Das achte Kapitel des Römerbriefes ist ein so strahlender, schmetternder Höhepunkt in der gewaltigen Symphonie des paulinischen Werkes, dass wir seine Botschaft auch herausgelöst aus dem Zusammenhang des Briefes auf uns wirken lassen dürfen. Solche Vereinzelung von Stücken der Schrift, wie die Kirche sie ja durchgehend in ihrer Liturgie und Verkündigung übt, erinnert uns stärker daran, wie sehr – bei aller horizontalen Verbundenheit im Menschlichen und Geschichtlichen – das Wort Gottes doch an jeder Stelle vertikal vom Himmel herabstößt und vom Menschen ohne Sicherungen und Zuflüchte in der Blöße des Herzens empfangen werden soll.

Es geht in diesem Kapitel um den endgültigen Sieg der Liebe Gottes des Vaters durch Christus im Heiligen Geist in den zur Kirche verbundenen Glaubenden, den Brüdern und Miterben des Sohnes, durch die auch die ganze nach der Erlösung schreiende Schöpfung zu ihrer letzten Freiheit gelangt. Nichts vermag die unaufhaltsame Ausdehnung dieses Sieges zu stören, nichts den Lauf dieses Triumphzugs zu hemmen. Unmöglich ist es, mit einschränkenden Begriffen dem heiligen Paulus ins Wort zu fallen; seine Verkündigung hat hier den Charakter einer schlechthinnigen, und zwar progressiven Totalität. Dies nicht richtig erkannt zu haben, war auch der Fehler jener Häretiker, die, von einer unbiblischen, die Individuen gegeneinander auszählenden Vorbestimmungslehre ausgehend, in den Schlussversen eine Bestätigung ihrer subjektiven Heilsgewissheit finden wollten. Adrienne von Speyr entgeht dieser Gefahr, so wie sie der ersten Gefahr entging, die Worte des Apostels von außen her einzuschränken; sie bleibt ihrer steten Gewohnheit gemäß innerhalb der reinen, unverstellten Objektivität des Heilswerks und seiner Ausbreitung. Sie verbietet es sich deshalb, den Begriff der Erwählung anders als in einer heilsgeschichtlichen, also verpflichtenden, sendungshaften Form zu verstehen, die nach ihr der biblische, bereits alttestamentliche und im besonderen paulinische und johanneische Sinn des Erwählungsgeheimnisses ist.

Aus dem Geleitwort von Hans Urs von Balthasar