Menü
Katholisch
Anmerkungen zur Situation
Hans Urs von Balthasar
Originaltitel
Katholisch
Erhalten
Themen
Technische Daten
Sprache:
Deutsch
Sprache des Originals:
DeutschImpressum:
Saint John PublicationsJahr:
2024Typ:
Artikel
Ist das Katholische noch verstehbar?
«Katholisch» ist eine Qualität. Es ist Allheit, Universalität, und setzt, um verstanden zu werden, eine bestimmte menschliche Geisteshaltung voraus. Auch wenn die Katholizität der katholischen Kirche primär eine Offenbarung und Mitteilung der göttlichen Allheit ist, auch wenn deren Aufnahme in den menschlichen Raum primär Gnade ist: eine geschichtliche Epoche kann doch durch diese Gnade schlechthin überfordert sein, und dies scheint der unsern zu gelten.
Für uns liegt die Effizienz im Teil, in der «Partei», die Alternative dazu ist ein tolerant-ineffizienter Kosmopolitismus. Qualität geht zusammen mit Teil, Allheit zusammen mit Konturlösigkeit; man sehe zu, ob nicht ein guter Teil unseres Ökumenismus auf Kosten der Qualität geht (für die alte Welt war oikumene der geographische Umkreis der bewohnten Welt, der Kosmopolis), ob er nicht ein wenig dem religiösen Synkretismus des vorchristlichen Rom gleicht:
Die Catholica wird zur Unterscheidung als «römisch-katholisch» etikettiert, als ein Klan also neben andern, und es wirkt ärgerlich, daß sie sich nicht schlankweg dem ökumenischen Rat der Kirchen (der heute verständlichen Allheit) einordnen will. Ferner ist das Attribut «katholisch» schon so abgeschliffen, daß jede Konfession, die das alte Credo beibehält, es für sich einfordert und nach eigenem Verstande deutet.
Die Catholica erhebt einen bestimmten Anspruch, der unter den heutigen Voraussetzungen kaum noch als gültig angesehen werden kann, selbst wenn es wahr ist, daß dieser Anspruch in jeder Epoche Ärgernis erregen mußte: nämlich als bestimmte historisch-soziologische Gestalt universale Relevanz zu besitzen. Dem modernen Menschen erscheint das als Torheit, Anmaßung, Intoleranz.
Das Ganze im Fragment
Der Anspruch der Catholica war in Zeiten besser verständlich, die ein vertikal gestuftes Weltbild besaßen. Das unsere ist von der naturwissenschaftlichen Denkart geprägt, die – in ihrem Bereich durchaus legitim – alle Phänomene horizontal-quantitativ aufzulösen versucht, um sie annähernd durchschaubar und nachkonstruierbar zu machen. Demgegenüber bedeutet vertikal gestuft: ein Ganzes, zum Beispiel die menschliche Seele, kann sich in einer Vielheit von leiblichen Gliedern darstellen, so, daß jedes dieser Glieder nur durch die übergeordnete Ganzheit existieren und das sein kann, was es in Wahrheit ist: zum Beispiel nicht irgendein Greifapparat, sondern eine menschliche Hand. Könnte die Hand denken, so verstünde sie, daß sie zum Ausdrucksorgan einer den Gliedern überlegenen Totalität gehört.
Das ist nur ein hinkendes Gleichnis, weil die Kirche zu ihrem belebenden Prinzip nicht im Verhältnis eines Gliedes oder auch eines Gesamtleibes zur Geistseele steht, aber dieses Gleichnis wird immerhin von Paulus als Verständnishilfe verwendet…
Hier geht es vorerst nur um das Sehen- oder Nicht-(mehr-)sehen-Können, daß ein («hierarchisch») Übergeordnetes eine untergeordnete Vielheit so durchformen kann, daß es diese in seine Einheit emporhebt, ohne sie ihrer Eigenart zu berauben. Eine Form erwirkt sich in Materie Gestalt.
Die Form, die die Kirche gestaltet, bleibt göttliches Mysterium, das zuletzt nur geglaubt werden kann: Gott in einem Menschen Jesus Christus so gegenwärtig, daß dieser real und wirksam die ganze Menschheit repräsentiert: durch sein Kreuz und seine Auferstehung die Welt mit Gott versöhnt. Das führt ins Dunkel: was geht denn in Wahrheit an jenem Kreuz vor sich? Was wird dort erlebt, durchgestanden? (Keiner hat es je sagen können.) Und wie wird die Kirche durch dieses Geschehen informiert («ich bin mit Christus mitgekreuzigt», «ihr seid mit Christus auferstanden»), in das sie sich nicht eigenmächtig stellt, sondern durch das sie immer schon zu dem gemacht wird, was sie ist? (Auch das kann keiner sagen.) Die Catholica existiert nicht anders, als indem sie das Mysterium glaubt, dessen Ausdruck sie ist, und diesem Glauben dadurch zu entsprechen sucht, daß sie in Wort und Leben vom Mysterium Zeugnis ablegt. Sie hat das Maß ihrer Katholizität, die sie durchformt, nicht aus oder in sich, sondern über sich: im Mysterium Christi. Aber auch dieses ist vom Zeugnis der Catholica nicht isolierbar.
Das unglaubwürdige Zeugnis
Das Zeugnis der Catholica ist tief verborgen, so verborgen wie das Mysterium, das sie bezeugt. Man frage eine beliebige Klasse der Oberstufe im Westen oder im Osten, was sie sich unter katholisch vorstellt, damit assoziiert, und man wird sehen. Inquisition, Pille und dergleichen. Die Kirche hat (in ihrem schwächsten Konzilsdokument) die Massenmedien «gesegnet», aber kann sie in diesen ihr eigentliches Geheimnis, das einzige, das sie glaubwürdig machen kann, vor Kreti und Pleti enthüllen? Muß sie es dort nicht zumindest in abgeleiteter, verfremdeter, moralisierter («eingängiger») Form vorstellen? Wird sie dann aber nicht eher Propaganda als Mission treiben?
Auf dieser sekundären Ebene hat die Catholica implizit die Rolle angenommen, eine «Kirche» oder religiöse Gemeinschaft unter andern zu sein. Ist sie’s nicht faktisch, schon indem sie im Lauf ihrer Geschichte in zahlreiche «Kirchen» – vorchalkedonische, orthodoxe, reformierte, anglikanische usf. – zerfallen ist, deren jede das (approximativ) echteste Zeugnis vom Mysterium abzulegen behauptet? Wer aber, der nicht irgendwoher für das Mysterium fasziniert worden ist, wird durch diese Differenzen nicht abgeschreckt, da die Catholica doch äußerlich daran erkennbar sein müßte, daß «ihr alle eins seid, wie Ich und der Vater»?
Und innerhalb der «römisch-katholischen» Kirche: die nachkonziliaren Polarisierungen. Links-Rechts, Progressiv-Konservativ. Einschmelzen angeblich erstarrter Formen bis zur Gestaltlosigkeit und Bewahrung dieser Formen, bis sie wirklich erstarren. Beides durch nichts ersetzt, was Dauer verheißt, sondern durch vielerlei überstürzt Zusammengeleimtes, beim Erscheinen schon Ergrautes. (Schwer zu sagen, ob sich hier die epochale Unfähigkeit auswirkt, echte Form zu prägen, oder eine besondere christliche Unfähigkeit: wie ephemer ist heute fast alle christliche Kunst, Kirchenlied, liturgisches Wort!) Der nachreformatorische Barock zeigt, daß das christlich nicht so zu sein braucht.
Die vielen abgespaltenen Sekten haben je ein Stück Lebendigkeit aus der Catholica exportiert – teils durch Wahrung der echten Tradition, teils durch angebliches Neuanknüpfen an die Ursprünge – und damit der Idee Vorschub geleistet, von der katholischen Kirche sei nicht viel mehr geblieben als Knochen ohne Fleisch, Gerippe, Institution, Establishment. Die innern Polarisierungen verstärken diesen Eindruck, indem die Betonung der Extreme kundtut, daß die Mitte, die allein die Enden zusammenzuhalten vermag, bedenklich entvitalisiert ist. Wer soll einem in sich polemisch zerfallenen Zeugnis Glauben schenken, wenn es sich als Zeugnis für das Allhafte ausgibt?
Kenose?
Das Rinnsal, das in Ezechiels Schau unter der Tempelschwelle gen Osten hervorsickerte und nachher zu einem undurchschreitbaren Strom schwoll, war dünn. Aus der Seitenwunde Jesu quollen auch nicht mehr als ein paar Tropfen. Soll der Strom der Catholica zurück in die Gestaltlosigkeit des Ursprungs, um sich dort zu regenerieren? Muß ihr Zeugnis unterdessen zu einem lautlosen werden, um aus neugewonnener Mitte und Sendung neu glaubwürdige Form zu gewinnen? Oder wird äußere Form überhaupt abgebaut?
Im Leben Jesu hat es einen Augenblick des Stillstands und der Peripetie gegeben (die Synoptiker gliedern ihre ganze Schilderung nach ihr), da die Sensation seiner Worte und Wunder, die Begeisterung der Massen ihren Sättigungsgrad erreicht hatten, während der wachsende Widerstand der Führer zum Todesbeschluß gerann. Von diesem Augenblick an schlägt Jesus «unverwandten Blickes» die Richtung nach Jerusalem ein, die bestürzten Jünger hinter sich herziehend und wohl wissend, was ihn erwartet.
Paulus erlebt die gleiche Peripetie, da er, allen Warnungen zum Trotz den Weg nach Jerusalem hinauf einschlägt, während der Geist ihm eingibt, daß Bande und Drangsale dort seiner warten.
Warum sollte die weltgeschichtliche Stunde nicht auch für die Kirche schlagen, warum nicht heute? Dann müßte ihr Abstieg an der anderen Böschung unbeirrten Fußes erfolgen wie der frühere Aufstieg. Eine innere Angst braucht ihr nicht erspart zu werden; ihr Herr hat sie auch gekannt. Sie kann zeitlich zusammenfallen mit der andersgearteten Angst der Menschheit vor ihrer Selbstzerstörung und der Vernichtung des Phylums, aus dem sie lebt. Vielleicht hat Kirche die Menschheit auf ihrem Weg zum Schafott zu begleiten, und vielleicht ist der Menschheit eine solche Begleiterin heute sonderlich unerwünscht. Die Brutalität der Fakten, die sie ganz in Anspruch nimmt, klingt schlecht zusammen mit dem Hinweis auf eine transzendente Wahrheit. Er wirkt wie Zerstreuung.
Die Verwandlung der Angst
Angst würgt unbarmherzig die menschlichen Kehlen. Sie füllt die Sprechzimmer der Psychiater, bevölkert die Irrenhäuser, läßt die Selbstmordziffern steigen, legt die Sprengbomben, löst die kalten und heißen Kriege aus. Man sucht sie aus den Seelen auszurotten wie Unkraut, durch betäubenden Optimismus, forcierte Hoffnungsphilosophie, Freigabe aller Reizmittel, Auffangen des Nomadentriebs durch Reiseindustrie, Einladung zu jeder Form der Selbstentfremdung.
Andere predigen von außen, man solle «getrost» auf Jesum vertrauen, aber der Trost bleibt aus.
Das Katholische tilgt nicht, aber verwandelt die Angst. Wird in Eucharistie und Sündenvergebung das Ereignis des Kreuzes realpräsent, so doch auch dessen Angst, die die Ballung und Überbietung aller Weltangst war. Es war hingegebene, Gott angebotene, stellvertretende Angst zur Entängstigung der Sünder.
Jesu Voraussagen an die Kirche sind ein steter Wechsel von schrecklichen Fakten (vor denen man sich nur fürchten kann: «Wie Schafe unter die Wölfe»!) und Aufmunterungen, die Angst zu überwinden, weil sie gottgegeben ist: «Euer Herz erschrecke nicht; glaubt an Gott und glaubt an mich» (Joh 14,1). «Ihr werdet traurig sein, aber eure Trauer wird Freude werden» (Joh 16,20). In der Geburtsangst schreit das Weib, und die Catholica hat mit ihrem Herrn zusammen in Wehen für die Welt zu liegen. Gerade den Repräsentanten der Kirche – den Heiligen einerseits, den Amtlichen anderseits – wird kirchliche Angst nicht erspart, diese darf sich hinter keiner Wand von «Repräsentation» zu verbergen suchen. Die verständliche Angst, daß das Zeugnis unwahrnehmbar werden könnte, darf nicht dazu verführen, es mit weltlichen Lautsprecheranlagen unüberhörbar zu machen. «Er wird nicht disputieren und schreien, und auf den Straßen wird man seine Stimme nicht hören» (Mt 12,19). Laute Theologen und katholische Fernsehstars sind heute besonders unglaubwürdig, sie können nur «schreckliche Vereinfacher» sein.
Angst der Kirche, sich entkleiden zu lassen – zwischen Kreuzesangst und Menschheitsangst. Den einzelnen Christen darf diese Angst nicht gleichgültig sein, er darf davor nicht kneifen, als ginge sie bloß «Fachleute» und «Beamtete» an, als handle es sich bloß um eine überflüssige Unruhe im Klerus, der um seine «soziologische Identifikation» ringt.
Verlust des Gesamtsubjekts
Nur «mit allen Heiligen zusammen» können wir «Breite und Länge, Höhe und Tiefe der Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übersteigt, um erfüllt zu werden zur ganzen Fülle Gottes hin» (Eph 3,18f.). Also ermißt keiner für sich allein das Katholische. Kein Theologe denkt es bei sich allein aus, und kein Gläubiger betet, leidet, lebt sich einsam in seine Mitte hinein. Hat ein Christ das lebendig erfahren, dann weiß er, daß er sich der Kirche einschmiegen, ihre geistigen Artikulationen mitvollziehen muß. Sie allein spricht das volle Fiat, sie allein ist der Sitz der Weisheit, in ihre Mitte eindringend öffnen sich die verschlossenen, an sich selber verzagenden Seelen…
Der Verlust der Teilnahme(möglichkeit) am Gesamtsubjekt ist unmittelbar Verlust des katholischen Instinkts, der nur dann «erkennt», wenn der Gegenstand «alle Erkenntnis übersteigt», während man sich sonst mit dem weltlich Erkennbaren zufriedengibt. Hier die Gefahr eines (falsch verstandenen) Aggiornamento, das ist die Durchschnittskapazität des «modernen Menschen» hinabsteigt, ihm die Anstrengung nicht mehr zutraut, sich in jenes kirchliche Subjekt zu integrieren, das allein die Antwort auf Das Wort zu geben ermächtigt ist. Aber es bedürfte Heiliger, um die tausendstimmige Sprache der Kirche durch ihre vergangenen Jahrhunderte hindurch den heutigen Ohren als vertrauten Laut (statt als unverständliches Gemurmel) nahezubringen, die «persönlichen Ansichten», die heute fast jeder hat und von sich gibt, auszuweiten zu kirchlichen, somit katholischen Ansichten, die «partiell Identifizierten», also notwendig exzentrisch Situierten, zu jener Mitte zurückzuführen, die über und unter all den kleinlichen Ungereimtheiten liegt, woran sie sich stoßen…
Weitere Artikel dieser Periode