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Jesus und das Verzeihen
I. Zur Ortung der Frage
«Schuld» und deren Abgeltung gibt es überall, wo es persönliches Gewissen und soziale Ordnung gibt: so auch in den asiatischen «Religionen», die keinen persönlichen Gott, sondern nur das Karma kennen, so auch in den afrikanischen, in denen das Bewußtsein von Scham und Schuld vor allem der Gemeinschaft gegenüber wach ist, aber darin auch das Gefühl für eine Störung der Gesamtharmonie der Welt und der in ihr waltenden Kräfte. «Sünde» dagegen gibt es nur in den biblischen Religionen, zu denen hier der vom Alten und Neuen Testament so stark geprägte Islam zu zählen ist, und in denen ein persönlicher Gott (unmittelbar oder weltlich vermittelt) Verzeihung schenkt. Für diese drei Religionen gilt das Paradox, daß Gott aus freier Gnade und nicht aufgrund menschlicher Buß-Leistungen verzeiht, daß aber dieses Verzeihen ohne die büßende Umkehr des Menschen nicht wirksam werden kann. Für den Islam gilt: «Gott ist zwar barmherzig und bereit zu vergeben, wie der Koran in unzähligen Versen wiederholt. Aber der Mensch kann kein Recht auf diese Vergebung erheben, denn Gott vergibt alle Sünden, wem er will. So muß der Mensch Gott um Vergebung bitten und nach der Umkehr seinen Glauben durch gute Werke bezeugen.» Zudem sagt der Koran ausdrücklich: «Wer könnte Sünden vergeben außer Gott?»1 Im Judentum liegen die Dinge insofern komplizierter, als das freie Verzeihen Gottes sich selbst an den Ritus des sühnenden Sündopfers geknüpft hat, und zwar immer ausdrücklicher,2 wobei freilich die Deutung dieser Verknüpfung kontrovers bleibt. Zentral bleibt die Aussage in Lev 17,10-12 und darin Vers 11: «Die Seele des Fleisches ist im Blut, und ich habe es euch für den Altar gegeben, damit es eure Seelen entsündige, denn das Blut entsühnt durch das in ihm liegende Leben» (oder, weniger wahrscheinlich: «denn das Blut entsühnt für ein Leben»). Einigkeit besteht darin, daß das (lebenenthaltende) Blut Gott gehört (weshalb der Mensch es weder vergießen noch genießen darf), und daß er es als ein Sühnemittel dem Kult übergeben hat. «Ohne solchen sichtbaren abgeschlossenen Vorgang wüßte Israel nicht, ob JHWH ihm wirklich vergeben hat … Das sichtbar Vollzogene (ist) das Gewisse.» Aber «das Geschenk Gottes schließt die Forderung einer Gabe Israels ein», die die «Realisierung» des freien Geschenkes Gottes bezeugt.3 Kontrovers bleibt, ob (etwa im Ritus des Sündenbocks) die «materia peccati» vom Schuldigen auf das zu tötende Opfertier «abgewälzt» wird,4 oder ob eine (mehr personale) Identifizierung des Schuldigen mit dem hingegebenen Tier anzusetzen ist.5 Doch dürften sich die beiden Theologien, wenn man auf das damalige weniger differenzierte Bewußtsein Israels achtet, auch vereinigen lassen.6
Wie von selbst deuten diese nur kurz angedeuteten alttestamentlichen Ansätze auf die ganze Problematik der neutestamentlichen Deutungen des Zusammenhangs zwischen Jesus (und vor allem seinem Kreuz) und dem Sühne- und Stellvertretungsgedanken voraus. Es empfiehlt sich aber, nicht unmittelbar beim «historischen Jesus» und seinem Verhältnis zu den Sündern anzusetzen, sondern bei der späteren neutestamentlichen Theologie, um schrittweise – vom Hebräerbrief zu Paulus und Johannes und erst von hier aus zu Jesus zurückzugehen. Der umgekehrte Weg könnte vielleicht zum Ergebnis führen, daß Jesus weder seinen Tod als Sühne aufgefaßt noch selber Sünden vergeben hat; die Folgerung wäre dann, daß die nachösterliche Theologie eine nachträgliche Ideologisierung (und damit Verfälschung) ursprünglicher Gegebenheiten wäre. Ob freilich der von uns vorgeschlagene Weg besser zum Ursprünglichen führt, muß erst sein Begehen erweisen.
II. Zum Hebräerbrief
Der Hebräerbrief ist vor allem daran interessiert, in allen aufgewiesenen Parallelen zwischen alttestamentlicher und christlicher Versöhnung den größeren Unterschied herauszuheben. Wir können aus den kunstvoll verflochtenen Motiven nur wenige aufgreifen.
1. Der «Nachlaß der Sünden»,7 ihre «Ungültigkeitserklärung»8 erfolgt wie im Alten Bund zusammen mit einem «versöhnenden» oder «sühnenden» Geschehen,9 dem Leiden des Gottessohnes für das sündige Volk, das er vor Gott repräsentiert, und die Parallele wird vor allem in der Vergießung des Blutes gesehen, ohne welche «es keinen Nachlaß gibt» (9,22). Doch sogleich springt der Gegensatz auf: «Das Blut von Böcken und Stieren und die zur Befreiung dienende Asche einer jungen Kuh» konnten nichts weiter als rituelle Reinigung schaffen, während «das Blut Christi, der durch den ewigen Geist sich selbst makellos dargebracht hat, unser Gewissen reinigen kann» (9,13f.). Was im Alten Bund unmöglich war, daß Priester und (den Sünder stellvertretendes) Opfer identisch waren, das eben verwirklicht sich in Christus, der «durch sein eigenes Blut» als der wahre Priester bis zu Gott hindurchdringt und damit nicht zeitlich begrenzte (und nur innerzeitlich bleibende), sondern «ewige Erlösung»10 erlangt (9,12).
2. Hier zeigt sich der zweite Gegensatz, der jede Parallele hinter sich läßt: er liegt in dem «jährlich immer wieder» des alttestamentlichen Versöhnungstages (9,25), der nur eine innerzeitliche und deshalb nur auf Zeit gültige Erlösung bringen kann, und dem mächtig dröhnenden «ein für alle Mal»11 der Tat Jesu, das vielfach begründet wird. Dem fleischlich vererbbaren und damit je-endlichen Priestertum Aarons mit seinen «zahlreichen» amtenden Priestern tritt entgegen das «unvergängliche Priestertum, weil er (Jesus) in Ewigkeit bleibt» und deshalb «endgültig» zu retten vermag (7,24f.), als jener Priester, an den sich Gott mit einem «unabänderlichen» «Schwur» als den verheißenen Nachkommen Abrahams band (6,17), der deshalb nach dem Psalm 110 «Priester in Ewigkeit» bleibt.12 Jesus kann das sein, weil er von Ewigkeit der Sohn Gottes ist, der schon an der Schöpfung teilgenommen hat (1,2) und deshalb «das All regiert» (1,3) und die «umfassende Herrschaft darüber» «erbt». Entsprechend seiner Würde, die ihn über die Engel erhebt und ihm die Unterwerfung von allem zusichert (2,5.8), ist auch die durch ihn von Gott gewirkte Versöhnung eine qualitativ andere als die alttestamentliche; sie ist unüberholbar, auch wenn sie (wie der Brief immer wieder betont) vom Menschen durch Umkehr, Glaube, Unterwerfung personal angeeignet werden muß. Und die Überzeitlichkeit des göttlichen Verzeihens schließt auch seine Überräumlichkeit ein: Während Gottes Vergebung im Alten Bund nur in Israel aktuell wurde, ist sie jetzt universal geworden: sie gilt aufgrund des Todesleidens Jesu «für einen jeden» (2,9), für «alle Söhne (Gottes)» (2,10), für «die Vielen» (9,28), für «alle» (8,11). Ein paulinisches Hauptmotiv klingt hier weiter.
3. Daß aber im Alten wie im Neuen Bund die Versöhnung nach Gottes Ratschluß durch einen «Mittler» zu erfolgen hat, zeigt zunächst wieder die Parallele. Der alte Tempelkult mit seinen Priestern, Einrichtungen, Opfern war vermittelnd (9,1-10), aber nicht endgültig wirksam (10,11), weil er als ganzer nur «Schattenbild» des wahren himmlischen Kultes war (8,3-5). Jesu «Mittlertum» dagegen ist das des verheißenen «Neuen» (9,15; 12,24) und Ewigen «Bundes». Es ist aus zwei Gründen «vorzüglicher» als das Alte (8,6): aufgrund der vollen Menschwerdung des Sohnes, der nicht nur durch sein «Todesleiden» und seine «Versuchung» all seinen Brüdern gleichgeworden ist (2,9-14), sondern als der Sündelose (4,15) die Menschheit, mit der er solidarisch ist, wahrhaft vor Gott vertreten kann. Er hat also als Mittler beide Eigenschaften untrennbar: Würde und Autorität von Gott her und Solidarität mit der Menschheit.13 Anders gesagt: er ist (entsprechend dem alttestamentlich von Gott freigegebenen Blut) sowohl der von Gott selbst als «Werkzeug der Versöhnung»14 Eingesetzte wie der in Solidarität mit all seinen Menschenbrüdern und in Stellvertretung für sie Sühne Leistende.
III. Zu Paulus und Johannes
Auch hierzu nur ein paar wesentliche Akzente. Sowohl bei Paulus wie bei Johannes, die beide ihre Theologie von der Auferstehung Jesu her entwikkeln, bleiben die im Hebräerbrief aufgezeigten Motive. Formal vom Alten Bund her stammende Elemente bleiben unverändert bestehen: die Versöhnung mit der Welt ist das Werk Gottes allein (2 Kor 5,18), der dieses Werk in der Hingabe seines Sohnes an die Sünder vollbringt (Röm 8,32; Joh 3,16), bis dahin, daß der im Auftrag des Vaters sich freiwillig hingebende Sohn (Joh 10,17f.) zum Träger der Weltsünde wird (2 Kor 5,21; vgl. Gal 3,13), sie «hinwegträgt» (Joh 1,29) zur Offenbarung des universalen Heilswillens Gottes (1 Tim 2,4) und so selbst zum Ort des universalen Heils wird (Joh 12,32). Diese Universalität, die aus einer vagen Verheißung im Alten Bund zu einem durch die Auferstehung bewiesenen Faktum geworden ist, fordert zu ihrer Durchführung die Annahme durch den einzelnen in einem sein Leben verändernden Glauben (Röm 3,21-4,25; Joh 8,25; 1 Joh 5,4). Aber die beiden Momente stehen sich nicht mehr, wie im Alten Bund, unvermittelt gegenüber, sondern greifen ineinander, weil Jesus Christus sowohl von Gott her dessen fleischgewordenes Wort wie von den Menschen her der für alle Büßende ist.
Somit liegt der Hauptakzent beider Theologien auf dem, was Paulus mit Emphase das seit Ewigkeit her bis heute verborgene, jetzt aber offenbarte «Mysterium» nennt (Eph 3,1-13): daß nämlich die an Israel allein ergangene Bundesverheißung sich nunmehr in einer universalen Ausweitung auf die «Heiden», das heißt auf alle Völker erstreckt: Sie alle «sollen Miterben und Miteinverleibte und Mitgenossen der Verheißung sein in Christus Jesus» (Eph 3,6), weshalb Paulus schon im Römerbrief über das nur für Israel geltende Gesetz zurückgreift auf den für alle Menschen, Juden wie Heiden, vorbildlichen und verbindlichen Glauben Abrahams, auf dessen ausschließliche Vaterschaft sich die Juden nach Johannes vergeblich berufen (Joh 8,39: «Wenn ihr Kinder Abrahams seid, so tut auch die Taten Abrahams»).
Paulus reflektiert von der Auferstehung Jesu – für ihn doppelt gesichert durch sein eigenes Damaskuserlebnis wie durch die damit genau übereinstimmende Tradition (1 Kor 15,3-5) – auf die universale Bedeutung des Kreuzes hin, in welchem sich für ihn das Werk des irdischen Lebens Jesu zusammenfaßt: er versteht, daß Kreuz und Auferstehung zwei Seiten des einen Versöhnungsgeschehens Gottes sind, worin alle Menschen sich selbst enteignet (Röm 14,7-9; 2 Kor 5,14-15) und in die alles tragende Wirklichkeit Christi «hinüberversetzt» (Kol 1,13) worden sind. Sein ständiges Reden vom «Sein in Christus» ist ontologisch zu nehmen, ähnlich dem Insein in ihm, das Johannes am Weinstockgleichnis beschreibt.
Johannes reflektiert nicht nur auf das Kreuz, sondern auf das ganze irdische Leben Jesu zurück, das er im Licht der «Verherrlichung» Jesu in Kreuz wie in Auferstehung interpretiert: als die mannigfache Ausbildung des Glaubens, aber auch als die sich steigernde Dramatik des Unglaubens, die schließlich zur Kreuzigung führt. Doch auch für ihn ist schon damals der grundsätzliche Überschritt über das irdische Israel nicht erst Zukunft, sondern schon Gegenwart. Jesus, in dem «alles geschaffen ist» (Joh 1,3), ist schon jetzt «das Licht der Welt» (8,12), «das jeden Menschen beleuchtet» (1,9), das aber (wie bei Paulus) als die Krisis der vermeintlich sehenden Welt kam: «damit die Blinden sehend werden und die Sehenden blind» (9,39). Das im Evangelium in seiner Existenz geschilderte Für-Sein Jesu (10,16) wird im ersten Brief theologisch reflektiert: angesichts des Kreuzes darf man nicht mehr sündigen. «Wenn aber einer sündigt, so haben wir einen Fürsprecher beim Vater: Jesus Christus, den Gerechten. Er ist das Sühne(opfer) für unsere Sünden, und nicht allein für die unsern, sondern auch für die der ganzen Welt» (1 Joh 2,1-2).15 Werk Gottes in Christus und Antwort des Menschen spiegeln sich bei Johannes ineinander (ähnlich wie bei Paulus, Gal 2,19-20, die liebende Hingabe Christi und die glaubende Hingabe des Menschen): «Daran haben wir die (wahre, göttliche) Liebe16 erkannt, daß jener (Christus) sein Leben für uns geopfert hat: auch wir sind verpflichtet, für die Brüder das Leben zu opfern» (1 Joh 3,16).
Noch ein entscheidendes Merkmal der nachösterlichen Zeit ist zu erwähnen. An programmatischer Stelle und mit höchster Feierlichkeit verleiht der Auferstandene am Osterabend bei Johannes den Jüngern die Vollmacht, im Namen Gottes (des Dreieinigen, denn eben erhielten sie vom Sohn den Heiligen Geist) richterlich urteilend17 Sünden zu vergeben. Vor Ostern war solches in ihrem Vollmachtenkatalog (Mk 3,14) nicht vorgesehen, sondern einzig das Gebot, einander zu vergeben (Mt 5,23f.), und zwar immer wieder (Mt 18,22), damit es dem himmlischen Vater möglich werde, «eure Sünden zu vergeben» (Mk 11,25; vgl. Mt 18,35). Das Vorösterliche faßt sich programmatisch zusammen in der fünften Bitte des Herrengebets (Mt 6,12). In der apostolischen Zeit aber sehen wir die ersten Auswirkungen der neuen österlichen Vollmacht. Der Ton der Rede Petri, der zur Bekehrung auffordert, ist der Ton der Autorität (Apg 2,38; 3,19), ebenso seine «bindende» Rede an den Zauberer Simon (8,20f.). Den gleichen Klang hat die Rede Pauli an den Zauberer Elymas (13,10f.): in beiden Stellen ist das gewirkte leibliche Wunder wie bei den Wundern des Herrn Zeichen eines geistlichen Geschehens. Pauli Autorität des Bindens und Lösens wird in seinen Briefen hinreichend sichtbar (vgl. nur 2 Kor 10,4-6), aber bei ihm tritt gleichzeitig die Sorge hervor, sein apostolisches Handeln in Vollmacht nicht über den Kopf der Gemeinde hinweg, sondern möglichst im Verein mit ihrer Gesinnung auszuüben (vgl. dazu 1 Kor 6,3-5 für den Ausschluß des Unzüchtigen, 2 Kor 2,5-11 für die Wiederaufnahme eines Ausgeschlossenen, und grundsätzlich für die Einheit zwischen Autorität und gemeindlichem Einverständnis: 2 Kor 13,3-9).18 Wichtig ist, daß Paulus zweimal betont, seine ihm vom Herrn verliehene Vollmacht sei ihm – im Gegensatz zu der dem Propheten Jeremia übergebenen (Jer 1,10) – nicht zum Niederreißen, sondern einzig zum Aufbauen gegeben (2 Kor 10,8; 13,10).
Von hier aus können wir nun auf unser Hauptthema eingehen: wie verhielt sich Jesus vor Ostern zum «Verzeihen»: Hat er selber Sünden verziehen oder, wie es im Judentum üblich war, nur auf das Verzeihen Gottes verwiesen?
IV. Jesus und das Verzeihen
1. Daß Jesus immerfort (und angeblich im Gegensatz zur Botschaft des Täufers) auf das «bedingungslose» Verzeihen des Vaters hingewiesen hat, ist heute weithin ein exegetischer Gemeinplatz geworden. Die Frage freilich, ob dieses bedingungslose Verzeihen Gottes, das Jesus (wieder angeblich) vor allem den Sündern verkündet hätte, nicht auch bei ihm an die Bedingungen der effizienten Aufnahme dieses Verzeihens geknüpft war – Umkehr und Bereitschaft zu gegenseitigem Verzeihen –, wird weniger häufig erörtert.
Aber die heute brennend gewordene Frage lautet: Hat Jesus selber mit der Autorität Gottes Sünden verziehen? Anton Vögtle hat dies in einem psychologisch-apriorischen Gedankengang in immer neuen Anläufen19 zu leugnen versucht, worauf dann seine Schüler20 den exegetisch exakten Beweis dafür zu liefern unternahmen. Vögtle findet in einem Sündenvergeben Jesu einen inneren Widerspruch: «Ich bemühe mich (sagt Jesus) mit aller Kraft und Dringlichkeit darum, euch, die Söhne des Reiches, dem von mir verkündeten Heils- und Heiligkeitswillen Gottes zu erschließen. Aber ich weiß ja selbst, daß dieses Bemühen nicht nur keinen Erfolg hat, sondern rein objektiv auch gar nicht genügt … In Gottes Heilsplan ist eine weitere, und zwar entscheidende Bedingung für eure Heilserlangung vorgesehen, nämlich mein stellvertretendes Sühnesterben, … das zugleich die Voraussetzung für einen völligen Neuansatz der Heilsverkündigung begründet, nämlich unter Einbeziehung der Heidenvölker.»21 So werden dann die beiden (merkwürdig vereinzelten) Stellen Mk 2,1-12 (davon abhängig die Parallelen bei Mt und Lk) und Lk 7,36-50 als nachösterlich weg-exegesiert.22
Wir können die hier aufgeworfene Frage als nicht letzterheblich auf sich beruhen lassen, müssen uns bloß von der apriorischen Argumentation Vögtles distanzieren. Ohne Zweifel hat Jesus eine unbedingte Verzeihensbereitschaft seines himmlischen Vaters verkündigt, und gewiß auch in stärkerer Akzentuierung als der Täufer (wobei jedoch Jesu Gerichtsdrohungen nicht übersehen werden dürften!). Aber setzt er damit nicht, in einer gewissen Steigerung freilich, ein Gottesbild fort, das Israel schon vertraut war?23 Nicht durchaus. Zwar spricht er als der Messias Israels, als der er für die Zeit seines irdischen Lebens primär gesendet war (Mt 15,24), die überlieferte Sprache der Propheten, nämlich des doppelten Gerichts für Gerechte und für Sünder (am stärksten in der bei Matthäus abschließenden Gerichtsparabel 25,31ff.), aber kennzeichnend sind doch die Überschritte zu den Heiden (ihren größeren Glauben: Mt 8,10; 15,28), die schon seine Ärgernis erregende Antrittsrede in Nazaret ankündigt (Hinweis auf Naaman den Syrer und die Witwe von Sarepta Lk 4,25-27) und die der Zusammenhang zwischen dem Hinzutreten der Heiden und der Passionsverkündigung vollendet (Joh 12,20-24). Mt 12,80 wird nicht umsonst auf die weltweite Sendung des Gottesknechtes verwiesen (Jes 42,6).
2. Das sind Symptome dafür, daß der Hinweis Jesu auf das Verzeihen Gottes sich schon vorösterlich von den Propheten tief unterscheidet, vor allem durch das Gewicht seines eigenen Daseins.24 Zunächst ist es einfach unleugbar, daß Jesus, der um die Totalität seiner Sendung weiß, die in einem zeitlich begrenzten Leben schlechthin undurchführbar war, auf eine «Stunde» hinlebt, in welcher der Vater auf seine Art (die der Sohn weder im einzelnen genau zu wissen braucht noch wissen will und deshalb nicht antizipiert, aber als das Erschreckende kommen spürt, Lk 12,50) für die Durchführung der totalen Sendung sorgen wird. So gibt es bei Jesus von vornherein so etwas wie ein Mittragen von Sündenschuld, und nur unter diesem Gewicht verweist er auf das Verzeihen des Vaters. Jesus steht den Sündern nicht als ein Fremder, Schuldloser gegenüber; die noch zu nennende Solidarität mit ihnen hat, verbunden mit seiner überprophetischen Autorität, etwas an sich, was die Solidarität eines Jeremia oder Ezechiel mit der Schuld Israels noch nicht besaß. Diese Autorität prägt sein ganzes Dasein, insbesondere seine Predigt. In ihr verweist er nicht bloß auf Gott, gibt nicht nur dessen Wort durch (das prophetische «Spruch des Herrn»), sondern er vergegenwärtigt dieses Wort.
3. Sowohl die Macht seines Wortes wie dessen Inhalt bringen die Zuhörer auf den Weg der Absolution, deren vollendeter Vollzug das Paschamysterium sein wird. Die Qualität seines Wortes ist einmalig: «Nie hat einer geredet wie dieser» (Joh 7,46), «noch nie haben wir so etwas erlebt» (Mk 2,12); die Alternative des Wahnsinns (Mk 3,21) oder der Besessenheit (Mk 3,30) drängt sich auf. Wenn bei Johannes Jesus den Anspruch erhebt, unmittelbar das Wort des Vaters zu sein und die einzige Tür, die zum Heil führt, und er diese Aussage über eine letzte Hingabe des Vaters durch seine freie Selbsthingabe erläutert (Joh 10,17), wenn er ferner verspricht, daß die sein Wort Befolgenden in die Wahrheit und Freiheit gelangen werden (Joh 8,31f.), dann sind das ohne Zweifel Auswortungen der existentiellen Wirkung des Wortes Jesu auf seine Zuhörer. Es hat eine Art sakramentaler oder wunderwirkender Kraft an sich.
4. Jesu Wunder bestätigen das vollends. Sein menschliches Wort oder seine menschliche Gebärde bewirken sie, und wenn die Wirkung zunächst eine leibliche ist, so ist diese immer nur der Vordergrund, das Symbol einer geistigen. Die Beelzebub-Rede bezeugt das klar (Mt 12,22-29) und nicht minder die Wunder an Besessenen, die den Kranken gleichzeitig von einem schweren leiblichen und ebenso schweren geistigen Leiden befreien. So bei dem Kranken von Gerasa, dessen unreinem Geist er auszufahren befiehlt und dessen Heilung er Gott zuschreibt: «Geh heim zu den Deinen und erzähle ihnen, was der Herr dir Großes getan und wie er sich deiner erbarmt hat» (Mk 5,19), so bei der gekrümmten Frau, der er die Hände auflegt: «Du bist von deinem Siechtum er-löst» (apolelysai), und zu den Gegnern: «Sollte diese Tochter Abrahams, die der Satan schon volle achtzehn Jahre gebunden hat, nicht am Sabbat von dieser Fessel gelöst werden?» (Lk 13,11.16). Jesus ist bei diesen Heilungen nicht nur einer, auf dessen Wort hin Gott etwas tut, sondern er erleidet das durch ihn hindurch Erwirkte physisch: «Er war sich bewußt, daß eine Kraft von ihm ausgegangen war» (Mk 5,30, bei Lk 6,19 für alle Wunder verallgemeinert), der Kontakt mit seiner Leiblichkeit ist das Medium, durch welches Gott heilt (Mk 1,41; 3,10; 6,56; 8,22).25 Sowohl durch seine Predigt wie durch seine Wunder führt Jesus die Menschen in Richtung auf die vollkommene Disposition, das göttliche Verzeihen – durch seine endgültige Selbsthingabe am Kreuz hindurch – zu empfangen.
5. Noch ist ein Moment unerwähnt geblieben: Jesu präferentielle Hinwendung zu den «Zöllnern und Sündern» (Lk 7,34), mit denen er «sogar zusammen ißt» (Lk 15,2). Für sie und nicht für die sich gesund Dünkenden ist er als Arzt gekommen (Mt 9,12). «Der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren war» (Lk 19,10). Aber diese Hinwendung hat zu ihrem Motiv nicht (wie die politische Befreiungstheologie meint) das Vorziehen einer unterdrückten Menschenklasse, sondern das Gewinnen solcher, die in ihrer ihnen bewußten seelischen Not sich finden und retten lassen. Weder werden die Reichen gemieden, noch aus dem Heil ausgeschlossen, sie werden nur gewarnt. Noch werden die Pharisäer und Schriftgelehrten umgangen (Jesus wird ja mehr als einmal von ihnen zum Essen eingeladen), sie sind bloß seiner Lehre unzugänglich (vgl. das Gleichnis der beiden im Tempel und den Schluß des Gesprächs in Johannes 9: «Sind vielleicht auch wir blind?» «Wärt ihr blind, so wäret ihr vielleicht ohne Sünde. Nun aber sagt ihr: wir sehen. So bleibt eure Sünde.»). Die Solidarität Jesu mit den Sündern, die sich am Kreuz zwischen den zwei Räubern vollendet, ist eine solche, die er mit Menschen eingeht, welche ihre Schuld loswerden möchten, und die Jesus, diese Schuld sammelnd, am Kreuz endgültig auf sich nehmen wird. Exakter gesagt: er ist untrennbar beides: der vom Vater als der Arzt und Heiler mit göttlicher Autorität Gesandte – und der sich zu einer letzten Identität mit den Sündern Solidarisierende, wie die vor dem Kreuz erfolgende Einsetzung der Eucharistie vollends beweist. An einer Stelle könnte man bei Jesus so etwas sehen wie eine Präfiguration der paulinischen Einheit von Autorität und Gemeindesolidarität: in der Episode mit der Ehebrecherin (Joh 8). Jesu autoritäres Wort: «Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein» stellt so etwas wie eine Einheit der Gewissen her (schlechter Gewissen freilich!), der er sich an- und einschließt: «Wenn niemand dich verurteilt hat, werde auch ich es nicht tun.» Es ist in anderer Weise auch eine Präfiguration der von ihm verfügten Einheit zwischen dem amtlichen Binden und Lösen auf Erden, das im Himmel Gültigkeit haben wird.
6. Einen besonderen Platz nimmt Jesu Wort am Kreuz ein: «Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun» (Lk 23,33). Der diese Bitte äußert, weiß, daß der Vater ihn immer erhört (Joh 11,42), er also eine unfehlbare Bitte tut, um so mehr, als der Bittende zwischen den beiden andern Kreuzen jetzt die letzte Phase seiner Sendung durchlebt, in welcher er die Sünde der Welt (hinweg-)trägt (Joh 1,29). Er hat die Menschen und ihr Sündenbewußtsein kennengelernt: «Sie sind Wesen, die immerfort der Hilfe und Ermunterung bedürfen, die ohne Gottes Nachsicht zugrunde gehen müßten, die ganz und gar der Barmherzigkeit Gottes ausgeliefert sind. Sie sind nicht einmal stark genug, selber nach dieser Barmherzigkeit zu schreien, nicht einmal wissend genug, um deren Notwendigkeit einzusehen.» Jesus «weiß, daß sie nicht zur vollen Verantwortung gezogen werden können, und er hat daraus die Folgerung gezogen: er trägt die Verantwortung selbst» – und übergibt sie zugleich dem Vater. Aber «indem der Vater die Verantwortung für die Sendung des Sohnes übernommen hat, hat er sich an dessen Sendung gebunden … Der Sohn hat so lange den Willen des Vaters getan, bis der Vater zuletzt den Willen des Vaters tun muß.» «Und der Vater wird verzeihen, weil er die Bitten des Sohnes erfüllt und ihm alles daran liegt, daß die Sendung des Sohnes zu ihrer letzten Fülle gelange.» «Es ist die große Beichte, die der Sohn stellvertretend für die Menschheit ablegt. Indem er die Menschen entschuldigt, ihre Schuld vor dem Vater verhüllt, wird sie an ihm selber offenbar.» Aber der Vater erblickt nun die Weltschuld auf dem Schuldlosen, «und diese Schuldlosigkeit wird sich erst dadurch» in ihrer ganzen Fülle und Fruchtbarkeit «ergeben, daß das Kreuz sich in die kirchliche Beichte hinein verlängert und ausformt, worin auch den Menschen ihr Anteil geschenkt wird … an der Beichte des Sohnes, der sie aber bereits durch die Schuldübernahme vor dem Vater entlastet hat».26
Dem allem ist ein Letztes beizufügen, das den Abstand zwischen dem alttestamentlichen Sündenerlaß und der neutestamentlichen sakramentalen Beichte erst wirklich ins Licht setzt. Implizit liegt dieser Abstand schon im Vorgesagten, aber er muß zum Schluß ausdrücklich hervorgehoben werden. Im Alten Bund gibt es keine Analogie zu Christi mystischem Leib, in welchem «alle Glieder mitleiden, wenn ein Glied leidet» (1 Kor 12,26); es gibt dort nur die individuelle Schuld des einzelnen, die, gleichsam aus medizinischen Gründen, geahndet werden muß, damit sie nicht das ganze Volk anstecke. Im Neuen Bund, wo alle Glieder der Kirche durch die eucharistische und sühnende Gegenwart Christi von einer persönlichen Sünde mit-affiziert sind, wird die wesentlich soziale Auswirkung jeder persönlichen, nur scheinbar «privaten» Sünde des einzelnen Gliedes sichtbar. Die Kirche ist ein Organismus, in dem das Blut Christi, aber auch das Blut aller ihn Empfangenden kreist: vergiftetes Blut eines einzelnen bedroht und schädigt die Gesundheit des Ganzen.
Wo das kreisende Gift «tödlich» wird (in der «Sünde zum Tode» 1 Joh 5,16), da muß es im Neuen Testament ein anderes Heilmittel für den Sünder wie für die bedrohte kirchliche Gemeinschaft geben als im Alten Bund, wo durch das Gesetz der Schuldige einfach gesteinigt wurde (für Gotteslästerung Lev 24,14; 1 Kön 21,10ff., für Ehebruch Dt 22,21-24, für Molochsdienst und andere Abgötterei Lev 20,2; Dt 13,11; 17,5 usf.), nämlich eine objektive, der Kirche innerliche Gesetzgebung, die gleichzeitig (wie das Kreuz) ein Gericht und (nochmals wie das Kreuz) ein Ort der Vergebung und damit der Wiederversöhnung nicht nur mit Gott, sondern wesentlich auch mit dem mystischen Leib Christi ist: die von Jesus eingesetzte sakramentale Beichte. Sie muß einen Gerichtscharakter haben, weshalb der amtlich Befugte die Sünden «behalten» kann (im Hinblick auf eine künftige, bessere Vergebung), aber ebenso einen vom Kreuz her tilgenden Charakter: «Denen ihr die Sünden nachlaßt, denen sind sie nachgelassen» (Joh 20,23). Da alle Glieder von einer «tödlichen Sünde» betroffen sind, aber nicht alle den Nachlaß sprechen können, gibt es das Amt, das im Namen aller zu handeln befugt ist und sich dessen auch ausdrücklich bewußt sein soll (1 Kor 5,4).
- Adel Theodor Khoury, Schuld und Umkehr im Islam. In: M. Sievenich/K. Seif (Hrsg.), Schuld und Umkehr in den Weltreligionen. Mainz 1983, S. 81-82. S. 83 ein Gebet Muhammads (Koran 2,286), das nochmals wiederholt: «Keiner vergibt die Sünde außer dir … Keiner kann die Laster von mir entfernen außer dir!» Ders., Einführung in die Grundlagen des Islam. Graz/Wien/Köln ²1981.↩
- «Der nachexilische an dem Gedanken der Sühne orientierte Kult Israels stellt mit Recht das offenbarungsgeschichtliche Endstadium des allgemeinen Kultes in Israel dar.» H. Gese. Die Sühne. In: Zur biblischen Theologie. Alttestamentliche Vorträge. München 1977, S. 104.↩
- Adrian Schenker OP, Das Zeichen des Blutes und die Gewißheit der Vergebung im Alten Testament. In: «Münchener Theologische Zeitschrift» 34 (1983), S. 195-213, hier 201-202 (ausführliche internationale Literaturangaben).↩
- So Klaus Koch, Die israelitische Sühneanschauung und ihre historischen Wandlungen (1955).↩
- So H. Gese (Anm. 2) und sein Schüler B. Janowski, Sühne als Heilsgeschehen. Studien zur Sühnetheologie der Priesterschrift und zur Wurzel KPR im alten Orient und im Alten Testament. Neukirchen 1982. Zum Ganzen auch N. Hoffmann, Sühne. Zur Theologie der Stellvertretung. Einsiedeln 1981; ders., Kreuz und Trinität. Zur Theologie der Sühne. Einsiedeln 1982.↩
- H. Hübner, Sühne und Versöhnung. Anmerkungen zu einem umstrittenen Kapitel biblischer Theologie. In: «Kerygma und Dogma» 29 (1983-1984). S. 285-305.↩
- aphesis tōn hamartiōn (Hebr 9,22; 10,18) ist ein gemeinneutestamentlicher Ausdruck. Dazu: A. Kirchgässner, Erlösung und Sünde im Neuen Testament. Freiburg 1950, S. 101-126; 158-163.↩
- athetēsis tēs hamartias (Hebr 9,26) im Sinn von «Aufhebung».↩
- Hebr 2,17: Christus wird barmherziger Hoherpriester, «um die Sünden des Volkes zu sühnen». Aber das als «sühnen» übertragene Wort (hilaskomai) hat nicht den Sinn der «Umstimmung» einer zürnenden Gottheit, sondern heißt allgemeiner: «günstig stimmen», versöhnen, schließlich: das Verzeihen (Gottes) sich verwirklichen lassen. In diesem Sinn wird auch bei Johannes (1 Joh 2,2) Jesus das Sühnend-Versöhnende für unsere Sünden sein, und schon bei Paulus (entsprechend dem von Gott im Alten Bund dem Altar geschenkten Blut) das «von Gott selbst gesetzte Versöhnungsmahl» (Röm 3,25), was zur Grundaussage von 2 Kor 5,19 führt: «Gott selbst versöhnte in Christus die Welt mit sich.»↩
- Das hier mit Er-lösung übersetzte Wort lytrōsis besagt im profanen Bereich Loskauf (etwa von Gefangenen oder Sklaven). Christus «erreicht» von Gott die ewige Erlösung (9,12). Wieder ist es Gott selbst, der (nach Lk 1,68) «seinem Volk Erlösung bereitet» hat; ebenso (von Mose) Apg 7,35: «Ihn hat Gott zum Führer und Erlöser bestellt.»↩
- hapax: 6,4; 9,26.27.28; 10,2; 12,26.27; ephhapax: 7,27; 9,12; 10,10.↩
- Zitate 5,6.10; 6,20; 7.17.21.↩
- «L’ensemble de (l’) argumentation accentue la solidarité du médiateur et des contrahants de l’alliance …, elle serait donc nettement en faveur du caractère représentatif, et non vicaire, du sacrifice du Christ.» C. Spicq, Hébreux I (1952), S. 304, Anm. 4. Dabei aber wird die Idee der Stellvertretung durch die starke Betonung des Loskaufs sowie der den Menschen mitgeteilten Heiligung mit eingebracht.↩
- Röm 3,25.↩
- Für die nachösterliche Erlösungslehre genügt hier der Hinweis auf die umfassenden Darstellungen und Bibliographien von St. Lyonnet/L. Sabourin, Sin, Redemption and Sacrifice. A Biblical and Patristical Study. In: Anal. Bibl. 49 (Rom 1970). Für Johannes insbesondere: E. Malatesta, St. John’s Gospel 1920-1965. In: Anal. Bibl. 32 (Rom 1967). Für Paulus vgl. noch: Ph. Seidensticker, Lebendiges Opfern. In: Neutest. Abh. XX,1-3 (Münster 1954), J. Dupont, La réconciliation dans la théologie de St. Paul. Brügge-Paris 1953.↩
- Nach dem Gesamtzusammenhang bei Johannes: die Liebe sowohl des Vaters wie des Sohnes als die trinitarische Liebe: 1 Joh 4,8.16.↩
- Vgl. darüber die Ausführungen A. von Speyrs. In: Die Beichte. Einsiedeln 1960, S. 66f.: «Es ist auffallend, daß der Herr die Apostel gar nicht fragt, ob sie wollen oder nicht. Am Abend des Ostertages, da sie beisammen sind, erscheint er ihnen und gibt ihnen zwei Befehle: den Geist zu empfangen, die Sünden nachzulassen … Bisher war wenig die Rede vom Sündentragen des Herrn und auch wenig davon, wie die Jünger den Sündern gegenüber sich verhalten sollten. Man sah die frohe Botschaft, die mit der Sünde fertig werden sollte, sah das gute Beispiel, das gegeben werden mußte, aber was der Herr über das Verhalten zur Sünde gesagt hatte, ging alle Gläubigen so sehr an wie die Apostel. Durch den Osterbefehl werden sie jetzt plötzlich ganz anders gestellt. Sie sind nicht mehr bloß Erkennende, nicht mehr bloß Kämpfende, sie sind jetzt zu Richtern geworden. Richter, die nicht nur ein Urteil abzugeben haben, sondern das Urteil auch vollstrecken. Sie haben die Vollmacht, nach dem Sündenbekenntnis zu verzeihen oder nicht zu verzeihen; beides im Rahmen der ihnen verliehenen Macht.»↩
- Beachtlich ist auch das Zusammenwirken der Priester und der betenden Gemeinde beim Sündennachlaß für den Kranken in Jak 5,14-15. – Literatur zum altkirchlichen Bußwesen: H. Karpp, Die Buße. Zürich 1969, XXXIII-IV; doch ist für unser Hauptthema ein Eingehen auf die Bußgeschichte der ersten Jahrhunderte überflüssig.↩
- Exegetische Erwägungen über das Wissen und das Selbstbewußtsein Jesu. In: Gott in Welt I (Festschrift Karl Rahner). Freiburg i. Br. 1964, S. 608-667; ders., Todesankündigungen und Todesverständnis Jesu. In: K. Kertelge (Hrsg.), Der Tod Jesu (Quaest. Disp. 74, 1976, S. 51-113); ders., Der verkündigende und der verkündete Jesus. In: J. Sauer (Hrsg.), Wer ist Christus? Freiburg i. Br. 1977, S. 45.↩
- Ingrid Maisch, Die Heilung des Gelähmten (Mk 2,1-12). In: Stuttgarter Bibelstudien 52 (1971). Und noch ausführlicher Peter Fiedler, Jesus und die Sünder. In: Beiträge z. bibl. Exeg. u. Theol. 3. Bern 1976.↩
- Exegetische Erwägungen (A 19). S. 626. In: Das Evangelium und die Evangelien (Düsseldorf 1971) bezeichnet Vögtle diese Abhängigmachung des Verzeihens von Jesu kommendem Tod als «absurd».↩
- Wenn Roloff für die Ursprünglichkeit der Lukasstelle plädiert: «Warum sollte das Wort der Sündenvergebung nur einmal (bei Mk 2) überliefert sein?» In: Das Kerygma vom irdischen Jesus. Göttingen 1970, S. 162, so fragt Fiedler nicht ohne Pertinenz dagegen: «Warum ist es nicht öfter überliefert?» (Anm. 20, S. 329, Anm. 375). Jacques Guillet hat gegen diese Frage mit Recht eingewendet: Jesus, der ganz auf seine «Stunde» zulebt, nimmt das Ergebnis seines Leidens nur in «isolierten Gesten» vorweg (La foi de Jésus-Christ, Paris 1979. S. 58-62; deutsch: Was glaubte Jesus? Salzburg 1980, S. 41-45).↩
- Dies betont P. Fiedler m. E. übertreibend (vgl. seine Zusammenfassung 86ff.), wenn er in bewußtem Gegensatz zur Tora-Einschätzung Pauli und erst recht der Protestanten, und zusammen mit Zwi Werblowski, Tora als Gnade (Kairo 1978), S. 156-163, den Glauben an Gottes Vergebungswillen ins Zentrum des Alten Testaments stellt.↩
- Die umfassende Darlegung dieses Aspekts findet sich in den Kapiteln: «Die Beichte im Leben des Herrn» und «Beichte am Kreuz» des Beichtbuchs Adriennes von Speyr: S. 20-65. Wir können hier nur vereinzelte Momente herausheben. In exegetisch meisterhafter Weise hat Heinz Schürmann die Frage behandelt in: Jesu ureigener Tod. Freiburg i. Br. 1975.↩
- Richard Glöckner hat anschaulich gezeigt, wie die Wunderheilungen Jesu Erfüllungen der in den Psalmen erbetenen und erwirkten geistigen Heilungen Gottes sind: Neutestamentliche Wundergeschichten und Lob der Wundertaten Gottes in den Psalmen (Mainz 1983), besonders S. 80ff. Bedenkt man das Ineinander von leiblicher und geistlicher Heilung, dann wird die (vielleicht von Jesus selber stammende oder durch nachösterliche Reflexion gefundene und ihm auf die Lippen gelegte) Aussage völlig verständlich: «Was ist leichter zu sagen: deine Sünden sind vergeben, oder zu sagen: steh auf und wandle?» (Mt 9,5). Damit erledigt sich das Bedenken A. Vögtles und seiner Schule (Anm. 20).↩
- Adrienne von Speyr, Kreuzeswort und Sakrament. Einsiedeln 1956, S. 17-26. Für die Entschuldigung der ihn kreuzigenden Juden (und darin erst recht der Heiden) spräche auch das den damaligen Vorstehern des Volkes schon überlieferte Bild des Messias, das sie Jesus gegenüber urgieren (vgl. Mt 26,65 par) und für das sie sich auf Bilder der messianischen Zeit bei den Piopheten berufen können, wobei sie aber bei diesen ihnen genehmen Ausmalungen den ursprünglichen Glauben Abrahams vergessen.↩

Hans Urs von Balthasar
Titolo originale
Jesus und das Verzeihen
Ottieni
Temi
Dati
Lingua:
Tedesco
Lingua originale:
TedescoCasa editrice:
Saint John PublicationsAnno:
2025Tipo:
Articolo
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