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Die Einheit der theologischen Tugenden
I. Hoffnung als Mitte
Die Einheit von Glaube, Hoffnung und Liebe ist an vielen Stellen des Neuen Testaments bezeugt1, dennoch werden sie als unterscheidbare Vollzugsweisen der christlichen Existenz beschrieben; sie zerfließen nicht einfach ineinander, obschon sie nicht starr voneinander abgegrenzt werden können. Da an manchen Stellen die Hoffnung in der Mitte zwischen Glaube und Liebe steht und sie auch das Thema unseres Heftes bildet, wollen wir von dieser ihrer Mittelstellung ausgehen, die Péguy in seinem «Tor zum Geheimnis der Hoffnung»2 so stark hervorhebt: Die «kleine Hoffnung», «die nach gar nichts aussieht», scheint zwischen ihren großen Schwestern Glaube und Liebe einherzutrippeln, aber in Wirklichkeit «ist sie es, die alles mit sich reißt». «Der Glaube sieht nur, was ist. Sie aber sieht, was sein wird. Die Liebe liebt nur, was ist. Sie aber liebt, was sein wird.» «Und die beiden Großen tummeln sich nur für die Kleine.» «Blickt man auf die Ausrichtung des christlichen Daseins», sagt Schlier, «so liegt das Gewicht auf der Hoffnung. Sieht man auf die Substanz seiner Seinsweise, so muß man die Liebe zuletzt nennen. Aber blickt man auf die Wurzel des christlichen Lebens, so ist es immer der Glaube.»3 Für den Dichter wie für den Exegeten bildet somit die Hoffnung das dynamische Element des christlichen Daseins, ein Element, das spezifisch christlich ist, da die Heiden es nicht besitzen (1 Thess 4,13), da sie «ohne Hoffnung und ohne Gott in der Welt leben» (Eph 2,8).4
Gewiß setzt Hoffnung immer den Glauben voraus, der ihr das Erhoffbare vorgeben muß (Röm 5,1.9). Aber die Rettung, an die der Glaube glaubt, erfolgt doch erst «auf Hoffnung hin» (Röm 8,24). Ja, der Glaube selbst ist «eine Zuversicht auf das, was man hofft, eine Überzeugung von Dingen, die man (noch) nicht sieht» (Hebr 11,1). Petrus kann die Bewegung auf das durch die Auferstehung Jesu Christi uns eröffnete Heil so sehr als das Zentrum unserer Existenz sehen, daß er sein Schreiben mit einem Preis der Barmherzigkeit des Vaters eröffnet, der «uns wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung», und erst zwei Verse danach vom Glauben an das durch die Auferstehung in Aussicht gestellte Gut sprechen (1 Petr 1,3.5), von einem Glauben, der Christus liebhat, «ohne ihn gesehen zu haben» und mitten in der irdischen Drangsal vorweg von «unaussprechlicher und verklärter Freude» erfüllt ist (ebd. 8). Ganz ähnlich treibt bei Paulus die Hoffnung seinen Glauben zuinnerst in jene Bewegung hinein, die dem noch unerreichten Glaubensziel nachjagt, von dem er (das ist sein Glaube) je schon eingeholt worden ist (Phil 3,12ff.).
So versteht sich, daß der Glaube und die Hoffnung gemeinsam ihre Sicherheit haben, die nicht im Vermögen des Menschen, sondern in der Gewißheit und Zusicherung Gottes als ihres Gegenstandes haben. So kann der Christ ermahnt werden, «fest und unverrückt beim Glauben zu beharren und nicht wankend zu werden in der Hoffnung, die sich der vernommenen Frohbotschaft verdankt» (Kol 1,23), was den hoffenden Glauben gerade von einer subjektiven Heilsgewißheit unterscheidet.5 Das wird sehr deutlich, wenn Paulus sagt, er habe sein Todesurteil erhalten, «damit wir das Vertrauen nicht auf uns selbst setzen, sondern auf Gott, der die Toten erweckt» (2 Kor 1,9), oder wenn er «feste Hoffnung» für seine Gemeinde hat, weil er weiß, daß sie seines Leidens wie seines Trostes teilhaft ist (ebd. 7), oder wenn er «Abraham gegen alle Hoffnung auf Hoffnung hin glauben» läßt (Röm 4,18), nämlich gegen «alle Hoffnung», die der Mensch aus sich selbst (und seinem erstorbenen Leib) schöpfen kann, auf die Hoffnung hin, die ihm der Glaube an den Gott gibt, «der die Toten lebendig macht» (ebd. 17).
Natürlich hat der Glaube als die Grundlage alles christlichen Lebens zunächst seine eigene, nur ihm zukommende Gesetzlichkeit. Er ist Glaube aufgrund einer historisch vernommenen Botschaft (Röm 10,14-17), die die Boten selbst innerlichst zur Verkündigung verpflichtet (1 Kor 9,16), aber im Hörer des Wortes erst durch den Heiligen Geist vergegenwärtigt wird: in den Verkündern selbst (2 Kor 4,6) und in denen, die ihre Botschaft vernehmen und im geistgewirkten und doch frei entschiedenen «Gehorsam» annehmen (Röm 1,5; 16,26; zur Entscheidung: 2 Thess 1,8 usf.). Glaube ist somit zugleich Empfang eines von außen und oben Geschenkten und freie Entscheidung zu dessen Annahme. Im Sich-Anvertrauen erhält er seine objektive Sicherheit, die so stark ist, daß Paulus diese ohne weiteres als ein «Wissen» bezeichnen kann: «Wir wissen, daß Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt» (Röm 8,28). «Wir glauben, … da wir wissen, daß der, welcher den Herrn Jesus auferweckt hat, auch uns mit Jesus auferwecken …wird» (2 Kor 4,13f.; vgl. ebd 5,1.6; Röm 8,28; 13,11). Was nun gerade nicht heißt, daß dieses durch die Glaubenshingabe erlangte «Wissen» mit einer vom Menschen sich angemaßten Gnosis gleichgesetzt werden darf, die bloße «Aufblähung» des hohlen Menschen ist (1 Kor 8,1).6 Zur Struktur des Glaubens gehört ein Sich-Anvertrauen, das erst «den freien Zugang zu Gott» gibt (Eph 3,12), ein Vertrauen, das erst die «Werke» des Glaubenden auf die rechte Grundlage, nämlich die seiner Selbstlosigkeit stellt, und somit «rechtfertigt» (Röm 3,28; Gal 2,16; Phil 3,4-11). Im Glauben liegt eine Sehnsucht zu Gott hin (Augustins zentraler Begriff des «desiderium»), der ihn, durch die Hoffnung beflügelt, zur Liebe hin treibt, ohne die er ja unnütz und vergeblich bliebe (1 Kor 13,2).
Die Hoffnung ist aber auch die Vermittlerin zur Liebe hin.7 Die von der Hoffnung im Glauben angefachte Bewegung drängt zu ihr hin: «Jagt nach der Liebe!» (1 Kor 14,1). Im letzten ist ja die in Christus geoffenbarte Liebe das einzige Motiv, nur noch aus dem Glauben zu leben (Gal 2,20). Auch unsere Liebe ist nur christlich, wenn sie Antwort ist auf die vorausgehende Liebe Gottes in der Hingabe seines Sohnes für uns (1 Joh 4,10), also primär Liebe zu Gott (2 Thess 3,5) und zu Christus («wenn einer den Herrn nicht liebt, der sei im Bann», 1 Kor 16,22), und – aufgrund der Menschwerdung Gottes – Liebe zum Nächsten, und zwar grundsätzlich «zu allen» (2 Thess 3,12; 5,14f.; Röm 12,18; Gal 6,10). Da die Liebe Gottes in der Hingabe seines Sohnes «jede Vorstellung übersteigt» (Eph 3,19), erhält nun auch die Liebe eine Beflügelung ins Unendliche, in der sie – nach der Lehre Gregors von Nyssa – sowohl dahinfliegt wie ruht, in der sie aber auch, nach Paulus, die Bewegtheit des Glaubens wie der Hoffnung in sich selbst rekapituliert: «Die Liebe glaubt alles, sie hofft alles» (1 Kor 13,7), und insofern ist sie von den dreien «das Größte» (ebd. 13).
Jede der drei Tugenden hat ihre eigene Struktur, was jene nicht hindert, einander zu durchdringen und in analoger Weise «eine Substanz» zu bilden, wie die göttlichen Personen in ihrer Je-Einmaligkeit substantiell eins sind.8 Dieser Vergleich wird dadurch nahegelegt, daß Glaube, Hoffnung und Liebe ja als «göttliche Tugenden» bezeichnet werden, als solche demnach, die aus dem innern göttlichen Leben stammend dem noch pilgernden Menschen geschenkt werden. Hiermit stellen sich neue Fragen, denen im zweiten Teil dieser Arbeit schrittweise nachgegangen werden soll.
II. Die «Göttlichkeit» von Glaube, Hoffnung und Liebe
1. Das erste, was von der Göttlichkeit der drei Tugenden Zeugnis ablegt, ist ihre gemeinsame Grundlage: die Selbstlosigkeit, die innerhalb der geschaffenen Welt abbildhaft die «Relationalität» der innergöttlichen Personen oder Hypostasen kennzeichnet: Der Vater ist nicht anders Vater, als indem er seine ganze Gottheit dem Sohn hinschenkt, jede Person ist sie selbst durch ihr Bezogensein auf die andern hin. Diese Selbstlosigkeit Gottes spiegelt sich am offenkundigsten in der von Gott der Welt geschenkten Liebe: Das «Hohelied», das Paulus (1 Kor 13) auf sie singt, zeigt es in jedem Vers, und seine übrigen Ermahnungen bestätigen es: «Ertragt einander in Liebe» (Eph 4,1), «einer trage des andern Last» (Gal 6,2), «jeder achte den andern höher als sich selbst» (Phil 2,3). Wenn Gott in Christus «sein Leben für uns dahingegeben hat, müssen auch wir das Leben für die Brüder dahingeben» (1 Joh 3,16). Aber es geht aufgrund der Tat Gottes nicht nur um eine ethische Nachahmung, sondern um eine seinshafte Expropriierung: «Wenn einer für alle gestorben ist, sind alle gestorben», so daß es fürder kein «Für-sich-selbst-Leben» mehr gibt (2 Kor 5,14), sondern nur noch ein «Leben und Sterben für den Herrn» (Röm 14,7f.). Daß dies genauso für den Glauben wie für die Liebe gilt, zeigt Paulus, wenn er als Totalantwort an Christus, «der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat», sein «Nur-noch-im-Glauben-Leben» bezeichnet (Gal 2,20). Aber kann man die Hoffnung selbstlos nennen? Das scheinbare Gegenteil, daß nämlich in der Hoffnung ein Rest von egoistischem Glücksstreben liege, hat manche Häretiker veranlaßt, die «reine Liebe» (amour pur) als etwas zu beschreiben, daß über die Hoffnung hinausgelangt ist. Die Kirche hat sich ihnen stets widersetzt.9 Der irrgläubige Gedanke kann durch die verengende augustinische Vorstellung hervorgerufen sein, daß jeder Gläubige nur für sich selbst hoffen kann (weil Augustinus die Gewißheit hat, daß manche verdammt sind, kann seine Hoffnung nicht universal sein); aber gegen diese Verengung steht die Aussage des Römerbriefs, daß die ganze Schöpfung nach der erlösten Freiheit in Gott stöhnt und der Heilige Geist es «mit unaussprechlichen Seufzern» in den Gläubigen tut (Röm 8,19-26), diese Hoffnung somit nicht nur dem innersten Wesen jedes Geschöpfes entspricht, sondern vom Geist Gottes selbst mit angeregt, ja mitvollzogen wird. Dies gilt auch von dem andern Aspekt her, daß das Hoffnungsgut dem Glaubenden schon von der Taufe her grundsätzlich geschenkt ist, so daß «Christus in euch Hoffnung auf Herrlichkeit» ist (Kol 1,27), oder anders gesagt, der in uns wohnende Geist schon «Angeld» (2 Kor 1,22; 5,5; Eph 1,14) auf das ist, worauf wir durch Gott selbst Anspruch haben. Es nicht anzustreben, wäre nicht bloß Undank, sondern ein seinshafter Widerspruch, sofern es unmöglich ist, das höchste Gut zu lieben, ohne es zu erstreben.
2. Man könnte deshalb auch von einer Art Deduzierbarkeit von Glaube und Hoffnung von der Liebe reden, die als das «Größte» ja nur die gottgeschenkte Antwort auf seine absolute Liebe in Christus ist. Denn der Glaube ist nichts anderes als das Für-wahr-Halten dieser Liebe und die Selbstüberantwortung an sie, was ihn zugleich innerlich nötigt, sich ihrem Wesen und Tun anzugleichen: «in Christus Jesus vermag … (nur) der Glaube etwas, der sich in Liebe wirksam erweist» (Gal 5,6). Die Liebe ist «das Werk des Glaubens» (2 Thess 1,11). In der noch nicht voll erlösten Welt ist die Liebe immer eine «mühselige» (1 Kor 15,10 u. oft), so daß 1 Thess 1,3 in einem Atemzug vom «Werk des Glaubens», der «Arbeit der Liebe» und der «Ausdauer der Hoffnung» geredet werden kann. Mühsal und Geduld werden insbesondere der Hoffnung zugestaltet, so daß man in dieser durchhaltenden «Geduld» etwas wie die Zusammenfassung der ganzen christlichen Haltung erblicken konnte.10 Das Hineingehaltenwerden der göttlichen Tugenden in das Medium der Versuchung und Anfechtung läßt gerade ihre Einheit erkennen, so wenn nach Röm 5,1ff. das Sich-Rühmen über Glaube und Hoffnung zu einem Sich-Rühmen in der Trübsal wird, weil diese Geduld, die Geduld Bewährung, diese Hoffnung, diese die Liebe offenbar werden läßt, die Gott durch den Heiligen Geist in unsere Herzen ausgegossen hat. So auch wenn Glaube, Liebe und Geduld zusammengestellt werden (Tit 2,2), wenn Freude verlangt wird darüber, daß die Erprobung des Glaubens Geduld wirkt (Jak 1,2f.), wenn in der Apokalypse «Glaube und Geduld der Heiligen» gefordert wird (13,10). So liegt in dieser Geduld nichts Passives, sondern die Standhaftigkeit dessen, der jede Anfechtung durchhält, etwas von der Kraft der Ewigkeit in der Zeit.
3. Ist dem so, dann wird es fraglich, ob, wenn nach Paulus die zeitlichen Charismen als «Stückwerk» vergehen, Zungenreden und unser Erkennen durch Spiegel und Rätsel hindurch, die am Ende genannten Drei, im Gegensatz zu diesen Charismen, nicht doch die Zeit überdauern. Auffallend ist schon, daß das Verb im Singular steht: «Nun aber bleibt diese Drei: Glaube, Hoffnung, Liebe» (1 Kor 13,13). Daß sie alle drei in Ewigkeit bleiben, hat schon Irenäus befürwortet, da wir in Ewigkeit immer etwas von dem stets größeren Gott zu lernen haben werden11 und Origenes12 ist ihm gefolgt. In neuerer Zeit hat nach P. Henry SJ13 Dom M.-F. Lacan14 die patristische Auslegung verständlich gemacht. Das «nun aber» hat nie zeitlichen Sinn bei Paulus, es kann nur adversativ verstanden werden: den vergehenden Charismen stehen die drei Bleibenden gegenüber, von denen (mit einem zweiten adversativen «de» bezeichnet: 13b) die Liebe die größte ist.15 Gewiß verlangt dies eine Verwandlung des Glaubens wie der Hoffnung (zumal aufgrund von Röm 8,24-25), aber so wesentlich, wie die Hochscholastik es gefordert hatte, brauchen sie nicht verwandelt zu werden, wenn man ihren (letztlich trinitarischen) Hingabecharakter im Auge behält.16
4. Doch läßt sich dies nicht ohne Hinblick auf die Frage entscheiden, ob Jesus Christus in seinem Erdenleben den Glauben und die Hoffnung besessen hat. Die Frage wird von protestantischer Seite oft bejaht.17 Für die Hoffnung Jesu hatte schon P. Charles SJ eine Lanze gebrochen, sicherlich mit Recht.18 Er hatte betont, daß auch ein unfehlbares Vorwissen Christi die Hoffnung nicht hindert, da das Moment der Ungewißheit in dieser nicht wesentlich sei, sondern eher als der Wurm in der Frucht der Hoffnung des Sünders bezeichnet werden muß. Die Hoffnung der Kirche auf Christus ist unfehlbar. «La source unique d’où jaillit la vie spirituelle dans le monde entier, nous pouvons avec certitude la découvrir dans l’espérance immuable et infaillible du Christ triomphant.»19 Für den Glauben Christi ist (nach meinem Aufsatz 1960) mit großer Umsicht und Zurückhaltung der Exeget Jacques Guillet SJ eingetreten.20 Bei allen Aspekten des Verhaltens Jesu wird immer wieder gefragt: Ist dies mit Glaube vereinbar, setzt es nicht vielmehr die unmittelbare Sicht des Vaters voraus, wie mittelalterliche Theologie sie Jesus zugeschrieben hatte? Aber zuletzt wird dann doch – in einer Fortsetzung des alten «simul viator et comprehensor» die Vereinbarkeit seines (gewiß archetypischen, dem unsern überlegenen) Glaubens mit jener höchsten Sicherheit herausgestellt, die sich in seiner einzigartigen Hingabe an den Vater bis hinein in die vollkommene Dunkelheit des Kreuzes offenbart: «Sein Glaube ruht auf nichts anderem als auf dem Band, das ihn mit dem Vater vereinigt.» In diesem Sinn ist «die Schau vereinbar mit dem Glauben, hat Jesus sein Leben lang seinen Vater sehen können mit der unmittelbaren Gewißheit seiner Gegenwart, und zugleich an ihn glauben, mit seiner ganzen Menschheit auf ihn zugehen, in der Geduld der reifenden Zeitlichkeit». Ja, man dürfte die Formel wagen: «Der Glaube ist der Modus, in welchem er seine Schau lebt», er ist «bis zum letzten Augenblick echte Finsternis und völlige Hingabe».21 In Jesus wird die gemeinsame Wurzel der drei göttlichen Tugenden, die in der Liebe besonders sichtbare, aber auch Glauben und Hoffnung begründende Selbstlosigkeit am deutlichsten wahrnehmbar, weil er auch die in der Welt höchste Offenbarung des trinitarischen Geheimnisses ist.
5. Aber wenn wir die «drei Bleibenden» mit Recht als «göttliche Tugenden» bezeichnen, müssen wir dann ihren Urquell nicht wirklich im trinitarischen Leben Gottes selbst suchen? Bilden die Drei doch jene Haltungen, die, von Gott «eingegossen», den Menschen am meisten Gott annähern. Niemand hat dies zugleich kühner und besonnener ausgedrückt als Adrienne von Speyr, von der wir hier freilich nur ein paar Zeilen anführen können. «Die Liebe», sagt sie, «ist unter den bleibenden Dingen das Größte. Aber es bleiben mit ihr die Hoffnung und der Glaube», sind diese doch «ein Sich-öffnen des Himmels über der Erde, um sie näher an sich zu ziehen». Der Alte Bund war lauter Hoffnung, aber indem der Sohn diese auf Erden erfüllte, weckte er «in den Glaubenden eine ganz neue Hoffnung», die auch «für die Liebe eine innere Form bleibt, die sie stärkt und aufrichtet», nicht anders als der Glaube. Adam war in den Glaubensgehorsam hinein erschaffen worden, und der ganze Alte Bund zeigt im «offenen Raum, den Gott den Menschen gewährt», «die enge Verbindung zwischen Glaube und Hoffnung». In Christus aber «gewinnt der Glaube eine gewaltige Erweiterung, die ihren Ursprung nimmt in der ewigen Beziehung zwischen Vater und Sohn, und die Gott dem Sohn mit auf den Erdenweg gibt». Der Sohn darf diese Beziehung dem Glauben einsenken, so daß im Sohn «die überschwengliche Erfüllung des Glaubens» diesem «neue Räume der Hoffnung aufschließt». «Die Gewißheit, die der Sohn vom Himmel auf die Erde mitbringt, seine Schau des Vaters in der bleibenden Verbundenheit mit ihm, wird dem Glauben wie das Ferment eines Je-Mehr eingesenkt, … eine Sicht in das Unsichtbare». Diese Gewißheit kann im Heiligen Geist verborgen bleiben, so wie am Kreuz und in seiner Verlassenheit die «unabweisbare Gewißheit von Schau und Wissen» bestehen bleibt, mitten in der Nichtschau und im Nichtwissen. Glaube und Hoffnung aber sind nur «Wegbereiter der Liebe», die in Gott in trinitarischer Fülle lebt, und «jene Substanz von Glaube und Hoffnung, die selber Ausdruck zuständlicher Liebe ist, geht mit ein in das ewige Leben. Dort wo der Sohn auf Erden vor dem Vater die Haltung des Pilgerstandes auf sich genommen hat, die das Urbild christlichen Glaubens und Hoffens ist, dort ist bereits in der Zeit das erreicht, was von unserem Glauben und Hoffen in der Ewigkeit überstehen kann». Gewiß gehen beide durch eine Verwandlung hindurch. «Das Ergebnis aber, für das wir weder Wort noch Begriff haben, wird nicht der Abbruch des Gewesenen sein, sondern seine Erfüllung. Gott zerstört die Gefäße nicht, die gut genug waren, um seine Liebe durch die Weltzeit zu tragen.»22
Das ist Sicht von der Welt über Christus zu Gott hin. Aber man kann auch von Gott absteigend blicken. Dann muß man sagen, daß «jenseits der Zeit der Ursprung von Glaube, Liebe und Hoffnung liegt». «Glaube, indem der Vater dauernd seine Erwartung in Sohn und Geist erfüllt findet», aber so, daß «die Entsprechung immer wie frisch geschenkt erscheint». Das «unendliche Wissen des Vaters steht ihm nicht im Weg, wenn er dauernd erwarten will. Wenn er sein Wissen in den Dienst der Liebe stellen will – und das tut er seit ewig –, verträgt sich in ihm das Wissen mit dem Glauben und dem Vertrauen. Dieser Glaube ist in der göttlichen Liebe verankert, die dafür bürgt, daß es zu keiner Enttäuschung kommen kann. Was man in Gott Glauben und Vertrauen nennen kann, ist nur dazu da, der Liebe jede Möglichkeit der Entfaltung zu geben, ihr jenen Raum zu schaffen, den ihr ein totes Immerschon-Wissen nicht geben kann, und den sie doch braucht, weil sie ohne Hingabe, Bewegung und Flug nicht sein kann. Es gibt in der Liebe immerdar dieses Vertrauensmoment, diese Art Sehnsucht, dieses ehrfürchtige Warten auf die Freiheit des andern, auf sein unberechenbares Geschenk. Der Liebe dieses Moment streitig machen, heißt sie ertöten. Und in diesem ehrfürchtigen göttlichen Warten liegt die Urquelle der Hoffnung. Jener Hoffnung, die der Vater auf den Sohn und den Geist setzt» und die sich, wie der Glaube, «im Sohn und im Geist unabgeschwächt wiederfindet». «Nun hat es gewiß etwas Unzulängliches, ja Mißverständliches, in Gott von einem Moment des Glaubens zu reden. Und doch ist dieser Begriff nicht entbehrlich. Wollten wir auf den Begriff des Glaubens zur Verdeutlichung des göttlichen Lebens verzichten, so wäre es uns überhaupt nicht mehr zugänglich.» Aber Gott kann unsere unzugänglichen Begriffe verwandeln. «Und gerade jene höchsten Geschenke Gottes, die unmittelbar aus seinem innergöttlichen Leben stammen, die ein Teilhaben an seinem dreieinigen Leben sind: Glaube, Liebe und Hoffnung, sind zur Enthüllung seines Wesens weit besser geeignet als das, was wir aus unserer geschöpflichen Natur von uns aus mitbringen können.» Gewiß wird sich unser Glaube beim Eintritt ins ewige Leben völlig verwandeln. Aber «die unmittelbare Schau wird dann eine viel konkretere, offenbarere, bewiesenere und evidentere Form des Glaubens sein, den sie nicht zerstören, sondern erfüllen wird».23
- 1 Thess 1,2f.; 5,8-10; 1 Kor 13,13; Kol 1,4; 1,27; vgl. auch Gal 5,5f.; Röm 5,1-5; Eph 1,15-18; Hebr 10,22-24; 1 Petr 1,21f.↩
- Christliche Meister 9. Johannesverlag Einsiedeln 1980, Zitate S. 14-15.↩
- Heinrich Schlier, Nun aber bleiben diese Drei. Grundriß des christlichen Lebensvollzuges. Johannesverlag Einsiedeln 1971, S. 12.↩
- Zum trügerischen und fragwürdigen Charakter der Hoffnung in der griechisch-römischen Antike vgl. die ausführliche Darstellung bei K.M. Woschitz, Elpis, Hoffnung. Geschichte, Philosophie, Exegese. Theologie eines Schlüsselbegriffs. Wien 1979, S. 63-218. Eine bedeutsame Ausnahme bildet der platonische Sokrates, für den die Wahrscheinlichkeit der Unsterblichkeit der Seele eine «große und schöne Hoffnung» ist (Phaid. 66e; vgl. Apol. 40ce). Auch seinen Richtern wünscht er, sie «sollten gute Hoffnung haben in Hinsicht auf den Tod» (ebd. 41d; vgl. auch Politeia 496de). Diese Hoffnung besteht aufgrund des ungewordenen Charakters der Seele.↩
- So kann Bonaventura von der «unfehlbaren Gewißheit» der Hoffnung aufgrund des Glaubens sprechen, wobei doch ungewiß bleibt, ob der Mensch am Glauben und an der Hoffnung festhalten wird (3, dist 26,1,5). Ähnlich der hl. Thomas (S. Th. II II, 18,4) und das Trienter Konzil: «Wenngleich alle auf die Hilfe Gottes die festeste Hoffnung setzen müssen, soll niemand sich etwas absolut Sicheres versprechen. Denn Gott vollendet zwar das gute Werk, das er begonnen hat, … doch sollen, die zu stehen glauben, Zusehen, daß sie nicht fallen und ihr Heil mit Furcht und Zittern wirken» (DS 1541). Dazu Josef Pieper, Über die Hoffnung. Leipzig 1935, S. 39f.; Juan Alfaro, Fides, Spes, Caritas. Ed. nova, Gregoriana, Roma 1964, Kp. 12: certitudo actus spei (540-561).↩
- «Welcher Art die Gnosis auch sei, progressiv oder reaktionär, sie ‹bläht auf, die Liebe aber erbaut› … Der ‹mündige Christ›, der ja kein anderer ist als der im Glauben und in der Erkenntnis reife Christ, ist unmündig ohne Liebe… Es ist klar, daß jedes charismatische Wort seinen Richter hat, etwa das der dichterischen Inspiration oder der philosophischen Intuition … So bedroht dieser Satz des Apostels … auch jeden Theoretiker und jede Intelligenz wie auch jeden Politiker und jeden Pragmatiker.» H. Schlier, a.a.O., S. 83-85.↩
- Victor Warnach, Agape. Die Liebe als Grundmotiv der neutestamentlichen Theologie, Düsseldorf 1951.↩
- Deshalb behalten die theologischen Spekulationen darüber, wie der Sünder auch im Verlust der (übernatürlichen) Liebe den Akt des Glaubens und der Hoffnung behalten kann (Trid. DS 1544, 1578; Myst. Corp. DS 3803), ihre Berechtigung, auch wenn dieser (tote) Glaube und diese (letztlich selbstsüchtige) Hoffnung nicht mehr durch die wahrhaft selbstlose Liebe beseelt sind. Vgl. auch DS 1963, 2312.↩
- Gegen den Gedanken mancher Protestanten, es sei Sünde, auf Lohn hinzublicken: Trid. DS 1539, 1576, 1581; gegen den Quietisten Molinos: DS 2207, 2212 («spem expugnare debet»); gegen den Jansenisten Quesnel: DS 2257. Fénelon hat diesen Gedanken nie verteidigt, obschon man ihn ihm polemischerweise unterlegt hat. Vgl. Jeanne-L. Goré, La notion d’indifférence chez Fénelon et ses sources. Paris 1956, Jacques Le Brun, La Spiritualité de Bossuet. Paris 1972, S. 603ff.↩
- Erich Przywara, Demut, Geduld, Liebe. Düsseldorf 1960, mit dem Verweis auf Cyprians «De patientia» und auf Augustins gleichlautenden Traktat, wobei es für uns bedeutungsvoll ist, daß der letztere die Geduld «wesentlich von der souveränen Geduld Gottes her» sichtet (37). Sie ist alt- und neutestamentlich ebensosehr ein Modus der Liebe Gottes wie es nach dem Exerzitienbuch Gottes «Mühe» ist: «Erwägen, wie Gott sich anstrengt und sich müht um meinetwillen in allen geschaffenen Dingen auf der Welt, das heißt, er verhält sich wie einer, der mühselige Arbeit verrichtet» (nr. 236).↩
- Adv. Haer. II,28,3.↩
- Comm. in Joh. X,43.↩
- Mit höchster Qualifikation ausgezeichnete, aber ungedruckte Doktorarbeit an der Gregoriana.↩
- «Recherches de Science Religieuse» 46 (1958), S. 321-343.↩
- Im gleichen Sinn F. Dreyfus: «Maintenant la foi, l’espérance et la charité demeurent toutes les trois». In: «Studiorum Paulinorum Congr. internat. cath. Analecta Biblica» 17/18 (Rom 1963). «Menein exprime l’appartenance au monde des réalités éternelles, réalisant dès ici-bas une présence anticipée du monde à venir» (S. 412).↩
- Näheres in meinem Aufsatz «Fides Christi». In: Verbum Caro (Johannesverlag Einsiedeln 1960), S. 45-79. Vgl. etwa Hugo von St. Cher, zu 1 Cor 13,13 (Werke VII,110d), Albertus Magnus, In 3 d 31 a 7 (Borgnet 28, 586), Matthäus von Aquasparta, Qu. de fide q. 6 (Bibl. francisc. schol. med. aev. I,1957, S. 141ff.).↩
- Vgl. außer den in meinem Aufsatz (Anm. 16) zitierten Autoren: G. Ebeling, Das Wesen des christlichen Glaubens. Tübingen 1959: Jesus als der Zeuge des Glaubens wird zum Grund des Glaubens (48-85). Schlatter, Glaube im NT (31905). R. Schäfer. Jesus und der Gottesglaube. Tübingen 1970; dazu W. Thüsing in: Rahner/Thüsing. Christologie, Quaest. Disp. 55, Freiburg i. Br. 1972, S. 168f.; E. Gräßer. Der Glaube im Hebräerbrief. Marburg 1963. Katholischerseits: Frank-Dusquesne, in: Etudes Carmélitaines (1947), S. 28f.; Lavalette, in: «Recherches de Science Religieuse» (1962), S. 130-132; J. Alfaro, in: Gregorianum (1961-3); H. de Lubac, Augustinisme et Théologie Moderne. Paris 1965, S. 129f.; 132; dt. Die Freiheit der Gnade, Bd. 2: Das Erbe Augustins. Johannesverlag Einsiedeln 1971, S. 146-148. 150f.↩
- Spes Christi. In: «Nouvelle Revue Théologique» (1934), S. 1009-1021; (1937), S. 1057-1075.↩
- Ebd. 1934, S. 1019. Péguy war mit seiner Verherrlichung der Hoffnung Christi vorange gangen.↩
- La foi de Jésus-Christ, in der Sammlung: «Jésus et Jésus-Christ» 12. Paris 1980. Deutsch: Was glaubte Jesus? Salzburg 1982.↩
- Ebd. (frz. Ausgabe), S. 183-184. Außer meinem Aufsatz werden von P. Guillet L. Malevez, W. Kasper, W. Pannenberg angeführt, auch die Artikel von J.M. McDermott in: «Revue Biblique» 84 (1977) und 85 (1978). H. Schürmanns Werk «Jesu ureigener Tod» (Freiburg i. Br. 1975) wird vielfach beigezogen.↩
- Korinther I, Johannesverlag Einsiedeln 1956, S. 422-429.↩
- Die Welt des Gebetes, Johannesverlag Einsiedeln 1951, S. 26-28.↩

Hans Urs von Balthasar
Titolo originale
Die Einheit der theologischen Tugenden
Ottieni
Dati
Lingua:
Tedesco
Lingua originale:
TedescoCasa editrice:
Saint John PublicationsAnno:
2025Tipo:
Articolo