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Der Friede in der Theologie
Wir handeln von der Theologie innerhalb der katholischen Kirche, somit nicht über den ökumenischen Frieden zwischen den verschiedenen christlichen Gemeinschaften, der als solcher trotz bleibenden Divergenzen große Fortschritte gemacht hat. Innerhalb der Kirche dagegen sind, zumal seit dem letzten Konzil, Spannungen aufgetreten, um deretwillen die Erfindung eines neuen Schlagworts: «Pluralismus» (anstelle der früheren «Pluralität» theologischer Schulen) notwendig schien. Diese Spannungen sind so stark, daß viele an einer friedlichen Lösung verzweifeln und damit nicht nur die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Verkündigung, sondern die Einheit der Kirche gefährdet sehen. Versuchen wir, ohne Irenismus, aber doch aus der nötigen Höhe die Situation zu schildern und dabei kirchlich gangbare Wege für den Frieden in der Theologie aufzuweisen.
1. Normen der katholischen Theologie
Theologie ist mit keiner anthropologischen Wissenschaft, sei es Psychologie, Soziologie oder Religionswissenschaft gleichzusetzen, sie empfängt deshalb von den sich historisch verändernden Formen solcher Wissenschaften keine normativen Auflagen. Die Vielfalt der Kulturen, in die sich der katholische Glaube einzubürgern hatte, hat dem Ausdruck des Glaubens und somit der Theologie bestimmte Eigenarten aufgeprägt – syrisches, ägyptisches, hellenistisches, germanisches, aber auch chinesisches, indisches, lateinamerikanisches Christentum konnten je seine Färbung behalten, ohne aufgrund dieser kulturellen Pluralität einen theologischen Pluralismus zu erzwingen. Man kann deshalb auch nicht sagen (wie bekannte Theologen zu zeigen versuchen), daß die heutige Weltlage oder Wissenschaftsstruktur «pluralistischer» sei als die Welt vergangener Jahrhunderte und deshalb ein neuer «Pluralismus» innerhalb der katholischen Theologie zumindest geduldet werden müsse. Von Anbeginn des Christentums hat nicht die Frage, was die Menschen gern hören, was sie als «religiös» ansehen und von einer Religion erwarten, als eine Norm der christlichen Verkündigung gedient. Etwas ganz anderes ist das Problem, welche Antwort die christliche Offenbarung und Theologie auf neu auftauchende Menschheitsprobleme zu geben hat.
Die Norm für christliche Theologie ist von jeher die Offenbarung Jesu Christi vom Wesen und von der Liebe Gottes des Vaters, welche Offenbarung der Heilige Geist in der Vielfalt kirchlichen Lebens auslegt: zu dieser Vielfalt von Elementen, die einen zusammengehörigen Organismus bilden, gehört die strukturierte Communio der Kirche, ihre Urtradition, die sich in den neutestamentlichen Schriften niedergeschlagen hat, aber auf das sogenannte Alte Testament nicht verzichtet, die in den Glaubensbekenntnissen sich verdichtet, in der Liturgie sich im Gegenteil frei entfaltet, in den ökumenischen Konzilien zum Schutz der von der Offenbarung herkommenden Urtradition sich präzisiert. Thomas von Aquin meint diese ganze zusammengehörige Vielfalt, wenn er sagt, die (im Credo formulierten) Glaubens-Artikel (das heißt die Artikulationen der einen Offenbarungsfülle) seien Inhalt und Norm jeder christlichen Theologie. Man braucht nur den Aussagen des Glaubensbekenntnisses zu folgen, um die Grundartikulationen dieser Norm («regula fidei») zu erkennen: Gottes Trinität (in der Dreiteilung des Credo), Schöpfung, Menschwerdung durch den Geist in Maria, Passion und Auferstehung Christi «pro nobis», seine Funktion als Richter, der Heilige Geist und sein Werk: die eine Kirche (mit der Schrift, dem Amt, der Tradition und der Kommunion in sich), die Sakramente (Eucharistie und Taufe werden genannt), die Auferstehung des ganzen Menschen, das Ziel: ewiges Leben in Gott. Dies alles ist, wie Theologie durch ihre Reflexion zeigen kann und muß, so ineinander verzahnt, daß die «Artikulationen» dieses lebendigen Organismus um der Einheit willen, die sowohl vorgegeben wie Ergebnis «des Wachstums zur vollendeten Einheit» hin ist, weder verringert noch vermehrt werden können, wohl aber in ihrer innern göttlichen Fülle immer weiter, tiefer und oft unerwartet entfaltet werden sollen und dürfen. Der Heilige Geist kann Verengungen, die sich im Lauf der Theologiegeschichte eingeschlichen haben, aufsprengen, er kann auch – wie aus heiterem Himmel – plötzlich neue Aspekte der alten, immer schon bekannten Überlieferung zeigen, Aspekte, auf die man noch nicht geachtet hatte, denn die Offenbarung ist die des unendlichen Gottes, gewiß in die endlichen Formen menschlicher Begriffe und Lebensformen hinein, aber doch so, daß alles Endliche, ohne verleugnet zu werden, sich bereit halten muß, Raum in sich zu schaffen für die vom Geist geschenkten Öffnungen auf die je größere Wahrheit des dreieinigen Gottes hin. Diese Dynamik gehört von jeher zum Wesen katholischer Überlieferung des Verständnisses der göttlichen Oikonomia und damit auch zu den vorhin beschriebenen Normen. Damit sind wir praktisch bei einem zweiten Aspekt.
2. Alles bleibt Mysterium
Wenn Gott sich in Jesus Christus durch den Heiligen Geist uns zuwendet und eröffnet, so niemals in der Weise, daß wir seine unendliche Wahrheit in die engen Gefäße unserer Begriffe einzufangen vermöchten. Zwar gibt es ein Verständnis des Glaubensinhalts, aber keinesfalls kann dieser Inhalt je in adäquate rationale Formeln sukzessiv aufgelöst werden. Im Gegenteil ist es so: je tiefer wir in ein Mysterium des Glaubens einzudringen suchen, desto höher und eindrücklicher übersteigt es unsere Fassungskraft. Alle großen Theologen (von den Griechen zu Augustin und Thomas) haben das gewußt und gesagt, und die Heiligen, die einige Erfahrung der göttlichen Dinge gewannen, erst recht.
Daher die Berechtigung einer Pluralität von Zugängen zum gleichen Glaubensmysterium. Daher auch die Notwendigkeit der theologischen kontroversen Diskussion über die Fruchtbarkeit dieser oder jener Annäherung des Geheimnisses, was zum echten Leben der Theologie gehört und ihren Frieden durchaus nicht gefährdet. Man braucht, um sich dessen zu vergewissern, nur die temperamentvollen Dispute zwischen Paulus und Jakobus im Neuen Testament zu verfolgen, um daran zu erkennen, daß man ein gleiches Mysterium (Rechtfertigung durch Glauben, verstanden als Vollhingabe des Lebens, das heißt durch einen «wirkenden Glauben» oder durch «Glaube und Werke») von entgegengesetzten Seiten her legitim angehen kann.
Bei solchen Disputen kann sich das Mysterium als tiefer erweisen denn alle Versuche, es durch noch so subtile Begriffe aufzuhellen – das klassische Beispiel dafür ist der unerledigte Abbruch der Diskussionen über die Vereinbarkeit von Gnade und Freiheit in den Gesprächen «de auxiliis», aber es gäbe viele andere Beispiele, wie etwa die Einsicht des Trienter Konzils, daß die Bezeichnung «Transsubstantiation» zwar zum Hinweis auf das Mysterium «sehr geeignet» ist, ohne doch dessen adäquate Auswortung zu sein. Es gibt im Neuen Testament offensichtliche Annäherungen an ein zentrales Mysterium, die wir auf Erden in keine unsern Verstand befriedigende Synthese bringen können, etwa die vielfach variierte Aussage: Gott will, daß alle Menschen selig werden (1 Tim 2,4), daß wir somit auch die Hoffnung für die Rettung aller hegen dürfen, ohne damit eine Sicherheit über den Ausgang des Gerichtes für alle Einzelnen zu gewinnen, weshalb im Exerzitienbuch der einzelne Sünder mit Recht eine Betrachtung über die Hölle, über sein echtmögliches Verloren-gehen-Können anzustellen hat.
In solchen Fällen werden die Grenzen aller Annäherungen an das Geheimnis bleibende Zentrum der göttlichen Wahrheit offensichtlich, wobei nur zu beherzigen ist, daß die (scheinbar) entgegengesetzten Annäherungen grundsätzlich in ihrem fragmentarischen Charakter berechtigt sind und sich nicht gegenseitig verketzern dürfen. Man könnte als Beispiel die Spielformen eines gemäßigten (nicht des extremen!) Semipelagianismus anführen, die auf verschiedene Weise die bleibende Existenz einer (gewissen) menschlichen Freiheit auch im Todsünder mit der Notwendigkeit der Gnade zu seiner Bekehrung zu verbinden suchen. Oder auch die unterschiedlichen Nuancen im Verständnis des Begriffs «Appropriation» eines Aspektes innerhalb der gemeinsamen weltlichen Tätigkeit der göttlichen Personen an eine bestimmte Person: das Mysterium besteht darin, daß der dreieinige Gott immer in Einheit wirkt, aber jede Person innerhalb dieser Einheit ihre eigene Wirkweise hat, was so geheimnisvoll bleibt, daß wir die Gegebenheit nie in übersichtliche Begriffe fassen können. Was geschieht zum Beispiel bei der Feier der Eucharistie? Der Vater schenkt uns seinen Sohn zur Speise, der Sohn nimmt uns in seine Hingabe an den Vater hinein, der Geist aber wirkt die Vergegenwärtigung des Sohnes: in ein- und demselben Ereignis wirken die göttlichen Personen untrennbar zusammen, und doch jede auf ihre Weise. Wir sehen etwas vom Mysterium, auflösen können wir es nicht.
3. Verhärtungen
Vielleicht ist dort, wo ein theologischer Verständnisversuch nicht direkt einem Offenbarungsdatum widerspricht (wie z. B. der Arianismus), nichts notwendiger als die neutestamentliche Grundtugend der Geduld. Es hat in der Geschichte der Theologie viele voreilige, ungeduldige Verurteilungen gegeben (zum Beispiel diejenige Thomas von Aquins 1270 durch Bischof Tempier), die später stillschweigend zurückgenommen wurden. Der ungeduldige Hinauswurf der «Strohepistel» des Jakobus aus dem Kanon durch Luther wird von heutigen protestantischen Theologen (z. B. Karl Barth) als überflüssig und verkehrt erachtet. Der Syllabus Pius’ IX. (1864), heute von extremen Traditionalisten neu aufgelegt, die im ganzen berechtigte Verurteilung des Modernismus durch Pius X., die bekannten Antworten der Bibelkommission von 1913 haben viel Geduld von den Theologen gefordert, bis die nachfolgende Entwicklung erwies, was davon zeitbedingt war und sich somit selber überholte, was dagegen weiterhin als verbindlich zu betrachten ist. Wenn also Geduld auch bei päpstlichen (nicht ex cathedra ergangenen) und anderen römischen Verlautbarungen erfordert ist – Geduld ist etwas ganz anderes als Geringschätzung oder schlichte Nichtbeachtung –, so ist solche noch weit mehr zwischen theologischen Richtungen vonnöten, die mit den Schlagworten «rechts» und «links» abgestempelt werden.
Geduld wäre die zentrale Haltung, mit der der Theologe gegen die Verhärtung der Fronten und damit gegen die unmittelbare Gefahr von Schismen anzutreten hat.
Die Verhärtung von «rechts» dürfte deshalb die gefährlichste sein, weil sie mit ihrem Rekurs auf die Tradition sich fast immer auf den gestrigen Buchstaben beruft, der nach Paulus töten kann, wenn er nicht vom heute wehenden Geist beseelt, erleuchtet, geklärt wird. Fast nach jedem großen Konzil ist eine Gruppe deshalb ausgeschieden, weil das Konzil, in der Tradition weiterdenkend, über den nackten Buchstaben früherer Formulierungen hinauszugehen gezwungen war. Arius konnte sich auf den Buchstaben mancher vornizänischer orthodoxer Theologen berufen. Starr am Buchstaben Kyrills von Alexandrien festhaltend, schieden die Monophysiten in Chalkedon aus. An den Buchstaben Augustins gegen seinen Geist sich klammernd – denn sein Geist war viel weiter als seine formelle und im Alter sich verengende Gnadenlehre, er war der Geist seiner Psalmen- und Johannesauslegung, seines Gottesstaats und seiner ganzen Theologie der trinitarischen und menschgewordenen Liebe –, schieden die Reformatoren, die Anhänger des Baius und Jansenius aus der Kirche aus. Vatikanum I erzeugte die Altkatholiken, Vatikanum II die Lefebvrianer samt ihrem schwer abzugrenzenden Anhang, der sich noch katholisch nennt, aber seine Hauptaufgabe darin sieht, sich selbst als den Ausbund der Orthodoxie auszugeben und allerorts verkappte Häresien aufzupirschen. Lefebvres Bekenntnis ist für diese Haltung höchst kennzeichnend: er wäre bereit, Vatikanum II «im Geist der Gesamttradition» anzuerkennen, das heißt mit Ausschluß all dessen, was sich in früheren Konzilien nicht buchstäblich findet, zum Beispiel die Religionsfreiheit. Gegenüber der vom Heiligen Geist geschenkten und auch geforderten Biegsamkeit für seine je neuen Einsprechungen besteht hier eine Art Versteinerung oder «Verfelsung» in der Grundattitüde, die den lebendigen, selbst den elementarsten Dialog mit dieser Richtung quasi unmöglich macht. Der Grund für diese Haltung ist die dauernde Verwechslung eines innerkirchlich und innerdogmatisch geforderten Gehorsams dem auslegenden Geist gegenüber mit einer Anpassung an den äußeren (sogenannten) Zeitgeist.
Demgegenüber kann der «linke» Flügel durch seine Sorge gekennzeichnet werden, was dieser Zeitgeist oder «moderne Mensch» noch von der überlieferten Wahrheit zu verstehen und im Leben nachzuvollziehen vermag. Diese Sorge kann die verschiedensten Formen annehmen, die von einer durchaus berechtigten Problematik in Sachen der Terminologie sich in unmerklichen Übergängen wandelt zu Fragen, ob diese oder jene Glaubenswahrheit als solche von einem modernen Gemüt noch assimilierbar ist. Eine berechtigte Frage ist zum Beispiel, ob man nach dem evidenten Wandel des Personbegriffs von der Zeit der Kirchenväter zu der unsern noch verständlicherweise von drei göttlichen Personen sprechen kann oder für das Mysterium nicht einen andern Terminus suchen sollte (aber welchen?), eine sehr bedenkliche dagegen wäre die Feststellung, daß man ob der Schwierigkeit des Nachvollzugs das «Für uns» von Kreuz und Auferstehung Christi nicht durch einen harmloseren Ausdruck, zum Beispiel den der «Solidarität Gottes mit den Sündern» ersetzen könnte.
Man könnte alle Artikel des Credo auf diese Bandbreite von der berechtigten bis zur unberechtigten Neuformulierung oder Neuinterpretation durchgehen, und hier müßte erneut die Geduld des Gläubigen erbeten werden, nicht von vornherein alles tiefere, ja exaktere Bedenken eines Artikels von vornherein als «liberal» und «unberechtigt» abzustempeln. Geduld ist hier ein wohl zu weltliches Wort; an seiner Stelle müßte man an den echten Glaubensinstinkt auch der einfachen Gläubigen appellieren, dem im rechten Augenblick (und erst dann) das rote Licht «Gefahr» aufleuchtet. Es wird sicherlich dort aufleuchten müssen, wo man alle «vertikale» Beziehung des Einzelnen zu Gott (in Gebet, in Buße und Lebenszucht) auf eine bloß «horizontale» Beziehung zum Mitmenschen zurückführt (auch wenn es mit Berufung auf Jesu Wort: «Was immer ihr dem geringsten meiner Brüder tut …» geschieht) oder wenn man Jungfrauengeburt, Auferstehung und alle Wunder Christi, die Wirkung der Sakramente ex opere operato, die Erwartung der Wiederkehr Christi ins Reich des Mythischen verbannt.
Die Haltung der Arbeit der Exegeten gegenüber mißt sich an der gleichen Fähigkeit zu Geduld und Unterscheidung der Geister. Der Glaubende wird trennen müssen zwischen dem, was der Gelehrte an dem bloßen literarischen Text an sich und im Zusammenhang mit andern Texten und dem Geist der Zeit, in dem er verfaßt wurde, herausliest, und der theologischen Tragweite dieses Textes, sofern er eine Auslegung des Wortes Gottes (das Christus ist) durch den Heiligen Geist Christi und des Vaters zu sein beansprucht. Beides kann aufs Fruchtbarste ineinanderspielen (zum Beispiel wenn es um die Datierung einer alttestamentlichen Aussage geht oder auch um einen von einem Evangelisten gegenüber einem anderen bevorzugten Ausdruck oder Standpunkt), was aber wiederum nicht heißt, daß ein schlichter Betrachter des Wortes Gottes dadurch gefördert wird, daß er vor oder gar während seiner Betrachtung einen exegetischen Kommentar nachschlägt. Wenn man von einer «präferentiellen Option Gottes für die Armen (im Geiste)» spricht, muß man Gott zutrauen, sich in seinem Wort und seiner Selbstauslegung auch den Armen und Ärmsten verständlich machen zu können.
Aber man wird dann die innere Verzahnung der Credoartikel nicht aus den Augen verlieren, wonach die Schöpfung Gottes des Vaters (mit ihren immanenten Gesetzen) in Jesus Christus ihr wahres Ziel und ihren letzten Sinn erreicht, welcher Sinn uns durch den göttlichen Geist, und zwar in der Kirche, in der Schrift, in den Sakramenten, in der Gemeinschaft der Heiligen ausgelegt wird, was aufgrund seiner Vieldimensionalität erneut zeigt, daß es sich nicht um eine menschlich rationalisierbare Wahrheit, sondern um ein dem Menschen zugänglich gemachtes Mysterium Gottes handelt, dem gegenüber der empfangende Mensch sich vor aller sich verhärtenden Besserwisserei zu hüten hat.
4. Naht- und Konfliktstellen
Die eben aufgewiesene Vieldimensionalität, die jede fertige Systematisierung verunmöglicht, zeigt nun auch, daß es zwischen der Geschichtlichkeit der Schöpfungsordnung, den vielen Aspekten der Christusoffenbarung und schließlich der (bei aller bleibenden Grundstruktur) immer neuen Auslegung dieser Offenbarung durch den Heiligen Geist auch für die je heutige Menschheit und Christenheit viele Nahtstellen geben kann.
Wie zum Beispiel verhält sich politische und soziale Freiheit zu der von Christus erkauften Freiheit von der Sünde, und wie wird der Heilige Geist den Zusammenhang zwischen Freiheit in der Schöpfungs- und in der Erlösungsordnung bestimmen? Oder wie verhält sich die in der konkreten Naturordnung unentbehrliche Staatsgewalt zu der von Jesus geforderten Gewaltlosigkeit, wie nochmals wird der Geist beides einander zuordnen? Auf Erden wird beides – die Frage der Freiheit wie die der Gewalt – nie jenseits aller Konflikte lösbar sein. Dazu kommen Fragen des Eigentums, Fragen der Gestaltung von Geschlechtlichkeit und Familie in sich wandelnden kulturellen Verhältnissen, aber unter unwandelbaren christologischen Normen, wobei wiederum nur durch Horchen auf den Heiligen Geist eine irdische (weltlich wie kirchlich) immer prekäre Balance gefunden werden kann.
In solchen Fragen, von denen hier nur ein paar spektakuläre aufgeführt wurden, kann es weder um eine rechthaberische «Versäulung» (wie die Holländer sagten) gehen noch um ein bloßes Auskultieren des «Zeitgeists», sondern einzig um ein sorgsames Abwägen der notwendig zusammenführenden Wahrheiten. Das Zweite Vatikanum hat in dieser Hinsicht vorbildliche Arbeit geleistet, ohne den Anspruch zu erheben, für alle Zukunft in jeder Hinsicht das Endgültige, Unübersteigliche gesagt zu haben. Keinesfalls dürfte die Meinung entstehen, in der bisherigen Kirchengeschichte habe der Heilige Geist alles «Wesentliche» gesagt, so daß man von ihm für die Zukunft nichts Bedeutendes mehr zu erwarten habe und die ganze Arbeit des Theologen sich darauf beschränke, schon Gesagtes zu wiederholen, womöglich im Ton der alten Gouvernante, die den dummen Kindern einbläut, was sie – immer wieder – vergessen.
Es gibt auch, um das eben Gesagte zu illustrieren, den Fall, wo durch lange Zeiten von den Theologen Dinge für endgültig angesehen wurden, in denen die Kirche nichts definiert hat; dabei kann es sich gerade um die oben erwähnten Aporien handeln, bei denen man über eine Mehrheit von Annäherungen an das Geheimnis nicht hinauskommen kann. Ein Beispiel ist jene augustinische Tradition, die mit Sicherheit zu wissen vorgibt, daß eine mehr oder weniger große Zahl von Menschen ewig verdammt ist, was nicht nur von den großen Scholastikern, den Reformatoren und vielen Theologen des 19. Jahrhunderts als selbstverständliche Wahrheit hingenommen wurde, obschon die Kirche nie etwas derartiges definiert hat, auch ein Kirchenvater wie Gregor von Nyssa, ohne verurteilt zu werden, eindeutig das Gegenteil verteidigt hat. Die neutestamentlichen Texte lassen die Frage offen; viele sprechen klar vom universalen Heilswillen Gottes, andere drohend von der Möglichkeit, daß ein Mensch ewig verloren gehen kann, daß die Sünde gegen den Geist weder in dieser noch in jener Welt vergebbar ist, und Ignatius stellt, wie schon erwähnt, in den Exerzitien den einzelnen unerbittlich vor diese ihn persönlich betreffende Möglichkeit, freilich nicht ohne die Höllenbetrachtung mit einem Gespräch zu dem für mich Gekreuzigten zu beschließen. Der Theologe soll nicht mehr wissen wollen als die Kirche, die zwar viele Heilige seliggesprochen, aber nie einen Menschen als in die Hölle verdammt erklärt hat. Das heißt, verallgemeinernd, daß derartige Vorstöße einzelner Theologen (und hießen sie Augustinus) über die zurückhaltende Stellung der Kirche hinaus im Licht des Heiligen Geistes revidiert werden können, ja müssen, selbst wenn man dabei einen Schritt zurück zu tun scheint: vom Zuvielwissen zu einem Wenigerwissen, das zugleich einen Fortschritt bedeutet: in Richtung auf ein größeres Vertrauen auf die Gnade, auf eine Tilgung jener dunklen Schatten, die die Lehre von der «doppelten Prädestination» (zum Himmel und zur Hölle) über die ganze abendländische Theologie gelegt hat.
Es gibt, um zu schließen, Grenzen des theologischen Gesprächs, das im kirchlichen Frieden vor sich gehen soll und diesen Frieden auch durch ernsthafte Kontroversen hindurch sichern kann. Die eine Grenze liegt dort, wo man leichtfertig zentrale Wahrheiten der Offenbarung und der sie schützenden Erklärungen der Konzilien fallen läßt, unter dem Vorwand, die Exegese hätte uns eines Bessern belehrt oder diese Wahrheiten seien für den «heutigen Menschen» nicht mehr akzeptabel. Exegese kann vieles in ein neues Licht rücken, zentrale Glaubenswahrheiten kann sie nicht aufheben. Und für den «modernen Menschen» jeglicher Zeit war die christliche Wahrheit immer ein Ärgernis und eine Torheit, aber «Gottes Torheit ist (nach Paulus) weiser als die Menschen». Die andere Grenze ist die versteinerte und meist sauertöpfische Besserwisserei, die sich nicht auf den Geist der Schrift und der kirchlichen Tradition und seine Lebendigkeit verläßt, sondern auf den «tötenden Buchstaben», in dem man sich scheinbar wie in einem bombensicheren Unterstand verschanzen kann, aber unter Preisgabe jedes lebenspendenden Dialogs innerhalb der Communio der Kirche.
Werden diese Extreme vermieden, die leider unter uns nur allzu verbreitet sind, so kann ein ehrliches Aufeinander-Hören und Miteinander-Reden das unentbehrliche Mittel sein, aus den lebendigsten Quellen eine erneuerte Theologie in all ihren Disziplinen – Dogmatik, Ethik, Spiritualität bis hin zu den Grenzfragen, wie christliche Wahrheit sich im Sozialen, Politischen, Psychologischen auswirken kann – aufbaut, ohne Schlagworten und Kurzschlüssen zu verfallen. Stellt man sich diesem Dialog, so wird der Theologe selber, aber auch alle, die von ihm ein fixfertiges Handbuch fordern («denn was man Schwarz auf Weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen»), sich in der Geduld zu üben haben, die, neutestamentlich gewertet, die Herzen offen hält, während die Ungeduld keine Ruhe hat, bis sie alles lebendig Wachsende als ein Ewig-Gleiches und Endgültig-Totes ins Spiritusfläschchen eines Handbuchs eingesperrt hat.

Hans Urs von Balthasar
Titolo originale
Der Friede in der Theologie
Ottieni
Dati
Lingua:
Tedesco
Lingua originale:
TedescoCasa editrice:
Saint John PublicationsAnno:
2025Tipo:
Articolo