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Ein Wir in Gott – und wir
Heinrich Spaemann zum 80. Geburtstag am 15. Juli 1983
Die Ansichten, ob wir ein «Wir» in Gott ansetzen dürfen, ohne in Mythologie zu verfallen, oder ob wir uns lieber mit der Annahme bescheiden sollen, dass die «Hypostasen» in Gott ein Geheimnis bleiben, das sich auch in Christus nicht wirklich lüftet, werden vielleicht nie zu einem Ausgleich kommen. Wir ehren die ehrfürchtige Zurückhaltung Augustins, der keine andere «imago trinitatis» in der Welt gelten lassen will als die dem geschaffenen Geist eingeprägten Aspekte von Geistgrund (memoria) – Geistlicht (intellectus) – Geistliebe (voluntas). Aber können wir seinem Schüler Gregor dem Großen verwehren zu sagen, damit sich Caritas, christlich selbstlose Liebe ereigne, seien Zwei erfordert (niemand, sagt er, hat Caritas zu sich selbst), und dem von diesem Wort entzündeten Richard von St. Victor verbieten, trotz der streng festgehaltenen Wesenseinheit Gottes (er verwendet vier von sechs Büchern darauf, sie zu festigen), die Freundschaftsliebe als das wahre Gottesbild in der Welt aufzustellen, eine Liebe, die sich nur dann als ganz selbstlos erweise, wenn sie sich zur gemeinsamen Liebe eines Dritten öffne? Aber ist ein solches Du-Sagen in Gott nicht doch ein grober Anthropomorphismus, der, ob er will oder nicht, in Gott drei Bewusstseinszentren aufstellt, was theologisch unmöglich ist?1 Das Widereinander der Meinungen ist hart. Durch bloße Spekulation oder durch Behauptung von logischen Unvereinbarkeiten ist kein Vergleich zu erreichen; der einzige uns zugängliche Weg bleibt der über Gestalt und Verhalten Jesu Christi in seinem Verhältnis zu dem, den er seinen Vater, und zu dem andern, den er den Geist nennt.
I
Jesu Gebete wenden sich bei den Synoptikern wie bei Johannes an seinen Vater, den er in einzigartiger und vom Gottverhältnis der Jünger abgesetzter Weise mit Du anspricht. Er ist unter den Menschen der herausgehobene Sohn, der als Einziger den Vater kennt und ihn offenbart. Er ist eben deshalb aber auch mit dem Vater zusammen und den Menschen gegenüber dieser Sohn, der die Vollmacht des Offenbarens hat, göttliches Verzeihen spenden kann, aber in der Hoheit seiner Sendung gleichzeitig der dem Vater bis zum Tod Gehorsame ist.
Sieht man dieses Mysterium seiner Verfasstheit, so verbieten sich zwei Auswege, es wegzuerklären: Er ist kein bloßer Über-Mensch, den Gott zu seinem «Sachwalter» auf Erden ausersehen hätte, denn er hat keine ausgeliehene Autorität wie ein Prophet, der Worte Jahwes nur «durchgeben» kann, er ist untrennbar von dem mit ihm nahenden und geheimnisvoll schon gekommenen Reich Gottes. Anderseits lässt sich, wenn man seine wahre Zugehörigkeit zu Gott zugibt, sein Beten zum Vater nicht auf seine bloße Menschheit einschränken; das «Ich», das sich als der einzige Offenbarer des Vaters weiß, das (bei Johannes) den Vater um die (Rück-)Gabe der Herrlichkeit bittet, «die ich, ehe die Welt war, bei dir hatte», kann unmöglich ein bloß menschliches Bewusstseinszentrum sein, unterscheidbar vom Bewusstsein des ewigen Logos. Der hier betet und dabei Ich sagt, ist nur ein Einziger, der sich als Ganzer dem Vater verdankt und anempfiehlt, für den der Vater als sein ewiger Ursprung, sowohl seiner Gottheit wie seiner Menschheit nach, «größer ist als ich», und der doch in seinem ewig aus dem Vater gezeugten und jetzt in die Welt gesendeten Ich «eins ist» mit dem Vater.
Jesu im Gebet sichtbar werdende Akte: der Anbetung, des Dankes, der Bitte, aber auch des hoheitlich geäußerten Willens («Vater, ich will…» Joh 17,24) sind nicht nur menschliche Akte, sondern solche seiner innersten «Person» – so missverständlich die Übertragung dieses Begriffs auf das innergöttliche Mysterium auch sein mag –, Akte, die ein innergöttliches Verhältnis widerspiegeln.2 Je weniger wir dieses Mysterium formalistisch angehen – wie soll es in einem einzigen Bewusstsein Oppositionen geben, die sich zueinander wie «Personen» verhalten? –, je enger wir uns an die plastische Gestalt Jesu halten, der ohne Mühe das «Ineinander» der «Personen» wie ihr «Zueinander» ausdrückt, desto tiefer dringen wir in die Sphäre des Geheimnisses ein.
Thomas von Aquin erhellt das Paradoxe «unvermischt und ungetrennt» der göttlichen und menschlichen Natur in Christus (nach Chalkedon) durch die Einsicht, dass die Sendung (missio) des Sohnes in die Welt nur die ökonomische Form seines ewigen Ausgangs (processio) aus dem Vater ist, was durchaus den Aussagen des Johannesevangeliums entspricht: das sendungshafte Ausgehen und Zurückkehren des Logos vom Vater und zu ihm (16,28) ist ökonomisch; das ewige Ausgehen des Logos vom Vater ist innertrinitarisch auch sein ewiges ihm Zugekehrtsein (1,1-18).
Wenn Jesus bei seinem Abschied vom Geist zu sprechen beginnt, der nur kommen kann, wenn er selber geht und diesem Geist ein höchst «personales» Wirken zuschreibt – das zu vollenden, auszuworten, was von Jesus zwar getan, aber nicht zu Ende erklärt worden ist, und dieses als das «Meinige», das zugleich das «des Vaters» ist: dann erscheint hier ein Wirkender in Gott, dessen Wesen und Sendung es offenbar ist, nicht sich selbst, sondern das Verhältnis zwischen Sohn und Vater zu beleuchten, ein «Dritter», der das in diesem Verhältnis waltende Licht ist.
II
Aber gibt es nicht doch Zugänge zum höchsten Mysterium, verlässlichere als die aus der bloßen Weltnatur gewonnenen, die nach entgegengesetzten Seiten hin zu versagen scheinen: etwa der Zugang Augustins aus der Struktur des endlichen Geistes, und derjenige Richards aus der besten Form interpersonaler Gemeinschaft? Gäbe es wenigstens einen solchen Zugang, dann müsste er (natürlich nur für Glaubende einsichtig) dort liegen, wo die in sich ruhende Trinität sich zur Welt hin öffnet, nicht bloß indem sie der Welt eine Wahrheit über sich kundgibt, sondern ihr etwas von ihrem Lebensgeheimnis mitteilt.
Damit es ihn geben kann, muss er uns selber zugänglich sein, muss es so etwas wie einen (natürlichen) «Zugang zum (übernatürlichen) Zugang» geben. Diesen natürlichen Zugang fand Gregor von Nyssa bereits so bestechend, dass er ihn im kleinen Traktat «Dass nicht drei Götter sind» schon als eigentliche imago trinitatis verstanden wissen wollte: das Unbegreifliche, dass wir Menschen zugleich Exemplare einer Gattung und in sich stehende Personen sind. Die Gattung, darin hat er recht, ist keineswegs eine bloß abstrakte Einheit; aus dem konkreten «Teig» (phyrama) «Adams» sind wir alle gebildet, und das Geistsubjekt, darin hat er auch recht, ist keineswegs, wie Platon meinte, eine zufällig in diesen Teig geratene ewige Monade; die Idee der alten Völker von der «corporate personality» hat etwas vom wahren Mysterium des Menschseins festgehalten, das uns fast ganz verblasst ist, denn weder der Materialismus noch der Individualismus halten die darin liegende Spannung aufrecht. Im christlichen Bereich hängt das geheimnisvolle und weithin auch verblasste Dogma von der «Erbsünde» an der Existenz dieser unauflösbaren Zweieinheit des Menschseins: zugleich substantiell Gattungswesen und substantiell Geistsubjekt zu sein.
Aber für uns soll dieses Geheimnis nur der allgemein bekannte, wenn auch nie voll durchdachte Zugang zu dem übernatürlichen Mysterium sein, das uns die Tür ins göttliche Leben öffnet: unsere Einverleibung in den zweiten Adam, die sich einzig in der Zusammenschau von Inkarnation, Passion, Auferstehung und Eucharistie erschließt. Man kann mit den griechischen Vätern einen Hauptakzent auf die Inkarnation legen, durch die schon grundsätzlich der ganze «Teig» der Menschheit durch die Einmischung eines göttlichen Elements alteriert und zu diesem hin polarisiert wird, oder, wie westliche Theologie, auf die Passion, worin die Gottferne aller Sünder vom sterbenden Gehorsam Jesu unterwandert und gesühnt wird, auf die Auferstehung, worin vom Einen aus «Hoffnung auf Herrlichkeit» sich für alle öffnet, auf die Eucharistie, in der das Mysterium seine konkreteste sakramentale Gestalt annimmt: im Gesamtgeheimnis erfolgt eine «Versetzung» aus der verfallenen Schicksalsgemeinschaft Adams in das «Reich des geliebten Sohnes» (Kol 1,13). Versetzt sind wir aber weder in eine bloß geistige, moralische Einheit, denn gerade auf den Leib Christi kommt es entscheidend an; «Glieder seines Leibes» und damit «Tempel Gottes» sind wir für Paulus nicht in einem bloß bildlichen Sinn, sondern höchst real, anderseits aber nicht materialistisch, weil Christi persönlicher Leib ja der neue «Tempel» ist, in welchem Gott erstmals «in Geist und Wahrheit» der höchste Kult dargebracht wird.
So steht fortan in der Mitte der christlichen Existenz das unbegreifliche Paradox, dass meine eigenste Individualität sich in die gottmenschliche Christi eingetieft sieht («Ich – nicht mehr ich – Christus in mir») und dabei in der Mit-Sendung mit Christus ihren eigentlichen personalen Sinn erhält, und dass diese Einverleibung in Christus mir eine Art Identität in ihm mit all seinen übrigen Gliedern gibt («was ihr dem Geringsten meiner Brüder…»). Nicht als ob ich im Nächsten nicht mehr ihn selber, sondern nur Christus lieben sollte, denn auch der Nächste ist ja durch seine Einverleibung erst ganz die unverwechselbare Person geworden, sofern er an der Einmaligkeit der Person und Sendung Christi teilnimmt. Also, können wir schließen, wächst im Christusmysterium beides gleichzeitig, das Ich und das Wir. Auf das Wir sind wir nicht nachträglich verwiesen, nachdem wir erst ganz der Unvergleichlichkeit unseres neuen Ich in Christus innegeworden sind, vielmehr existiert dieses neue Ich ja nur als Teilnahme an dem umfassenden Ich Christi, das sich ganz und ausschließlich als Sendung zu allen – in Fortsetzung seiner pro-cessio aus dem Vater – versteht. Die erlebte neue Einmaligkeit der Person, die nur innerhalb des Christusmysteriums existiert, isoliert mich so wenig von der Je-Einmaligkeit aller andern in Christus zu Personen gewordenen Subjekten, dass sie mich im Gegenteil zu ihnen hin öffnet, mir unsere Verwandtschaft, ja im Allerletzten, Eucharistischen, unsere Identität im einzigen menschgewordenen Logos beweist, der uns alle als Sünder in sich getragen hat und uns als mit Gott Versöhnten unsern Platz in sich anweist. Es kann auch nicht die Rede davon sein, dass das personale Moment von dem göttlichen Ich des Sohnes, das Gemeinschaftsmoment von seiner Leiblichkeit her bedingt wird, das Bedingende ist die unteilbare Einheit des Menschgewordenen, dessen Leiblichkeit zugleich Ausdruck seiner personalen Sendung und Mittel ihrer Durchführung in der Einheit der Menschennatur ist. Das christologische Geheimnis, das seine immerwährende Aktualität in der Eucharistie besitzt, wird so, rein in sich selbst und noch abgesehen von seinem Zusammenhang mit dem trinitarischen Leben, zum ausgezeichneten Zugang zu diesem Leben, weil auch hier die je-einmaligen Personen unvergleichliche Weisen der Teilnahme (tropos hyparxeos) an der allen gemeinsamen Christusnatur sind: Einssein in der Natur und Einmaligkeit der Personen steigern sich gegenseitig.
Noch auf ein Letztes ließe sich hinweisen. Die menschliche Person ist gewiss von Natur sozial, aber zunächst steht doch jede Person in sich selbst; sie wendet sich frei der andern Person zu und kann sich wieder auf sich selbst zurückziehen. Wenn sie aber durch die Eucharistie in die Substanz Jesu eingesenkt wird, dann in etwas, das nicht «für sich» besteht, sondern wesenhaft «für uns», pro nobis, da ist. Sie nimmt teil an einem wesenhaft Entäußerten. Dadurch wird sie in ihrem Für-sich-Sein grundlegend modifiziert. «Er hat sein Leben für uns dahingegeben, deshalb müssen auch wir unsere Leben für die Brüder dahingeben» (1 Joh 3,16). Das naturhafte Für-sich-Sein wird eingetieft in ein «Für-die-Brüder-Sein», nicht bloß akzidentell und gelegentlich, sondern den Grundsinn unserer Existenz, der nunmehr Anteilnahme an der Sendung des Sohnes für… besagt, betreffend. Durch diese – die christliche Person erst wahrhaft konstituierende – Enteignung vollendet sich im kirchlichen Leib Christi die imago personarum trinitatis, deren jede nur insoweit für sich ist, als sie den andern hingegeben ist.
III
Es bleibt nur mehr hinzuzufügen, dass das eucharistische Mysterium oder (was dasselbe ist) das Verhältnis der Kirche als Leib und Braut zu Christus ohne das trinitarische Mysterium undenkbar bleibt. Der Sendungscharakter des Sohnes ist untrennbar von der Person des sendenden Vaters und nicht minder von der Person des Heiligen Geistes, dem der bis in den Tod hingegebene Sohn die Durchführung und Fruchtbarmachung der von ihm «vollendeten» Sendung überlässt. Der Vater ist der Stifter der Eucharistie des Sohnes, deshalb geht das Dankgebet der Kirche mit dem des Sohnes zusammen an den Vater. Der Geist ist der Verwirklicher der Kirche und ihrer Sakramente, wie er der Inspirator des Wortes Christi und der ganzen Schrift ist; in der Eucharistie im umfassendsten wie im präzisesten Sinn ist die Trinität wirksam eröffnet: alles bewegt sich im Sohn durch den Geist zum Vater.
Wir wollen hier vom trinitarischen Geheimnis nicht weiter sprechen, worin das Ich als Wir und das Wir als Je-Ich sich ereignet. Geheimnis, weil hier der «Zugang des Zugangs», das Gattungs- und Individuumshafte der Kreatürlichkeit fehlt.
Aber es gibt, gleichsam als indirekten Abstrahl des göttlichen Mysteriums in die Welt, eine Art indirekten Beweis dafür in der Darlebung des Christusgeheimnisses dort, wo sie glaubhaft vollzogen wird. Nur im christlichen Bereich werden die Werte der Person und die der Gemeinschaft in einer Weise gelebt, dass beide einander stützen und steigern. Ein Blick auf die andern monotheistischen Religionen dürfte dies deutlich machen: vor der Allwirklichkeit des islamischen Gottes versinkt die sich ihm anvertrauende Individualität in den Staub, und Israels «corporate personality» bleibt Jahwe gegenüber ausgesprochen kreatürlich (ohne eucharistische Vermittlung), was auch über die Werthöhe des Individuums entscheidet. Dieser Abstand zwischen dem christlichen und den sonstigen Monotheismen besagt freilich für die Christen einen dringlichen Appell: weder bei einem Ethos des Personalismus noch bei einem solchen des «mystischen Leibes» als Gemeinschaft stehenzubleiben, sondern kraft der einen geschenkten christologischen Sendung wirksame Darsteller in der Welt zu sein des Mysteriums, dass Gott gar nicht anders sein kann denn als Einer in drei Personen.
- K. Rahner warnt vor einem «vulgären (unausgesprochenen, aber ‹subkutan›), sehr massiven Tritheismus, der… die viel größere Gefahr ist als ein sabellianischer Modalismus» (in: Mysterium Salutis II,342). «Es gibt innertrinitarisch nicht ein gegenseitiges ‹Du›» (ebd. 366). W. Simonis entsprechend: «Müsste man die populären Vorstellungen und Bilder von den innergöttlichen ‹Personen›, die miteinander im Gespräch sind, und auch die bei geachteten Theologen zu lesenden Sätze, nach denen Gott schon als dreifaltiger ‹vor› der Inkarnation das Urbild personaler Gemeinschaft sei, ernstnehmen, so hätte christlicher Glaube mehr mit Polytheismus als mit Monotheismus zu tun.» Über das Werden Gottes. Gedanken zum Begriff der ökonomischen Trinität, in: Münchener Theologische Zeitschrift 33 (1982) 135.↩
- Dazu vor allem Adrienne von Speyr, Das Gebet in der Trinität, in: Die Welt des Gebetes (Einsiedeln 1951), 21-66.↩
Hans Urs von Balthasar
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Ein Wir in Gott – und wir
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2022Type:
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