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Die großen Ordensregeln
Präsentation
Beschreibung
Hans Urs von Balthasar hat 1948 im Benziger Verlag mit Mitarbeitern die fünf großen Ordensregeln der katholischen Tradition (die Regeln des Basilius, Augustinus, Benedikt, Franziskus und Ignatius von Loyola) versammelt und kommentiert herausgegeben und mit einer umfassenden und die für die Kirche zentrale Bedeutung der Lebensform in den evangelischen Räten darstellenden Einleitung «Vom Ordensstand» versehen, woraus die folgenden Zeilen stammen:
Nur mit ehrfürchtiger Scheu dürfte dieses Buch aufgeschlagen werden. Es enthält die Namen erlauchtester Kinder der Kirche, Namen von solcher Strahlungskraft, dass nur wenige neben ihnen gleichrangig sind. Aber nicht um ihrer persönlichen Qualitäten willen sind sie hier aneinandergereiht: Basilius, Augustinus, Benediktus, Franziskus, Ignatius. Ihre Träger sind nicht auf Grund natürlicher Genialität so groß, sondern durch ihre Heiligkeit, und Heiligkeit im qualifizierten Sinn ist gleichbedeutend mit Empfang und Annahme übernatürlicher, christlicher Sendung. Qualifizierte Heiligkeit ist ein «Amt» in der Kirche, - ein Heiliger, der für sich selber nach Heiligkeit strebte, nach persönlicher Vollkommenheit um seiner selbst willen trachtete, wäre ein Widerspruch in sich -‚ Heiligkeit ist Erfüllung einer in der Gemeinschaft der Heiligen sich auswirkenden, vor andern hervorragenden Sendung. Heiligkeit ist darum mehr als Vorbild, sie ist unmittelbarste Quelle der Fruchtbarkeit göttlichen Lebens in Kirche und Menschheit.
So sind alle Heiligen Gründer, da von allen neues, fruchtbares Leben in Gott der Gemeinschaft sichtbar oder auch völlig verborgen vermittelt wird. Diese fünf hier aber wurden durch ihre überragende Sendung so sehr zu Quellen, dass aus jedem von ihnen unübersehbare Tausende von neuen Heiligen ausströmten: viele weithin kenntlich und kanonisiert, die meisten verhüllt im verborgenen Leben Christi in Gott.
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Es gibt zwei kirchliche Lebensformen - zwei und nicht mehr. Die eine, das geweihte Leben in den Gelübden der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams, ist Darlebung der reinen Lebensform Kirche, die andere, die Ehe, ist Darlebung der geschöpflichen Lebensform der Familie unter dem Vorzeichen und im Geist der Lebensform Kirche. Man könnte sagen, dass in der ersten die kirchliche Form auch Materie ist, während sie in der zweiten die Materie der Schöpfung informiert. Die Unvereinbarkeit der beiden Formen wird nicht primär an der Armut klar (weil alle Christen ihr Gut nur als geliehen betrachten), auch nicht am Gehorsam (weil alle Christen Gott in Christo in der Kirche gehorsam sein müssen), sondern in der Bräutlichkeit, die für die einen in der Ehe sich verwirklicht, als Treuebund zweier Menschen in Gott und im Geist der bräutlichen Kirche, die für die anderen in der Jungfräulichkeit Mariä sich verwirklicht, im Eingesenktsein in den Treuebund der Kirche zu ihrem gottmenschlichen Herrn.
Der Gegensatz liegt also nicht darin, dass die einen für die Welt, die andern für Gott leben: das ist kein christlicher Gegensatz. Auch nicht darin, dass die einen mehr die Menschen, die andern mehr Gott lieben; auch diese Betonung ist christlich sinnlos, denn Gottes- und Nächstenliebe wachsen miteinander. Auch nicht darin, dass die einen mehr den Eros, die andern mehr die Agape betonen, denn christlich ist des Menschen ganze Herzenskraft für die Liebe angefordert, und beide Formen der Liebe fordern in ihrer Weise Verzicht, weil beide ihre Exklusivität besitzen und beide in christliche Selbstlosigkeit einüben. Aber die Ehe bindet die Liebe endgültig ins Partikuläre, die Jungfräulichkeit aber ins Universale des geistlich-leiblichen, eucharistischen Verhältnisses zwischen Christus und der erlösten Menschheit.
Im Wörtlichnehmen des Allesverlassens ist der Ordensstand das sichtbare, quasi sakramentale Zeichen des Gelübdes der Gesamtkirche, und ohne dieses «sacramentum» gibt es die «res» in der Kirche nicht. Denn schon die Kirche selbst hat in Maria zugleich ihre innerste Wirklichkeit und ihr Symbol: res et sacramentum. Darum ist die Gegenwart von ganz Hingenommenen, Christusgeweihten für die Kirche nicht nur wünschbar, sondern notwendig, notwendiger im Sein selbst der Geweihten als in ihrer amtlichen oder sonstigen Betätigung (was man ihr Apostolat nennt). Dieses Sein ist eben Geweihtsein, Existenz in der seinshaften und deshalb bewusstseinshaften devotio, im Gebet und Gelübde.
Schon im Evangelium erhält dieses qualifizierte «Stehen», dieser «Stand» eine seltsame Sichtbarkeit. Die Unterscheidung zwischen den Jüngern und dem Volk ist so deutlich, dass sie zu einer geradezu entgegengesetzten Lebensbewegung führt: die Jünger, die ein für allemal aus ihrer Welt heraus getreten sind und ihren Standort bei Christus haben, beschreiben - immer neu - die Bewegung des Ausgesendetwerdens von Christus in die Welt und der Rückkehr aus der Welt zu ihrem Ruhepunkt Christus, während das Volk umgekehrt immer neu die von der Welt her suchende Bewegung zum Herrn hin vollzieht und nach irgendeiner gnadenhaften Berührung oder Begegnung mit ihm, nach dem Empfang einer Heilung, Sündenvergebung, Speisung oder Belehrung an seine weltlichen Standorte zurück entlassen wird.
Die Differenzierung der beiden Wege und Stände geschieht durch Christus, den Herrn der Kirche. Er allein ruft zum Weg der Lebensweihe, niemand darf diese Form der Nachfolge wählen, außer auf Grund eines klaren Rufes des Herrn. Weil aber jeder Mensch dort sein Bestes erreicht, wo er dem Willen Gottes entsprechend zu stehen hat und stehend diesen Willen erfüllt, kann keiner, der nicht zur engeren Nachfolge berufen wird, sich dem Berufenen gegenüber benachteiligt fühlen.
Die Kirche wacht eifersüchtig über den echten Geist ihrer Orden und Gemeinschaften, und so sehr sie sich an ihrer Vielfalt und Buntheit erfreut, so sehr will sie doch in jedem von ihnen den genuinen Geist des Evangeliums erkennen. Aus ihrer zweitausendjährigen Erfahrung weiß sie heute - selbst wenn manche Christen es zu vergessen scheinen -‚ dass alle Propaganda Fidei und alle Organisation im Kirchlichen zuletzt fruchtlos bleibt, wenn nicht die lebendige Kraft des gelebten Opfers dahintersteht, das sich als gehorchende, arme und keusche Liebe aus den Quellen der gekreuzigten Liebe des Sohnes Gottes nährt.