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Karl Rahner zum 60. Geburtstag am 5. März 1964
Hans Urs von Balthasar
Originaltitel
Karl Rahner
Erhalten
Themen
Technische Daten
Sprache:
Deutsch
Sprache des Originals:
DeutschImpressum:
Saint John PublicationsJahr:
2022Typ:
Artikel
Vor einiger Zeit wurde Yves Congar in Straßburg anlässlich seiner Ernennung zum Maître en Theologie von seinen Freunden aus aller Weit und jeder Konfession gefeiert: er, der jüngst noch hart Verbannte, Verdächtigte, an der Arbeit Gehinderte hat, wie ein Redner sagte, seinen Ehrentitel nicht letztlich von seinem Orden, sondern von der Kirche selber, als Konzil versammelt, erhalten. Was vor zwei Jahrzehnten von diesem Einsamen verkündet und vorgeschlagen, aber als gefährlich, vermessen, umstürzlerisch gewertet und weitgehend durch Bücherverbote usf. desavouiert worden war, ist heute – man weiß nicht durch welches Wunder des Heiligen Geistes – im Begriff, Gemeinlehre der Kirche zu werden. Der Heilige Schöpfergeist aber, der hier ohne Zweifel und sichtbarlich Sieger geblieben ist, hat sich in dieser Schlacht notwendig des menschlichen Geistes bedienen müssen, und menschlicher Geist besagt, wo er schöpferisch auf der Höhe seiner selbst ist, immer ungetrennt beides: Denkkraft und Mut. Einer ganz kleinen Schar von «Berufenen, Auserwählten und Getreuen, die zu Ihm halten» (Apk 17,14) verdankt «das Lamm» und seine Kirche diesen Sieg, und zu diesen Wenigen gehört an einer der ersten Stellen Karl Rahner. Einsam, obschon jedermanns Freund und guter Genosse; zäh und hartstirnig, obgleich auch nachsichtig, wo die Tugend der Klugheit es fordert; immer mit seinem Denken in der ersten Feuerlinie, ohne Deckung, wenn’s drauf ankommt, immer dort, wo die andern aus fehlendem Mut noch nicht zupacken mögen, aber sobald einer vorausging, willig folgen: so hat er nun dreißig Jahre lang der Kirche und uns allen vordemonstriert, was ein christlicher Einsatz in dieser Zeit ist. Statt sich, wie andere, zu ducken und hintenherum zu schimpfen, hat Rahner sich schweigend, verbissen an die Arbeit gemacht, wie ein Ross, wie ein Ochse, und so lange gezerrt, bis, unbegreiflich, das Ganze sich trotz allem bewegt hat. Das ist geschenktes Charisma, ganz gewiss. Aber es muss vom Menschen angenommen sein, und das geht nur in jener geheimnisvollen Einheit von Hochgemutheit und Demut, die in der christlichen Sendung eins sind, kraft der Liebe zu Christus, die nur dienen, und für sich selber nichts will. Rahner hat das von seinem Ordensvater Ignatius. Ein sehr empfindsames Herz (wie wär’ es sonst Liebe?), das doch, scheinbar dickhäutig, alle Schläge und Demütigungen hinnimmt (so ist es normal im Kriegsdienst).
Herbert Vorgrimler hat in seinem kleinen Büchlein über Rahner (Verlag Manz, München, 1963) die Ausgangssituation gut gekennzeichnet: der Schock der Modernismus-Zensuren sitzt den Theologen in den Knochen, die Seminaristen lernen brave, geistlose, zeitfremde Handbücher auswendig, die Wissenschaftler treiben Geschichte und edieren Handschriften, die Zeitaufgeschlossenen schreiben vorsichtig, um die Aufmerksamkeit der Zensoren und der Spitzel nicht zu erregen, werden aber dafür von der zünftigen Theologie unbeachtet gelassen. Rahner hat das Krankhafte dieser Lage erkannt und vollbewusst von Anfang an zu überwinden gesucht. Solange der Geist nicht in den Buchstaben (den die Theologen lernen und später von der Kanzel predigen) eingeht, ist nichts getan. Wer selber Geist hat und genügend gearbeitet hat, der weiß, dass der Buchstabe aus Geist entstanden ist – aus der gewaltigen geistigen Tradition der Kirche, der Bibel, der Kirchenväter, der Hochscholastik, der großen Überlieferung der Heiligen und des geistlichen Schrifttums –, der kann deshalb auch aus dem scheinbar hoffnungslos Verstaubten der Schulbücher den ewig jungen Geist neu erwecken. Aber das fordert, dass man selber jung ist und den lebendigen Geist der gegenwärtigen Zeit spürt, versteht, in sich brodeln hat.
Zu dieser Herkules-Tat, die keinem andern Zeitgenossen in dem Umfang gelungen ist, nämlich die theologische Schultradition von innen her, maßgeblich und erfolgreich aufzusprengen, war Rahner vielfach vorbereitet. Er hat nach seiner scholastischen Ausbildung bei Heidegger Philosophie studiert, hat mit andern dort versammelten jungen Katholiken (Bernhard Welte, Max Müller, Gustav Siewerth, Joh. Lotz) den Weg gesucht, Thomas von Aquin ins Gespräch mit Hegel, Husserl, Heidegger zu bringen: dieser Weg war bereits von Joseph Maréchal S.J. vorgebahnt, mit seinem (auf Maurice Blondels «L’action» 1893) fußenden Entwurf einer gegenseitigen «Transposition» des mittelalterlich «ontologischen» und des modern-kantianischen «transzendentalen» Denkens. Maréchals geniale Synthese, die ihren eigentlichen Standort bei Fichte bezog (absolute Dynamisierung des geschöpflichen Geistes und entsprechend des Seins auf Gott hin, Grundlegung alles gegenständlichen Denkens im Transzendieren auf den totalen Seinsakt, wobei diese totale Offenheit für Thomas, Kant und Rahner doch jeweils nur in der conversio ad phantasma, der Eingrenzung auf das zeitlich-räumlich vorliegende Konkrete, Geschichtliche erfolgt): diese Synthese entsprach zudem ganz dem jesuitischen Genius einer anti-statischen, barocken Dynamik. Mit ihr hat Rahner den weiten Herzensschwung der Kirchenväter nachvollziehen können, bei deren Theologie und Spiritualität er zunächst einsetzt («Aszese und Mystik der Väterzeit 1939. Studien über Origenes, Evagrius, Augustinus, Bonaventura, später über Hermas, Irenäus, Tertullian, Cyprian usf.), hat er vor allem in seinem umfassenden Aufriss der Erkenntnistheorie des Aquinaten diesem eine ganz moderne Offenheit und Aktualität verliehen («Geist in Welt», 1939, 1957), und bis heute beim Anfassen aller philosophischen, theologischen und Lebens-Probleme ein sicheres Instrumentarium behalten, das die Exaktheit des Begriffes eben deswegen so meisterlich beherrscht, weil er (wie Hegel) die übersteigende Bewegung des Begriffes auf das Offene des Seins, des Geheimnisses, Gottes selber versteht und mitvollzieht. Darum kann Rahner zuweilen ein recht schwieriger Autor sein, der den widerstrebenden und trägen Leser zwingt, die «Anstrengung des Begriffs» mitzumachen: im Durchdenken zu erkennen, dass er sich bisher bei Halbverstandenem zur Ruhe gesetzt hat und in Gottesnamen seine Zeltpflöcke nochmals ausreißen muss. Das passiert nicht nur dem kleinen Mann, mag er Kleriker sein oder Laie, es passiert der Theologie im ganzen und, wie man weiß, sogar dem Konzil, dem die rahnerschen scharf durchdachten, aber immer weitenden und befreienden Schemata auf den Leib rücken. Plötzlich sieht man: wirklich Denken ist immer ein Abenteuer, eine Entdeckungsfahrt, und man begreift auch das andere: dass, wenn einer Mut hat, auch die übrigen Mut bekommen und Freude am Mutigsein. Es ist also normal, dass der Mutige, gerade in der Kirche, der zunächst und auf lange Zeit Verfehmte ist – so erging es allen: de Lubac, Congar, Chenu, den Vorkämpfern der ökumenischen Bewegung, wie Couturier, Dumont, Karrer, und natürlich auch Teilhard – bis der Mut ansteckend genug wird, dass plötzlich viele und alle finden, was da gesagt wird, sei das einzig Richtige.
Rahner war in diesen Jahrzehnten das bedeutendste Ferment. Auf allen Einzelfeldern der Theologie, des kirchlichen Lebens und der Frömmigkeit hat er kurze programmatische Aufsätze veröffentlicht (das Wichtigste in den «Schriften zur Theologie», die bei Benziger in bisher 5 Bänden erschienen sind): jedesmal wird der Stier bei den Hörnern gepackt, das heiße Eisen gegriffen, vor dem jeder sich scheut. Dass keiner dran will, zeigt, dass grade hier das Dringendste liegt. Wie steht es mit dem freien Wort in der Kirche (1953)? Welche Rolle hat das Charismatische gegenüber dem Amt (1958), was hat es mit der Tradition auf sich, wenn doch eigentlich die Heilige Schrift genügt (1963), was ist mit der Inspiration (1957)? Muss man an der Jungfräulichkeit der Mutter-Gottes auch in und nach der Geburt festhalten (1960, gewiss einer der kühnsten Vorstöße Rahners, den man kaum für möglich gehalten hätte)? Was ist mit der Evolutionstheorie, mit Teilhard de Chardin, mit dem Monogenismus (mehrere bedeutende Schriften)? Was ist mit dem Ablass (1955), worin liegt das Wesen der Beichte, historisch und dogmatisch (1953 und später), was soll man sich unter der Transsubstantiation vorstellen (1958), wie verhalten sich die vielen Messen zum einen Kreuzopfer, theologisch und in der Praxis der Kirche (1951)? Was soll man vom Diakonat halten und in welcher Weise könnte es neu fruchtbar werden (1957, 1962)? Dann die Fragen in die letzten Tiefen der Theologie: was steht im Neuen Testament wirklich über die Dreifaltigkeit Gottes (1942), wie müsste die Lehre von der Menschwerdung Gottes in einer zugleich biblischen und modernen Weise neu und tiefer verstanden und von zahlreichen schiefen Fragestellungen befreit werden (1954)? Wenn die Menschheit im ganzen erlöst ist: was sind dann die andern Religionen neben der christlichen wert (1961)? Wie könnte die Christologie auch in einer evolutiven Weltanschauung ihren Platz behalten (1961)?
Der Fragen ist kein Ende, aber nicht dass Rahner auf sie alle eine Antwort bereit hat, ist ereignisvoll, sondern dass er bei jeder Frage in die Mitte zurück sich sammelt: die Mitte des Fragenden (und der Not der heutigen Zeit), in die Mitte der Offenbarung, die man vielleicht noch viel tiefer, aber auch viel freier verstehen muss, in die Mitte auch der Tradition, in der so vieles liegt, was die heutige Theologie und Predigt vergessen hat.
Rahner hat den Willen, kein echtes Anliegen – sei es der Menschen oder der Kirche oder Gottes – auf die leichte Schulter zu nehmen. Er ist, vielleicht von Erbe und Geburt, oder durch die schwere Fracht, die er trägt, ein Bekümmerter. «Wer erliegt einer Schwäche und ich würde nicht mit ihm schwach? Wer nimmt Ärgernis und es brennte mich nicht?» (2 Kor 11,29). So will Rahner nicht bloß Theologe, Professor und gelehrter Schriftsteller sein, sondern Seel-Sorger für alle, Christen und Heiden. Zu seinen besten Schriften zählen die leichtesten, in denen entweder selber gebetet wird («Wort ins Schweigen» 1937) oder von «Not und Segen des Gebetes» gehandelt wird (1948); es gibt Schallplatten, die von Mund zu Ohr über ein Festgeheimnis sprechen, kleine Broschüren (im Ars Sacra Verlag und anderswo), die in schlichtester Rede das Christliche künden. Der schmale Weg zwischen Absicht, Planung, Organisation einerseits und unbekümmertem Streuen anderseits ist nicht immer leicht. Die großen Maschinen haben sich auch Rahners bemächtigt, und ihn (nolens? volens?) in Wörterbücher, mehrere Lexika, riesige Dogmatikpläne, Entwürfe von interkontinentalen Zeitschriften, und was die heutige technische Phantasie noch aushecken mag, hineinverfilzt. Seine Schüler, Freunde, Verleger planen mit ihm und für ihn. Und sie werden ihm zu seinem Fest eine jener üblich gewordenen Festschriften darbringen, die – angesichts der geringen Zahl wirklicher Köpfe, die heute theologisch arbeiten und die alle halben Jahre neu aufgeboten werden – eine Belastung und Überforderung eben der wenigen sind. Sehen wir indes darin die einstimmige, unverhohlene Freude unserer Zeit, einen genialen Theologen geschenkt erhalten zu haben, der auf Jahrzehnte und wahrscheinlich Jahrhunderte hinaus der Kirche Frömmigkeit, Tiefsinn, unerschöpfliche denkerische Anregung gegeben hat, und nochmals vor allem eins: das Beispiel des christlichen Mutes.
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