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Ich bin die Magd des Herrn
Sie ist die Auserwählte, die der Erscheinung des Engels gewürdigt wird. Aber indem sie sich selbst als die Magd des Herrn bezeichnet, unterstreicht sie, daß ihre Auserwählung für sie wie ein Zufall ist, daß jede andere Frau an ihrer Stelle hätte auserwählt werden können, weil jede Frau Magd ist und Magd sein kann. Indem sie dem Engel ihr Jawort gibt, stellt sie sich zurück in den Rang aller Knechte und Mägde des Herrn, an den Platz, wo man dient und nur dient. Sie hält diesen Platz nicht besetzt durch ihre Auserwählung, sie versperrt ihn nicht, sie öffnet ihn vielmehr für alle. Indem sie als Auserwählte sich als Magd bezeichnet, prägt sie alle Knechte und Mägde zu Auserwählten. Sie hofft, ihr Wort im Namen aller, die glauben und dienen wollen, sagen zu können. Sie tritt zurück in die Anonymität des Dienstes – da alle andern auch dienen sollten –, aber sie schenkt dabei dem Dienst der Anonymität: jene christliche Bereitschaft, die alles einbegreift, was der Herr verfügen kann, die keine Grenzen, keine Differenzen, keine Einschränkungen und Vorbehalte kennt, keine charakterlichen und persönlichen Prägungen und Forderungen, die so grenzenlos ist, daß sie anonym wirkt, anonym ist. Sie verkörpert den Dienst in seiner Reingestalt; sie läßt alle ihre übrigen Eigenschaften und Vorzüge untergehen in dieser einen Eigenschaft: Magd des Herrn zu sein. Und wie diese Bereitschaft alles einbegreift, was der Herr wollen kann, so umfaßt sie notwendig, stützt und formt die Bereitschaft jeder andern Frau, jedes andern Menschen zu irgend einer bestimmten und begrenzten Forderung Gottes.
Und Maria weiß, daß es Liebe ist, daß es um das Intimste ihrer selbst geht, um ihr persönlichstes Geheimnis, ihre eigenste Fruchtbarkeit. Aber indem sie sich magdlich, nicht eigentlich bräutlich hingibt, vollzieht sie Akt und Wille der Hingabe schon im Namen der Kirche, im Namen aller, die zur Gemeinschaft der Heiligen gehören. Die unendlich liebende Bewegung, mit der sie sich fraulich dem Geiste hingibt und öffnet, damit er sie überschatte, fällt vollkommen zusammen mit der Bewegung, in der sie alle einladet, an ihrem Magdtum teilzunehmen, in der sie ihr persönliches Geheimnis als ein kirchliches versteht und es dadurch zu einem kirchlichen macht. Ihr Gespräch mit dem Engel ist ganz intim und persönlich, und es könnte scheinen, als ob der Dienst, zu dem sie sich in diesem Gespräch bereit erklärt, ganz innerhalb dieser intimen, verborgenen Sphäre sich abspielen müßte. Aber weil sie in ihrem Jawort keinerlei Grenzen zieht, darum erstreckt sich ihre Bereitschaft und ihr Dienst vom Innersten bis zum Äußerlichsten, vom Persönlichsten bis zum Allgemeinsten, vom Höchsten bis zum Niedrigsten. Es wird genau so zu ihrem Dienst gehören, den Tisch für ihre Angehörigen zu decken, als den Heiligen Geist zu empfangen. Der neue Gehorsam, in den sie hineingenommen ist, steht in keinem Gegensatz zu ihrem bisherigen und künftigen irdischen Dienst und Gehorsam; sie ist Braut Josefs und Gefäß Gottes in einer Einheit, und diese Einheit wird durch ihr Magdsein gebildet. Er ist so mächtig, daß er sogar die Grenzen zwischen ihr und andern Dienenden sprengt, ja zwischen Himmel und Erde. Der Engel kommt vom Himmel, aber indem sie ihn aufnimmt in ihre Aufgabe, in ihren Dienst, nimmt sie den Himmel durch ihn auf, um diesen auf Erden weiterzuschenken.
Und dieser Himmel hat zuletzt den Namen: Wort Gottes, Sohn des Allerhöchsten. Diesen trägt sie als den Himmel in sich, einen, der selbst wieder gekommen ist nicht um zu herrschen, sondern um zu dienen, um Knecht des Vaters zu sein, einen, der in seinem Dienst selbst wieder einen Himmel, den des Vaters, in sich trägt. Und diese beiden Himmel, der der Mutter, und der des Sohnes sind ein Himmel. Das Geheimnis des Sohnes, der Mensch wird, vereint sich mit ihrem Magdgeheimnis zu einem einzigen Geheimnis und von diesem Geheimnis, das in sich wie eine Doppelung, eine Spiegelung, eine gegenseitige Bedingung enthält, geht jede Einheit des Gehorsams in der Kirche und in einem christlichen Leben aus. Der Gehorsam erhält jetzt wie eine innere Bewegtheit, aus der seine Einheit entsteht und geschenkt wird: Der Gehorsam des Sohnes und der Gehorsam der Mutter passen sich gegenseitig an in einer steten Hingabe zum Vater hin. Aus dieser Bewegtheit, die ewig lebendig bleibt, wird alles geboren, was auf Erden fruchtbar ist.
Die Magdlichkeit der Mutter ist fruchtbar, weil ihr Dienst eine echte Leistung ist, jene Leistung, die am Anfang jeder Leistung steht und jede spätere Leistung aus sich hervorgehen läßt. Die Leistung ihres vollkommenen, allbereiten Jawortes ist die Gewähr dafür, daß das Wort Gottes in ihr lebendig bleibt und wächst. Und die Weite des Anfangs wird durch die späteren einzelnen Leistungen nicht eingeengt. Weil alle Grenzen im Dienst ein für allemal gefallen sind, kann man diesen Dienst auch nicht in Sektoren einteilen: einen geistlichen und einen weltlichen, einen himmlischen und einen irdischen. Alles begibt sich auf der gleichen Ebene: das Außergewöhnlichste und das Alltäglichste. In jeder Geste, die der Gehorsam verlangt, kann von Gott das Höchste und das Niedrigste gewollt sein, und es ist nicht Sache des Dienenden, dies zu ermessen und zu verbuchen. Magd sein ist das Letzte, das Unüberholbarste. Das ist die Genialität Marias, daß sie sich nicht als Mutter oder Braut oder Helferin bezeichnet, sondern als Magd, und darin jeden Dienst einschließt, der Gott recht sein kann. Er kann aus ihr alles formen.
Und weil die Magd weiß, daß alles, was der Herr verlangen wird, innerhalb ihres Dienstes steht, darum besteht von ihr zu ihm ein grenzenloses Vertrauensverhältnis. Und je mehr der Herr weiß, daß er dieser Magd vertrauen kann, um so unbeschränkter überläßt er ihr auch die Verfügung über sein Haus und seine Güter. Wird eine neue Magd eingestellt, dann zeigt ihr der Herr die Zimmer, die Kästen, die Wäsche, und indem er ihr alles zeigt, alles öffnet, bekundet er sein Vertrauen und seine Erwartung, daß die Magd von jetzt an alles in seinem Sinne besorgen und verwalten wird. Es wird sehr weniger Fragen bedürfen, weil sich immer mehr alles aus dem Dienst selber ergeben wird. Und je besser die Magd in den Dienst eingearbeitet ist, um so weniger bedarf es ihr gegenüber äußerer Führungen und Anweisungen. Das heißt aber nur, daß die innere Führung eine vollkommene ist. Maria aber steht in der inneren Führung ihres Sohnes, weil sie von Anbeginn an den ganzen Dienst aufnimmt.
Innerhalb dieser Ganzheit des Dienstes gleichen sich alle Unterschiede aus. Die Unterschiede der Sendungen: Zuerst ist Maria dem Engel begegnet, ihm hat sie das Jawort an Gott übermittelt, dann hat sie durch den Geist den Sohn empfangen. Ihre Sendung, die Sendung des Engels und die des Herrn sind verschiedene Sendungen. Aber ihr Dienst ist der gleiche: Der Dienst des Engels und der Dienst der Mutter gehen auf im einen Dienst des Sohnes am Vater. Und indem die Mutter nichts anderes sein will als Magd, bekundet sie, daß sie ihren Dienst von dem des Sohnes nicht unterscheiden will.
Der Engel ist gleichsam der erste christliche Seelenführer; er ist auf eine Seele gestoßen, die sich führen lassen will, die von nichts anderem leben will, als vom Dienst des Herrn, und er führt diese Seele zum Herrn. Sonst hat ein Seelenführer zunächst die Frage der Standes- und Berufswahl zu klären. Aber der Dienst Marias steht diesseits und jenseits aller Wahl. Der Engel (und Gott durch ihn) hat für sie den vollkommenen Dienst am Herrn gewählt, so vollkommen und so grenzenlos, daß sie ihm mit ihrem Leib wie mit ihrer Seele dienen wird, mit ihrer Mutterschaft wie mit ihrer Jungfräulichkeit, im Weltstand wie im Ordensstand. Sie ist so sehr nur die Magd des Herrn, daß der Herr für sie eine grenzenlose Wahl getroffen hat, jenseits aller einschränkenden Entweder – Oder. Aber weil der Dienst einer Magd jeweils ein bestimmter, einzelner sein muß, darum ist der Dienst Marias ein wechselnder: Einmal wird sie als Mutter verwendet, dann als Braut, dann wieder als Schoß der Kirche, als Mittlerin dieses und einmal jenes Standes. Und weil der, der den Dienst gestaltet, der göttliche Sohn ist, darum wird dieser Dienst in die Unübersichtlichkeit des göttlichen Je-mehr hineingesteigert, abgelöst von allen irdischen Gesetzen und Wahrscheinlichkeiten – so will der Herr sie zuerst als Mutter und nachher, wenn sie älter geworden sein wird, als Braut – nur noch abhängig von den himmlischen Gesetzen, die aber so sehr Gesetze der Liebe bleiben, daß man sie nicht anders empfangen kann als in der vollkommenen Unterwerfung der Magd.
Adrienne von Speyr
Titolo originale
Ich bin die Magd des Herrn
Ottieni
Dati
Lingua:
Tedesco
Lingua originale:
TedescoCasa editrice:
Saint John PublicationsAnno:
2023Tipo:
Articolo