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Weltliche Schönheit und göttliche Herrlichkeit
1. Zur Bestimmung von Schönheit und Herrlichkeit
Schönheit gehört zusammen mit Einheit, Wahrheit und Gutheit zu den sogenannten «transzendentalen Eigenschaften» aller Seienden und damit des Seins selbst, wobei sogleich hinzuzufügen ist, daß alles geschaffene Sein nur analog mit dem absoluten göttlichen Sein übereinkommt, so nämlich, daß «die Verschiedenheit» zwischen ihnen «größer ist als die Ähnlichkeit» (IV. Lateranense, DS 806). Dem, was im geschaffenen Sein als «Schönheit» bezeichnet wird, entspricht in der Übererhabenheit des göttlichen Seins, was als «Herrlichkeit» (kabod, doxa, gloria) bezeichnet werden kann.
Für alles über das Verhältnis beider zu Sagende ist wesentlich, daß über transzendentale Eigenschaften des Seins als solchen, die oberhalb aller Kategorien sind, auch keine (adäquaten) begrifflichen Aussagen gemacht werden können. Wenn wir aber notwendig in Begriffen denken und uns ausdrücken müssen, so lassen sich Einheit, Wahrheit, Gutheit, Schönheit nicht anders als in einem von vielen Seiten her annähernden, konvergierenden Denken erfassen. Sie sind uns zwar keineswegs unbekannt, da sie ja in jedem Seienden, wenn auch in verschiedenen Stufen und Erscheinungsformen vorhanden sind, aber eben nicht durch abgrenzende De-finitionen bestimmbar, da das Sein als solches die Begrenzungen der Wesenheiten übersteigt. Daß sie all unsern Urteilen als etwas Vertrautes zugrunde liegen, ersehen wir wohl am deutlichsten daraus, daß wir Verfehlungen gegen ihr «Wesen» durchaus an diesem bemessen: Lüge bestimmen wir als einen Verstoß gegen die Wahrheit, Bosheit als einen solchen gegen die Güte, Scherben als einen solchen gegen die Einheit, Häßlichkeit und Kitsch als einen solchen gegen die Schönheit. Da die Transzendentalien alles Sein durchwalten, folgt daraus, daß sie gegeneinander keine Grenzen aufweisen, sondern einander durchdringen; so gibt es eine bestimmte «Güte» und «Schönheit» der Wahrheit usf. Wenn die mittelalterlichen Denker dem Begriff des ordo (oder auch der rectitudo) einen so zentralen Platz einräumten, so deshalb, weil daran etwas von diesem Ineinandersein der verschiedenen Grundaspekte des Seins als solchen ansichtig wurde.
Vom göttlichen Sein, woher sich alles Geschöpfliche herleitet, das wir als die übererhabene, alles Endliche durchwaltende Wirklichkeit nur erahnen können, das sich uns aber in seiner Selbsthingabe in Jesus Christus (und allem, was zu ihm hinführt und von ihm herkommt) tiefer erschließt, muß etwas Analoges gelten. Man erkennt das sehr schön an der Art, wie schon im Alten Testament die Grundaspekte Gottes einander alle durchdringen und gegenseitig einschließen: Gottes Wahrheit und Wahrhaftigkeit (emet) ist immer auch sein Rechtsein (sedek) und seine huldvolle Güte (chesed), und in alldem leuchtet seine einzigartige göttliche Herrlichkeit (kabod) auf. Dies ist nicht nur in einer Eigentümlichkeit der hebräischen Sprache begründet, sondern objektiv in der Einheit des göttlichen Wesens.
Aus dem Gesagten ergibt sich sowohl eine Verwandtschaft zwischen weltlicher Schönheit und göttlicher Herrlichkeit wie auch deren (größere) Verschiedenheit. Weltliche Schönheit erscheint nie anders als begrenzt durch ein endliches Wesen oder durch die harmonische Zuordnung endlicher Wesen zueinander, während Gott, sowohl als das absolute Sein wie als das unendliche Wesen betrachtet – beides sind Aspekte des einen, ewigen Lebens –‚ immer in einem Ganz-anders-Sein seiner alles überragenden und durchwaltenden, unteilbaren Herrlichkeit aufleuchtet.
2. Herrlichkeit erhaben über Schönheit
Die biblischen Worte, die Gottes Herrlichkeit umschreiben, wollen alle deren Erhabenheit und Einzigartigkeit ausdrücken. Es ist bedeutsam, daß das Wort kabod ursprünglich nicht die Vorstellung des strahlenden Lichtes erwecken will (wie das griechische doxa und das lateinische gloria), sondern die Gewichtigkeit einer Person, ihr Ansehen, ihre Ehre, gleichsam ihre geistige Ausstrahlung, wovonher sich dann auch die sinnenhafte Strahlung herleitet. H. Schlier sucht deshalb doxa durch «Machtglanz» zu übersetzen.
«Natürliche» Religionen werden, wenn sie sich ein Bild von Gott zu machen suchen, nicht so sehr einen idealisierten Menschen als Vor-Bild nehmen, sondern das irgendwie «andere», vielleicht das Grausen-Erregende, das mehr den Abstand als die Nähe kundtut (gewisse chinesische, indische, minoische, präkolumbianische, ozeanische Götterdarstellungen). Wenn das Göttliche in einem absoluten Herrscher erscheint, so sind dessen Standbilder wie in Ägypten überdimensional, wenn der Pharao zugleich mit einem Gott abgebildet wird, muß der letztere durch einen (menschlich-tierischen) Mischleib verfremdet werden. Auf die Mißbildungen der Religion – in Richtung Fetischismus oder bloßen Anthropomorphismus – braucht hier nicht eingegangen zu werden.
Die biblische Religion stellt sehr bezeichnenderweise zu Beginn das Bilderverbot auf. Der Mensch kann nicht von sich her die göttliche Herrlichkeit in eine endliche Gestalt einfangen, und er soll es auch nicht versuchen. Er soll den zentralen Platz im Heiligtum für dessen Gegenwart leer lassen und darin höchstens die an den gnädigen Bund Gottes mit ihm gemahnenden Gegenstände aufstellen. Dies negative Moment in Israel hat mit den Negationen der Mystik der heidnischen Religionen nichts zu tun. Diese sind ein Produkt menschlich-religiöser Reflexion, die erkennt, daß es besser ist, alle noch so verfremdeten Verbildlichungen des absoluten, gestaltlosen Seins wegzulassen. In Israel ist das Bilderverbot von Gott selber erlassen, der sich vorbehält, zu der ihm genehmen Zeit sich die Gestalt selber zu wählen, in der er zu erscheinen geruht. Die vorläufige Erscheinung am Sinai ist nach dem Deuteronomium nichts als gestaltloses Feuer (inmitten eines verdunkelten Himmels), woraus nur eine Stimme ertönt (4, 11f.). Deshalb: «Nehmt euch sehr in acht: da ihr keinerlei Gestalt gesehen habt am Tag, da Jahwe am Horeb aus dem Feuer heraus zu euch sprach, so sündigt nicht, indem ihr euch ein geschnitztes Bild macht» von irgendeinem Tier oder Menschen oder Gestirn (4, 15-19). Der Drang, wie andere Völker seine anschaulichen Götter zu haben, hat Israel immer wieder zum «Ehebruch» Jahwe gegenüber verleitet, anfangs ganz materiell, nach dem Exil aber durch jene Vermenschlichung des Gesetzes, die ein geistiges Greifenwollen nach Gott war und von Jesus, dem von Gott schließlich gewählten «Bild», nachdrücklich verworfen wurde, der aber schließlich diesem Bilderkult selber zum Opfer fiel.
Gott wollte seine ganz-andere Herrlichkeit unter den Menschen nicht durch ein Über-Bild, sondern durch ein Unter-Bild erscheinen lassen – in Erfüllung der Weissagung, daß der Knecht Jahwes «weder Gestalt noch Schönheit» haben werde (Jes 53,2) – weil Jesus die Mißgestalt der Weltsünde auf sich selbst laden und «hinwegtragen» sollte, um so die unfaßliche, unvermutbare Herrlichkeit der absoluten (dreieinigen) Liebe in der Welt und ihrer Geschichte zum Leuchten zu bringen. In dem unauflöslichen Paradox von Verwerfung durch die Menschen (Kreuz) und Anerkennung durch Gott (Auferstehung) blitzt der göttliche kabod einmalig, endgültig, eschatologisch, das heißt unüberholbar auf. Paulus kann sich nicht genugtun, auf dieses Paradox der in Christus erschienenen Herrlichkeit hinzuweisen, das fortan auch das Grundmerkmal des Lebens eines Zeugen Christi sein wird, in dessen Dasein Gott sein «Bild» einprägt. Wenn Johannes abschließend den Satz wagt, daß Gott die Liebe ist, dann ist dieser Satz für ihn keinen Augenblick ablösbar von der Preisgabe des Sohnes durch den Vater bis zum stellvertretenden Sühnetod für die Sünder, und kein anderer Heiliger Geist Gottes wird den Christen und der Welt vermittelt als dieser Hingabegeist.
3. Übersetzung von Herrlichkeit in Schönheit
Das Gesagte läßt die abgrundtiefe Problematik der Transposition dieser Herrlichkeit (von Kreuz und Auferstehung, aber auch von allem, was mit diesem Zentrum der Heilsgeschichte innerlich zusammenhängt, als Erscheinung der absoluten Herrlichkeit der Liebe) in weltliche Schönheit ahnen. Zum Wesen dieser Schönheit gehört es, allen Verzweckungen überlegen «selig in sich selbst zu scheinen» (Mörike), somit ein höchster Abglanz des Göttlich-Absoluten in der Welt zu sein; und nun soll diese weltliche Schönheit doch zum «Zweck» haben, die ihr überlegene, ganz andere Herrlichkeit Gottes – die zudem im Paradox der Gestaltlosigkeit des Kreuzes erscheint – abzubilden. Kann so etwas wie «christliche Kunst» überhaupt gelingen? Der durch die Geschichte immer neu aufflackernde Ikonoklasmus wird nein sagen, zumindest das Fragezeichen unterstreichen. Dennoch ist Gott in seinem wahren Bild (eikōn: Röm 8,29; 1 Kor 15,49; 2 Kor 3,18; 4, 4; Kol 3,10), das sein Sohn ist, in Menschengestalt erschienen. Aber dieses Erscheinen «in der Gleichgestalt der Menschen» war schon eine «Ausleerung seiner selbst» ins «Schema Mensch», die «bis zum Tod am Kreuz» führte (Phil 2,7f.): Dies müßte im Schönheitsbild mit verdeutlicht werden. Ist das möglich?
Es wird hier einer ganz scharfen Unterscheidung der Geister bedürfen. Wann und wie wird christliche Kunst wirklich transparent auf das, was in Wahrheit dargestellt werden soll: durch Schönheit hindurch die dreieinige Liebesherrlichkeit? Und wann absorbiert sie gleichsam die letztere in sich selbst, um ihre eigene allzu irdische Selbst-«Herrlichkeit» zu steigern? Hier Diagnosen zu stellen ist ein fürchtenswertes Geschäft.
Es gibt gewiß eine Sphäre, worin christliche Kunstversuche durch ihre Primitivität (Bauernkunst) oder Naivität (bis hin zur subtilen Naivität eines Fra Angelico) glaubhaft wirken. Es gibt die Welt der Ikonen, die zumeist um den Preis einer gewissen Desinkarnation auf die göttliche Herrlichkeit hinlenken, aber auch sie bedürfen der Geistunterscheidung, wenn sie in das Pathos gewisser byzantinischer und zumal serbischer Kunst übergehen. Wir werden auch sehr achtgeben müssen, daß wir Kunstwerke nicht nach dem Eindruck, den sie auf uns im 20. Jahrhundert machen, sondern gemäß dem Empfinden ihrer Entstehungszeit einschätzen. Der mittelalterliche Choral hat damals ganz andere Emotionen geweckt als heute. Aber nicht alles in der großen Kunst bleibt zweideutig – wie es zum Beispiel alle christlichen «Titanismen» sind, aber auch alle Süßigkeiten, die uns den Himmel unmittelbar schmecken lassen wollen –‚ es gelingen wohl immer wieder echte und fromme Transparenzen, auch wo alle Register der irdischen Schönheitsorgel gezogen werden: Bachs h-moll-Messe, Mozarts unvollendete große Messe, Rouault, Messiaen… Dazwischen aber eine aufregende weite Zone von Meisterwerken, die das Transzendieren vom Schönen zum Herrlichen irgendwie technisch zu beherrschen scheinen, während uns doch gerade das Hinreißen-Können einen Warnungsruf hören läßt: Man widersteht dem «Abendmahl», der «Kreuzigung», dem «Moses» Tintorettos (um nur ein Beispiel unter vielen anderen zu nehmen) so schwer wie einem Meisterwerk Shakespeares, dem wir die religiöse, christliche Komponente («Maß für Maß»!) ebensowenig wie jenen absprechen werden.
Unterscheidung der Geister nicht nur für den Betrachter der Kunst und zu seinem Heil, sondern schon objektiv für das Kunstwerk selbst. Verlangt ist dabei vom Betrachter eine zugleich ästhetische und religiöse Erziehung. Schließen wir mit einem letzten Beispiel: der Kolmarer «Kreuzigung» Grünewalds. Höchstes Können (Kunst kommt von Können) in den Dienst des höchsten Grauens gestellt, aber seltsam genug wird hier – im Gegensatz zu so vielen anderen Grauen-Kruzifixen – eine Demut des Malers fühlbar, der hinter dem alleinigen Kunstwerk Gottes verschwindet, und diese christliche Qualität läßt es zu, daß durch das Gräßliche dieses Gekreuzigten, durch die scheinbare Abwesenheit aller Schönheit das flammende Rätsel der göttlichen Liebesherrlichkeit hervorbricht: fulget crucis mysterium.
Selten gelingt dies, aber es kann gelingen.

Hans Urs von Balthasar
Titolo originale
Weltliche Schönheit und göttliche Herrlichkeit
Ottieni
Dati
Lingua:
Tedesco
Lingua originale:
TedescoCasa editrice:
Saint John PublicationsAnno:
2025Tipo:
Articolo