ausdrücklich gesagt, das Weltganze sei nicht in einem (philonischen) Logos, sondern in Christus grundgelegt worden, also in etwas, das erst durch ein Weltwerden hindurch erreicht wird und deshalb eigentlich notwendig Annäherungsstufen verlangt. Dem könnte im Paulinismus entsprechen, daß er den Abrahamsglauben proleptisch und über die Grenzen Israels hinaus schon auf diesen Christus bezieht, sosehr, daß es beinah so aussieht, als würde Christus zur Entfaltung dieses Glaubens Abrahams (eductio formae ex potentia materiae): «Abraham et semini tuo, qui est Christus» (Gal 3,16).
Zweitens hebt der Anfang des Hebräerbriefs die Eröffnung des trinitarischen Gottesbildes im historischen Christus als dem Gesamterben, der zuerst «die Reinigung von den Sünden bewirkt und sich dann zur Rechten der Majestät Gottes gesetzt hat» (1,3), ab von dem «vielfach und vielfältig» Reden Gottes zu den Vätern «durch die Propheten», so daß Christus abermals und auf neue Weise als die Synthese dieser Vielfalt erscheint.
Drittens besteht exegetisch auch kein Zweifel, daß der johanneische Logos nicht in Gegensatz gestellt wird zu dem in Vers 14 «Fleischgewordenen», von dem schon Vers 10 und 11 gesagt wird: «Er war in der Welt», und deutlicher: «Er kam in das Eigene». Johannes meint somit nicht die Schöpfung in einem «fleischlosen» (asarkos) Logos, vielmehr zielt seine erste Aussage von Anfang an schon auf die zweite. Wiederum ließe sich das erhärten durch den von ihm erwähnten Vorblick Abrahams auf den Tag Jesu (Joh 8,56) sowie durch die Aussage, Mose habe von ihm geschrieben (5,46) und sei nur von ihm her wahrhaft verständlich.
Aber alldem gegenüber ist festzuhalten, daß die in diesen Texten sichtbar werdende Einheit von Weltschöpfung «in Christus» und dessen Menschwerdung nirgends so etwas wie eine stufenweise evolutive Ent-wicklung und Annäherung an das Ziel der Menschwerdung auch nur andeutungsweise enthält. Daß die Schöpfung nicht in der historischen Person Jesu von Nazareth erfolgen konnte, sondern höchstens im Hinblick auf ihn, bedarf keines Erweises. In der biblischen Weltsicht, die einen innern Zusammenhang mit der Menschwerdung einzig für den Geschichtsbereich des Alten Bundes anerkennt, stellt sich zudem einer solchen Gesamtevolution die entgegengesetzte Richtung entgegen: für den außerbiblischen (heidnischen) Bereich das Urteil einer Abtrift vom möglichen Erkennen des Schöpfers zu dessen faktischem Nichterkennen und «Vertauschen der Wahrheit Gottes mit der Lüge» (Röm 1,25). Für den jüdischen Raum durch die Wirkung des an sich guten Gesetzes, durch das faktisch «die Sünde sich häufte» (Röm 5,20). Im biblischen Verständnis erscheint der die Trinität Offenbarende wesentlich als der Nichtangenommene, der Verworfene, von allen Sündern Gekreuzigte. Und als eben dieser wird er im Plan der Weltschöpfung vorausgesehen: als das «vor Erschaffung der Welt dazu – zum Loskauf – ausersehene Lamm» mit seinem «kostbaren Blut» (1 Petr 1,19f.), als der «geliebte Sohn, durch dessen Blut wir die Erlösung haben», sind wir von Gott «im voraus bestimmt, seine Söhne zu werden» (Eph 1,4-7).
Doch ist nunmehr auch die Gegenseite dieser Feststellung anzuhören. Daß die Schöpfung von ihrem Ursprung her im Wort Gottes, das auf dem Höhepunkt der Geschichte Mensch werden soll, erfolgt, läßt sie sowohl in sich selbst als (statisch) sinnvoll und (dynamisch) zielgerichtet erscheinen. Die Setzung endlichen und damit begrenzten Seins besagt kein nacktes Faktum, sondern an sich selbst und noch ohne Rücksicht auf die Vollendung eine Selbstaussage, Epiphanie und damit Selbstenthüllung und Selbsthingabe des Absoluten. Dies liegt in der Aussage, daß alles von Gott «im Wort» geschaffen ist, «in seinem Sohn», der «Abglanz seiner Herrlichkeit und Ausdruck seines Wesens» ist, worin zunächst nur eine statische Aussage über das von Gott Gesetzte gemacht wird. Das Wort (als Logos mit der ganzen Fülle der darin liegenden Bedeutungen) ist deshalb «wahr», weil es zugleich «der Sohn», also der in Liebe Gezeugte, Gute und «der Abglanz der Herrlichkeit», das Schöne ist: Welt hat ihre transzendentalen Eigenschaften von dem her, der zugleich spricht, zeugt und ausstrahlt. Deshalb liegt im ersten Anfang, in welchem noch nichts Trinitarisches ahnbar ist, schon etwas wie eine Verheißung (die dynamische Komponente); sie wird dort faßbar, wo die zentrale Kreatur, der Mensch, als «nach dem Bild und der Ähnlichkeit» Gottes geschaffen bezeichnet wird (Gen 1,26.27; 5,1), wodurch deutlich die Sinnbegabung als Ausgerichtetsein auf eine Beziehung, einen Dialog und eine von der Kreatur ausgehende Fruchtbarkeit (als Analogie zum Schöpfungsakt) mitangedeutet ist. Von dieser ersten Konstitution als dem Geschöpf innerlich zukommende Eigenschaft ist keinesfalls abzusehen; in ihr (allein) hat das Urteil des Schöpfers: «sehr gut» (Gen 1,31) seine Richtigkeit, wie sehr das Werk in der nachfolgenden Geschichte sich von der ursprünglichen Güte, dem «Erkennen des unsichtbaren Wesens, der ewigen Macht und Göttlichkeit Gottes» als des Schöpfers (Röm 1,20), seiner Selbstbezeugung durch seine «Wohltaten» (Apg 14,17), seinem darin begonnenen «Dialog» (Gen 3,9ff.) entfremden mochte. Schöpfung im Sprechen Gottes und in seinem Geist ist von Anbeginn, auch wo Trinität noch verborgen ist, die unentbehrliche Grundlage für deren Offenbarung, die, so neu sie in der Menschwerdung des Wortes sein wird, doch zugleich deren Vollendung ist und ohne diese Grundlage nicht möglich wäre. Was aber, um es nochmals zu wiederholen, nicht einschließt, daß der – in Sünde abgewendete – Mensch eine für ihn erkennbare «Evolution» zwischen Schöpfung und Menschwerdung zu konstruieren oder zu postulieren vermöchte. Wenn im Alten Bund der Mensch als Bild Gottes enthüllt wurde, mußte ihm, damit er diese Konstruktion unterließe, ausdrücklich verboten werden, sich von Gott ein Bild zu «schnitzen» denn ein solches mußte – wie alle Mythologien zeigen und das Weisheitsbuch reflektiert – notwendig ihm und nicht Gott gleichen.
II
Somit liegt in der ganzen Theologie der Schöpfung, wie sie, wenn wir von den Schöpfungsmythen absehen, in Reinheit nur im Alten Bund hervortritt (denn in der Philosophie geht der Schöpfungsgedanke zugunsten von pantheistischem Monismus oder depotenzierender Emanation unter), zugleich ein gewaltiges Licht und ein undurchdringliches Rätsel. Das Rätsel besteht darin, daß nicht ersichtlich gemacht werden kann, weshalb das «alleinzige Eine» (Dt 6,4) überhaupt eines andern bedarf. Sicher nicht, um kraft dieses andern etwas seiner Liebe Würdiges zu erhalten – dies wird durch die Aussage radikal ausgeschaltet, daß es weit Machtvolleres und Liebeswerteres gäbe als Israel (Dt 7,7). Weshalb also sieht sich das Eine überhaupt nach einem andern um? Mit dem Schema, dem Hauptgebot, zu antworten («Du sollst deinen Gott lieben aus all deinen Kräften»), geht sicher nicht an, einmal, weil ein Gottesbild, worin Gott nach begrenzter Liebe begehrte, seiner unwürdig wäre; tiefer, weil Schöpfung und Einbeziehung in den Dialog mit Gott als reine, nicht hinterfragbare Huld, Gunst, Gnade beschrieben werden, als das Gegenteil einer auf Selbstverherrlichung erpichten Gesinnung. Die Frage, weshalb das Unbedürftige des Bedürftigen in Freiheit bedürfen will, bleibt auf der Ebene der Schöpfungstheologie unbeantwortbar. Die genannten philosophischen Auswege sind, wenn hier überhaupt gedacht werden soll, nicht nur verständlich, sondern unvermeidlich. Denn auf jeden Fall steht die Schöpfung nicht auf der gleichen Höhe wie der Schöpfer; sie ist also entweder als ein Abgesunkenes (Plato) oder als ein dem Sein gegenüber gar nicht in Betracht fallendes Scheinbares, deshalb (wenn es Sein vorspiegelt) Lügenhaftes und als dies zu Durchschauendes zu bewerten. Anstelle des in Aussicht gestellten Dialogs tritt die Versenkungs-, Einigungs-, Entwerdungsmystik. Nun, Israel ist diesen Versuchungen nicht erlegen, aber nur um den Preis, jeder Philosophie zu entsagen und das Rätsel in seiner ganzen Härte stehen zu lassen (am erstaunlichsten ist sein Verzicht auf ein Denken von «Unsterblichkeit» als Übergehen in die Sphäre Gottes, aber auch sein Offenlassen der im Buch Ijob aufgeworfenen Frage). Und dies in einer Bewußtheit, die nochmals in Erstaunen setzt, wenn es den Verfertigern von Götzenbildern immer nur mit scharfem Spott begegnet, aber für die «Gottsucher, die Ihn-finden-Wollenden» (Wh 13,6), die von seiner Epiphanie in der Schöpfung berückt werden, voller Nachsicht ist (Wh 13,1-9). Genau in diese Falle wird ein Israel gehen, wenn es zu philosophieren sich anmaßt (Spionza: Gott-Natur), und der Schritt von da zum atheistischen Messianismus wird klein und sogar konsequent sein. Nun hat das Bild Gottes, des Bilderverbots ungeachtet, sich selbst zum Gottbild gemacht.
Auf seiten der nichtbiblischen Philosophie konnte ein letztes Gleichgewicht angestrebt werden: das Eine, wirklich Einzig-Eine, das sich aber ausstrahlt und dabei die kosmischen Stufen (Geist-Seele-Stoff) erwirkt, und diese Stufen wesentlich dadurch gekennzeichnet sind, daß sie rückstrebend (epistrophē) nach dem Einen sich sehnen (ephesis)‚ «ob sie etwa daran zu rühren vermöchten» (Apg 17,27): das Gleichgewicht Plotins, aber erkauft um einen nicht aufhebbaren Dualismus: ist es Mystik, worin das «Berühren des Einen» das eine und einzige Kriterium der Wahrheit ist – oder ist es Philosophie in der Kontemplation der «vollendeten Kugel des Seins»: Welt als Ausfluß und Wiedereinfluß in Gott? Also ein letztlich doch nur vorgetäuschtes Gleichgewicht. Es kann hier natürlich eine beliebige Anzahl von Epiphanien und Avatars geben.
Der einzige Ausweg liegt in der Menschwerdung des Sohnes Gottes, der in Gott der «Andere» ist, ohne die Einheit der wesenhaften Liebe zu durchbrechen, der vielmehr in der den Heiligen Geist erfruchtenden Liebeseinheit mit dem Vater den Urbegriff von Einheit (als Liebe) erst erweist. Dieser Erweis ist nichts anderes als das Sinnziel der Menschwerdung: das Kreuz und darin die Verherrlichung der Liebe als «Auferstehung». Dieser von Gott gelieferte Beweis liegt nicht nur darin, daß im Kreuz die sündige, von Gott entfremdete Welt unterwandernd wiedereingeholt wird, sondern gleichzeitig in der vollen Rechtfertigung der Tatsache, daß die Schöpfung das «Andere» Gottes sein kann, weil es des «Andern» in Gott selber bedarf, damit er das Eine als Liebe sei. Das Kreuz ist gewiß die Erlösung der Welt, aber es ist darin auch eine Rehabilitation allen Philosophien des Abfalls und Scheins gegenüber, sowie die Lösung des israelischen Rätsels. Warum muß Gott über alles geliebt werden? Weil er selbst die absolute (selbstlose) Liebe ist. Und warum darf der leidende Gerechte zu Gott schreien? Weil Jesus am Kreuz die «Warum» Frage zum Vater geschrien hat.
Man halte hier fest: Die Trinität ist die einzige Voraussetzung für eine Theologie des Kreuzes; und das Kreuz seinerseits ist der einzige Erweis der Trinität, weil in der Hingabe des Sohnes durch den Vater, in der vom Heiligen Geist beider als höchste Form der Liebe erwirkten und die Sünde überholenden «Trennung» gezeigt wird, daß die Einheit Gottes so groß ist, daß sie selbst das Widergöttliche in sich aufzulösen vermag. Die Kreuzesnacht ist nicht die Hölle, sondern deren Überwindung. In dieser Aussage liegt die einzige schlußkräftige Theodizee und Kosmodizee.
III
Aber haben wir nicht in der Eile, ans Ziel zu kommen, einen Denkschritt übersprungen? Wenn hier die Trinität, die das andere in die Einheit einbirgt, die Andersheit der Welt in ihrer Positivität rechtfertigt, hat sie damit denn schon die Existenz der Welt als des andern Gottes erklärt? Stehen wir nicht erst recht vor dem alttestamentlichen Rätsel, das jetzt sogar noch vertieft erscheint: denn wenn Gott in sich selbst die dreieinige Liebe und damit das Letztdenkbare und Letzterfüllende ist; wozu dann noch eine Welt?
Wer hier weiterzudenken wagt, muß sich vorsehen, die göttliche Freiheit im Weltschaffen zu wahren und nicht einer Notwendigkeit entgegenzudrängen, die er aus der göttlichen Liebe so oder anders abzuleiten versuchte. Bonum diffusivum sui ist ein Prinzip, das diese Freiheit zu überspielen droht. Andererseits ist das Adagium, Gott habe die Welt zu seiner eigenen Verherrlichung geschaffen, nur erträglich, wenn man sagt, daß die Herrlichkeit Gottes in seiner Liebe besteht, daß er aber die Liebe nur aufgrund seiner Dreieinigkeit genannt werden kann. Somit darf der Ansatz zu einer Antwort nicht unter Ausklammerung des trinitarischen Mysteriums gesucht werden.
Ohne der Freiheit Gottes zu nahe zu treten, muß somit von den «Personen» oder Hypostasen in Gott her argumentiert werden, und hier bietet die Offenbarung uns echte Anhaltspunkte. Fragen wir: Warum erschafft Gott der trinitarische Vater die Welt, so gibt uns der Anfang des Epheserbriefs die Antwort: Gott «hat uns das Mysterium seines Willens kundgetan, den er gemäß seinem wohlwollenden Ratschluß bei sich selber zuvor festgelegt hatte: die Fülle der Zeiten vorsorglich abrollen zu lassen (oikonomia), um (zuletzt) alles zu Christus als dem Haupt empor zusammenzufassen, alles im Himmel und alles auf Erden: in Ihm» (Eph 1,9-10). Die Welt in all ihren zeitlichen und räumlichen Dimensionen hat der Vater vorweg zur Verherrlichung des Sohnes bestimmt: Er, über alles erhöht (Eph 4,10; Phil 2,9), soll von allen als der unerreichbare hohe Herr anerkannt, gepriesen, angebetet werden. Die väterliche Liebe schafft also die Welt, um den Sohn zu verherrlichen.
Man kann hier eine Zwischenüberlegung nicht unterdrücken. Was für eine Welt wird da geschaffen, um diese Verherrlichung zu leisten? Eine Welt, in welcher «durch die Sünde der Tod» herrscht (Röm 5,13f.), die tiefer im argen zu liegen scheint, als Adams Sünde und die Solidarität aller mit ihm verschuldet haben können. Eine Welt, die Millionen Jahre vor dem Menschen schon auf der gegenseitigen Verzehrung der Lebewesen aufgebaut war und von daher als «falsch, grausam, widersprüchlich, verführerisch, ohne Sinn», als «ungöttlich, unmoralisch, unmenschlich» (Nietzsche) eingeschätzt werden kann. Soll man das «Seufzen der Kreatur» als eine Vorweg-Solidarität mit der kommenden Menschheitssünde betrachten oder mit einer der Schöpfung der materiellen Welt vorausgehenden, sie jedenfalls auslösenden Empörung und Verstörung der «Weltmächte und Gewalten» rechnen, um so das «Sehr gut»-Urteil des Schöpfers zu retten? Und wenn wir uns für die abenteuerlich erscheinende zweite Lösung entschließen, erklärt sich dann, daß es «die Tiefen Satans» gibt (Apk 2,24), daß der Mensch nicht nur gegen Unmenschliches, sondern Widergöttliches zu kämpfen hat und dies nur mit der «Waffenrüstung Gottes» zu tun vermag (Eph 6,11), daß es geradezu eine satanische Antitrinität gibt, die die Apokalypse mit Präzision beschreibt (Apk 12,13-20,10)? Wie kann Gott eine solche Welt vorausplanen, mitansehen, sich immer widergöttlicher entfalten lassen, um sie als das den Sohn Verherrlichende ihm zu übergeben? Man wird sich hüten, die Pläne Gottes so durchschauen zu wollen, daß man ihm unterschiebt, er habe das Böse bis zu solcher Fülle heranwuchern lassen, um die überschwengliche Fülle der am Kreuz sich offenbarenden Liebe des Vaters durch Hingabe seines Sohnes zu erweisen. Manche Stellen könnten zu solcher Deutung verführen: das geduldige, nachsichtige «Aushalten» (anochē) oder «Hingehenlassen der zuvor begangenen Sünden» durch Gott (Röm 3,25f.), um schließlich seine (Bundes-)Gerechtigkeit im Kreuz zu erweisen, denn daß Gott die Zeit seines Ansichhaltens bloß dazu gewähre, «damit alle zur Sinnesänderung gelangten» (2 Petr 3,9; vgl. Röm 2,4), scheint wenig überzeugend. Aber auch in Pauli Geschichtstheologie ist das Geschehenlassen der «Verstockung» (Röm 11,7) Israels nicht notwendiges Vorspiel zu seiner endgültigen Rettung (ebd. 11,26), sondern ein Gnadengeschehen für die rettende Einverleibung der Heiden. Die Duldung des Bösen darf somit nicht als ein Mittel Gottes betrachtet werden, um die je größere Liebe Gottes in der Hingabe seines Sohnes (Joh 3,16) zur Geltung zu bringen, höchstens als das Gewährenlassen der endlichen Freiheit bis zu ihrem endlichen Ende, um so die «unergründlichen Wege» Gottes (Röm 11,33) zu offenbaren, der bis zu ihrem unendlichen Ende zu gehen gedenkt (Joh 13,1). Zu dieser Unergründlichkeit wird man dann auch den unvorstellbaren Schmerz des Vaters zählen müssen, der seiner Hingabe des Sohnes zugrunde liegt.
Fragt man weiter, wozu der Sohn die Welt geschaffen hat, genauer, weshalb «durch ihn alle Dinge und auch wir geschaffen wurden» (1 Kor 8,6; Joh 1,3; Kol 1,16), so liegt die Antwort bereit: um, wenn «er alle Feinde unter seine Füße gelegt hat und der letzte Feind, der Tod, vernichtet ist, Gott dem Vater das ganze Reich zu übergeben, damit Gott alles in allem sei» (1 Kor 15,24-28). Welt also eindeutig zur Verherrlichung Gottes des Vaters, dem, weil er der anfangslose Ursprung ist, die Schöpfung in besonderer Weise zugeeignet wird.
Der Heilige Geist wird nicht nur liturgisch creator spiritus genannt, er ist nicht nur alttestamentlich «der Geist des Herrn», der «das All erfüllt und, weil er alle Dinge innerlich beisammenhält, jede Rede kennt» (Wh 1,7), er ist auch neutestamentlich der eigentliche Erfüller des Schöpfungsplans, indem er das vom Sohn begonnene Offenbarungswerk vollendet und damit, als die Grundgabe und Übergabe der Liebe zwischen Vater und Sohn an die Welt, auch das Schöpfungswerk des Vaters: «Der Geist der Wahrheit wird euch in alle Wahrheit einführen; er wird nicht aus sich selber reden», sondern «mich verherrlichen, denn er wird aus dem Meinigen nehmen und es euch verkünden (auslegen). Alles, was der Vater hat, ist mein, deshalb habe ich gesagt: Er wird von dem Meinigen nehmen» (Joh 16,13-15). Er ist die «in unsere Herzen ausgegossene Liebe Gottes», der «seine Liebe zu uns dadurch beweist, daß Christus für uns starb, als wir noch Sünder waren» (Röm 5,5.8). Diese Verleihung des Vater und Sohn einenden Heiligen Geistes an die geschaffene Welt ist die letztmögliche Einigung zwischen Schöpfung und Trinität: «Wir haben den Geist, der aus Gott ist, empfangen, damit wir begreifen, was uns von Gott geschenkt worden ist» (1 Kor 2,12).

Hans Urs von Balthasar
Titolo originale
Schöpfung und Trinität
Ottieni
Temi
Dati
Lingua:
Tedesco
Lingua originale:
TedescoCasa editrice:
Saint John PublicationsAnno:
2025Tipo:
Articolo
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