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Exerzitien und Theologie
ハンス・ウルス・ フォン・バルタザール
原語タイトル
Exerzitien und Theologie
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書籍説明
言語:
ドイツ語
原語:
ドイツ語出版社:
Saint John Publications年:
2022種類:
論文
Erfahrung des Geistes
Es ist bekannt, dass Ignatius von Loyola zu jenen Geistern gehört, die in der Kirche eine ausgesprochen geistige Sendung mit einer ausgesprochen unintellektuellen Anlage verbinden. Er gleicht darin nicht nur den Aposteln, abgesehen von Paulus, am stärksten vielleicht Johannes, sondern ebensosehr Franz von Assisi und dem Pfarrer von Ars. Gehört er auch nicht, wie der letztere, zu den geistig Schwachbegabten, so behielt doch sein geistiges Gepräge von der überwiegend auf leibliche Tätigkeit und Gewandtheit und auf galantes Denken und Benehmen gerichteten Erziehung her eine Art Unfähigkeit zum abstrakten Denken und Spekulieren. Er quälte sich zwar durch die Lehrgänge der scholastischen Philosophie und Theologie hindurch, aber man wird, abgesehen vielleicht von einer gewissen Sicherheit im Erörtern geistiger Fragen (und auch das ist noch fraglich) kaum Spuren einer Beeinflussung seiner Ideen durch die Studien feststellen können. Er ist, neben Franz und Vianney, wohl der ausgesprochenste «Theodidakt» der Kirchengeschichte. Wie Franz seine Regeln, Briefe und Gesänge keiner andern Quelle entnimmt als seiner demütigen Seele, in der der Heilige Geist wohnt, so besitzt auch Ignatius für seine Exerzitien keine andere Quelle als die innere Erfahrung des Geistes. Der Vergleich mit Werken, die, wie die Übungen des Cisneros, angeblich die Exerzitien beeinflusst hätten, zeigt überdeutlich, wie ursprünglich, unableitbar, unteilbar die geistige Vision des Ignatius ist, die er mühsam und ungelenk in Sätzen zu fassen sucht, und dies wird von seiner Aussage bestätigt, dass der Kern der Exerzitien in der persönlichen Erfahrung der Geister und der daraus hervorgehenden Unterscheidungsregeln gelegen hat. Und wenn man auch auf Schritt und Tritt die Traditionstreue dieser Regeln nachweisen kann (in dem von P. Vogt begonnenen, leider nie ganz durchgeführten Vergleich der Regeln mit denen der Wüstenväter, besonders Evagrius Ponticus), sie entspringen bei Ignatius eben doch ganz neu, vertikal und ohne Querverbindung, aus einer ursprünglichen Darlebung des Evangeliums. So betrachtet, gehört das Exerzitienbüchlein in die Reihe der äußerlich traditionslosen Mystikerschriften, die von nichts und niemandem als Gott «beeinflusst», innerhalb der kirchlichen Tradition wie Anfänge schaffen, von denen aus neue Traditionen sich entfalten. Hildegards inspiriertes Schrifttum in inspiriertem Latein gehört hierher, aber auch die Mechthilden, Gertrud und Brigitta, der Traktat Katharinas von Siena, und, wenn auch nicht mehr in gleicher Eindeutigkeit, die Schriften der Großen Theresia und Johannes’ vom Kreuz. An solchen und andern Phänomenen wird der wahre Traditionsbegriff klar, der nicht nur und nicht vor allem eine äußere, äußerlich kontrollierbare und kontinuierliche Weitergabe von apostolischem Lehrgut in sich fasst, sondern vor allem die innerhalb der Kirche verheißene und lebendig vor sich gehende Auslegung der Offenbarung des Sohnes durch den Heiligen Geist. Die beiden Glaubensquellen im Katholizismus sind so, aufs letzte zurückverfolgt, der Sohn und der Geist; die Offenbarung des Sohnes ist niedergelegt in der Schrift, die des Geistes ist kirchliche, lebendige Auslegung der Schrift, denn der Geist «wird nicht aus sich selber reden, sondern… von dem Meinigen nehmen und es euch verkünden» (Joh 16,13-14). Aber auch der Sohn offenbart ja nicht sich selbst, sondern den Vater, und so gehen beide Quellen, der Sohn und der Geist zurück auf die Urquelle, den Vater. Die lebendigsten Punkte der Tradition sind jene, in denen der Geist einen Menschen in der Kirche und für die Kirche wie unmittelbar in den Ursprung der Offenbarung zurückwirft, um in der durch den Geist allein herstellbaren Gleichzeitigkeit eine distanzlose Auslegung zu vollziehen. Ein solcher Mensch gleicht den Perlenfischern, die nach einem senkrechten Kopfsprung in die Tiefe mit ihren Schätzen wieder auftauchen. Er steht innerhalb der Kirche an exponiertem Posten, nicht nur durch das Paradox seiner geistigen Sendung ohne äußere Tradition, sondern noch mehr durch die Gefahr, in seinem Prinzip mit dem Prinzip des traditionslosen Häretikers verwechselt zu werden. Oft genug werden die großen Häresiarchen missratene, auf ihrer Exponiertheit vom Schwindel des Hochmuts ergriffene und pervertierte Heilige sein. Sie haben das Charisma des Geistes, das immer ein amtliches und der Kirche zugedachtes ist, mit einer persönlichen Qualität verwechselt.
Charisma und Theologie
Sind nun aber diese Charismen des Geistes, die im Laufe der Jahrhunderte der Kirche geschenkt werden, wirklich neue Beleuchtungen und Auslegungen des Evangeliums, so sind sie neben ihrer eminent praktischen und reformierenden Bedeutung immer auch wesentlich theologischer Natur. Sie zeigen den genauen Punkt, auf welchen der Heilige Geist in einer bestimmten Epoche die Kirche aufmerksam machen möchte. Durch Augustin auf die Gnade; durch Bernhard und Bonaventura auf bestimmte Formen der menschgewordenen Liebe, durch Franz auf die Demut und Armut, durch Hildegard auf große Zusammenhänge der Heilsökonomie und des zwischen Himmel und Erde sich austauschenden mystischen Leibes. Jedesmal ist es ein Grundaspekt der Offenbarung, der neu und wie erstmalig ins Licht gerückt wird, ein Gesichtspunkt, der durch die ganze Offenbarung hindurch geht und darum die Theologie als Auslegung der Offenbarung nicht gleichgültig lassen kann. Es gab eine Zeit, in welcher die großen Theologen Heilige waren, die Zeit von den Aposteln bis ungefähr zu Thomas von Aquin, in der also charismatische und theologische Auslegung sich weitgehend deckten. Später haben sich beide Zweige ein wenig auseinanderentwickelt: die Heiligen siedelten sich gleichsam neben dem großen Palast der gelehrten Theologie in einem bescheidenen Hause an, das man heute ‹théologie spirituelle› oder einfach ‹spiritualité› nennt, und verzichteten gleichsam darauf, das Hauptgebäude bis in seine abgelegensten Kammern mit ihrer charismatischen Kraft zu erfüllen. Man braucht sich nur das Werk Franz von Sales’ (das in seinen schulmäßig-theologischen Partien am schwächsten, in seinem persönlich-spirituellen am stärksten ist), Johannes’ vom Kreuz, Thereses von Avila anzusehen, um dieses Abrücken deutlich feststellen zu können. Die Welt der Heiligen wird personal-existentiell, aszetisch-mystisch-subjektiv, während die Welt der Theologen wesentlich essentiell und betont objektiv wird. Obwohl Franz und Johannes Kirchenlehrer sind, wird sie doch kaum ein gängiges Handbuch der Theologie als Autoritäten zitieren. Und nicht ganz zu unrecht; denn die zentralen dogmatischen Fragen werden von ihnen nicht ex professo behandelt und ausgelegt. In noch weit stärkerem Maße gilt dies von andern modernen Heiligen, die keine ausgesprochen theoretische Sendung und Begabung besaßen: Sie lebten ihr Leben in einer Art Entfremdung von der zünftigen Theologie und befruchten sie wenig. Und doch ist das, für beide Zweige, bedauerlich. Die auf Aposteln und Propheten, auf Amt und Charisma, auf objektiver und subjektiver Heiligkeit gegründete Kirche wird von nichts stärker befruchtet als von einer Zusammenarbeit von Theologie und Heiligkeit, die miteinander die jeweils aktuelle Auslegung und Darstellung der objektiven Offenbarung Gottes in Christus geben können. Um die Synthese, die in der Väterzeit und bis zu den großen Scholastikern so fruchtbar war, wieder anzubahnen, wäre zweierlei erforderlich: einmal eine theologische Hagiographie, d.h. die Bemühung, aus den großen und kirchlich bedeutsamen Heiligkeitssendungen den theologischen Gehalt herauszuschälen, der auch dort vorhanden sein kann, wo der Heilige selbst nicht ausgesprochener Theologe war, wie z.B. bei Aloisius, Vinzenz von Paul, Jean Eudes, Vianney, Therese von Lisieux. Dann aber eine konsequente Sorge in Gegenwart und Zukunft für die Beschäftigung der Heiligen auch mit theologischer Auslegung der Schrift, der Theologen mit dem Leben und den Problemen der Heiligen und der Heiligkeit. P. Philipon OP hat in seinem Buch über die kleine Therese («Sainte Thérèse de Lisieux, une voie toute nouvelle», Desclée, 1946, S. 9) mit Recht darauf hingewiesen: «Die Aufgabe des Theologen beschränkt sich nicht auf die Analyse und Synthese der zentralen Dogmen unseres Glaubens; er muss im einzelnen den langen Weg der Offenbarung durch die Geschichte hindurch verfolgen und uns ein Gesamtverständnis des göttlichen Plans vermitteln, nicht nur was die äußere Weltlenkung betrifft, sondern auch in der geheimsten Lenkung der Seelen. Diese Aufgabe erstreckt sich über das ganze Leben der Gnaden in der Kirche und im mystischen Leibe Christi. Eine so erneuerte Hagiographie wäre für die ganze Kirche eine unvergleichliche Bereicherung auch in der Lehre. Unsere Schultheologie, die überall dort abstrakt und schematisch bleibt, wo sie nicht kasuistisch wird, könnte sehr vieles gewinnen durch ein vertieftes, nicht nur historisch-deskriptives, sondern wahrhaft theologisch-erklärendes Studium der Heiligen.»
Das dürfte von niemand in stärkerem Maße gelten als von Ignatius von Loyola, der, obwohl wie gesagt keineswegs Schultheologe, in seinen Exerzitien eine ausgesprochene und überragende Lehrsendung in der Kirche innehat. Man würde sich über deren Tragweite sehr täuschen, würde man sie einfach in das Gebiet der «Praxis», der «Aszese» verweisen, ein Gebiet, mit dem der zünftige Dogmatiker sich nicht zu befassen hätte. Man hat dies lange genug getan; eigentlich jahrhundertelang, und so kam es nirgends zu einem durchdringenden theologischen Studium der Exerzitien. Die Flut der Exerzitienliteratur bleibt fast ganz im Pastorellen und Aszetischen stecken, nur sehr wenige kamen auf den Gedanken, dass hier entscheidende Hinweise und Anregungen auch für theoretische Theologen zu holen sein müssten. Suarez versuchte seinerzeit eine Art theologische Spiritualität der Gesellschaft zu bauen; in neuester Zeit hat Erich Przywara in seinem Monumentalwerk «Deus semper major – Theologie der Exerzitien» (Herder, 1938-1940), die gleiche Synthese in Angriff genommen. Im allgemeinen aber herrscht, selbst innerhalb der Gesellschaft Jesu, ein gewisser Dualismus zwischen einer theoretischen Philosophie und Theologie von ausgesprochen vorignatianischer Prägung (wovon auch ein Molina, Lessius, Lugo, ein Lallemant und Rodricius usf. nicht auszunehmen sind) und einer ignatianischen Seelsorgsmethode. Eine große Zahl Jesuiten sind übrigens Thomisten, entweder der älteren oder neueren Prägung (Maréchal).
Wahl
Die theologische Sendung von Ignatius kreist um die Zentren: «Wahl», «Indifferenz», «Gehorsam». Mittelpunkt der Exerzitien ist die Wahl; die zentrale Begegnung mit Gott ist Begegnung mit einem wählenden Gott. Nicht mit dem augustinischen Gott der «requies» für das «cor inquietum», nicht mit dem thomistischen Gott der «visio beatifica», für den «appetitus naturalis und supernaturalis visionis», sondern mit dem Gott, der in unbegreiflicher Freiheit wählend herabfährt auf den Erwählten, um ihn, quer durch alle «Unruhe» und alles «Streben», für seine unvorhersehbaren Zwecke anzufordern. Der Gehalt seiner Forderung wird bei seiner Proklamation in Christus an «die gesamte und vollständige Welt» geoffenbart, die aber jeweils eine ganz persönliche Proklamation «an jeden einzelnen im besonderen» ist (Exerz. Nr. 95), der diesen Inhalt zu seinem wesentlichen Lebensgehalt zu wählen hat, dessen Haltung also zu sein hat: «Nicht-Taub-Sein gegenüber seinem Ruf, sondern schnell und voll Bereitschaft» (91), um fähig zu sein, die Wahl Gottes zu wählen, die rein kreatürliche, ja erbsündig-emanzipierte Freiheit als gegenüberstehende aufzugeben (sume et suspice universam meam voluntatem, 234), um in der Gnade teilzunehmen an der Freiheit Gottes im Mitvollzug seiner Wahl.1 Somit ein Gottesbild, das seine Mitte hat in einer personalen Souveränität der je-einmaligen Entscheidung, wie es erschienen ist und einzig zugänglich bleibt im je-einmaligen Erscheinen, Begegnen und Erwählen Christi und seinem «Folge mir nach». Und ein Menschenbild, das seine Mitte nicht hat in Aspirationen und Sehnsüchten des Herzens, die nach Verwirklichung bis ins Absolute drängen, sondern in Lob-Ehrfurcht-Dienst Gottes (29) und Bereitschaft (disposición) zu einem nie, weder im ganzen noch im einzelnen, aus der eigenen Natur abzulesenden, vorauszuberechnenden Willen Gottes. Daraus als Gehalt christlichen Lebens das Doppelte: Wahl des Standes im ganzen, der Gesamtlebensform, die von Gott her für den einzelnen gewählt wird (135), und die durch ihren Dichotomismus «Weltstand – Ordensstand» den Wahlcharakter kirchlicher Existenz aufs schärfste unterstreicht. (Von hier aus die Forderung einer theologischen Ständelehre der Kirche, wie sie bis heute weder innerhalb der Ekklesiologie noch außerhalb ausgebaut worden ist.) An der Richtigkeit der Grundwahl hängt Wohl und Wehe der ganzen christlichen Existenz, die dann im ganzen als verspielt erscheint, wenn sie «eine schiefe und schlechte Wahl zu einer göttlichen Berufung» umgelogen hat (172), also zuletzt den göttlichen Willen zum eigenen Willen hingezwungen hat (169), oder wenn sie, überhaupt nicht wählend, im Zeichen der Entscheidungslosigkeit bleibt. Die Grund- oder Standeswahl ist aber nur Rahmen und somit Ausgangspunkt der je-neuen persönlichen Wahl Gottes in jedem Augenblick des Lebens: die Analogia electionis hat zur alles durchformenden Form des christlichen Lebens zu werden.
Hinter diesem Lebensbild steht, wie gezeigt, ein bestimmtes Gottesbild, das sich aber sofort in Christus und seinem Verhältnis zum Vater konkretisiert: Christus als Herr der Welt und jeder Seele auf Grund seines vollkommenen Gehorsams gegenüber dem Vater. Dieser Gehorsam ist zuletzt trinitarisch: wie denn die ganze Mystik von Ignatius, auf ihre Quellen zurückverfolgt, eine trinitarische Mystik ist. So müsste, um die Theologie der Exerzitien zu fundieren, ein Bild der Trinität entworfen werden, in welchem das dreifaltige Leben als die gegenseitige Wahl und das gegenseitige Wählen-lassen in der Liebe als Bestimmung und Indifferenz in der grundlosen personellen Freiheit Gottes (unbeschadet der Nezessität der Prozessionen) beschrieben würde. Dieses Bild wäre gewonnen auf Grund des geoffenbarten Gottesbildes in Christus, wie er unser Vorbild ist; es hätte den doppelten Vorteil, uns das trinitarische Leben von der Offenbarung Gottes im Fleisch her konkret, das Leben Christi aber bis ins einzelne trinitarisch deutbar werden zu lassen.
Indifferenz
Die weiteren Kennworte: «Indifferenz», «Gehorsam», sind im ersten, in der «Wahl», virtuell eingeschlossen. Indifferenz ist die seinshafte (und damit auch sekundär moralisch-aszetische) Voraussetzung für den Vollzug der Wahl, d.h. für die Setzung jenes Aktes, der christliches Sein begründet. Denn auch das objektiv-sakramentale Sein geht der Wahl nicht schlechthin voraus (da zu einer Kindertaufe wenigstens die Glaubensentscheidung der Kirche gefordert ist) und wird im Hinblick auf sie geschenkt. Indifferenz ist der Grundakt der Kreatur; von ihr her ist die Theologie der potentia oboedentialis zu entwickeln; sie ist einmalige Voraussetzung der einmaligen (Standes-)Wahl, die als Formgebung des christlichen Lebens ein Abschluss ist, aber mehr noch ein Anfang, nämlich die Voraussetzung für ein bis in die einzelnen Akte hinein gottgewähltes, fruchtbares Leben. Als solche ist sie bleibende Haltung, die durchgehend, in der Analogia electionis, dem Willen Gottes den Primat über den eigenen einräumt. Sie ist darin geradezu Quellpunkt und Form von Glaube, Liebe, Hoffnung, da sie der Grund des Vorziehens der göttlichen Wahrheit vor der eigenen Wahrheit, der göttlichen Liebe vor der eigenen Liebe, der göttlichen Verheißung vor der eigenen Sicherung ist. Folgerichtig ist sie auch Quellpunkt der christlich verstandenen Kardinaltugenden, die ihren Sinn, ihre Form und Rechtfertigung von Glaube, Liebe, Hoffnung her erhalten. Indifferenz ist dann negativ, die erreichte Ausschaltung aller Störungen und Hindernisse, die von seiten der erbsündigen Natur als «ungeordnete Neigungen» die Wahl des reinen Willens Gottes trüben könnten. Ignatius entwickelt die vollkommene Herstellung der theologisch verstandenen Indifferenz in den «drei Stufen der Demütigung», die man auch Stufen der Bereitschaft, des Verzichts auf eigene Verfügung und Einpassung in die göttliche Verfügung nennen kann (164-168). Die erste fasst die alttestamentliche Welt des «Gebotes» zusammen und fordert die Bereitschaft, «in allem dem Gesetz Gottes unseres Herrn zu gehorchen», in der noch undifferenzierten Art eines Entweder-Oder von Für-Gott oder Gegen-Gott. Die zweite steht gleichsam auf der Schwelle zwischen dem Alten und dem Neuen Bund, da Gott als persönlicher erschienen ist, also mit einem persönlichen Willen und Plan und noch bevor er seinen Plan entwickelt, absolute Nachfolge verlangt. Es ist der eigentliche Ort der Indifferenz, da auf dieser zweiten Stufe gefordert wird, «dass ich mich auf dem Punkt befinde» – und es ist wirklich nur ein Punkt! – «dass ich nicht mehr dazu hinneige, Reichtum als Armut zu haben, Ehre als Schmach zu begehren, ein langes als ein kurzes Leben zu ersehnen, wo der Dienst Gottes unseres Herrn und das Heil meiner Seele gleich ist». Die Darlebung dieser den Plan des persönlichen Gottes erwartenden Haltung bewahrt darum in einer differenzierteren Form vor einem Abweichen vom Willen Gottes, also vor der «lässlichen Sünde». Die dritte Stufe gibt nur die rahmenhafte Entwicklung des neutestamentlichen Heilsplans, die rahmenhafte Differenz der Wahl Gottes in Christus, die da heißt: Armut, Schmach, Torheit des Kreuzes. Aber Ignatius verzichtet darauf, diese rahmenhafte Bestimmung sofort zur individuellen Bestimmung des göttlichen Willens für den Einzelnen zu machen, es sei denn, dieser Einzelne habe die alttestamentlichen Stufen des Gebotehaltens und die Stufe der Schwelle zwischen den Testamenten, die Indifferenz, sich wirklich angeeignet. Die Wahl des Kreuzes für den Einzelnen unterliegt der doppelten Vorbedingung: dass nämlich «die erste und zweite Stufe vorausgesetzt ist», also nicht nur eine allgemeine Geübtheit im Gebotehalten, sondern ausdrücklich auch eine Geübtheit in der vollkommenen Bereitschaft, und dass «Lob und Ehre der göttlichen Majestät die gleichen wären», die Wahl des Kreuzes also nicht aus einem persönlichen Vorziehen und enthusiastischen Sich-anbieten, sondern im sachlichen Wissen um das objektive Erwähltsein von Gott her erfolgt, wie denn auch theologisch der Neue Bund nur als Erfüllung von «Strichlein und Häklein» des Alten über diesen hinausgeht und wie er nur in der Form erwählender Entscheidung Gottes in das Neue hineinführt. In der Indifferenzlehre Ignatius’ liegt also keimhaft eine Art existentielle Lehre der Testamente und der Heilsökonomie, deren Entwicklung die schon in der Wahl grundgelegten Ideen der Geschichtlichkeit Gottes, des Christentums und der christlichen Existenz bewusst werden lassen könnte.
Gehorsam
Darum spielt alles in einer Theologie des Gehorsams: nicht primär des Menschen, sondern Christi gegenüber dem Vater, somit in der Theologie eines trinitarischen Gehorsams, entsprechend der trinitarischen Deutung bei den griechischen Vätern des Wortes «der Vater ist größer als ich». Dieser trinitarische Gehorsam wird objektiv im Gehorsam Christi der Welt gezeigt und geschenkt, und durch Christus primär der Braut Christi, der Kirche, die ihren Ursprung und bleibenden fruchtbaren Schoß in Maria besitzt. Darum ist die erste Kontemplation des Lebens Christi bei Ignatius explizit marianisch; und der Schluss des Büchleins, die «Regeln über die kirchliche Gesinnung» sind implizit marianisch, sofern der ganze kirchliche Gehorsam unter das Vorzeichen der «Bräutlichkeit der Kirche», (353, 365) gestellt wird. Die bevorzugte Gebetsform ist ebenfalls marianisch, sofern sie der objektiven Gnadenspendung von Gott durch Christus durch Maria (62-63) sich subjektiv einfügt. Der Gehorsam des Einzelnen ist somit trinitarischer, christologischer, marianisch-ekklesiologischer Gehorsam, unterstehend den Regeln des Gespürs für den nicht bloß allgemein-ganzhaft, sondern personal je-jetzt sich offenbarenden Wahlwillen Gottes, den Regeln des personalen Verkehrs zwischen christlicher Seele und Gott, wie Ignatius sie in den «Regeln zur Unterscheidung der Geister» grundlegt, damit ein wesentliches, lange unterbrochenes Stück Vätertheologe neu aufgreifend.
Das alles sind nur Andeutungen, so kurz, dass sie manchem missverständlich erscheinen werden. Sie auszuführen, müsste Aufgabe einer Theologie der Exerzitien, besser noch einer theologischen Deutung der Sendung von Sankt Ignatius sein. Nichts könnte die Praxis der Exerzitien mehr befruchten, als eine solche theologische Deutung. Und von wenigem könnte man sich auch eine so reiche Befruchtung der theoretischen Theologie erhoffen, als von einem solchen Unternehmen. Die feierlichen Sanktionierungen der Exerzitien durch die Hierarchie, ihr Empfohlensein für Klerus und Ordensleute, für alle Gläubigen zeigt, dass die Kirche hier mehr sieht als ein bloßes praktisches Mittel der Geisteserneuerung: eine authentische, genuine Auslegung ihres Glaubensdepositums. Ein Blick auf die Flut von Exerzitienliteratur könnte glauben machen, hier sei alles schon gesagt worden, die Exerzitienwahrheiten seien ausgeleiert und man könne sich mit Recht anderer Geisteskost zuwenden. Die Quantität des Geschriebenen trügt. Wenn auch jeder, nach Ignatius dringlichem Wunsch, in der Kirche frei bleibt, seinem persönlichen Geschmack entsprechend sich einen kirchlichen Führer zu Gott zu wählen, so gilt doch anderseits gewiss, dass die Ausschöpfung der theologischen Substanz dieser unerschöpflichen Mine erst ganz in den Anfängen steht.
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Darin wird klar, dass «Wahl» (und somit «Indifferenz» und «Gehorsam») nur die konkrete Weise ist, wie Ignatius die Liebe versteht. Wollte man den Begriff der Liebe im Exerzitienbuch zentral von der «Betrachtung zur Erlangung der Liebe» und nicht vielmehr von den angeführten Grundbegriffen her zu deuten suchen, so würde man nie den Kern des Ignatianischen treffen. Sogar, wenn wir die ausdrückliche «Betrachtung von der Liebe» nicht hätten, die außerhalb des Rahmens der vier Wochen, als eine Art Ergänzung ad libitum hinzugefügt ist, der ganze Ablauf der Wochen selbst, in seiner Einheit von Kontemplation und Wahl könnte auch dann nur einen gesamthaften Namen haben: Liebe.
Das setzt aber voraus, dass man von angeführten Grundbegriffen nicht, wie oft, eine rein philosophische, natürliche Deutung gibt, sondern die einzig mögliche, betont übernatürliche und heilsgeschichtliche, wie sie dem gesamten Betrachtungsstoff entspricht. Im «suscipe universam meam libertatem» (234) und im Austausch von «Besitz» und «Sein» (231, 234) zwischen Gott und Mensch liegt der Schlüssel für das Liebes-Geheimnis der Analogia electionis, das letztlich nur trinitarisch auflösbar ist: Liebe als Vorziehen des Willens des andern und somit als Gegenseitigkeit der Bestimmung: wie der Sohn nichts tut, als was er den Vater tun sieht, und dennoch der Vater den Sohn immerdar erhöht.
Nur innerhalb dieses Liebesverhältnisses versteht sich dann auch die ganze Breite der Wahlmöglichkeiten, die sämtlich Spielformen der einzigen Analogia electionis bleiben: Ob es mehr Gott allein ist, der die Wahl bis ins Konkrete, Einzelne trifft, und die Liebe des Menschen sich als «passive» Wahl dieser Wahl äußert, oder ob Gott die menschliche Entscheidung innerhalb der Liebe und der Hingabe «aktiver» in seinen Wahlakt einbezieht, um die Einheit der Analogie auf diese Weise herzustellen: Keine dieser Spielformen steht grundsätzlich höher als die andere, und keine ist scharf von der anderen abgrenzbar (was doch der Fall sein müsste, wenn man sie außerhalb des Übernatürlichen und Trinitarischen betrachten würde, wo dann Gott entweder selber wählen oder den Menschen wählen lassen würde, wo man also die Menschen in zwei Kategorien einteilen müsste: solche, für die Gott wählt und solche, die selber wählen dürfen). Auch die Spannung zwischen Müssen und Dürfen in der Wahl bleibt eine relative; man ersieht es aus dem trinitarischen Verhältnis des Sohnes, dem der Wille des Vaters ebensosehr Rat, Wunsch (placitum), als Gebot (mandatum) ist. Überall braucht es hier den augustinischen Freiheitsbegriff, der die je größere Freiheit des Menschen in der je größeren gnadenhaften Partizipation an der Freiheit Gottes erblickt. Etwas anderes würde nur zu verzerrenden Anthropomorphismen in der Deutung der Wahl führen. Schließlich sind die von Ignatius angegebenen verschiedenen Wahlmodi (175-188) nicht als Verschiedenheit der Wahlinhalte zu deuten, auch dann nicht, wenn die «erste Zeit» mehr Affinität zu einer prävalenten Wahlpassivität des Menschen, die «dritte Zeit» zu einer prävalenten Wahlaktivität des Menschen innerhalb der einen, unteilbaren Analogia electionis besitzt. Das Vorhandensein der «zweiten Zeit» genügt, um die angedeutete Zweiteilung zu verunmöglichen.↩
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