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Der Erstling der neuen Welt
1. Himmel und Erde
Fragt man nach der Bedeutung der Himmelfahrt Christi, dann ist als erstes auf die biblische Nichtidentität von Himmel und Erde zurückzugreifen. Das erste Wort der Bibel drückt sie aus: «Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde» (Gen 1,1), und sie hält sich durch bis zum letzten Buch; da «der erste Himmel und die erste Erde vergangen» waren, «sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde» (Apk 21,1). Der Himmel ist «geschaffen», ist aber trotzdem der Ort innerhalb der Schöpfung, den Gott sich für sein Wohnen und Wirken vorbehält. Der Abstand Himmel-Erde wird so zur Versichtbarung des Abstands Gott-Geschöpf: «Die Himmel sind die Himmel des Herrn, die Erde hat er den Menschenkindern gegeben» (Ps 115,16). Dies bleibt wahr, auch wenn Israel immer besser weiß, daß Gottes Herrlichkeit «über die Himmel erhaben» ist (Ps 148,13), «aller Himmel Himmel vermögen ihn nicht zu fassen» (1 Kön 8,27), und daß deshalb Jahwe «Gott des Himmels und der Erde» ist (Esr 5,11). Es bleibt wahr, weil es in Gottes Schöpfung um einen Verkehr, ein Zueinander, einen Austausch zwischen Himmel und Erde, Gott und Menschen gehen soll, was nur möglich ist von einem primären und nicht aufhebbaren Unterschied aus.1 Schon im Alten Bund ist Gott ein vom Himmel «Herabschauender», ja «Herabfahrender», Gnade und Gericht, Wort und Weisheit vom Himmel herabsendender Gott, während der Mensch ein zum Himmel Aufblickender ist (Dan 13,9. 25). Der Gnadenbund mit Abraham und Mose besiegelt den Tauschgedanken, dessen Vollkommenheit sich vorweg im Bild der «Jakobsleiter» mit den ab- und aufsteigenden Engeln versinnbildet. Aber noch ist der Alte Bund von dieser Vollkommenheit weit entfernt: Gott geruht zwar, ein Zelt und einen Tempel unter den Menschen zu haben, ihnen seine Weisungen zu geben; der Glaubende setzt seine ganze Hoffnung auf ihn, aber die Schranke des Todes bleibt geschlossen: Der Sterbende fährt «zur Grube», ein Zugang zum Himmel Gottes ist ihm verwehrt. Der Hebräerbrief zählt die Großtaten des glaubenden Alten Bundes auf, muß aber zum Schluß feststellen: «Sie alle erlangten die Verheißung nicht, weil Gott für uns etwas Besseres vorgesehen hat; jene sollten nicht ohne uns zur (himmlischen) Vollendung gelangen» (Hebr 11,39f.). Nur ahnungsvolle Vorzeichen für diese Vollendung kennt der Alte Bund: Moses Aufstieg zum Berg, auf dem Gott weilt; Elijas Auffahrt im feurigen Wagen (wohin wird nicht gesagt), die zunehmende Bewohntheit des Himmels Gottes durch seine «Heerscharen» und Engelsboten, Visionen der Propheten, die (wie Jesaja und Ezechiel) Gottes Herrlichkeit schauen, in der Spätzeit Ausblicke auf eine Auferstehung der Toten am Ende der Welt (die freilich immer auf Erden stattfand [Jes 26,19]), vereinzelte Worte der Hoffnung bei den Psalmisten, ewig in Gott geborgen zu sein (Ps 16,10; 17, 15; 49, 16). Lauter Bilder der sehnsüchtigen Hoffnung, daß der Austausch Himmel-Erde sich nicht nur von oben nach unten, sondern auch von unten nach oben vollende.
2. «Es ist gut für euch, daß ich gehe»
Jesus sagt es zu den trauernden Jüngern (Joh 16,7). Gut ist es, denn sein Hingang zum Vater ist die innere Vollendung seines Abstiegs und die erste entscheidende Einübung der Seinigen in seine Grundhaltung.
Er ist – in Menschwerdung, Kreuz und Eucharistie – der Hingegebene, der kraft der Sendung des Vaters alle Räume und Zeiten der Welt und ihrer Geschichte, alle Herzen und alle menschlichen Geschicke Erfüllende. Man muß die Himmelfahrt in dreifacher Hinsicht als die Erfüllung dieser Hingabe verstehen. Einmal ist diese Rückkehr nach vollendeter Weltsendung «in den Schoß des Vaters hinein» (eis ton kólpon tou patrós: Joh 1,18) die Wiederbegegnung mit dem sich ergießenden Urquell alles Seins, dem sich alles, auch der Sohn selbst verdankt, der seine Hingabe nunmehr als die Antwort auf die unvordenkliche, grundlose Hingabe des Vaters erkennen wird; ihr zu begegnen ist seine Seligkeit: «Der Vater ist größer als ich», und er verlangt von seinen Jüngern, sie sollen sich ob dieser seiner Seligkeit freuen («Wenn ihr mich liebtet, würdet ihr euch freuen…» Joh 14,28). Aber Rückkehr ist zweitens nicht Abkehr: «Ich gehe und ich komme zu euch» (ebd). Seine «Erhöhung» ist der «Ort», von dem aus er die Kirche eucharistisch durchlebt und von innen her strukturiert; er ist nicht nur «bei» uns «alle Tage bis ans Ende der Welt» (Mt 28,20), er ist, von seinem Hoheitsort aus, «in» uns (Joh 14,20; 17, 23), indem er uns nicht nur sein Leben mitteilt, sondern uns von seiner uns persönlich zugemessenen Sendung verleiht: «Die einen zu Aposteln, die anderen zu Propheten», bis er in uns die Vollreife seines «Leibes» erlangt hat (Eph 4,11ff.). In diesem Sinn ist die Eucharistie wie die Himmelfahrt letztlich ganz wörtlich Freigabe: durch den scheinbaren Entzug (der «für euch gut ist») die Gabe der Freiheit, innerhalb seiner eucharistischen Hingabe die uns geschenkte Sendung zu erfüllen. So ist der Entzug seines Neben-uns-Seins die Ermöglichung seines In-uns-Seins, und das heißt, der Mitteilung seines Geistes. «Es ist gut für euch, daß ich gehe, denn ginge ich nicht, so würde der Beistand nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn euch senden» (Joh 16,7). Entzogen wird lediglich, was die letzte Innigkeit hindert; vor allem muß man sich hüten, die Himmelfahrt in einem Gegensatz zur Eucharistie zu sehen: Der einmal Hingegebene nimmt sich nie mehr zurück. Aber um den Jüngern diese seine Hingegebenheit mitzuteilen, muß er sie in die Bejahung seines Heimgangs zum Vater einüben. Er geht zum Vater, so sagt er, damit seine Sohnes-Freude vollkommen auch ihre Freude sei (Joh 17,13).
Von Ostern her beginnt diese Einübung. Er erscheint den Jüngern immer nur als der nicht Festzuhaltende; im Augenblick, da er sich in Emmaus eucharistisch schenkt, entschwindet er und lehrt damit, daß er im Inneren leibhafter ist denn als außen Gesehener. Maria von Magdala, die am Grab weint, trifft er mit seiner Anrede ins Herz, aber versagt ihr die Berührung: Er ist im Begriff, «in den Schoß des Vaters hinein» aufzufahren, darin schenkt er sich ihr, wie den Jüngern von Emmaus, als Sendung zu den Brüdern. Mit der Thomasszene schließt (ein erstes Mal) das Johannesevangelium. Thomas wird seine Forderung gewährt, aber er greift nur in die Leere der Wunden, dort, wo Blut durch das Herz pulsen sollte, ist nichts greifbar, deshalb sind selig, die mit der Verwandlung des irdisch Vertrauten in die intimere eucharistische Leiblichkeit einverstanden sind. Alle diese Verzichte sind Einübung in den Grundakt Christi, den man als den archetypischen Glaubensakt bezeichnen kann.2 Der Glaube hat immer einen Charakter des Loslassens, der Entsicherung, weshalb ein sich selbst reflektierender Glaube ein Widerspruch in sich selbst ist.3 Christi Himmelfahrt lehrt den Glaubenden, daß sein Loslassen, das er vielleicht als einen Verlust seiner Standfestigkeit fühlt, tiefer nicht nur seine eigene Befreiung ist, sondern Freigabe («Sein-Lassen»), offener Raum begabt mit der Gabe zum Freisein anderer.
3. Das Wohin der Himmelfahrt
Jesus nennt dieses Wohin ausdrücklich: «Ich gehe zum Vater» (Joh 16,28). Wenige Theologen haben sich mit dieser Auskunft begnügt, sie hängen dem alten Weltbild an, in dem die werdenden und vergehenden Dinge sublunar, in der untern Welt sind, die ewigen und vergeistigten in der obern; so scheint ihnen die Himmelfahrt von der irdischen Welt in einen kosmologischen Himmel zu führen. Bei einem Dichter wie Dante ist eine solche Versinnlichung verstehbar, bei einem Denker wie Thomas weniger.4 Er wäre wohl besser seinem Lehrer Albert gefolgt, der, alle Anschaulichkeit aufgebend, von einer Rückkehr des Gottmenschen in den Himmel der Dreieinigkeit spricht: «Der Apostel sagt: ‹(Christus) fuhr auf über alle Himmel› (Eph 4,10). Aber jenseits aller Himmel ist kein Ort mehr, es sei denn, man bezeichne übertragenerweise den Himmel der Dreieinigkeit als Ort, denn die Dreieinigkeit wird von keinem geschaffenen oder körperlichen Ort umschlossen. Deshalb wird der Himmel der Dreieinigkeit nichts Geschaffenes oder Körperliches sein, sondern die Dreieinigkeit selbst.»5 Ihm folgt, wie öfter und wie aus seinem Bild des Gottmenschen als des Weltinbegriffs nicht anders zu erwarten, Nikolaus von Kues: Christus fährt nach ihm auf zu einem Ort oberhalb aller «Einflüsse der Himmel»; «wir sprechen zwar von einem Ort der ewigen Seligkeit und des ewigen Friedens oberhalb aller Himmel, obschon er als Ort weder erfaßbar noch beschreibbar noch definierbar ist. Er ist sowohl das Zentrum wie der Kreisumfang der Geistnatur, und weil der Geist alles umfaßt, ist er über allem … So verstehen wir die Aussage, Christus sei ‹über alle Himmel aufgestiegen, um alles zu umfassen›, dahin, daß er über alle Orte und alle Zeiten zu einer unvergänglichen Bleibe aufstieg.»6
Am leidenschaftlichsten und ausführlichsten hat der große karolingische Systematiker und Bewahrer der patristischen Überlieferung Johannes Scotus Eriugena diese Ansicht vertreten. In Jesu Himmelfahrt beginnt die ganze Menschheit und mit ihr (die ja Mikrokosmos ist) die gesamte körperliche Welt ihre Rückkehr in die göttlichen Urgründe, ohne dadurch ihr geschaffenes Wesen zu verlieren.7 Deswegen nennt Scotus den einen «Wahnsinnigen» (amens), der behauptet, «der Leib Christi werde nach der Auferstehung innerhalb dieses körperlichen Himmels behalten»;8 vielmehr «besteht kein Zweifel, daß Christi Leib von keinem Ort behalten, von keiner Zeit verändert wird, vielmehr alle Orte und Zeiten, überhaupt jede Begrenzung überschreitet».9 Nur so kann er «Maß und Vollendung und Fülle seines Leibes, der Kirche» werden;10 in ihm als dem «einzigen und geräumigsten Haus wird alles geordnet und eingefaßt, in ihm wird das Staatswesen (res publica) des Alls von Gott und in Gott begründet, in vielen und vielfältigen Wohnungen (Joh 14,2) … Christus ist dieses Haus, er, der durch seine Kraft alles umgreift, mit Gnaden schmückt, mit Weisheit erfüllt, durch Vergöttlichung vollendet».11 Denn «was er im besondern in sich selbst» durch die Himmelfahrt «vollendet, das wird er allgemein in allen vollenden. Ich sage nicht bloß in allen Menschen, sondern auch in allen sinnlichen Kreaturen. Denn als Gottes Wort die menschliche Natur annahm, ließ er keine geschaffene Substanz aus, die er nicht in jener Natur mit aufgenommen hätte.»12 Deshalb bringen Augustins realistische Schilderungen des Auferstehungsleibes in kosmologischen Himmeln Scotus völlig außer sich (stupefactus haesito, maximoque horrore concussus titubo),13 er kann sich diese Tatsache nur dadurch erklären, daß solche spiritualissimi viri für Einfältige geschrieben hätten, um sie allmählich an Geistigeres zu gewöhnen…
Man sieht, daß es bei Scotus zu Beginn, bei Cusanus am Ende des Mittelalters nichts zu «entmythologisieren» gibt. (Für Johannes Scotus ist auch lächerlich, eine unter der Erde liegende Hölle anzunehmen.14) Der Glaubende, der seinen Glauben zu denken versucht, wird mit dem Kusaner die alles «umlebende»15 Natur des eucharistischen und erhöhten Christus als den endgültigen «Ort» der neuen Welt bedenken; gerade weil er in der Menschwerdung die äußerste «Kontraktion» oder «Komplikation» auf sich nahm, steht ihm in der Himmelfahrt die äußerste «Explikation» zu. Beide Unendlichkeiten aber sollen nach Nikolaus – als coincidentia oppositorum – eins sein. Dieses Paradox lösen wir hier nicht mathematisch, sondern christologisch, ja trinitarisch. Denn die höchste «Entäußerung» (kenosis) ist als solche auch die höchste Ergießung der Liebe Gottes zur Welt, somit ihre höchste Selbstverherrlichung, und im innern Leben Gottes ist die absolute Hingabe jeder Person an die andere auch deren volle Konstitution.
- Hierzu die klassischen Ausführungen von Karl Barth in: Kirchliche Dogmatik III/3 (1950), S. 486-558.↩
- Jacques Guillet, La foi de Jésus-Christ. Paris 1979.↩
- Das ist der zentrale Vorwurf, den Paul Hacker dem Protestantismus macht («Das Ich im Glauben bei Martin Luther». Graz 1966).↩
- «Locus … in quo nos habitamus est locus generationis et corruptionis, sed locus coelestis est locus incorruptionis. Et ideo … fuit conveniens» etc. S. Th. III 57,1.↩
- De Resurrectione tr 2, q 9, a 3 (Opera Tom. 26, Münster 1958, 286, andere Stellen in Anm. 29).↩
- Docta Ignorantia III 8 (Petzelt, Nicolaus v. Cues, Philos. Schriften I. Stuttgart 1949, S. 107).↩
- De Divisione Naturae 1 V 6 (PL 122, 872A).↩
- V 38 (993B).↩
- Ebd. 992C; vgl. V 19 (894BC).↩
- Ebd. 994C.↩
- V 36 (984B).↩
- V 24 (912BC).↩
- V 37 (986B).↩
- V 36 (971A).↩
- Das Wort stammt von R. Guardini.↩

Hans Urs von Balthasar
Titolo originale
Der Erstling der neuen Welt
Ottieni
Dati
Lingua:
Tedesco
Lingua originale:
TedescoCasa editrice:
Saint John PublicationsAnno:
2025Tipo:
Articolo