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Aktualität des Themas «Kirche aus Juden und Heiden»
Keines der großen Themen, die im Neuen Testament angeschlagen werden, kann je an Aktualität verlieren. Man erkennt es etwa daran, wie aktuell das Thema des Verhältnisses zwischen dem vorösterlichen und dem auferstandenen Jesus ist: das verbissene Ringen der heutigen Exegese um dieses Thema ist der Beweis dafür, daß Evangelium nie anders als im Überstieg des irdischen Lebens in Kreuz und Auferstehung und von hier in der Sendung zurück auf die Erde, auf der der sterbliche Jesus gewandelt ist, verstanden und gelebt werden kann. Damit ist aber auch schon gesagt, daß das Evangelium nie anders als im – stets aktuellen – Überstieg über die Zeit des Alten Bundes und des Judentums in die Zeit des Neuen Bundes und der Kirche verstanden und gelebt werden kann, daß also die Kirche, sofern sie die alte nationale Religion Israels wahrhaft übersteigt, auch wahrhaft und indifferent «Kirche aus Juden und Heiden» ist. Sofern aber dieser Prozeß immerfort auch im Gange ist, kann der Ausgangspunkt, der Alte Bund mit seinen Verheißungen («das Heil kommt von den Juden», Joh 4,22), die alte Weltzeit, zu der er gehört, nicht einfach aufgehoben sein, er bleibt auch für die Kirche aktuell, ja für jeden Einzelnen in ihr, der den Schritt vom Alten zum Neuen Adam, vom Gesetz zur Gnade des Evangeliums, von der Wahrheit der Verheißung (an ihn!) zur Erfüllung (in ihm!) vollziehen muß. Das damit angeschnittene Thema ist fürchtenswert weit und tief; Paulus hat es in seinem großen geschichtstheologischen Schema im Römerbrief (Kap. 9-11) aufgerissen; es ist völlig unmöglich, es auf wenigen Seiten in seiner Tragweite aufzuweisen. Dem Thema des Heftes entsprechend können wir nur versuchen, die theologische Problematik in zwei gedrängten Abschnitten anzudeuten, und in einem dritten, unser Thema näher berührenden, einige praktische Folgerungen für unsere innerkirchliche Situation daraus zu ziehen, die allerdings weniger zentraltheologisch gelagert sind als die zuvor nur skizzierten1.
I
Das Neue Testament zeigt in allen seinen Teilen, wie ungeheuerlich schwierig die Zusammenfassung der Juden und der Heiden in einer neuen Körperschaft beiden Partnern erscheinen mußte: die Juden waren die Träger einer jahrtausendelangen Erwählung aus den Heidenvölkern, Begünstigung durch Gottes Tora und sein prophetisches Wort, durch die Verheißungen, nach denen Israel – immer als ein partikulär bleibendes Volk – zum Magneten werden sollte, um dessen Mitte sich alles Weltliche sammelt und ausrichtet. Diese Prärogativen aufgeben und die nicht erwählten, von Gott nicht erzogenen Heiden als gleichberechtigt in einer neuen, dritten Gemeinschaft ansehen zu sollen, war eine – rein menschlich gesprochen – unzumutbare, weil gar nicht vorstellbare Forderung des Christentums an die Juden. Die Heiden ihrerseits lebten in der Freiheit ihrer eigenen Gottesbilder und religiösen Vorstellungen, die, wenn sie radikalisiert wurden, immer mehr zur entmythologisierten und entgeschichtlichten Idee einer Gottheit überhaupt wurden, und nun forderte man von ihnen, sie sollten nicht nur einen bestimmten Menschen in seiner Konkretheit als den Retter des Kosmos betrachten, sondern mit ihm zusammen auch seine jüdische Vorgeschichte als positiv von Gott gewollte und gestaltete annehmen, die ihnen doch innerlich ebenso fremd, ja noch fremder war als die nationale Geschichte irgendeines ihnen gleichgültigen Volkes. Bei den Schwierigkeiten und Spannungen zwischen den kirchlichen Parteien ging es in der Tiefe um weit mehr als um ein paar äußerliche Speisevorschriften u. dgl., es ging um das beiderseits tragende Grundverständnis des Daseins. Dort die Partikularität einer Erwähltheit als einzelnes Volk durch Gott selbst, so daß die Preisgabe dieser Partikularität dem Juden geradezu als eine Verleugnung seines Wesens und der Treue Gottes erscheinen mußte. Hier eine Universalität (in der hellenistischen Popularphilosophie wie in der Politik Roms verkörpert), die sich scheinbar in die Fesseln zurückbegeben sollte, woraus sie sich selber befreit hatte: in die Absolutsetzung (wie im Mythos!) einer einzelnen, dazu noch historischen Heilsgestalt. Welcher Verlust für beide! Welche demütigende Zumutung an beide, sich ihres kostbarsten Gutes berauben zu lassen. Welche Kenose!
Natürlich lag für beide ein verborgener Weg bereit, in ihrer eigenen Weltanschauung vorgebahnt: die Juden sollten auf eine Erfüllung hoffen, die, für sie unvorstellbar, ihre Besonderheit zur ganzen Welt hin öffnen würde: ihr besonderes «Gesetz» sollte die Versichtbarung einer Macht Gottes sein, die alle geschlossenen Gestalten sprengen, ja die Toten lebendig machen kann. Und die Heiden mußten spüren, daß, wenn sie ihre mythischen Götterbilder (die «Götzen» der Bibel) in abstrakte Universalität auflösten, sie vielleicht mehr verloren als gewannen, daß für den konkreten geschichtlichen Menschen Heil nur aus dem konkreten geschichtlichen Raum erwachsen kann. Und weil die Heiden verlorener, «gottloser» (Eph 2,12) waren als die Juden, öffneten sie ihr Herz der Gnadenbotschaft leichter als diese, die durch die Aufnahme der Fremden zunächst (durch Gott selbst!) zu maßloser «Eifersucht gereizt» wurden (Röm 10,19). In dieser Eifersucht verdoppelten sie ihren «Eifer für Gott» (Röm 10,1), indem sie an Christus vorbei und zuletzt unter Umgehung eines als treulos erwiesenen Gottes ihren jüdischen, aber für die Gesamtheit der Welt geltenden Messianismus weiterbetrieben und sich heute, säkularisiert, vorwiegend in der Gestalt des Marxismus (aber auch unter anderen Gestalten) als eine höchst aktuelle Weltmacht und ein Politicum von größter Geschichtsmächtigkeit erweisen, gleichgültig, ob Teile der marxistischen Welt sich judenfeindlich gebärden oder nicht2. Dies soll uns nur zeigen, daß das Wovon-her des Christlichen, der jüdische Ursprungsort des Christen ebenso aktuell ist wie je und es unausrottbar bis zum Weltende bleiben wird. Sofern die Kirche – als endzeitliche Größe – sich aus innerzeitlichen Menschen zusammensetzt, und zur innergeschichtlichen Menschheit der Dualismus Jude–Heide, Erwählter–Nichterwählter gehört, wird es auf dieser Ebene immer ein Voraus des Erwähltseins (und entsprechend Strukturiertseins) Israels geben, ohne daß es deswegen innerhalb der Kirche eine Prärogative besäße. Obschon Israel die «heilige Wurzel» bleibt, auf die die Äste der Heiden aufgepfropft sind, und obschon es am Ende, wenn die Vollzahl der Heiden in die Kirche eingegangen sein wird, als Ganzes gerettet wird (Röm 11), gehört das Israel, das sich weigert, sich in die Kirche zu übersteigen, nicht zur Kirche. Es will seine Struktur nicht als eine Vorbereitung auf die Erfüllung durch Gott verstehen, sondern diese seine Struktur (mitsamt ihrem Widerspruch: als einzelne universal zu sein) in der Erfüllung wiederfinden. Darum muß es seine Selbsterfüllung betreiben, marxistisch den Menschen zu seinem eigenen Schöpfer erklären. Es will nicht, daß Gott, indem er sein universales Wort einen jüdischen Menschen werden läßt, das Jüdische von innen her zum Allgemeinmenschlichen öffne, wobei die Partikularität in Jesus (und in der Kirche) nicht mehr die einer nationalen Religion, sondern die des Sohnes Gottes – und damit der für alle geöffneten Trinität Gottes –, also das Universalste ist.
Nun sieht man die Schwierigkeit der Position der Kirche. In sich hat sie den Gegensatz Juden–Heiden restlos überwunden (Gal 3,28), aber unüberwindbar bleibt das «Woraus» der Kirche: die theologische Struktur der innerweltlichen Geschichte, die sich je neu in die endzeitliche übersteigt (oder diesen Übersteig verweigert und auch dann durch ihn geprägt ist), und die immer den Gegensatz enthalten wird zwischen den Wissenden und den Unwissenden, denen mit Tradition und denen ohne Tradition, den Ahnungsvollen und den Ahnungslosen.
II
Nicht nur die Kirche als Gemeinschaft, auch der Einzelne in ihr ist durch diese immer aktuelle Herkunft der Kirche geprägt. Die Gemeinschaft als solche ist, sofern sie auf einem theologischen Datum (dem «heiligen Stamm») aufruht, das nicht sie selbst ist, auch als die endzeitliche Fülle Christi, der alles in allem erfüllt (Eph 1,22), trotz allem irgendwie relativiert. Sie hat das Recht und die Pflicht, Israel seine Verstockung vorzuhalten, sie muß ihm aber auch im Zustand seiner Verwerfung seine bleibende Hoffnung auf den (wiederkehrenden) Messias lassen und verkünden, wie Petrus (Apg 2,17 ff.) und Paulus (Röm 11,25f.) es tun, und sie muß daher wissen, daß sie selbst eines ihr verheißenen Teiles entbehrt, also ihr eigenes Heil «nicht hochmütig, sondern in Furcht» wirken muß (ebd. 20). Nie kann sie von ihren Wurzeln abgeschnittene, sich selbst genügende Kirche sein, sie ist, obschon wirklich seiend, doch immer auch werdend, und zwar genau wie zur Zeit Christi aus der Doppelheit von Juden und Heiden zur Einheit Christi zusammenwachsend.
Kein Einzelner hat dies so erschreckend konkret gefühlt wie Paulus, der «Pharisäer», der zum Apostel der Heiden Berufene, der den unter dem Gesetz Stehenden «wie einer wurde, der unter dem Gesetz steht – obgleich ich nicht mehr unter dem Gesetz stehe –, und denen, die ohne Gesetz sind, wie einer, der ohne Gesetz lebt – obgleich ich vom Gesetz Gottes nicht entbunden, vielmehr an das Gesetz Christi gebunden bin» (1 Kor 9,20f.). Hier haben wir die doppelte Schwierigkeit der christlichen Existenz: Zunächst enthält die Synthese, das «Gesetz Christi», Elemente aus beiden Quellen, das Gesetz wie die Gesetzlosigkeit sind überstiegen, aber Christus bleibt eine sehr bestimmte Norm, die als solche die Freiheit – nämlich der selbstlosen göttlichen Liebe – ist: das Auferlegte ist zugleich das Innerlichste, und das Innerlichste ist doch nicht das dem Menschen Natürliche, sondern das ihm von Gott Geschenkte. Aber die Schwierigkeit potenziert sich noch, da der Christ dieses Ideal so leben muß, daß es zu beiden Quellen hin verständlich wird, so nämlich, daß er den Traditionalisten nicht als ein Liberaler und den Liberalen nicht als ein Traditionalist erscheint. Er muß beiden – nicht durch Täuschung, sondern in der Wahrheit der Liebe – «werden wie …» (quasi), in einer neuen Kenose, von der Paulus ja öfter handelt, wenn er vom Verhalten der «Starken» in der Kirche gegenüber den Schwachen (in oder außerhalb der Kirche) spricht.
Das wird besonders akut dort, wo innerhalb der Kirche Christen aus dem Heidentum (immer die Mehrzahl) mit Christen aus dem Judentum (meist nur einzelne Konvertiten) in der Liebe Christi zusammenzuleben haben. Es ist, wie die Erfahrung zeigt, schwer, daß die Heidenchristen, entgegen der Warnung Pauli, sich nicht als die «beati possidentes» benehmen und den andern als eine Art Eindringling behandeln, und es ist ebenso schwer, daß der Judenchrist nichts in die Kirche mitbringt von seinem «Eifer für Gott, aber ohne Einsicht» (Röm 10,2), ja von seiner «Eifersucht» auf das «unverständige Volk» (Röm 10,19). Einen Widerschein dieser lebendigen Problematik haben wir in der Theologie mit ihrem unaufhörlichen Seilziehen zwischen einer echt-jüdischen Deutung der Schrift (durch jüdische und judenchristliche Erschließung des Originalsinns des Alten und der meisten Teile des Neuen Testaments) und einer «griechischen» Deutung (durch die heidenchristliche, den Schrifttext weitermeditierende Kirche). Jede einseitige Lösung wird falsch und verengend sein3.
III
Wir wiesen auf das Phänomen hin, daß der Marxismus als säkularisierter Messianismus sich ebenso wie der Faschismus dezidiert und antisemitisch benehmen kann. Daran wird deutlich, daß «Judentum und Heidentum» nicht einzig die Gegenstellung einer einzelnen (theologisch bestimmten) Rasse zu allen übrigen Rassen besagt, sondern darüber hinaus Mentalitäten, Verhaltensweisen, die quer durch die Völker und durch die einzelnen Herzen gehen. Das ist um so sichtbarer, als die Virulenz des säkularisierten Judentums mit dem Anspruch, den wahren «positiven Humanismus» zu vertreten, alle flauen heidnischen Humanismen innerlich polarisieren und dynamisieren kann, während umgekehrt das christliche Faktum, durch Jahrtausende in der Weltgeschichte präsent, die «Heiden» zu solchen macht, die als Wissende sich von ihm abkehren. Jüdischer und heidnischer Atheismus durchwachsen einander zu einer gemeinsamen Front. Der Anspruch Christi, Präsenz des Gottes der Liebe in der Welt zu sein, aktiviert das heidnische Bewußtsein vom Göttlichen und hebt es zu einer Bewußtseinsstufe, die etwa derjenigen Hijobs im Alten Testament entspricht. Die großen, typisch jüdischen Romane Kafkas werden von Heiden so gut verstanden wie von Juden; auch die typisch jüdische Problemstellung Freuds wird von jedermann als treffend bezeichnet und praktiziert usf.
Damit werden, wie gesagt, jüdisch und heidnisch zu überall aktuellen Faktoren auch in der Kirche, und an uns alle ergeht die Forderung der Übersteigung ihres Gegensatzes. Wir können uns auf drei konkrete Anwendungen beschränken. In allen dreien geht es darum, die Arroganz dessen zu demütigen, der aufgrund eines Mehrbesitzes den Minder- oder Un-Begabten abschätzig behandelt, aber nicht minder die Arroganz des Traditionslosen anzuprangern, der um der «Neuheit Christi» willen alles Überlieferte als Ballast verwirft.
Immer gab es in der Kirche, und heute gibt es mehr als je den Gegensatz zwischen den Vorbereiteten und den gleichsam Hereingeschneiten. Jene haben eine Vorbildung, vielleicht eine einfache, aber tiefsitzende durch eine christliche Kinderstube, einen ungestörten Religionsunterricht, etwas Kenntnis der Heiligen und der Theologie. Sie sind unsere «Juden». Diese dagegen sind unbeleckt von jeder Tradition, sie stoßen irgendeinmal auf das Phänomen Jesus, das isoliert auf sie zukommt (wir erinnern uns, daß bei Johannes, kurz vor Jesu Leiden, eine Gruppe von Heiden einmal mit ihm zusammentreffen wollte: Joh 12,20ff.). Und es gibt das Gesicht des Petrus auf dem Dach in Joppe: der neuen Kirche im Bild eines Behälters von reinen und unreinen Tieren. «Jüdische» Tradition ist nicht nur nützlich, sie ist sogar ein theologisches Prinzip; trotzdem haben die Heiden auch ohne Tradition, durch reine Gnade, unmittelbarer Zugang. Anderseits ist Pfingsten ein theologisches Prinzip; das aber in der Kirche nicht dazu ermächtigt, sich aller Tradition zu entledigen, um freier zu sein für die unmittelbare Inspiration. Am besten werden sich «Juden» und «Heiden» ihre gegenseitige Bedürftigkeit und Armut eingestehen. Arm ist der Traditions–Reiche an Unmittelbarkeit zum Herrn, er kann den Unbelasteten beneiden, aber auch dessen Armut ist nicht im voraus patentiert, er muß «den Schriftgelehrten im Himmelreich» bitten, ihm «aus seiner Schatzkammer Altes und Neues hervorzuholen» (Mt 13,52).
Etwas anderes. Auch der «Heide» kommt zur Kirche nicht ohne eigene Tradition. Er bringt unweigerlich seine Kultur mit. Die Kirchenväter wußten diese sehr ernstzunehmen, die Jesuitenmissionare auch. Auch die Heiden, meint Augustinus, hatten ihre Propheten. Und Henri de Lubac steht nicht an zu behaupten, mit der Bekehrung einer Nation würden auch deren Vorfahren mit in den Bekehrungsprozeß einbezogen, sind sie doch die Ermöglichung des jetzigen Vorgangs. Die Kirche öffnet sich dem Menschheitsgut, aber sie wird deswegen die Güter der alt- und neutestamentlichen Heilsgeschichte nicht (religionsphilosophisch) relativieren. In der großen Weltgeschichte gibt es als bleibenden Sauerteig die biblische Heilsgeschichte, fortgesetzt in der Geschichte der Kirche, die freilich nur wirksamer Sauerteig sein kann, wenn sie sich in den Teig der Gesamtmenschheit mischt. In dieser Lage erscheint Kirche als eine bestimmte und gleichzeitig sich selbst transzendierende Größe. Wer gehört zu ihr? Der Christ, der sich ausdrücklich zu ihr bekennt, oder auch jeder, der sich in ihrem Strahlungsbereich befindet und sich ihr nicht verschließt? Beides wird je auf seiner Ebene wahr sein4, aber wir haben kein Recht, die Ebenen gleichzusetzen: das ist Gottes Geschäft.
Schließlich münden wir beim allgemeinsten Gesetz christlichen Zusammenlebens, wie Paulus es immer neu und anders formuliert. Was ist in der Kirche, was ist bei Christus, was ist schließlich bei Gott Reichtum und Armut? Antwort: die Liebe. Wer hat die Liebe? Der, der selbstlos gibt. Aber dazu muß man etwas zum Geben haben (sagt der «Jude»). Nein: man kann auch einfach sich selber geben (antwortet der «Heide»). Beide haben recht, aber beider Standpunkt kann eine Gefahr zum Pharisäismus sein. Wer ist stark, wer ist schwach? Äußerlich ist stark, wer nicht an (überholten) Traditionen klebt, aber innerlich und tiefer ist stark, wer dem Bruder kein Ärgernis gibt, indem er sich über Traditionen hinwegsetzt. (Hier hat jedenfalls nicht einfach der «Heide» das letzte Wort.) «Gerade die scheinbar schwächeren Glieder des Leibes sind besonders notwendig» (1 Kor 12,22): sind sie es, weil sie die Schwäche Christi besser repräsentieren und ihm näher stehen? Sind sie es, weil ohne sie die Starken sich an sich selber messen und überheben würden? Sind sie es, weil sie die zarteren, ungeschützteren und deshalb hingegebeneren sind? Jedenfalls verdeutlichen sie die Dialektik des «letzten Platzes» im Evangelium, des Platzes Jesu selbst, des Platzes, den der anstreben soll, der «der Größere» sein will. Unmöglich, dies aufzurechnen, weil sich das Oben immer wieder ins Unten umkehrt. Damit ist endlich das Verhältnis zwischen «Erwählung» (Juden) und Nichterwählung (Heiden) auf die letzte christliche Formel gebracht: es ist die Ermöglichung des wundersamen Tauschhandels, des admirabile commercium.
- Aktuell wurde die Problematik mit den Arbeiten F. Chr. Baurs über das Urchristentum; ein Markstein ist Döllingers «Heidentum und Judentum» 1838. In neuerer Zeit bildet der Aufsatz E. Petersons «Die Kirche auf Juden und Heiden» (1933) ein Signal, Karl Barths Erwählungslehre (KG II/2) einen eigentlichen Durchbruch. Seiner Leistung ist vergleichbar die von Gaston Fessard in «De l’Actualité Historique» I–II, (DDB 1959).↩
- Es ist überflüssig, ein weiteres Mal darauf zu verweisen, daß auch die Parole «Blut und Boden» als die eines nationalen Messianismus ihre theologische Wurzel in einem säkularisierten Judentum hat. Der hier ausbrechende Antisemitismus beruht darauf, daß es auf Erden nicht zwei erwählte Völker geben kann.↩
- In Gabriel Marcels Theater ist das existentielle Problem dieser Koexistenz an manchen Stellen spürbar. Es lohnte sich auch, die (zweifellos auf nicht-theologischer Basis aufgerollte) Problematik in George Eliots letztem Roman «Daniel Deronda» von hier aus neu zu betrachten.↩
- Wir brauchen hier auf die Frage des «anonymen Christen» nicht einzugehen. Die beste und verständlichste Antwort auf diese Frage habe ich bei C.S. Lewis, «Mere Christianity» am Ende des Vorwortes gefunden (Fontana Books, Collins 231974, S. 11-12).↩

ハンス・ウルス・ フォン・バルタザール
原語タイトル
Aktualität des Themas “Kirche aus Juden und Heiden”
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書籍説明
言語:
ドイツ語
原語:
ドイツ語出版社:
Saint John Publications年:
2025種類:
論文