Aus dem reich verschlungenen Inhalt des vorliegenden Buches über die Apokalypse des hl. Johannes lassen sich drei Problemkreise besonders hervorheben:

I. Die subjektiven Bedingungen im Apostel für den Empfang der Visionen. II. Die den Visionen eigentümlichen Formen der Wahrheit. III. Der Inhalt der Visionen. Die Aufzählung dieser Themen lässt erkennen, dass das Werk Adriennes von Speyr auf einigen Voraussetzungen aufruht, die nicht eigens bewiesen werden (da es sich nicht um ein wissenschaftliches Werk handelt), wohl aber mit Rücksicht auf die kirchliche Überlieferung gemacht werden durften. Es sind im wesentlichen diese: Der Verfasser der Apokalypse ist der Liebesjünger Johannes; er hat sie als letzte Schrift, nach seinem Evangelium und seinen Briefen geschrieben. Seine Aussagen sind wörtlich zu nehmen: er hat das, was er geschaut zu haben vorgibt, wirklich gesehen, und zwar genau so wie er es berichtet. Er hat also weder die Tatsache der Entrückung vorgetäuscht, weil solches zur Aussageweise der apokalyptischen Literaturgattung gehört, noch hat er, vielleicht um eine tatsächliche Entrückung auszudrücken, nach bestehenden literarischen Formen und Bildern gegriffen. Sein Werk ist ursprünglich und selbständig. Es ist, falls hier überhaupt ernsthaft von einer «literarischen Gattung» gesprochen werden darf, darin das analogatum princeps. Wenn es die Reihe der echten, biblischen Visionen und Weissagungen abschließt, dann waren diese (vor allem diejenigen Ezechiels und Daniels) in der göttlichen Heilsökonomie auf die abschließende «Offenbarung Jesu Christi, die ihm Gott gab» ausgerichtet. Sie waren vorbereitende und partielle Voraussagen dessen, was nunmehr Gott durch Christus seinen Dienern in der Kirche offenbaren wollte, indem er es «durch den Engel seinem Knechte Johannes kundgetan hat» (1,1). Von diesen Voraussetzungen her wird die Entfaltung der genannten drei Themen des Buches verständlich.

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Wenn es auch wahr ist, dass Gott in der Apokalypse einen Blick in seine unbegreifliche und solange die Zeit währt nie ganz zu enträtselnde Wahrheit werfen lassen will, dann tut er dies noch nicht in Form von verklausulierten Scharaden, deren richtige «Lösung» man mit viel Scharfsinn «herausbringen» kann. Man wird beim Lesen dieses Kommentars immer wieder erstaunt sein, wie einfach und unprätenziös eine Auslegung sein kann. Neugierde und Sensationslust kommen nicht auf ihre Rechnung. Gottes Wort ist dafür zu ernst. Auch zu dringlich, um nicht mit dem ganzen Gehorsam, dem ganzen Glaubensleben aufgenommen zu werden. Und erst recht ist es zu heilig, um Anlass poetischer Ergüsse und Paraphrasen zu sein. Auch dieses Werk Adriennes von Speyr ist von einer vollkommenen Zurückhaltung und Sachlichkeit. Man übersehe auch nicht, wie dicht es trotz der Länge ist. Es ist ein Betrachtungsbuch, das aus vollen Händen Anregung für die persönliche Betrachtung streut. Man wird seinen Inhalt dann am besten kennenlernen, wenn man täglich einen kürzeren Abschnitt daraus liest und sich vom Empfangenen einer persönlichen Begegnung mit dem Wort, das Gott ist, entgegenführen lässt.

Aus der Einführung von Hans Urs von Balthasar