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Von der Kultursendung der Kirche
Beitrag zum 25. Jubiläum der religiös-wissenschaftlichen Bildungskurse des Vereins für christliche Kultur in Basel
Feste feiern heißt für den Christen immer auch: sich neu verpflichten. Und verpflichtend ist nicht nur Adel, sondern auch Tradition, zumal für die Kirche, die die Aufgabe hat, in alle Zukunft zu dauern, die sich also nichts weniger leisten kann, als auf den Lorbeeren der Vergangenheit auszuruhen. Auf unsere großen Ahnen des Geisteslebens zurückzublicken, erhebt uns, stärkt uns, gibt uns Mut und Selbstbewußtsein, wenn jüngere Kirchen und Geistesgebilde sich hochmütig an uns reiben: gehören die Dome aus Stein und Geist, in deren Schatten die modernen Ameisenmenschen und ihre Fahrzeuge wimmeln, nicht uns? Und auch später noch: gehören die Meister der Sixtina und der Kolonnaden, der Zauberflöte und der 9. Symphonie nicht uns? Statt, wie manche Christen es ängstlich tun, sich zu fragen, ob es eine Kunst aus christlicher, kirchlicher Inspiration gibt, darf man getrost fragen, ob es eine andere echte Kunst als diese überhaupt gibt und ob die Gegenwart, bei Licht besehen, nicht den vollen, wenn auch negativen Beweis, die Probe aufs Exempel, mit jeder wünschbaren Deutlichkeit gibt? All das ist vortrefflich. Aber was folgt daraus für die heutige Kirche anderes, als die ernsteste Aufgabe? So ernst, daß die Größe der Vergangenheit uns, die wir ihr entsprechen sollten, beinahe erdrückt. Es ist klar, daß bloßes Fordern von Kultur, bloßes Bereden der Probleme, Lancieren von Programmen, wie es die Presse tut (mehr kann sie ja nicht), in keiner Weise genügt. Vor nichts dürfte die Kirche sich heute wohl mehr zu hüten haben als vor dieser Zeitkrankheit, von der man sich so leicht anstecken läßt: dem Götzentum der Zahlen, der Aufmärsche, der Propaganda: damit wird das bißchen noch vorhandene Kultur mit tödlicher Sicherheit ausgehöhlt und vergiftet. Es gehört zwar zum Wesen großer Kulturwerke, daß die menschliche Gemeinschaft von ihnen lebt und zehrt; sie bilden die seelische Nahrung für die Massen. Aber dieses gesunde und nährende Zehren nimmt heute immer mehr den Charakter eines ungesunden Parasitentums an; auf dem lebendigen Körper eines einzigen Dichters sitzen wie die Zecken tausend Literaten und Dissertatoren, jeder stille Gedanke, der in der Stille fruchtbar werden könnte, wird durch die Multiplikatoren hinausgekrächzt, in so entstelltem Klang, daß man darin den menschlichen Klang kaum wiedererkennt. (Einen Gottesdienst, worin mir eine Radiomontage die Stimme des Predigers oder des Priesters am Altar zubrüllt, pflege ich unweigerlich zu verlassen; will mir aber auf diese «Rückständigkeit» nichts einbilden.) Von hier betrachtet hat die Kirche zunächst und vor allem Inseln der Ruhe, des Friedens, der Besinnung, der Betrachtung und des Gebetes zu schaffen, wo die Menschen, denen der Kopf vom Karussell des modernen Betriebs sich dreht, zu sich selbst und zu Gott zurückfinden: primitivste Voraussetzung dafür, daß so etwas wie Kultur unter uns bestehen kann: passiv, indem sie verstanden und aufgenommen wird, aktiv, indem Leistungen, die dieses Titels würdig sind, hervorgebracht werden.
Kirchliche Kultur beginnt im Gottesdienst, und sofern dieser öffentlich ist, muß er, ohne jeden Ästhetizismus, den geistlichen und geistigen Ansprüchen eines Menschen von heute nicht nur genügen, sondern ihnen auch Quelle und Norm sein. Das gilt vor allem von jenem Teil des Gottesdienstes, der der menschlichen Gestaltung am meisten untersteht: der Predigt. Stimmen über eine Krise und Not der Predigt wollen heute sowenig verstummen wie solche über die Krise echter Kultur. Predigt ist höchstes Kulturamt der Kirche; jene, die sie verwalten, müssen das wissen. Hier nimmt die ewige Wahrheit, Gottes eigenes Wort, die Form und den Leib des heutigen Wortes und Begriffes an. Leibwerdung heißt nicht Anpassung, nicht Auswahl (als ob der heutige Mensch nicht mehr die ganze Tiefe des Wortes Gottes zu ertragen vermöchte!), nicht Moralisierung und Banalisierung, sondern Erschließung der ganzen furchtbaren Herrlichkeit und Majestät, der ganzen Fruchtbarkeit für unser heutiges Leben, der ganzen berauschenden Schönheit des göttlichen Wortes, aus dessen Erlebnis allein, wie zu allen Zeiten der Kirche bisher, Kultur im christlichen Sinn erwachsen kann. Welche Verantwortung! Eine so große, daß das christliche Kirchenvolk hier unbedingt mitverantwortlich gemacht werden muß, dafür besorgt zu sein, daß diese erste Quelle christlicher Kultur so rein und fruchtspendend wie nur möglich fließe.
Das zweite, das sich unmittelbar daran anschließt, ist die Sorge der Kirche – der amtlichen Vertreter im Kontakt mit den für die christliche Kultur mitverantwortlichen Laien – um die entscheidenden Träger solcher Kultur in Volk und Gegenwart. Das erste, worauf hier die Sorge gelenkt werden muß, ist die sorgfältige, von weither überlegte und geplante Auswahl, Ausbildung, Förderung und Ausnützung von tüchtigen, frommen und weltaufgeschlossenen Theologen. Darunter seien hier solche Gelehrte verstanden, die die theologische Wissenschaft in ihrer wahren Tiefe und Breite, in der Fülle ihrer Tradition und ihrer Offenheit zur Zukunft besitzen. Solange es an solchen fehlt – und es ist sicher kein Geheimnis, daß wir sie in genügender Anzahl nicht besitzen –, mangelt ein unentbehrliches Element, ein Grundstein, ein Leuchtturm. Aber weiter: es genügt auch nicht, daß unsere katholischen Bildungsanstalten jährlich an die tausend katholische Maturanden an die Universitäten werfen (weniger wäre mehr); diese künftigen Träger geistiger Kultur sollten auch in der rechten Weise verfolgt, unterstützt und erzogen werden, was mit den heutigen Mitteln und Methoden der Studentenseelsorge (meine einstigen Kollegen werden die letzten sein, mir zu widersprechen), aber auch des Verbindungswesens nur ungenügend geschieht. Für diejenigen, die durch besondere Begabung und Neigung sich hervorzutun versprechen, wäre eine entsprechend erhöhte Sorge anzuwenden: durch Bildung von Studienfonds, von bezahlten Ausbildungsjahren im In- und Ausland, von Vermittlung passender Stellen (wie dies im Katholischen Studentenverein bereits geschieht, aber noch allgemeiner für die katholische Studentenschaft geschehen könnte). Für die Akademiker wäre, ohne daß diese dem pfarreilichen Zusammenhang entzogen werden, Berufsgruppen zu schaffen, worin die Fragen unserer Weltanschauung in systematischer Form und mit verteilten Aufgaben durchgearbeitet würden, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Publikationen zu richten wäre. Dies alles forderte einen Stab von helfenden Priestern (Akademikerseelsorge im spezifischen Sinn ist nicht einfach aus dem Handgelenk zu improvisieren) und von interessierten und hingegebenen Laien, die sich allein in den einzelnen Berufsgebieten auskennen können: ihr fachmännischer Einsatz sollte der heute noch kaum zu vermeidenden Improvisation der Geistlichkeit in den Belangen der einzelnen Wissenschaftsgebiete ein glückliches Ende setzen. Möglicherweise sind alle diese dringenden Wünsche nur durch eine ausgewählte Laienschaft, die sich den Anforderungen christlicher Kultur ausschließlicher widmen kann, als der Verheiratete es vermag, zu befriedigen, nämlich durch eine akademisch gebildete Laienschaft im Sinn der Apostolischen Konstitution «Provida Mater Ecclesia» über die moderne Form des Ordenslebens: auf Grund der evangelischen Räte frei für Gottes Reich, aber inmitten der Welt. Eine kleine Schrift «Der Laie und der Ordensstand» (Johannes-Verlag, 1948) versuchte zu zeigen, wieviel brachliegende Kraft in der Kirche, gerade was christliche Kultur betrifft, durch die folgerichtige Verwirklichung dieser neuerschlossenen Möglichkeit – die von der kirchlichen Autorität nachdrücklich empfohlen wird – nutzbar gemacht werden könnte. Andere Länder sind hier weit voran; bei uns sind kaum noch die ersten Schritte getan. Es ist schön, so viele Aufgaben vor sich zu sehen. Aber es stimmt auch ernst.
Kultur kann nicht bloß von isolierten Einzelnen, die gegen den Strom schwimmen, getragen werden. Sie bedarf der Verständigung einer geistig führenden Schicht, einer geistigen, weitsichtigen Planung – man denke an die Medicis oder an den Hof von Weimar oder an die französischen Zirkel des großen Jahrhunderts –, und Planung heißt durchaus noch nicht im schlimmen Sinn «Organisation». Alles liegt daran, daß die Persönlichkeiten sich finden und auch der Aufgabe sich zur Verfügung stellen, Kristallisationszentren zu bilden, ja selber zu sein, um die suchendes, tastendes, schwankendes Geistesleben zu Klarheit und Stärke sich auszuformen vermag. Vor allem wird die Jugend nicht durch papierene Programme, sondern nur durch menschliche Vorbilder zu eignem Einsatz entflammt. Und so ist das Problem: christliche Kultur in der heutigen Schweiz gleichbedeutend mit dem Problem: überzeugende und weithinleuchtende christliche Vorbilder in dieser heutigen Schweiz.
Da wir von der Predigt ausgingen, wollen wir nicht schließen, ohne für alle Aktionen der Kultur an die Quelle der Kontemplation erinnert zu haben. Nur aus Stille und Beschaulichkeit fließen Kräfte der Tat. Daher unser besorgter Blick nach dem Zustand unserer beschaulichen oder halbbeschaulichen Klöster. Ist die Höhe reiner Beschauung dort intakt? Haben sie Zeit, alle Zeit, für Gott? Oder lassen sie sich schon anstecken von der nervösen Hast unmittelbaren Wirkenwollens, dem Götzen der Zahl? Der Mönch, der neben seiner Beschaulichkeit, seinem täglichen vollen Offizium noch ein volles Schulpensum aufgeladen bekommt und dazu vielleicht noch Aushilfen außerhalb des Klosters leisten muß; die Klosterfrau eines Ordens mit ewiger Anbetung Tag und Nacht, der sich in den Kopf gesetzt hat, außerdem noch ein Gymnasium zu führen: wie sollen sie sich nicht zersplittern? Das Bild einer so überhasteten Klostergemeinschaft wirkt nicht als ruhiges Licht auf dem Scheffel. Das katholische Volk aber braucht dieses Licht, es darf es daher fordern und es soll sich verantwortlich darum kümmern. Schaffen wir Orte der Stille, des Gebetes und des Studiums, Stätten, an denen man Gottes Atem spürt und an denen der Mensch, der in Niederungen lebt, seine Lungen reinigen kann! Besser können wir Jubiläen christlicher Kultur nicht feiern, als indem wir freudig den neuen, drängenden Aufgaben uns unterziehen.
Hans Urs von Balthasar
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Von der Kultursendung der Kirche
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German
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GermanPublisher:
Saint John PublicationsYear:
2024Type:
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