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Zur Theologie des Ordensgelübdes
Vortrag anlässlich der 3. Tagung der Novizenmeister monastischer Gemeinschaften Deutschlands in Engelthal (16–20.11.1971)
Eine doppelte Entschuldigung muss am Anfang dieser sehr bescheidenen Ausführungen stehen: eine Sitzung an der Religiosenkongregation für die Theologie der Säkularinstitute hindert mich leider, persönlich anwesend zu sein. Das zweite ist schlimmer: fünf Wochen angestrengter Arbeit in Rom für die internationale Theologenkommission und für die Bischofssynode, die zudem eine Woche länger gedauert hat als vorgesehen, haben mir keinerlei Zeit gelassen, die dringend nötigen Studien vorzunehmen, die diesem Referat hätten vorausgehen müssen; sodass ich Ihnen nur ein paar vom Zaun gerissene, historisch wie theologisch nicht abgesicherte und untermauerte Gedanken vorlegen kann. Erwarten Sie also nichts Originelles, sondern bestenfalls die Bestätigung dessen, was Ihnen geläufig ist, was aber unter den heutigen Umständen neu zu bedenken sich lohnt. Voraussenden möchte ich noch, dass ich mir erlaubt habe, das mir gestellte Thema: «Zur Theologie der Ordensgelübde» abzuändern in «Zur Theologie des Ordensgelübdes». Wenn der Mensch auch, wie sich gleich zeigen wird, mancherlei Einzelgelübde ablegen kann, zum Beispiel ein Jahr lang kein Fleisch zu essen u. dgl., so kann er sich doch nur einmal und in einem ungeteilten Akt Gottes ganz hinweihen, welcher Akt zwar die diversen Aspekte seines menschlichen Lebens einschließt und insofern eine Vielfalt zeigt, aber als Akt diese Vielheit gerade zur Einheit des Holokaustums zusammenrafft, somit von ihrer Vielheit keinesfalls selber geteilt und vervielfältigt wird.
Wir müssen im Folgenden von einem gewissen Vorverständnis in den Menschheitsreligionen ausgehen, einerseits um zu erkennen, dass das christliche Gelübde im geschöpflichen Wesen des Menschen einen Ansatzpunkt hat (anders wäre es kein menschlicher Akt und gar nicht zu vollziehen), dass es aber trotz dieser Verwurzelung ebenso einzigartig bleibt wie das Faktum der Menschwerdung Gottes in Christo selbst, was in einem zweiten Gedankengang über das Neue Testament bedacht werden soll. Dann sollen ein paar kurze Hinweise auf die kirchengeschichtliche Entwicklung folgen, und schließlich die Problematik des Verhältnisses zwischen der totalen und unteilbaren Lebenshingabe an Christus und der besonderen Artikulierung der verschiedenen «Räte», insbesondere der klassischen drei von Armut, Enthaltsamkeit und Gehorsam erörtert werden.
1. Zum Vorverständnis: religiöse Hingabe (devotio), Weihe (consecratio), Gelübde (votum) im vorchristlichen Raum
Wenn das Mysterium der Erwählung Gottes im Anruf Jesu Christi zu dessen besonderer Nachfolge auch einmalig ist, und deshalb keine vorliegenden Begriffe hinreichen, um es zu fassen, weder personale noch soziale, weder religiöse noch rechtliche, so sind diese Begriffe christlich doch keineswegs gleichgültig: einmal weil Gott in Christus wahrhaft Mensch geworden ist und weil er eine Kirche gestiftet hat, die als sichtbare Gemeinschaft soziologisch und rechtlich beschreibbare Aspekte hat, und ferner, weil der angerufene Mensch zu einem Akt der Hingabe aufgefordert wird, der bei aller Getragenheit durch die Gnade ein echt menschlicher Akt, vielleicht der menschwürdigste aller menschlichen Akte ist.
Die heidnischen Religionen wie das Alte Testament kennen eine Anzahl von Verhaltungsweisen der Gottheit gegenüber, die im fundamental religiösen Verhältnis des Geschöpfs zu Gott wurzeln und deshalb vom Christentum nicht abgeschafft, sondern in einer überschwenglichen Art erhöht und vollendet werden. Lassen wir die Opferung einzelner Gegenstände außer Acht, die zur Verehrung oder Versöhnung der Gottheit oder zur Unterstützung einer Bitte erfolgt, und wenden wir uns sogleich dem totalen Akt zu, worin ein Mensch sein ganzes Dasein der Gottheit hingibt (devotio) und sich in dieser Hingabe von der Gottheit angenommen, «geweiht» weiß (consecratio). An sich sind diese beiden Akte verschieden: im ersten erfolgt ein Angebot, im zweiten wird dieses Angebot angenommen: nur Gott selbst kann «weihen», in den göttlichen Bezirk einbeziehen. Aber sowohl im heidnischen wie im alttestamentlichen Bezirk gehen beide Begriffe beinah bruchlos ineinander über, und zwar deshalb, weil die Gottheit in ihrer Selbstoffenbarung die göttliche Sphäre dem Menschen immer schon zugänglich gemacht hat, und zwar nicht primär in einem rein privaten Verhältnis zu Einzelnen, sondern in einer öffentlichen, sozialen, volkhaften Religion, so dass der Hingabe und Weihe immer auch irgendeine soziale und rechtliche Dimension eignet. Über die von der Gottheit je schon hergestellte Beziehung und Brücke kann der Mensch durch eine verzichtende Handlung tote oder lebendige Gegenstände, aber auch sich selber aus dem weltlichen Bereich in den göttlichen hinübergehen lassen, wo sie dann als geweihte, «heilige» (hebr. qados) dem weltlichen Bereich entzogen sind; sie gehören der Gottheit.
Der Begriff «votum» kann, auf dieses Geschehen der religiösen Übergabe bezogen, sehr verschiedene Schattierungen aufweisen. Im griechischen Raum (bis zu den Kirchenvätern) ist «euchē» vorwiegend ein spontanes, aber allgemeines Angebot an die Gottheit, zumeist im Blick auf eine erhoffte Gunst hin; das Angebot wird, falls die Gunst gewährt wird, irgendwie nach dem Ermessen des Begünstigten aufgeführt. Bei den mehr juristisch denkenden Römern erhält das von ihnen viel praktizierte «votum» präzisere Rechtsform: durch das Gelübde, das vor allem als ein «Versprechen» verstanden wird, entsteht ein Band zwischen dem Menschen und der Gottheit: erhält der Mensch die erbetene Gunst, so ist er zum Entrichten der Schuld «verurteilt» (reus oder damnatus voti).
Im Alten Bund werden zahlreiche Gelübde gemacht, sie werden als gottgefällige Akte empfohlen (Ps 65,13; vgl. 66; 60; 64; Joel 2,15; Am 4,5; Jon 2,10; Is 19,21 usf.). Aber die Weisheitsbücher warnen auch vor deren Missbrauch (Spr 20,25; Koh 5,3-5; Wh 13,17; Sir 35,14). Es gibt eine große Zahl gesetzlich geforderter oder freiwilliger, öffentlicher und privater, aber vom Gesetz überwachter Gelübde (Lev 27). Was Gott hingegeben wird, gilt damit schon als «geweiht». – Im «großen Gelübde» des Nasiräats (Num 6,1-21) geht das Einzelgelübde bereits in eine umfassende Lebensweihe an Jahwe über; eine solche «Weihe» konnte unter Umständen dem Kind schon von Geburt an auferlegt werden (Ri 13; 1 Sam 1,11; in einer Analogie dazu: Lk 1,15); man findet es noch zur Zeit des Neuen Testaments (Apg 21,24; ev. 18,18), wo es als eine Art gesetzliche Vorstufe für die christliche Lebensweihe verstanden werden kann (s.u.).
Der Begriff «Gelübde» hat im Alten Testament die Momente der Hingabe und des Versprechens in sich; die «Annahme» («Weihe») durch die Gottheit brachte ihn in die Nähe des Begriffs «Opfer». Im Unterschied zum Gelübde wird durch den «Schwur» das Geschworene nicht eigentlich «geweiht», das heißt nicht der Sphäre Gottes überantwortet.
2. Der Nachfolgeruf Christi und der Nachfolgeakt des gerufenen Menschen im Neuen Testament
Allem Früheren gegenüber ist der besondere Ruf Christi zur Nachfolge im Neuen Testament etwas Neues und völlig Singuläres, 1. sofern hier der Mensch Jesus mit einer geradezu göttlichen Autorität verlangt, dass einer sein ganzes Dasein auf Gedeih und Verderb auf ihn, Jesus, setzt (vgl. den Nachweis bei Martin Hengel: Nachfolge und Charisma, 1968). Und 2. sofern die Existenz Jesu durch seinen Tod und seine Auferstehung in den Neuen Äon hinüberführt und den besonders Berufenen somit auch in einer besonderen Weise in diesem Neuen Äon verwurzelt. Daraus ergeben sich mehrere Folgerungen.
1. Sofern Jesu ganze Existenz das letzte, alles zusammenfassende unwiderrufliche Heilswort Gottes an die Menschheit ist, kann auch der auf Jesu Ruf antwortende Akt des Menschen, der das in Jesus gekommene Heil ergreifen soll, nur ein endgültiger, unwiderruflicher, die ganze Existenz einschließender eschatologischer Akt sein (Mt 8,19ff.; Lk 9,62). Er ist Selbsthingabe ohne Rückweg (Joh 6,68) als Gehorsam gegenüber dem erwählenden Ruf, wie immer Entschluss und Tat sich näherhin gestalten mögen. Diese Berufung und ihre Beantwortung wird im Evangelium unmissverständlich konkret an den Zwölfen demonstriert, die dann aber sogleich als exemplarisch, gleichsam archetypisch für weitere besondere Berufungen und besondere Nachfolgeweisen hingestellt werden, ja, in einer Erweiterung von dieser konkreten Mitte aus, für jede Form christlicher Berufung und Nachfolge.
2. Grundlegende Elemente des archetypischen Ereignisses sind:
a) negativ die restlose Preisgabe aller hindernden Rückbindungen an die Bezüge des «alten Äons»: «Alles verlassen» Mt 19,29f., wobei dieses «alles» verschieden verdeutlicht werden kann: Lk z.B. fügt zu «Vater, Mutter, Kind, Acker» noch «Weib» hinzu: 18,30.
b) positiv das Setzen auf die Person, den Willen, das Schicksal Jesu allein, in einem Gehorsam, der folgerichtig zum «Verlieren des Lebens», konkret zum «Kreuztragen» führen wird (Mt 16,24).
c) Dies alles nicht je einzeln, privat, sondern in einer neuen, von Jesus selbst gestifteten Gemeinschaft: «Und er machte aus ihnen (die) Zwölf, dass sie mit ihm sein …» (Mk 3,14). Alles, was später christliche Berufung und Nachfolge sein wird, wird von hier aus eine soziale (und damit auch irgendwie soziologisch-rechtliche) Seite haben.
3. Der besondere Charakter dieses Rufes und dieser Antwort muss noch näherhin beschrieben werden.
Sofern die radikale Nachfolgeforderung Jesu – im Unterschied zu den nichtchristlichen Religionen – nicht von der Initiative des Menschen, sondern von Jesu persönlicher Freiheit ausgeht und den Angeredeten im Zentrum seiner Freiheit trifft, kann sie nicht auf ein allgemeines «Gebot» oder «Gesetz» zurückgeführt werden. Wie soll man sie bezeichnen? Wenn man auf den Fall des Jünglings blickt, der sich selber zu einem vollkommeneren Weg anbietet (Mt 19,16ff.), oder wenn die Fassungskraft des Menschen als solche in Betracht gezogen wird (Mt 19,11f.; vgl. 1 Kor 7,25ff.), so liegt es nah, im Gegensatz zu «Gebot» von einem «Rat» zu sprechen. Anderseits aber ist die von Jesus angesprochene menschliche Freiheit zentral angefordert, aus ihrem Belieben herauszutreten und sich für den Ruf (der Gnade ist) gehorsam zu entscheiden. Hier wird die Bezeichnung «Rat» unzulänglich. Die das ganze Leben der erwählten Jünger aus den Angeln hebende Anforderung Jesu ist total und fordert totale Antwort, darin ist er sicher mehr als ein «Rat». Erst recht ist er mehr als ein materiell begrenzter Rat – zum Beispiel zur Jungfräulichkeit, aber nicht zum Gehorsam –, er differenziert jene einzelnen Sachgebiete noch nicht, die man später als «evangelische Räte» unterschieden hat.
Anderseits erwartet der Ruf vom Menschen eine freie Antwort, aber eine solche, die sich in einem einzigen endgültigen Akt zusammenrafft, um sich als Freiheit zu überantworten. Die angeforderte Freiheit kann sich somit nicht gleichzeitig als Freiheit behalten wollen, etwa um sich innerzeitlich je neu zur Hingabe entschließen zu können, als ob dieser Vorbehalt der Freiheit zu eigener späterer Verwendung vollkommener wäre als ihre einmalige Drangabe in einem bedingungslosen Jawort. So verstanden kann der endgültige Hingabeakt sich im Begriff «Gelübde» ausdrücken, sofern dieses die Gesamtexistenz umfasst wissen will. Dies hindert die Großmut der Freiheit sowenig, dass es ihr vielmehr den adäquatesten Ausdruck verleiht, Thomas von Aquin sagt richtig: «Der Mensch kann Gott sein Gesamtleben nicht in einem einzigen Akt übergeben, weil es nicht auf einmal, sondern im zeitlichen Nacheinander gelebt wird. Deshalb kann er Gott sein gesamtes Leben nicht anders darbringen als durch die Bindung in einem Gelübde» (S.Th. IIa IIae 186,6 ad 2). Und ferner: «Der Mensch hat nichts, was ihm teurer wäre als seine eigene Freiheit. Gerade diese aber will er in die Verfügung des Herrn übergeben, dem er nachfolgt» (ebd. Ad 3). Thomas macht sich die Worte Augustins zu eigen (Epist 127): «Selige Nötigung, die zum Besseren hin nötigt». Wären wir endgültig im neuen Äon etabliert, so könnten wir gefahrlos auf unsere dauernde Spontaneität freier Hingabe abstellen (wie manche kirchliche Gemeinschaften ohne Gelübde es zu tun versuchen); aber da wir im schmerzlichen Übergang zwischen dem alten und dem neuen Äon leben, ist es sachgemäß, unseren Entschluss, im neuen Äon eingewurzelt zu sein, durch eine Bindung zu festigen, die uns hindern soll, in den alten zurückzufallen. Thomas steht deshalb nicht an, die Ganzhingabe der Apostel in ihrer Intention als eine faktische Gelübdeablegung zu bezeichnen: «Apostoli autem intelliguntur vovisse pertinentia ad perfectionis statum quando Christum relictis omnibus sunt secuti» (IIa IIae 88,4 ad 3). Und diese Hingabe muss neutestamentlich endgültig sein: «Der Herr hat gesagt, dass es zum vollkommenen Leben gehört, Ihm nicht bloß irgendwie zu folgen, sondern so, dass man nicht mehr zurückgehen kann» (vgl. Lk 9,62, Joh 6,67f.). «Diese Unbewegbarkeit (immobilitas) der Nachfolge Christi aber wird durch das Gelübde festgemacht» (IIa IIae 186,6 ad 1). Hier übersteigt der Begriff «Gelübde» alle sonstigen Bedeutungen des Wortes, außerchristliche wie christliche. Er meint ein Treuegelöbnis fürs Leben Christus gegenüber, wie das schon 1 Tim 5,12 anzudeuten scheint, wie es jedenfalls in der Folge gedeutet wird.
4. Zwischen der Berufung zum christlichen Leben aufgrund der Taufe und dem besonderen Ruf zur engeren Nachfolge besteht ein Unterschied, der als Tatsache gemäß Schrift und Tradition unleugbar ist, auch wenn die Grenzen zwischen den beiden Formen der Nachfolge im konkreten Leben vielfältig und verschieden verlaufen können. «Lumen Gentium» 42 gibt einen Hinweis, wenn es sagt, dass alle Christen zum Martyrium grundsätzlich bereit sein müssen (und entsprechend zu einem Leben der Nachfolge in den evangelischen Räten, von denen gleich anschließend die Rede ist), dass aber die «Berufung» zu diesem «höchsten Zeugnis der Liebe» nur «einigen wenigen gegeben wird». Wie sich keiner selbst das Martyrium herausnehmen kann, so kann keiner sich in die Schar der eigens berufenen Jünger eindrängen, wie aus der Abweisung der Bitte des geheilten Geraseners durch Jesus ersichtlich wird (Mk 5,18f. par). Deshalb ist auch die Antwort des Menschen auf einen besonderen Ruf zu unterscheiden von dem, was man in einem weiteren Sinn als «Taufgelübde» bezeichnen kann – auch wenn sie selbstverständlich darauf gründet und die Aktuierung der grundsätzlichen Bereitschaft zu jeder Nachfolge besagt –, sowie von dem allgemeinen Vorsatz, als guter Christ seinem Stand gemäß zu leben (was früher öfter auch als «Gelöbnis» bezeichnet wurde, vgl. die «vota communia» bei Augustin, und die «vota necessitatis» bei den Kanonisten und Theologen des Mittelalters). Solche Vorsätze können sich christlich auch in den Formen einzelner Gelübde aussprechen, wie sie schon im Alten Testament üblich waren, haben dann aber nichts mit der Weihe des ganzen Lebens zu tun, die wir hier behandeln.
3. Kurze Bemerkungen zur Form der Lebensweihe in der Kirchengeschichte
Die Unwiderruflichkeit der eschatologischen Lebenshingabe (devotio), die im öffentlichen Raum der Kirche als solche erkannt und anerkannt wird, bekommt durch diese Anerkennung und kirchliche Vermittlung den Charakter einer Weihe (consecratio). Damit erhält sie auch, klar ausgesprochen oder implizit, einen rechtlichen Aspekt im Raum der Kirche als geordneter Körperschaft. Es ist keineswegs erfordert, dass diese Hingabe und Weihe von Anfang an die – von anderswo vorgeprägte, und in mancher Hinsicht auch vorbelastete – Form eines «Gelübdes» angenommen haben muss. Schon bei Klemens von Rom (38,2), deutlicher bei Ignatius (ad Polyc. 5,2) erscheint jungfräuliches Leben als eine Art dauerhafter, kirchlich anerkannter «Stand», die Apologeten unterstrichen die Lebensdauer (Justin 1 Apol. 15), den «Wunsch, dadurch Gott geeinter zu sein» (Athenagoras Leg c 33), Klemens von Alexandrien spricht vom «Vorsatz dessen, der sich selbst verschnitten hat, so zu verharren, ohne abzufallen» (Strom. 3 c 12). Bei Cyprian ist die «lebenslängliche (semel) Hinweihung an Christus» und deren Anerkennung durch die amtliche Kirche bereits traditionelle Gegebenheit (De hab. virg. 4; Ep. 4,4-5). Das «große Gelübde» des Nasiräats, womit man «sich Jahwe angelobt», wird auf die Jungfräulichen übertragen (Ps-Klemens, Ad Virg. 2; PG 1,438; Methodius, Conviv., öfter).
Wenn das ägyptische Mönchtum zunächst alles auf die «Weltentsagung» (apotaxia) setzt und keine besondere Gelübdeformel kennt, ja von solchen Formeln abrät (Pallad. Hist. Laus. pro.; Cassian, Instit. Lib 4, c 33), so ist die Lebenshingabe deswegen nicht weniger ernst gemeint; bei Basilius dagegen wird die gewählte Lebensform (die unter anderem auch durch die späteren «drei Gelübde» gekennzeichnet war) gesamthaft unter ein Gelübde gestellt (Gr. Reg. 14; kl. Reg. 15). Im Westen spricht man von propositum oder professio, jeweils in der Öffentlichkeit vor Zeugen bzw. vor dem Abt abgelegt. Ist das Wort «votum» (auch bei Benedikt Reg. C 58: coram omnibus promittat) abwesend, so ist doch die Absicht der unwiderruflichen Selbsthingabe vollkommen ausgedrückt. Vgl. Regula Magistri 80,18ff. die klassische Weiheformel: «Ecce, Domine, cum anima mea et in paupertate mea quidquid mihi donasti tibi reconsigno et offero, et ibi volo ut sint res meae, ubi fuerit cor meum et anima, sub potestate tarnen monasterii et abbatis, quem mihi, Domine, ad vicem tuam timendum praeponis …»
Dass dieses öffentliche, im Namen der Kirche entgegengenommene Versprechen im Mittelalter als «votum monasticum» bzw. «religionis» bezeichnet wurde, ändert am theologischen Gehalt nichts mehr. Entscheidend dagegen ist, dass noch bei Thomas der eschatologische Entschluss zur Christusnachfolge, bzw. zu der sie ausdrückenden Gesamtlebensform, als das eine, unteilbare «votum» gilt, während die Näherbestimmung der dieses Leben inhaltlich ausmachenden Momente eine weitere, davon zu unterscheidende Frage ist: «Utrum requiratur ad perfectionem religionis quod paupertas, continentia et oboedientia cadant sub voto» (scil. unico!): IIa IIae 186 a 6.
4. Inhaltliche Momente der Lebensweihe
Vom Evangelium her wurden oben (unter 2,2) die inhaltlich konstitutiven Elemente bereits angegeben. Die Unveränderlichkeit dieser Elemente schließt eine große Variabilität der Akzentgebungen nicht aus. Dabei lässt sich theologisch unterscheiden:
1) Eine Diversifizierung gemäß den verschiedenen von Christus seinen Nachfolgern zugewiesenen Charismen, die als solche auch je besondere Partizipationen an einem besonderen Mysterium seiner Existenz sein können, natürlich immer im Rahmen des Gesamtmysteriums, woran jeder Christ teilhat. Unter diesem theologischen Gesichtspunkt lässt sich ein großer Teil der historisch gewordenen Gestaltungen des Nachfolgelebens betrachten: sie werden durch ihre geschichtliche Abfolge nicht relativiert, sondern behalten ihren Stellenwert in Beziehung auf das Gesamtmysterium des Herrn.
2) Trotzdem lässt sich eine gewisse Entwicklung vom Impliziten zum Expliziten betreffs der «drei evangelischen Räte» nicht rückgängig machen. Sie treten in der theologischen Reflexion als die beherrschenden inhaltlichen Momente immer klarer heraus. Sofern aber in den frühchristlichen Formen der Lebensweihe implizit alles Wesentliche schon eingeschlossen war, lässt sich höchstens von einem theoretischen, nicht von einem existentiellen Fortschritt reden. Dass die «vita religiosa» in ihrer historischen Ausgestaltung das analogatum princeps für die inhaltliche Darstellung des Nachfolgelebens sei, lässt sich theologisch nicht erweisen, auch Säkularinstitute können dieses Leben ebenso genuin verkörpern. Anderseits werden diese nicht hinter das bezüglich der «evangelischen Räte» theologisch Verdeutlichte zurückgehen können.
1. Die im endgültigen Nachfolge-Entschluss ergriffene Lebensweihe hat sich in der Kirche zuerst als «Stand» der Jungfräulichkeit dargestellt. Aber diese schließt die Verpflichtung ein, sich in allem der Gesinnung des «Himmelreiches» anzugleichen: «Quicumque vir feminave propter regnum coelorum vera ac sine dolo intemeratae virginitati se devovere constituit, in omnibus regno coelorum coaptare seipsum tenetur» (Ps-Clemens, Ep. 1 ad Virgines, c 1), dazu gehört unter anderem ein «obsequium Domini sui permanens» (c 7), ein Gehorchen dem Heiligen Geist (c 9), ein intensives kirchliches Apostolat als operarii fideles (c 12-13), ein Gehorsam gegenüber dem kirchlichen Amt (Ep. 2, c 16). Cyprian zeigt den geweihten Jungfrauen, dass zur Schau gestellter Reichtum ihren Stand entehrt (er lehnt sich dafür weitgehend an Tertullian an), außerdem fordert er als Bischof von ihnen strengen Gehorsam (Ep. 4,5; vgl. De op. Et elem. 11-12; De hab. virg. 21). Sie leben im neuen Äon: «Was wir dereinst sein werden, das habt ihr schon angefangen zu sein» (ebd. 22).
2. In der apotaxia des frühen Mönchtums seit Antonius wird das «Alles verlassen», die Armut wörtlich genommen und von Basilius zu Benedikt (Reg. 33; vgl. Reg. Mag. c 87) über Bernhard zu Franz als ein zentraler Akt verstanden, oft in Rückbezug auf die Gütergemeinschaft der Urkirche. Diese «buchstäbliche» Befolgung ist der Hauptgrund für die Herausbildung des Vollkommenheitsideals als «Trennung von der Welt», die aber selbst wieder verschiedenste Formen annehmen konnte. In der Absage an die Welt war die Enthaltsamkeit wie selbstverständlich miteingeschlossen, und in den cönobitischen Gemeinschaften seit Pachomius der Gehorsam. Der eigentliche theologische Zugang zum Gehorsam liegt aber doch darin, dass
die Klostergemeinschaft als Versuch einer Realisierung der vollkommenen Kirche und die Regel als deren geisthafter Inbegriff erscheint, die ihre inkarnierte Darstellung und Auslegung im geistlichen Vater gewinnt. Man gehorcht nicht einer irgendwie zufälligen Person, sondern derjenigen, die von der amtlichen Kirche dazu eingesetzt und bevollmächtigt ist (Reg. Mag. 93; vgl. die Einleitung von A. de Vogüé zur Règle du Maître I, Sources Chrétiennes 105, 1964, 110ff.).
3. Von hier aus kann der Gehorsam in der Regula Benedicti c 58 als einziges besonderes Moment neben der «stabilitas» (als Sichtbarkeit des eschatologischendgültigen Entschlusses) und der «convers(at)io morum» (als Angleichung an die Gesinnung im Reich Gottes) in den Mittelpunkt treten, aber dem «Suscipe me Domine» des Kandidaten folgt sogleich dessen Absage an allen weltlichen Besitz und an die Verfügung über den eigenen Körper. Das wird von Innozenz III. in seinem Brief an den Abt von Subiaco (1202) sachgemäß so ausgelegt: «custodia castitatis et abdicatio proprietatis sunt annexa regulae monachali» (in den Dekretalen Gregors IX. De statu monachorum III 35 zitiert, vgl. Thomas, IIa IIae 186,7 sed contra), und damit ist auch die Formel des Aquinaten erreicht, der im Gehorsam das wesentlichste Mittel auf dem Weg der Nachfolge sieht, das Enthaltsamkeit und Armut einschließt. Dieser Gehorsam kann verschiedenste Schattierungen annehmen, je nachdem er im Rahmen eines vorwiegend buchstäblichen «Verlassen des alten Äons», somit innerhalb des Klosters als eines Modells von vollkommener Kirche gelebt wird, oder in der Weltoffenheit späterer apostolischer Orden, oder schließlich «mitten in der Welt» wie in den Säkularinstituten.
4. Es ist einerseits wahr, dass der Übergang von einer zentralen Betonung der leiblichen Jungfräulichkeit zu einer solchen der totalen Armut und schließlich des Gehorsams eine Vertiefung in der geistigen Auffassung des Inhalts des Nachfolgeaktes bedeutet. Anderseits lässt sich dieser Fortschritt nicht einseitig festlegen; es bleiben verschiedene Zentrierungen möglich, die alle den eschatologischen Entschluss zur Nachfolge bezeugen. So kann Jungfräulichkeit als positives Sichangeloben an Christus auch am meisten von der Intention des Nachfolgegelübdes aussagen, desgleichen franziskanische, in einem bräutlichen Sinn verstandene Armut. Aber noch bleibt die Frage, ob diese drei Gebiete den Nachfolgeakt adäquat ausdrücken.
5. Von der Kongruenz zwischen Form und Inhalt der Lebensweihe oder vom Verhältnis zwischen «Gelübde» und «Räten»
1. Man kann von Kongruenz (DTC Art. Voeux de Religion, col. 3237), aber nicht von der Identität sprechen. Denn der Akt der Lebenshingabe als Antwort auf den Nachfolgeruf kann nur das hingeben, worüber der Mensch selber verfügt, während er wesentlich offenbleiben muss für alles, in was hinein Gott ihn nunmehr verfügen wird. Der Ruf kommt aus der ewigen Liebe und ladet in sie ein; der Antwortende übergibt zwar sich selbst und das Seinige aus Liebe (sonst wäre seine Gabe wertlos), aber nicht in der Meinung, damit seine Liebe erschöpfend ausgedrückt zu haben, sondern um frei zu werden für den Weg in die göttliche Liebe hinein und für ein immer besseres Entsprechen dieser Liebe gegenüber. So gesehen ist die Hingabe des Eigenen nur der befreiende Ausgangspunkt des Nachfolgelebens und gehört «instrumentaliter et dispositive» (IIa IIae 186,2 c; vgl. 184,3 c) zum angestrebten Ziel, der vollkommenen Liebe. Aber dieser Ausgangspunkt bleibt für den Strebenden immer neu aktuell, und im Mass als er die Liebe besser verwirklicht, drückt sich seine Hingabe selbst auch vollkommener aus durch Armsein, Bräutlichkeit zum Herrn, Disponibilität zu Gott und zur Kirche. Possunt etiam dici (consilia) effectus et signa (amoris): Thomas, Contra Gent. III 130.
2. Auf der einen Seite bleibt wahr, was Gregor I. sagt: «cum quis omne quod habet, omne quod vivit, omne quod sapit omnipotenti Deo voverit, holocaustum est» (Super Ez. lib II h 8); er hat alles gegeben ins «lebendige heilige Opfer» hinein (Röm 12,1), vorausgesetzt, dass er nicht seine Gabe «gelobt», sondern sich selbst mit allem, was er hat und ist, dem Herrn angelobt: so dass seine Gesinnung über den Wert seiner Gaben entscheidet.
3. Auf der andern Seite wird diese Gesinnung der Liebe unendlich viele Verhaltensweisen von ihm fordern, die materiell in seinen Gaben nicht eingeschlossen sind; sich aber auf diese Verhaltensweisen mit einem Gelübde zu verpflichten, wäre unrichtig, sagt Thomas, denn sie sind die Früchte der Liebe, auf die hin der Nachfolgende sich freigemacht hat und über die er vorweg gar nicht verfügen kann (IIa IIae 186,7 ad 1). Das, wonach wir in der Freiheit der Liebe streben sollen: wie etwa den Geist der acht Seligkeiten, die Demut des Herrn usf. zum Inhalt unseres Gelübdes zu machen, hieße das Leben der Liebe vergesetzlichen, mehr noch: das, was nur frei empfangen werden kann, als eine selbsterreichbare «Tugend» missdeuten. Der positive Sinn des Angelöbnisses (=Lebenshingabe, votum) ist die ausschließliche Zugehörigkeit zum Herrn, seinem Reich, seinem Leib, der die Kirche ist, und diese Ausschließlichkeit liegt adäquat im rechtverstandenen Gelübde, das die drei Sachgebiete – Güter, Leib, Geist – in sich einbegreift.
4. Zusammenfassend lässt sich (gemäß 2,2) sagen: die Form des Gelübdes ist eine gültige Darstellungsweise des unvergleichlichen eschatologischen Entschlusses, dem in Christus mich rufenden Gott für sein Heilswerk nachzufolgen. Der Inhalt dieses Entschlusses ist primär positiv Gott in Jesus selbst: ihm gelobt sich der Nachfolgende an, zu immerwährender Treue, was sich im Befolgen der «Räte» ausspricht: «kein anderer als Du» (Jungfräulichkeit), «nichts anderes als Dich» (Armut), «nicht mein Wille, sondern der Deine» (Gehorsam). Und dies alles konkret nicht in einem Privatverhältnis (das es christlich gar nicht gibt), sondern im Rahmen der auf Aposteln und Propheten gegründeten, mit Dienstämtern ausgestatteten Kirche, in deren Sakrament und Wort der Herr sich vergegenwärtigt: «Wer euch hört, hört mich.» Der Nachfolgende bietet sein Leben an, aber weil die Hingabe Antwort ist und Antwort primär die der marianisch-petrinischen Kirche ist, steht sie immer schon im kirchlichen, sakramentalen Raum des «weihenden» göttlichen Wortes.

Hans Urs von Balthasar
Título original
Zur Theologie des Ordensgelübdes
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Ficha técnica
Idioma:
Alemán
Idioma original:
AlemánEditorial:
Saint John PublicationsAño:
2025Tipo:
Artículo