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Gottes Reich und die Kirche
Die Frage des Verhältnisses zwischen dem Reich Gottes und der Kirche Christi ist in der Geschichte sehr verschieden beantwortet worden. Nach Loisys bekanntem Wort hätte Jesus das Reich Gottes verkündet, gekommen aber wäre an dessen Stelle die Kirche. Im Verlauf der Kirchengeschichte gab es immer wieder gewisse Versuche, beide Begriffe bis an die Grenze der Identifikation einander anzunähern: im konstantinischen Gottkönigtum (Eusebius), in etwa auch bei Augustin und seiner Idee von der wandernden Civitas Dei und wiederum im Fränkischen Reich, wo Karl der Große sein Regiment als eine Teilhabe am göttlichen Königtum versteht; von Joachim an wird die Kirche weitgehend zu einer Vorstufe des (irdisch erwarteten) vollkommenen Reiches, ein Gedanke, der dann, unter Fallenlassen der endgültigen Bedeutung der Kirche Christi, im Idealismus von Kant bis Hegel sich durchsetzt; das Reich kann auch, gegenüber der sichtbaren Kirche, mehr in die Innerlichkeit des Glaubens oder frommen Gemütes verlegt werden (Pascal, in gewisser Weise Luthers Lehre von den zwei Reichen, aber auch, in anderer Weise, manche Vertreter der Tübinger Schule, in noch anderer jene Protestanten, die pietistisch oder nach Schleiermacher und Ritschl das Reich in die Gemeinschaft der fromm Glaubenden verlegen). Hier soll in Kürze der Versuch gemacht werden, die zentralen neutestamentlichen Ansichten über das Verhältnis von Reich und Kirche herauszustellen, wobei sich zeigen wird, daß die kurz umrissenen historischen Ausprägungen dieses Verhältnisses zumeist eine allzu einseitige Sicht davon vermitteln.
1. Jesus und das Reich Gottes
Jesu Verkündigung ist wesentlich die Verkündigung des «auf der Schwelle stehenden» Reiches Gottes (Matthäus ersetzt das Wort durchgehend mit «Reich der Himmel»). Er knüpft dabei an die lange Geschichte des Gottesreichsgedankens des Alten Testaments an: Spätestens seit der Königszeit kennt Israel seinen Gott als den wahren König des Volkes (der irdische König wird sein Sohn genannt: 2 Sam 7,14), und zunehmend dann auch der Völkerwelt, ja der Schöpfung im ganzen. Nachdem über Israel das Gericht der Verbannung ergangen war, verkünden die Propheten vor allem für die eschatologische Zukunft einen neuen Bundesschluß: Es wird einen neuen Auszug aus Ägypten geben (Dt-Jes 43,15), das alte Gesetz wird in die Herzen hineinverlegt werden (Jer 31,31ff.), der Geist Gottes wird auf alle herabsteigen (Joel 3,1ff.). Die nationalen und politischen Verengungen im Spätjudentum werden von Jesus übergangen: Die endzeitliche Erwartung Israels aber hat in ihm selbst eine inchoative, doch wahre Gegenwart gefunden. Seine Gleichnisse sprechen davon: das Reich ist, äußerlich unfaßbar, wirklich dem Acker der Welt eingepflanzt, es wird wachsen, seine Kraft wird alles durchsäuern.
Aber Jesus weiß, daß die volle Ankunft des Reiches – das dem Vater gehört (Lk 12,32) – erst erreicht sein wird, wenn er selber seine Sendung (Passion und Auferstehung) vollendet hat. Dennoch gesellt er sich von Anfang an eine Jüngerschar bei, die vor ihm her das Kommen des Reiches ankündigen und die Zeichen, die er selber als Beweise für seine Ankunft wirkt (Mt 11,4), ebenfalls wirken soll (Mk 3,15), ein Beweis dafür, daß er, mit dem das Reich wahrhaft gegenwärtig geworden ist (Mt 12,28), wünscht, die Reichsverkündigung solle nach ihm weitergehen. Was nach seinem Sterben und Auferstehen allmählich den Namen christliche Kirche annehmen wird, ist von Anfang an eine Gemeinschaft, die von Jesus zuerst vorläufig, schließlich endgültig und zu allen Völkern gesandt wird, um das mit ihm, aber erst mit seiner Vollendung gekommene Gottesreich durch alle Räume und Zeiten zu verkünden.
2. Reich und Kirche
Da, wie eben gezeigt, Jesus, der vom Vater Gesandte, sich grundsätzlich als das im Kommen begriffene, mit der Vollendung seiner Sendung aber wahrhaft gekommene Reich versteht, wird die von ihm begründete Gemeinde mit vollem Recht als das Reich Gottes, vor allem als das Reich Christi verkündet. Sie konnte das tun, solange sie sich selbst als wesentlich missionarisch verstand, sie konnte sich selbst als den Raum verstehen, worin sich eine wahre Ankunft des Reiches – in Glaube, Hoffnung, Liebe, in der sakramentalen Taufe und der Feier der Eucharistie – ereignete, jedoch stets in der Erwartung einer für die Welt im ganzen vollendenden eschatologischen Ankunft, die in der Welt zu verkünden unverzichtbar zu ihrem innersten Wesen gehörte. Ihre Predigt konnte deshalb in beidem bestehen: in der Forderung des Glaubens an Jesus Christus, welcher Glaube aber Leben, Tod und Auferstehung einschließen mußte, um wahrer Glaube an das mit ihm begonnene, aber durch die Geschichte hindurch sich ausbreitende Reich zu sein.
So ist es verständlich, daß «Reich Gottes» und «Reich Christi» gleichgesetzt werden konnten (Eph 5,5), daß aber auch «Reich Christi» als eine in der Geschichte wachsende Wirklichkeit verstanden wurde, die am Ende der Zeit, nach Überwindung aller widergöttlichen Mächte, in das Reich Gottes des Vaters einmünden wird (1 Kor 15,24-28), daß der Geist, der die Anhänger Christi beherrschen soll, ebensowohl als «Geist Gottes» wie als «Geist Christi» (Röm 8,9) bezeichnet werden konnte. Wer sich nicht «vom Geist Gottes leiten» läßt, kann «das Reich Gottes nicht erben» (Gal 5,18.21; vgl. 1 Kor 6,9.10), so wie ganz allgemein «Fleisch und Blut kein Erbteil am Reich Gottes erhalten kann», da «die Verweslichkeit kein Erbteil an der Unverweslichkeit erhält» (1 Kor 15,50). Das ist vom Alten Testament übernommene Redeweise, während genauerhin Christus der Herr des Reiches ist (Kol 1,13), das er freilich bei der Vollendung, wenn «alle Macht und Gewalt zunichte gemacht» ist, dem Vater übergeben wird (1 Kor 15,24). Daß der Sohn damit aber in keiner Weise entthront wird, betont Paulus eigens, und die Apokalypse bestätigt es mehrfach, da sie das Lamm in Ewigkeit auf dem Thron des Vaters stehen, für Vater und Sohn die gleichen Loblieder erklingen läßt (Apk 5,13): «Unser Herr hat mit seinem Gesalbten die Herrschaft über die Welt angetreten» (Apk 11,15).
Und trotzdem gibt es in allem nachösterlichen Schrifttum die Kirche, die sich entschieden vom Reich Gottes und Christi, das sie verkündet, abhebt, aber dennoch dessen Keim in sich birgt, jedoch nur, um für dessen Wachstum in der Welt besorgt zu sein. In diesem Sinn nennt «Lumen Gentium» die Kirche «in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit» (1). Durch sie «werden alle Menschen zur Einheit mit Christus gerufen, der das Licht der Welt (und nicht das der Kirche) ist» (3). Sofern die Kirche Christi «die Gebote der Liebe, der Demut und Selbstverleugnung wahrhaft hält», hat sie auch «die Sendung, das Reich Christi und Gottes anzukündigen und es bei allen Völkern zu begründen. Insofern stellt sie Keim und Anfang dieses Reiches auf Erden dar» (5). «Vom Heiligen Geist angetrieben, wirkt sie mit, daß Gottes Ratschluß, der Christus zum Ursprung des Heils für die ganze Welt bestellt hat, tatsächlich ausgeführt werde» (17). In dieser Sicht gibt das Zweite Vatikanum die Sicht der Urkirche vom Verhältnis zwischen Kirche und Reich getreu wieder.
Diese Sicht erhält ihren letzten Akzent in den johanneischen Schriften. Auch sie können vereinzelt den traditionellen Begriff «Reich Gottes» verwenden (Joh 3,3), aber der Hauptakzent liegt auf der in Jesus Christus – und zwar im lebenden, sterbenden und auferstehenden Herrn – erschienenen Endgültigkeit von «Gnade» und «Wahrheit». Damit gibt der letzte Evangelist jenen synoptischen Aussagen das Schwergewicht, daß in Jesus, und zwar schon im historisch lebenden, Gottes Reich grundsätzlich schon Gegenwart ist (vgl. Mt 12,28; Lk 11,20). Das hindert nicht, daß auch Johannes weiß: die Durchsetzung der in Jesus gekommenen Reichsgegenwart durch die Geschichte hindurch wird erst Sache des Heiligen Geistes sein (Joh 16,7-11) und mit dem Geist zusammen der kirchlichen Zeugen (ebd. 16,27), für deren Glaubhaftigkeit Jesus eigens betet, «damit die Welt erkenne, daß du, Vater, mich gesandt hast» (17,23).
Von hier aus werden die anfangs skizzierten Formen in der Kirchengeschichte verständlich, die das Geheimnis einer inchoativen Identität von Reich und Kirche bei bleibender Nichtidentität so verschieden betonen. Wer einzig auf das eschatologische Reich Gottes vorausblickt, kann die Kirche über Gebühr relativieren oder sogar hinter sich zurücklassen, aber er übersieht damit ihre missionarisch-werkzeugliche Funktion, die sie christlich nur erfüllen kann, wenn sie von einem Bewußtsein beseelt ist, daß der in ihr lebende Herr, ihr Haupt, sie in alle Welt zur Reichsverkündigung aussendet. Und da diese Sendung die ganze Existenz der Gesendeten anfordert und auch die ganze Existenz der geschichtlichen Welt meint, läßt sich in dieser Sendung die Innerlichkeit des Glaubens von der politischen und ökonomischen Dimension auf keinen Fall trennen. Ohne der Utopie zu verfallen, Kirche könne die irdische Welt in ein vollendetes Gottesreich verwandeln, immer bewußt, daß Reichsverkündigung in der widerstrebenden Welt nur unter Verfolgung und Martyrium vor sich gehen wird, läßt sich der kirchliche Auftrag – wie «Gaudium et Spes» zu zeigen versucht hat – von der Verwandlung auch der äußeren weltlichen Strukturen durch die Kraft des Geistes Christi keineswegs trennen. Damit ist ein wesentlicher Akzent des Alten Testaments, das den Einsatz für soziale Gerechtigkeit bei den Armen und Unterdrückten kategorisch fordert, aus dem neutestamentlichen Auftrag der Kirche nicht wegzudenken. «Politische Theologie» kann erneut den Finger auf dieses Moment legen, sie sagt in dieser Hinsicht nichts wesentlich Neues über den alttestamentlichen Auftrag Israels, fortgesetzt im neutestamentlichen Auftrag der Kirche, hinaus. Nur unterscheidet sich der letztere vom ersten wesentlich dadurch, daß Christus grundsätzlich «die Welt besiegt hat» (Joh 16,37), der Fürst dieser Welt schon gerichtet ist (ebd. 11), der aus dem Himmel auf die Erde gestürzte «Ankläger unserer Brüder» nur darum so große Wut entfalten kann, «weil er weiß, wie kurz seine Frist ist» (Apk 12,10-12). Die weltgeschichtliche Schlacht zwischen Kirche und Welt tobt nur darum so wild, weil der Herr dieser Geschichte es sich leisten kann, zur Rechten des Vaters sitzend, «nur noch zu warten, bis seine Feinde ihm als Schemel unter die Füße gelegt sind» (Hebr 10,13).
3. Zur Frage der «Naherwartung»
Man weiß, daß bestimmte Worte Jesu bei den Synoptikern Schwierigkeiten machen. Manche können vielleicht durch exegetische Erwägungen aus dem Weg geräumt werden, aber einige scheinen nicht übersteigbar. Was heißt Mk 9,1 par.: «Wahrlich, ich sage euch, es sind einige unter den hier Stehenden, die den Tod nicht kosten werden, bis sie die Gottesherrschaft in Macht (ge-) kommen sehen»? Was heißt im Zusammenhang der Rede Jesu über die letzten Dinge das Wort: «Wahrlich, ich sage euch, dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschieht»? (Mk 13,30par: «alles» fehlt bei Lukas). Was heißt Mt 10,23: «Wenn sie euch in dieser Stadt verfolgen, flieht in eine andere, denn wahrlich, ich sage euch, ihr werdet mit den Städten Israels nicht fertig sein, bis der Menschensohn kommt»? Die Antwort, sofern eine zu finden ist, kann von der Exegese her jedesmal eine andere sein. Aber achten wir zuerst darauf, daß es andere und wichtige Aussagen Jesu gibt, die alle Berechnung oder überhaupt jede datenhafte Kenntnis der Ankunft des Gottesreiches ablehnen. Nur zwei der deutlichsten: «Das Reich Gottes läßt sich in seinem Kommen nicht beobachten. Man kann nicht sagen: hier ist es, dort ist es! Denn wißt: Das Reich Gottes ist unter euch» (Lk 17,21). Und was das Weltende angeht: «Über jenen Tag oder (Mt und) die Stunde weiß niemand etwas, auch nicht die Engel im Himmel und der Sohn, sondern einzig der Vater» (Mk 13,32 par.). Dazu das Wort vom Kommen des Tages Gottes gleich einem Dieb in der Nacht, zur Stunde, da niemand ihn erwartet (Mt 24,43 par.; übernommen in 1 Thess 5,2; 2 Petr 3,10: Apk 3,3; 16,15).
Es lohnt sich, zunächst einen Blick auf den Alten Bund zurückzuwerfen; man wird dabei zwei Bedeutungen der Nah-Ansagen des Kommens Gottes entdecken. Beide sind bei Ezechiel 12,21-28 beisammen. «Das Haus Israel sagt: ‹Was dieser da sieht, ist für eine ferne Zeit, er weissagt für eine entfernte Zukunft.› Sag ihnen dann: So spricht Jahwe, der Herr: Es gibt keinen Verzug mehr für alle meine Worte. Was ich sage, ist gesagt und wird sich verwirklichen. Orakel des Herrn Jahwe» (V. 27-28). Hierin liegt erstens eine allgemeine Warnung: Gottes Wort darf nicht in eine unbestimmte Zukunft hinausgeschoben und damit sich selbst entfremdet werden. Wenn Gott spricht, dann immer für jetzt und sogleich. Doch liegt darin nicht nur eine allgemeine Wahrheit, sondern zweitens auch eine ganz bestimmte Ansage: Israel wird demnächst tatsächlich nach Babylon verschleppt werden. Die Israeliten sagen: «Die Tage reihen sich an die Tage, und die Visionen vergehen.» Gott dagegen: «Ich werde dieses Sprichwort zum Schweigen bringen. Sag ihnen: Es wird keine eitle Schau und keine trügerische Voraussage mehr geben inmitten des Hauses Israel, denn ich selber werde das Wort ergreifen. Was ich sage, das gilt, und es wird sich ohne Verzug erfüllen, denn zu euren Lebzeiten, ihr Rebellengelichter, werde ich ein Wort sagen und es erfüllen» (ebd. 12,21-25). Aber auch mitten während der Verbannung kann das Wort ertönen: «Unversehens werde ich meine Gerechtigkeit heraufführen» (Jes 51,4-5; vgl. 56,1). Oder nachexilisch: «Schlag Alarm auf meinem heiligen Berg, alle Bewohner des Landes sollen zittern: denn der Tag des Herrn kommt, denn er ist nahe» (Joel 2,1). Man versteht, daß solche Worte die jüdisch-apokalyptische Naherwartung (sei es der Ankunft des Messias oder des Weltendes) erwecken konnten.
Und doch sind die Worte Jesu nicht von daher abkünftig, wenn sie auch auf ein gewisses Erwarten der Urkirche miteinwirken konnten. Beides muß sorgsam unterschieden werden, aber keinesfalls kann die Naherwartung der Urkirche die ganze Verantwortung für die Naherwartungsworte Jesu tragen. Schon deshalb nicht, weil ja für Jesus in anderen, klaren Worten das Erwartete schon gegenwärtig ist: «Viele Propheten und Gerechte sehnten sich danach zu sehen, was ihr seht, und sahen es nicht, zu hören, was ihr hört, und hörten es nicht: selig aber eure Augen, daß sie sehen, und eure Ohren, daß sie hören» (Mt 13,17. 16). «Wenn ich durch Gottes Geist die bösen Geister austreibe, dann ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen» (Mt 12,28). «Es ist mitten unter euch» (Lk 17,21). Woher hat Jesus diese Sicherheit? Daher, sagt Origenes mit Recht, daß er «das Reich selbst», «Autobasilea» ist. Aber in seiner Gegenwart liegt eine sehnsüchtige, bange und zugleich brennende Erwartung: «Ich muß eine Taufe empfangen, und wie ängstigt es mich, bis sie vollbracht ist.» Ohne Zweifel ist sein Kreuz diese Taufe, und erst dann wird sich das andere Wort vollenden: «Feuer auf die Erde zu werfen bin ich gekommen, und wie wollte ich, daß es schon brennte» (Lk 12,50. 49). In Jesus ist das Reich da, aber er erwartet seine eigene Vollendung; ganz wird es erst da sein, wenn sein Werk, die Versöhnung der Welt, vollbracht ist, durch sein Kreuz und seine Auferstehung. Erst dann wird der Vater das Wort, das er zur Welt sprechen wollte und das der Sohn ist, zu Ende gesprochen haben, so daß es – im gesendeten Heiligen Geist – der Welt verständlich werden kann. Bei Johannes heißen Kreuz und Auferstehung ineins die «Verherrlichung» des Sohnes oder auch des Vaters durch den Sohn. Das ist theologisch vollkommen richtig. Die Naherwartung Jesu betrifft seinen «Ausgang» oder seine «Hinwegnahme» (analēmpsis Lk 9,51), mit der er seine Sendung vollendet. Und da diese Sendung darin besteht, die Sünde der Welt in ihrer ganzen Dimension – Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – zu tragen, gelangt er mit seiner Auferstehung in voller Wahrheit ans «Ende der Welt», wo «das Zeichen des Menschensohnes» die noch wandernde Menschheit erwartet. Er hat deshalb, wenn man seine Naherwartungsworte unverändert stehen läßt, ohne Irrtum seine Auferstehung und das für ihn gekommene Weltende den «ihm Umstehenden» anmelden können: In beidem werden sie binnen kurzem das in Christus vollendete Reich kommen sehen. Das widerspricht nicht der anderen Wortreihe, in der er jede Vorausberechnung des Termins untersagt und, weil er die für ihn kommende Stunde ganz in die Händes des Vaters gelegt hat und sie deshalb auch nicht kennen will, ebenso wahrhaftig und irrtumslos sagen kann: «Den Tag und die Stunde weiß niemand, weder die Engel im Himmel noch der Sohn, sondern der Vater allein» (Mk 13,32). In Jesus fallen die beiden Seiten der alttestamentlichen Naherwartung überein: Da er die Stunde des Vaters nicht zu antizipieren sucht, hat der Wille des Vaters immer dieselbe formale Dringlichkeit und Imminenz, aber dieser Wille wird in einer nahen, weil menschlichen Zukunft zum materialen Willen der «Stunde» katexochen, des Kreuzes werden.
Da die Jünger in ihrer – einstweilen nicht verstehenden – Weise die Naherwartung des Herrn miterlebten, ist es nicht verwunderlich, daß diese sich für sie in die andere Art der kirchlichen Naherwartung verwandelte. Wenn Jesus die eigene Vollendung erwartete, die in seiner tiefsten Erniedrigung und höchsten Erhöhung bestand, so konnte die Urkirche ihrerseits ihrer Vollendung entgegenharren, die sie nach dem Vorbild des Herrn auf die eigene Lebenszeit eingrenzte. Aber die erste Generation der Christen ist eben nicht die Kirche als ganze; dieser ist eine andere Lebensdauer zugemessen als dem einzelnen Menschen. Schon im Ersten Korintherbrief kann Paulus, ohne darob außer Fassung zu geraten, schreiben, Jesus sei fünfhundert Brüdern gleichzeitig erschienen, von denen einige entschlafen seien (1 Kor 15,6), ohne den Jüngsten Tag zu erleben. Daß er ihn zu erleben erhoffte, ist zumal aus den frühen Briefen klar, aber das Motiv tritt in den späteren stillschweigend in den Hintergrund. Nur an einer späten Stelle des Neuen Testaments, in 2 Petr 3, wird so etwas wie eine Erklärung versucht, weshalb der Herr noch nicht wiedergekehrt sei, im übrigen überwiegt die Aussage, die schon das Evangelium kennt, daß der Herr in einer Stunde, «die ihr nicht kennt», ja in einer Stunde, «da ihr ihn nicht erwartet», wiederkehren wird, wobei nur die Mahnung ergeht, sich stets auf die Stunde bereitzuhalten. Darin sollen die Christen sich von den andern unterscheiden: «Ihr wißt ja: Der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht. Wenn die Menschen sagen: Friede und Sicherheit!, dann bricht plötzlich Verderben über sie herein … Ihr aber, meine Brüder, seid nicht in der Finsternis, daß euch jener Tag wie ein Dieb überrasche … Laßt uns also nicht schlafen wie die andern, sondern wachen und nüchtern sein» (1 Thess 5,2-6). Dieses beharrliche Wachen aber verträgt sich sehr wohl mit der Fortsetzung der irdischen Arbeit: Naherwartung darf nicht Müßiggang sein (2 Thess 3,11ff.). In der Erwartung der Kirche hat das erste, formale Element der alttestamentlichen Erwartung das Übergewicht. Was Israel tut: die Erfüllung der Worte des Herrn auf die lange Bank, in die ferne Zukunft verschieben, ist, nachdem Christus sein Beispiel gegeben hat, den Christen untersagt. Und innerhalb dieser formalen Imminenz des «Tages des Herrn» fällt immer auch die mögliche materiale, denn wie der Mensch endlich ist, so die Welt und damit die irdische Kirche. Es ist auch keineswegs gesagt, daß Gott von sich her ein plötzliches Ende herbeiführt: Jeder Mensch stirbt von selber mehr oder weniger unerwartet, und die Menschheit hat es heute in der Hand, über Nacht ihren eigenen Jüngsten Tag sich zu bereiten. Dann braucht sich der Richter nicht eigens vom Himmel her zur Erde hin zu bemühen, denn dann steht die ganze Welt plötzlich vor ihm.
ハンス・ウルス・ フォン・バルタザール
原語タイトル
Gottes Reich und die Kirche
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ドイツ語
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論文