Hans Urs von Balthasar «war nicht am Konzilsgeschehen beteiligt worden. Angesichts des Beitrags, den er hätte leisten können, muss man das mit großem Bedauern feststellen. Aber es hatte auch sein Gutes. Denn die Distanz, aus der Balthasar das Ganze beobachten konnte, gab ihm eine Unabhängigkeit und Klarheit des Urteils, die unmöglich war, wenn man selbst vier Jahre im Inneren des Geschehens gestanden hatte. Er hat die Größe der konziliaren Texte uneingeschränkt erkannt und anerkannt, aber er sah auch, wie rundherum sich viele kleine Geister angesiedelt hatten, die nun aus der konziliaren Atmosphäre Bedeutung zu gewinnen suchten, indem sie einfach am Maßstab des Glaubens vorbeiredeten mit Forderungen oder Behauptungen, die dem Geschmack der Zeitgenossen entsprachen und aufregend erschienen, weil man sie bisher für unvereinbar mit dem Glauben der Kirche gehalten hatte. Origenes hat einmal gesagt: Die Häretiker denken tiefer, aber nicht wahrer. Mir scheint, für die Nachkonzilszeit müsse man das ein wenig abwandeln und sagen: Ihr Denken erscheint interessanter, aber auf Kosten der Wahrheit. Das bisher Unmögliche zu behaupten wurde als Fortführung des Geistes des Konzils ausgegeben. Ohne dass schöpferisch Neues hervorgebracht worden wäre, konnte man sich nämlich zu billigem Preis interessant machen, indem man alte liberale Ladenhüter nun als neue katholische Theologie anbot. Balthasar hat diesen Vorgang, in dem das Interessante wichtiger wurde als das Wahre, von Anfang an mit großer Schärfe wahrgenommen und mit der ganzen Unerbittlichkeit seines Denkens und Glaubens dagegen Stellung bezogen. Cordula oder der Ernstfall, 1966 erschienen, werden wir immer mehr als einen Klassiker sachlicher Polemik erkennen, der sich würdig den großen polemischen Schriften der Väter anschließt, die uns Gnosis und Christentum zu unterscheiden lehrten. Vorangegangen war bereits 1965 das kleine Buch Wer ist ein Christ?, das mit der Klarheit seiner Maßstäbe aufhorchen ließ, mit denen es das authentisch Christliche von selbstgemachten Phantasiechristentümern zu unterscheiden lehrte. Balthasar hatte mit diesen Schriften genau das getan, was er 1972 als Aufgabe von Communio bezeichnete: ‹Es geht nicht um Bravour, aber immerhin um den christlichen Mut, sich zu exponieren.› Er hatte sich exponiert und es sicher in der Hoffnung getan, durch diese Posaunenstöße das theologische Denken wieder zur Sachlichkeit zurückzurufen.» (Joseph Ratzinger)
Siehe auch: [„Apologia pro Cordula sua“] (1967), auf dieser Webseite verfügbar