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Das Wagnis der Säkularinstitute
Alle Christen sind zur Heiligkeit berufen, alle sind aufgrund der Taufe und der übrigen Sakramente, aufgrund ihres Glaubenslebens «gottgeweihte Personen» – das Zweite Vatikanum hat dies mit höchstem Nachdruck betont. Heiligkeit ist nichts anderes als die hienieden erreichbare Vollkommenheit der christlichen selbstlosen Liebe: als dankbare Antwort auf die uns geschenkte unendliche Liebe Gottes in Christus: uns als Einzelnen, uns als kirchlicher Gemeinschaft, uns schließlich als Menschheit, deren Schuldenlast am Kreuz getragen worden ist. Solche selbstlose Liebe als Antwort auf die göttliche Liebe lebt der Christ in der Freude, aber auch im harten Entsagen, in der von Christus geforderten täglichen Nachfolge, die ein tägliches «Kreuztragen» (Lk 9,23) bedeutet. Paulus wird, aus nachösterlicher Sicht, den Radikalismus der Nachfolgeforderung Jesu folgerichtig als ein – sakramentales und existentielles – Mitgekreuzigtsein, ja Mitsterben mit ihm auslegen, hin zu einem radikal neuen Leben, einer «neuen Schöpfung», durch Teilnahme vorweg an der Auferstehung des Herrn.
Daß es innerhalb dieser allgemeinen evangelischen Forderung eine von Christus her erfolgende «Erwählung» Einzelner in eine engere Lebens-, Sendungs- und Wirkensgemeinschaft mit ihm gibt, ist ein unübersehbares Faktum innerhalb des Evangeliums selbst und nicht als nachträgliche menschliche Interpretation wegdiskutierbar. Das bei der Erwählung der Zwölf so nachdrücklich unterstrichene Alles-Verlassen – der äußern Güter, der Verwandten, sogar von Weib und Kind (Lk 18,29f.) –‚ das zunächst zweifellos wörtlich verstanden und von da aus als geistige Haltung auf alle Christen ausgedehnt wird, ist unleugbar: geht es doch in die ungeteilte, von jeder Bindung freie Dienstbereitschaft am Evangelium zusammen mit dem dienenden Christus hinein, der sein Haus verließ und nun nicht hat, wohin er sein Haupt lege. In dieser engern Erwählung liegt deutlich beisammen, was spätere Theologie in die drei evangelischen Räte auseinandergelegt hat: Armut (als effektiver Verzicht auf Besitz), worin auch Ehelosigkeit liegt (nochmals eigens unterstrichen in Mt 19,10-12: «Wer es fassen kann…»), beides in einem direkten Gehorsam an die konkreten Weisungen Christi (etwa Aussendung zum Predigen mit genauen Ausführungsbestimmungen Mt 10 und entsprechende Rechenschaftsablage: Mk 6,30).
Dieser besondere Dienst am Evangelium kann nicht nur für die erste Jüngergeneration gemeint gewesen sein; auch liegt die Erwählung in diesen Dienst der «Weihe» der Jünger zu Priestern voraus, die erst im Zusammenhang mit der Passion Jesu aktuell wird (Eucharistieeinsetzung am Vorabend der Passion, Beichteinsetzung am Ostertag: Joh 20,21f.), deshalb kann solche Erwählung später ebensowohl an Laien wie an «Kleriker» ergehen. Ferner ist in den Evangelien nichts von der Lebensform zu finden, die dieser besondere Dienst vom vierten Jahrhundert an als «Mönchtum» (und in seiner späteren Folge als «Ordensstand») angenommen hat; diese Form mit ihrem «Auszug aus der Welt» in die Wüste, mit Kloster(mauer) und «Klausur» kann eine durchaus legitime Sondergestalt des evangelischen Dienstes sein, sei es zu einem Nachfolgeleben in vorwiegender Kontemplation und entsprechender existentieller Verfügbarkeit zur Nachfolge in die verborgeneren Leidensgeheimnisse (z. B. Karmel), sei es als eine Art sichtbar ausstrahlendes Modell von kirchlicher Gemeinschaft (Benedikt) oder schließlich als Ausgangspunkt apostolischen Wirkens im Geist der Nachfolge (Ignatius von Loyola).
Aber es ist nun doch kennzeichnend, daß Gründergestalten wie Franziskus und Ignatius zunächst gar nicht an die (vom Mönchtum her ausgebildete) Sondergestalt des Ordenshaften dachten, sondern – näher dem evangelischen Ursprung – an eine radikale Form der Nachfolge im Dienst der Evangeliumsverkündigung inmitten der Welt. Beide Bewegungen haben erst nachträglich, die Loyolas gezwungenermaßen, Ordensform angenommen. Durch Franz wie durch Ignatius ist ursprünglich das ganze schwertgleiche Paradox des Evangeliums hindurchgegangen, das auch Pauli Existenz geprägt hat: ganz «in der Welt» (Joh 17,11), aber ebenso ganz «nicht von der Welt» (Joh 17,14). Dieses evangelische Paradox nach beiden Seiten hin abstrichlos zu leben, ist – nach immer neuen Versuchen: Angela Merici, Mary Ward, in der Französischen Revolution P. de Clorivière – in unserem Jahrhundert zu einer (von Pius XII. 1947 in der Apostolischen Konstitution «Provida Mater» approbierten und kodifizierten) weit verbreiteten Form christlicher Existenz in der Kirche geworden, und zwar ausdrücklich sowohl für Laien wie für (Welt-)Priester.
Man erkennt sogleich, daß der hier gewagte Brückenschlag etwas besonders Kühnes, beinah Verwegenes hat, manchen erscheint diese Lebensform sogar gleichsam als ein hölzernes Eisen. Die Mitglieder dieser Gemeinschaften haben sich dagegen gewehrt, als verkappte Ordensleute angesehen zu werden: Sie sind Laien1 oder Diözesanpriester, und dennoch binden sie sich (wie Mönche und Ordensleute) erst auf Zeit, dann «ewig» vor Gott in ihrer Gemeinschaft durch ein Gelöbnis (wie immer es benannt werden mag: «Hingabe» oder «Versprechen» oder «Schwur» oder «Gelübde») zu dem dreifachen «Rat» einer materiell armen, ehelosen und gehorsamen Existenz, wie die Mönche und Ordensleute es tun. Blickt man aufs Evangelium zurück, so ist das Paradox keineswegs widersprüchlich, sondern nur die scharfe Zuspitzung dessen, was Jesus von allen seinen Jüngern verlangt: radikales «Heraus» aus der Welt, um alles auf seine Karte zu setzen, und dies, um desto radikaler mit der neuen Botschaft vom Himmel in die Welt «hinein» gesendet zu werden: «Geht hinaus in alle Welt» (Mt 28 Schluß).
Kurz ein paar Kennzeichen dieser «Weltgemeinschaften» (wie man sie im Deutschen am besten nennt). Einmal sind sie, was erstaunen kann, wirkliche Gemeinschaften und nicht bloß lockere Ansammlungen von Einzelnen. Das dürfte – um vorweg von ihnen zu reden – für die Priester-Weltgemeinschaften von ganz besonderer Bedeutung sein, heute, da Diözesanpriester nach ihrer (in manchen Ländern und Diözesen recht problematischen) Ausbildung in eine schwer ertragbare Einsamkeit hinausgestoßen werden – das alte «Pfarrhaus» gibt es ja nur noch vereinzelt – und sich schwertun, in einer zum Teil entchristlichten Umgebung zu wirken und bei den wie sie überlasteten Mitbrüdern einen Halt zu finden. Die Priester-Weltgemeinschaften haben trotz ihrer Verschiedenartigkeit offensichtlich dies gemeinsam, daß sie ihren Mitgliedern aufgrund ihrer soliden Spiritualität und auch der Geborgenheit der Einzelnen in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter einen Halt bieten, der sonst nur noch in Orden gefunden werden kann, ja hier wegen der Krise in manchen großen und kleineren Orden oft sogar sicherer gefunden wird als in den letzteren. Beobachtet man die höchst segensreiche Wirksamkeit der meisten Priester-Weltgemeinschaften in dieser Zeit, so überwiegen diese Positiva allenfalls aufkommende Bedenken, ob der Begriff der Weltgemeinschaft nicht in erster Linie auf Laien paßt, man deshalb den Begriff nur in einer gewissen analogen Weise auf Priester anwenden kann. Aber auch der Rückblick auf die ersten Jünger oder auf den Zeltmacher Paulus, der sich sein Leben mit einem weltlichen Handwerk selber verdienen wollte, können solche Bedenken zerstreuen.
An den Laien wird als erstes auffallen, daß jeder von ihnen in seinem besondern Beruf arbeitet – als Arzt oder Jurist, als Krankenschwester oder Sozialfürsorgerin, als Architekt oder Journalist usf. – meist in einem anders- oder ungläubigen Milieu. Gemeinsame Werke wie Schulen, Spitäler, wie sie von Kongregationen geführt werden, gibt es in Weltgemeinschaften nicht oder nur ganz ausnahmsweise. Meistens arbeiten die Mitglieder an Stätten, die Priestern kaum oder gar nicht zugänglich sind. Ihre exponierte Stellung fordert als Gegengewicht einmal eine religiös sorgfältige Ausbildung (die durchaus neben der beruflichen einhergehen kann), aber ebensosehr einen bleibenden Rückhalt an der Gemeinschaft, ihrem Geist und ihrer konkreten Gestalt, die verschieden aussehen kann: gemeinsames Wohnen und Beten-Können in kleinen Gruppen, regelmäßige Treffen zu Erholung, Austausch, geistlichen Übungen usf. Ein Grundgesetz kirchlichen Lebens tut sich hier kund: Je mehr eine christliche Sendung den Menschen einsam exponiert, desto unentbehrlicher ist es, daß die große kirchliche Gemeinschaft sich für ihn in einer umrissenen Gemeinschaft konkretisiert. Nicht nur weil in der Gruppe die evangelische Armut geregelte Formen annehmen wird (das könnte allenfalls auch der Einzelne hinbringen), auch nicht nur weil die Ehelosigkeit eines Aufgefangenwerdens in einer Gemeinschaft bedarf (von isolierten Gelübden der Jungfräulichkeit ist im allgemeinen abzuraten), sondern vor allem, weil der kirchliche Gehorsam und damit die Sendung nur in einer Gemeinschaft, wo jemand Befehlsgewalt hat, gelebt werden kann. Dieser Jemand kann, wie in gewissen Gemeinschaften, der Bischof sein; aber selten wird dieser Zeit haben, das Leben jedes Mitglieds im einzelnen zu verfolgen; er wird dazu jemanden delegieren, der normalerweise nicht zur Gemeinschaft gehört. In den meisten Gemeinschaften obliegt die Leitungsgewalt einem Mitglied, das für wichtige Entscheidungen einen Beirat oder die ganze Gemeinschaft konsultieren wird und, je nach den Statuten, diese Gewalt für eine kürzere oder längere Amtsperiode innehat.
Das Erregendste an dieser Lebensform ist nicht sosehr die Ehelosigkeit (die es auch aus manchen weltlichen Gründen gibt und die deshalb nicht als Zeugnis für eine engere Nachfolge Christi auffällt), noch auch die Armut, die viele Christen aus den verschiedensten sozialen und theologischen Gründen oft noch radikaler praktizieren, vielmehr die Durchformung des weltlichen Berufes durch einen theologisch verstandenen Gehorsam. Dieser verwandelt das weltlich-mitmenschliche Wirken, die soziale «Rolle» in einen (durch die Kirche vermittelten) direkten Auftrag Christi, in eine Sendung, die an dieser weltlichen Stelle, in dieser Qualität und Zeitdauer, so wie der Gehorsam es bestimmt, übernommen wird. Daß hier besondere Probleme und Spannungen zwischen der weltlichen Verantwortung und dem Gehorsam entstehen, ist eine sekundäre, gleich noch zu behandelnde Frage; zunächst ist die hier vollbrachte neue Form von «Inkarnation» der (kirchlich vermittelten) übernatürlichen Sendung in die Strukturen dieser Welt als ein Novum anzuerkennen. Das Sendungsleben in den Weltgemeinschaften hat nichts mehr gemein mit der fuga mundi, die wenigstens äußerlich mit dem Mönchtum begann – auch wenn tiefer gesehen diese «Flucht» von Anfang an (Origenes, Antonius von Ägypten) als eine kämpfende Hilfe für die Kirche gedeutet wurde. Gewiß verweist der dreifache evangelische Rat den ihm Folgenden unter das Kreuz, aber das Kreuz ist das absolute Gegenteil von Weltflucht. Deshalb rücken auch die nur scheinbar negativen Haltungen der Armut und der Ehelosigkeit weit ab von einer besitz- und geschlechtsflüchtigen Askese (wie etwa im fernöstlichen Mönchtum): Armut ist christlich ein «Mit-Armwerden» mit Christus, «um viele zu bereichern» (2 Kor 6,10), Ehelosigkeit ist Nachfolge Christi und Marias, um einer größeren (eucharistischen) Fruchtbarkeit für das Reich Gottes willen.
Ist dies grundsätzlich eingesehen, dann kann zugestanden werden, daß das Leben der Weltgemeinschaften ein wahrhaft exponiertes ist, eine Art Balanceakt, der in seiner Radikalität, in der Schwierigkeit, ihn auf die Dauer durchzuhalten, nicht jedermann zugänglich ist, der vermutlich, aufs Ganze gesehen, mehr fordert als ein Leben hinter Klostermauern, so anstrengend auch dieses durch die Jahre sein mag. Das «nicht von dieser Welt» muß ebenso radikal gelebt werden wie das mitten «in dieser Welt», was nicht durch bloße abschirmende Regeln, sondern nur in einer dauernden Erneuerung des Geistes, in lebendigem Gebet mit echter Kontemplation, im Geist bewußter Selbstentsagung durchgehalten werden kann. Eine Weltgemeinschaft kann viel weniger als stärker institutionalisierte Gemeinschaften einen Verlust an innerem Geist überleben. Dieser lebendige Geist muß gleichzeitig von innen, aus dem lebendigen Zentrum der Gemeinschaft, und von außen, aus den täglich erlebten Nöten und Bedürfnissen der Welt, in der man arbeitet, genährt werden. Nur aus dem evangelischen Geist sind die der Lebensform inhärierenden Spannungen auszuhalten, insbesondere die Spannung zwischen dem unverkürzten kirchlichen Gehorsam (samt der entsprechenden Offenheit, Verfügbarkeit, Gewissensrechenschaft) und der im Gehorsam übernommenen eigenen Verantwortung im weltlichen Beruf.2
Weil es in den Weltgemeinschaften so primär um den Geist geht, versteht es sich, daß in den verschiedenen Instituten auch durchaus verschiedene Akzentgebungen möglich und zu erwarten sind, zumal was die Auffassung der Armut und des Gehorsams angeht, denn was die christliche Ehelosigkeit um des Evangeliums willen angeht, so ist sie auch in der Form ihrer Darlebung für alle eindeutig. Aber die Armut betreffend läßt sich fragen, ob die «Weltlichkeit» der Weltgemeinschaften verlangt, daß jedes Mitglied seine Einkünfte und sein Vermögen selber verwalten soll (gewiß in einem näher bestimmbaren Geist und mit pflichtgemäßen Abgaben an die Gemeinschaft), oder ob der Charakter einer kirchlichen Gemeinschaft es nahelegt, daß alles in die Gemeinschaft Mitgebrachte und später Erworbene der Gemeinschaft gehört, die jedem Mitglied zuteilt, was es innerhalb seines Berufsstandes benötigt. Die Nachteile der ersten Lösung liegen dort, wo gewisse Mitglieder sich Dinge (zum Beispiel Ferien) «leisten» können, die andern versagt sind, die Nachteile der zweiten liegen in einer gewissen Anhäufung von Gütern bei der Gemeinschaft, was den einzelnen das Gefühl gibt, «man» könne sich dieses und jenes vielleicht überflüssige, die Armut in Frage Stellende «leisten». Dem kann nur abgeholfen werden durch eine strenge Regel, daß die Gemeinschaft alles nicht unbedingt Lebensnotwendige periodisch an bedürftige Personen oder Länder oder Hilfswerke abgibt. Von den durchzutragenden Spannungen im Gehorsam war schon die Rede. Man würde gefährlich verharmlosen, wenn man den weltlichen Arbeitsbereich des Mitglieds rundweg aus dem Bereich des Gehorsams ausklammern und ihn ganz seiner persönlichen Verantwortung überlassen würde, aber anderseits kann sich die Kompetenz eines Obern nicht auf die Einzelheiten des Fachgebiets eines Einzelnen erstrecken. Hier müssen Mittelwege gefunden werden, die einerseits die echte Verfügbarkeit der Mitglieder zur Gemeinschaft hin garantieren, anderseits jedes willkürliche Eingreifen der Gemeinschaft in den Wirkungsbereich der Einzelnen ausschließen. Solche Vermittlungen sind nicht nur für den Einzelfall auffindbar, sondern auch weitgehend in allgemeinen Richtlinien formulierbar.3
Bewähren sich die Weltgemeinschaften im gegenwärtigen kirchlichen Leben, bilden sie eine Chance für die Zukunft der Kirche? Die Frage ist nicht pauschal zu beantworten, schon deshalb nicht, weil diese Gemeinschaften wesentlich auf große Diskretion (die nicht Geheimniskrämerei zu sein braucht) angewiesen sind, weil einzelne Mitglieder ihre Arbeit nur unter der Bedingung in ihrem Milieu ausüben können, daß sie dort nicht als «verkappte Ordensleute» oder «Spitzel der Kirche» gebrandmarkt sind. Wir fragen im folgenden vorab nach dem Schicksal der Laiengemeinschaften, da über den großen, geradezu unverzichtbaren Nutzen der Priester-Weltgemeinschaften in der heutigen kirchlichen Lage das Nötige schon gesagt worden ist. Man hört zuweilen pessimistische Urteile über die Strahlungskraft der Laiengemeinschaften. Aber dazu sind drei Bemerkungen zu machen. Einmal, wie eben gesagt, daß ihre in der Stille verrichtete Arbeit statistisch gar nicht erfaßt werden kann. Sodann, daß in den zahlreichen Ländern, wo Kirche mit all ihren öffentlich bekannten Institutionen, wie Orden und Kongregationen, der staatlichen Verfolgung ausgesetzt ist, und diese bekannten Gemeinschaften, wenn überhaupt noch geduldet, in Reservate eingesperrt werden, so daß ihnen jede weiterreichende Wirkung verwehrt ist (Altersheime, Irrenhäuser u. dgl.), nur noch die Weltgemeinschaften – meist unter Wahrung äußerster Diskretion – ein gewisses Apostolat, wie es dem Rätestand eignet, garantieren können. Dafür gibt es erschütternde Beispiele. Das dritte, was hierzu zu sagen ist, könnte das Wichtigste sein. Es gibt in verschiedenen Ländern große «Bewegungen» innerhalb der Kirche, die viel Volk, zumal auch junges, um sich scharen und als «Kirche von unten» (ohne Ressentiment gegen die Hierarchie) einen der größten Hoffnungsfaktoren für die Zukunft der Kirche bilden. Es gehört zum Wesen dieser Bewegungen, daß sie primär aus dem Heiligen Geist, der Freiwilligkeit und Spontaneität der Mitwirkenden leben (oft gibt es nicht einmal eigentliche «Mitgliedschaft»). Aber es zeigt sich, daß diese großen Bewegungen auf die Dauer nicht ohne einen radikal engagierten und entsprechend auch institutionalisierten Kernkreis Bestand haben können, welcher Kreis dann wie von selbst den Charakter einer Weltgemeinschaft annehmen wird. Ob er sich offiziell und ausdrücklich als Weltgemeinschaft deklarieren und als solche registriert wird, dürfte eine sekundäre Frage sein. Obschon dies von Pius XII. in einem eigenen Schreiben ausdrücklich gewünscht worden war, könnte sich die kirchliche Praxis seither einigermaßen verschoben haben. Die Zentren solcher Bewegungen, die sachlich nach dem Vorbild der Weltgemeinschaften strukturiert sind, können Gründe haben, sich nicht als solche deklarieren zu wollen, um die Einheit mit den zahlreichen Mitengagierten nicht zu gefährden. Anderseits ist es verständlich, daß die Kirche eine Kontrolle über diese in den evangelischen Räten lebenden Zentren behalten muß und will; wenn die letzteren echten kirchlichen Sinn besitzen, dürften Wege gefunden werden, Organisation mit der nötigen Freizügigkeit zu verbinden.
Die Weltgemeinschaften sind eine heute sehr aktuelle Form lebendiger kirchlicher Existenz und ein Beispiel dafür, was das Konzil mit «Öffnung zur Welt» angestrebt hat. Sie wissen sich aber als eine Form kirchlichen Daseins unter anderen. Weder wollen oder können sie die kontemplativen und aktiven Orden und Kongregationen ersetzen noch den Stand der verheirateten Laien in sich absorbieren. Man kann deshalb zum Schluß eine sehr schwierige Frage stellen: Hat die bestimmte Form des Rätelebens, die sie verwirklichen wollen, nicht gewisse innere Grenzen, die den Mitgliedern von Weltgemeinschaften, trotz ihres vollen Engagements in der «weltlichen Welt», aufgrund des Charakters der Räte nahegelegt sind? Solche Grenzen könnten dort sichtbar werden, wo die Konfliktzone zwischen evangelischer Armut (und den übrigen «Seligkeiten» der Bergpredigt) und weltlicher Machtausübung liegt. Soll man um jeden Preis nach den einflußreichsten Posten und Machtpositionen streben, unter dem Vorwand, von dort aus Mehreres für das Reich Gottes wirken zu können? Oder wird das nicht fast notwendig ein schiefes Licht auf die Gemeinschaft, der man angehört, werfen und sie einer gewissen christlichen Freimaurerei verdächtig machen? Soll man Posten anstreben, an denen sehr viel Geld verwaltet wird, von denen aus deshalb bedeutsame wirtschaftliche Aktionen getätigt werden können? Solche Fragen sind keineswegs leicht zu lösen, weil Weltgemeinschaften nun einmal ernsthaft in die weltlichen Strukturen impliziert sind, und es in diesen unmerkliche Übergänge vom engem zum umfassenderen Wirkbereich gibt, und weil die Christen mehr als je aufgerufen sind, auch die planetarischen Menschheitsfragen mitlösen zu helfen. Und immer wieder tauchen christliche Gestalten auf, die in glaubwürdiger Weise höchst verantwortliche politische und ökonomische Posten mit einer völlig lauteren christlichen Gesinnung zu bekleiden wissen. Die Frage ist deshalb lediglich, ob solche Persönlichkeiten nicht besser einzelstehende Laien in der Kirche sein sollten – natürlich getragen und unterstützt von der breiten kirchlichen Gemeinschaft – als Mitglieder von Weltgemeinschaften, ihnen in Gehorsam verpflichtet, was wenigstens für Außenstehende diese Gemeinschaft diskreditieren kann. Es gibt soviel Arbeit im innern Gewebe der menschlichen Gesellschaft, die in Bescheidenheit und Zuverlässigkeit zu leisten ist, Arbeit, bei der der Geist der «Seligkeiten» ebenso unmittelbar aufleuchtet, als ihn Menschen im Räteleben verbreiten müßten. Wir leben in einer Welt, in der das Reich Gottes nicht sichtbar und organisatorisch aufgerichtet werden kann, in der die Kirche eine gegen weltliche Übermächte streitende, vielleicht immer härter und märtyrerhafter streitende bleiben wird.
- Will man die Kirche um jeden Preis in «Stände» einteilen, dann gehören die Mitglieder der Weltgemeinschaften mit den Religiosen und Kongregationen usf. zum «Rätestand», was sie aber nicht hindert, soziologisch (und warum nicht auch theologisch) Laien zu sein, da jeder Laie das Recht hat, private Gelübde abzulegen und sich einer Gemeinschaft anzuschließen. Aber die Trennung der Laien von den Priestern und Ordensleuten ist ohnedies theologisch problematisch, vgl. meinen Aufsatz: «Gibt es Laien in der Kirche?» In Internat. kath. Zeitschrift Communio 2/79, S. 97-105.↩
- Wie sehr eine solche Spannung auch zum Ordensleben gehört, ersieht man klar aus den Briefen und Weisungen des hl. Ignatius an seine Jesuiten, der sie bei Aufträgen, deren Einzelheiten er als General nicht oder noch nicht übersehen kann, anweist, im Geist des Gehorsams (und der Regel) gemäß ihrer eigenen Verantwortung Entscheidungen zu treffen.↩
- Die in den Weltgemeinschaften angestrebte Synthese würde auch gefährdet, wo man einerseits unter dem Vorwand, Ablegung besonderer «Gelübde» würde die Mitglieder vom Laienstand trennen, ganz auf Gelübde verzichtet, weil ja die «Weihe» implizit schon in der Taufe gegeben sei, wo man sich anderseits in der Lebensform übermäßig an das in den Orden und Kongregationen Übliche anlehnt (bis hin zu einer besondern Tracht, die vielleicht nur im Haus der Gemeinschaft getragen wird). Das erste Extrem wird wahrscheinlich zu einer innern Selbstauflösung der Gemeinschaft führen, um so rascher, als sie auf einen geordneten Gehorsam verzichtet und Entscheidungen nur noch durch allgemeine Diskussionen und Mehrheitsbeschlüsse trifft. Das zweite Extrem hat mehr Chancen zu überleben, würde aber in der Verfolgungssituation in ähnlicher Weise gefährdet sein wie die Orden.↩

Hans Urs von Balthasar
Titolo originale
Das Wagnis der Säkularinstitute
Ottieni
Temi
Dati
Lingua:
Tedesco
Lingua originale:
TedescoCasa editrice:
Saint John PublicationsAnno:
2025Tipo:
Articolo