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Das Wesentliche im Fall Küng
Was vielen wie ein Blitz vom Himmel erscheint, ist in Wahrheit nur der Schlusspunkt einer mehr als zehnjährigen, tragischen und intensiven Auseinandersetzung. Niemand, der ein objektives Urteil über diese fällen möchte, dürfte es ohne Kenntnisnahme der fast zweihundertseitigen Dokumentation tun, die als Beigabe zur Erklärung der Glaubenskongregation und der Deutschen Bischofskonferenz von der letzteren herausgegeben wurde und bei ihrem Sekretariat beziehbar ist; sie enthält alle wesentlichen Aktenstücke von 1967 bis 1979. Bei unvoreingenommenem Studium relativiert sich viel Vordergründiges, und die wirklichen Fronten werden klar (ich zitiere nach den Seitenzahlen).
Man kann sich ärgern an der gewiss nicht geschmackvollen öffentlichen Infragestellung des Papstes, sogar seiner Christlichkeit, und die völlig abwegige Vermutung äußern, der Entzug der Lehrbefugnis sei dessen Rache dafür. Man kann sich ferner ärgern über den unehrfürchtigen Ton, womit Küng die Vertreter der Glaubenskongregation anspricht, mehr noch über seine Hartnäckigkeit, mit der er deren Fragen und die der Bischöfe immer wieder unbeantwortet lässt und dafür über römische Verfahrensprobleme spricht, die ihm unbefriedigend scheinen. Man kann sich immer noch und verständlicherweise ärgern über die Art, wie er die Verhandlungen hinzieht, auf Einladungen entweder sehr spät oder mit einem «Keine Zeit», «Ich bin auf Reisen» oder: «Ich schreibe ein Buch» oder: «Es ist Semester» antwortet, und man bewundert die Lammsgeduld der römischen und der deutschen Amtsstellen mit ihm. Man verfolgt mit Beklemmung, wie Leute, die ihm ausgesprochen wohl wollen, allmählich ratlos werden und ihn schließlich fallenlassen, ein Kardinal Volk («Ich möchte Sie herzlich bitten, doch einmal mit Rom zu reden!») oder Kardinal Döpfner, der am Schluss gesteht: Wenn die alten Schwierigkeiten nicht endlich ausgeräumt werden, «wüsste ich mir kaum mehr zu helfen» (115), der Bischof von Rottenburg, der ebenfalls die Waffen streckt («ein unerquickliches Nachspiel scheint unvermeidlich»: 185).
Man vernimmt, wie Küng, auf das unaufhörliche Drängen zur Überprüfung seiner Thesen hin, zuweilen ein «Versprechen» abgibt, auf «Ergänzungen in einem kommenden Buch» vertröstet. Das römische Verfahren, das am 4. September 1974 als «für jetzt» beendet angesehen wurde, gab Küng die Mahnung auf den Weg, die mit dem katholischen Lehramt unvereinbaren Aussagen – wie die Leugnung eines von Christus mit Autorität ausgestatteten Lehramtes oder die von Laien im Notfall (also grundsätzlich) gültig vollziehbare Eucharistiefeier nicht weiter zu lehren, welche Weisung Küng später, zumal in seinem Vorwort zu Haslers zweitem Werk über das I. Vatikanum und in seiner theologischen Meditation über die in der Wahrheit gehaltene Kirche in den Wind schlug. Schon damals erinnerte ihn die Kongregation daran, dass «die kirchliche Autorität ihm die Befugnis gegeben hat, Theologie im Geist der kirchlichen Lehre zu dozieren, nicht aber Auffassungen zu vertreten, die diese Lehre verkehren oder in Zweifel ziehen» (104).
Mit der Zeit mehren sich die dogmatischen Anfragen; sie betreffen (zumal seit «Christ sein») nicht nur die kirchliche Autorität, sondern die zentralen Probleme der Christologie, der Trinitätslehre, der Erlösungs- und Gnadenlehre: man möchte von ihm ein klares Stehen zu den wesentlichen Formeln des Credo. Die Antwort ist schroff: «Ich empfinde es zunächst als eine Zumutung, dass man mir als einem ordentlichen Professor der katholischen Theologie ein Glaubensbekenntnis abfordern will» (147). Aber dann, ein paar Sätze weiter: Es «geht um äußerst subtile und komplexe Probleme, die allen Theologen gestellt sind, und die… nicht mit Katechismusantworten zu bewältigen sind» (148). Ausweichmanöver nach der einen und andern Seite? Gewiss, aber damit sind wir immer noch an der Peripherie.
Das Zentrum ist im Grunde etwas ganz Einfaches. Für Küng ist die Existenz einer kirchlichen Autorität, die sich von Christus herleitet, ein Problem, das gründlich diskutiert werden müsste, bevor auf dieses, für ihn unbewiesene Faktum hin Dinge behauptet oder gefordert werden dürften. Hintergründig wird es für Küng schon negativ gelöst sein, da (im Buch über «Die Kirche») die Kontinuität zwischen Christus und Kirche fraglich ist (hier bleibt Bultmann bestimmend), weshalb ein Theologe (hier Karl Barth) nur unter der Autorität des Wortes Gottes, nicht unter der der Kirche steht: «Kraft welcher Autorität trage ich meine Meinungen vor? Kraft der Autorität des Wortes Gottes, dem ich als Theologe zu dienen habe» (102). Von diesem Standort aus ist es konsequent, dass er die Glaubenskongregation, die auf ihre Autorität pocht, immerfort auffordert, erst einmal diese theologisch zu beweisen. Hierbei «nur auf jene lehramtlichen Dokumente zu verweisen, auf die meine Fragen zielen, ist ein Circulus vitiosus, in welchem vorausgesetzt wird, was bewiesen werden sollte» (51, 74). «Eine leicht zu durchschauende petitio principii ist es, als Beweise diejenigen lehramtlichen Texte… anzuführen, die gerade in Frage stehen» (178). Rom soll argumentieren. Er lädt die Mitglieder der Kongregation in sein Seminar ein, Reise und Aufenthalt in Tübingen würden bezahlt (53). Wird der Anspruch Roms nicht zuvor wissenschaftlich geklärt, ist das geforderte «Kolloquium für beide Seiten sinnlos» (73). Aber «stichhaltige Begründungen» zu den bloßen Behauptungen zu liefern, dazu ist «die Glaubenskongregation unfähig» (53). So soll sie Ruhe geben und die Theologen ihre Probleme «unbehindert ausdiskutieren lassen» (78).
Die Bestreitung einer (von Christus stammenden) Autorität hat zur Kehrseite die Forderung einer uneingeschränkten Freiheit theologischer Forschung. Immer wieder beruft sich Küng auf das (quasi verschollene) Manifest der 1360 Theologen, die solche Freiheit fordern, den Bischöfen das «pastorale Verkündigungsamt», sich selber die «wissenschaftliche Lehraufgabe» zuteilen und «jegliche Art von noch so subtiler Inquisition» ablehnen (77). «Pastoral» wäre somit scharf gegen «Theologie» abzutrennen. Nach seiner Position befragt, sagt Küng: «Ja, katholische Kirchengemeinschaft war und ist wieder möglich auch ohne streng autoritäre Führung (Interpretationsmonopol für Schrift und Tradition des kirchlichen Lehramtes!). Freie, unvoreingenommene wissenschaftliche Forschung… führt nicht zur ‹Selbstzerstörung› der Kirche, sondern zu ihrer Erneuerung» (179). Was für den Katholiken «verbindliche Wahrheiten» sind, ist «nicht so einfach», wenn man die «heute auch in Rom in ihrer Problematik durchschauten Lehrentscheidungen vom Galilei-Fall über den Syllabus bis zu den Enzykliken ‹Humani generis› und ‹Humanae vitae›» bedenkt (96). Hinter diesen Fällen stehen aber auch die alten und neuen konziliaren und päpstlichen Definitionen, die ihrerseits keinen Anspruch erheben können, «unfehlbare Sätze» zu sein (172). Solche gibt es schlechterdings nicht. Alle Formeln sind zumindest geschichtlich bedingt (75). Haslers Buch über das Erste Vatikanische Konzil ist so sehr Wasser auf Küngs Mühle, dass er im Vorwort jede Vorsicht und Zurückhaltung vergisst und eine gänzliche Revision (beziehungsweise Rückgängigmachung) der Konzilssätze fordert (181).
Kann man Küng diese Ansichten, deren innere Konsistenz fraglos ist, verübeln? (Über seine subjektive Ehrlichkeit hat übrigens nie eine Instanz richten wollen.) Ich denke nicht, denn es sind gute protestantische Ansichten, die von vielen evangelischen Christen optima fide und sogar mit für Katholiken durchaus verständlichen Gründen vertreten werden. Auch diese Glaubenden können sich zur Una Catholica bekennen, wenn man darunter die «allgemeine, umfassende Kirche, jene in allen Brüchen sich durchhaltende Kontinuität von Glauben und Glaubensgemeinschaft» versteht, zu der auch Küng sich bekennt (180). Nur muss man dann die nicht leicht zu tragende crux dieser Kirche auf sich nehmen, dass man sich einerseits unter die Autorität des Wortes Gottes allein stellt, dieses anderseits gleichzeitig vor das Forum der historisch-kritischen Methode zieht. Küng ist sich dieser Schwierigkeit durchaus bewusst.
Es ist nicht notwendig, an dieser Stelle auf die katholische Position näher einzugehen, die im kirchlichen Amt (der Bischöfe, der Konzilien, des Papstes) eine durch Christus selbst gewollte Vermittlung zwischen dem in ihm Mensch gewordenen Wort Gottes und uns erblickt, was freilich die Annahme der apostolischen Sukzession einschließt. Zwei Dinge dürften von hier aus an der katholischen Position verständlich werden: dass, wie das Wort Gottes im Evangelium menschlich und so für jedermann verständlich redet, auch wesentliche Wahrheiten des Credo, der Konzilien, der Katechismen einen durchsichtigen Sinn haben können, der vor- oder übertheologisch ist, wenn man Theologie als Fachwissenschaft versteht, er kann von ihr zwar bedacht und ausgelegt, aber nicht wegkritisiert werden. Und dazu gehört – zweitens – nach katholischem Verständnis eben auch die im Wort des Neuen Testaments hinreichend fundierte kirchliche Autorität der Nachfolger der Apostel (mit Petrus als einheitsstiftender Mitte), deren Dienst am Wort Gottes seine Verkündigung, aber auch seine Reinerhaltung ist. Und dazu gehört eine Möglichkeit der Prüfung (das schreckliche Wort Inquisition heißt nichts anderes als Prüfung), die, wie der schmerzliche «Fall Küng» «zeigt, durchaus fair vorgenommen werden kann. Die Schriften des Neuen Bundes erzählen von mehreren solchen Flurbereinigungen, die damals wie heute nur die Feststellung eines bereits vorliegenden Zustandes waren oder sind. Ohne jeden Zweifel ist geistliche Autorität in der Hand fehlerhafter Menschen ein gefährliches Instrument; je näher etwas dem Heiligen steht, um so leichter kann es missbraucht werden, – sonst wäre es nicht zur Reformation gekommen. Hier fällt mir ein, dass mir Karl Barth in einem Gespräch kurz vor seinem Tod erzählte, Hans Küng (dem gegenüber er misstrauisch geworden war) habe ihn besucht und ihm mit Triumphton gesagt: «Wir werden eine neue Reformation in der Kirche erleben.» Er, Barth, habe ihm darauf erwidert: «Eine Reform wäre schon viel.»
Die lebendigsten Punkte der Tradition sind jene, in denen der Geist einen Menschen in der Kirche und für die Kirche wie unmittelbar in den Ursprung der Offenbarung zurückwirft, um in der durch den Geist allein herstellbaren Gleichzeitigkeit eine distanzlose Auslegung zu vollziehen. Ein solcher Mensch gleicht den Perlenfischern, die nach einem senkrechten Kopfsprung in die Tiefe mit ihren Schätzen wieder auftauchen.
Hans Urs von Balthasar
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Das Wesentliche im Fall Küng
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2022Typ:
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