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Verfügbarkeit zum Geist
Zuerst eine unklare Verheißung des Geistes; eine Unruhe, aber auch eine Forderung bereit zu sein, in der Unruhe alles abzulegen, was rein-menschlich ist. Und man soll nicht Angst haben, sondern alles so hinnehmen, wie es sich zeigt. Die Bereitschaft in dieser Unruhe schließt ein Ja und ein Nein ein: man soll Ja sagen zu dem, was der Geist bejaht, und Nein sagen zu dem, was er ausschließt. Wenn der Geist verheißen ist, kann es sein, daß er mit mir zusammenarbeiten will und ich ihm deshalb in Erwartung entgegengehen soll.
Angenommen ich soll einen Vortrag halten und der Geist wird mir die Grundgedanken einflößen, aber mir die Ausarbeitung überlassen, dann muß ich in einer Adäquation zu ihm stehen, die aber nicht von mir her bestimmt werden kann. Ich soll nicht Angst haben, mehr zu fordern, wenn er mehr geben will, oder weniger zu empfangen, wenn er erwartet, daß man weniger nimmt, auch wenn mehr vorhanden wäre. Die Forderung ist: eine Klarheit und Durchsichtigkeit innerhalb der Unklarheit über das, was kommen wird. Vielleicht will der Geist einen Teil der Arbeit meinem Geist einflößen, einen andern Teil meinen Geist mit ihm zusammen vollbringen lassen. Schon in dieser Verheißung soll man selber ganz flüssig werden, nicht nur hinhalten, sondern sich auch selber bemühen, es zu sein.
Vom Augenblick an, da der Geist verheißen ist, muß man ihn erwarten und, sofern er es verlangt, in der Erwartung ausharren. Diese Erwartung des Geistes kann einen voll in Anspruch nehmen, wobei man immer mehr Leere in sich schafft für das Verheißene. Wie in einer Schwangerschaft, oder wie das Volk Israel, das in der Erwartung der Verheißung bleibt bis zum Jawort der Mutter.
Wenn dann der Geist kommt, muß man ihm entsprechen. Ihm genau soweit entgegengehen, als er es verlangt, und dabei nichts Wichtigeres kennen als dieses sein Kommen. Daß wir entsprechen, ist nicht das Wichtige; das Wichtige ist, daß er kommt und unser Entsprechen in sein Je-mehr einbezieht. Und dies tut er, wenn wir uns bewußt sind, daß nur sein Kommen das Wichtige ist. Man ist einfach hingegeben und läßt ihn gewähren, man plant nichts, wo er nicht plant, aber man tritt nicht zurück, wo er etwas tut und getan wissen will. Das Geschehenlassen ist in keiner Weise Passivität, man stellt alles, was man besitzt, dem Geist für sein Wirken zur Verfügung. In diesem Zusammenspiel gibt es nie so etwas wie eine frontale Begegnung, ein Angekommensein, eine Bestimmung des Niveaus, sondern nur ein wachsendes Eingeschlossensein in den Geist. Aus diesem Eingeschlossensein heraus antwortet man so, wie er es erwartet.
Indem man immer wieder seine Liebe empfängt, erhält man die Bestätigung, daß alles richtig ist. Es gibt ein sicheres Getragenwerden in der Entsprechung. Es ist ein bißchen wie wenn ein Arbeiter auf einem Feld arbeitet, weil sein Herr es so angeordnet hat; er kennt diesen Herrn nicht genau, weiß nicht, wo er wohnt, aber abends erhält er sein Nachtmahl und seine Ruhestätte. Das Feld kann sehr abgelegen sein, man tut doch das Entsprechende. Und dann kann es auch sein, daß der Herr einmal selber auf dem gleichen Feld mitarbeitet. Dieser Vergleich macht noch etwas klar: daß es in dieser Art, dem Geist zu entsprechen, keine vollkommene geistige Nacht gibt.
Es gibt immer irgendwelche Zeichen der Sicherheit und Sicherung im Geist, auch mitten im Nicht-gesichert-Sein in der Welt. Dennoch: je größer die Forderung und deshalb unsere Mitarbeit, umso mehr gilt es, nur verfügen zu lassen. Es verlangt mehr Einsatz, darin nicht selber zu antworten, im Sich-lieben-Lassen nicht nach eigenen Regeln zurückzulieben. Das ist keine Übung für Anfänger.
Solches Wirken des Geistes ist immer mit einer Forderung verbunden, die aber vielleicht mit dem jetzigen Augenblick nichts zu tun hat. Vielleicht erwirkt der Geist in einem Menschen ein tieferes Beten, ein volleres Verständnis, will aber im Augenblick keine besondere Tat. Er behält aber diesem Menschen gegenüber eine Art offene Rechnung. Als würde mir ein Konto eröffnet: ich darf abheben, muß aber auch zurückzahlen. Jetzt waltet Freigebigkeit, aber vielleicht wird die Stunde der Einforderung des Guthabens eine solche sein, die mir nicht paßt. Der Geist schenkt uns eine reine Freude und will, daß wir sie genießen. Das hindert ihn aber nicht, in diese Freude eine Forderung hineinzustecken, er engagiert uns. Er zwingt uns nicht, seine Gnade anzunehmen, also auch nicht seine Forderung. Es ist ähnlich wie beim Kreuz des Herrn, das Geschenk und Forderung zugleich ist: indem er es getragen hat, hat er uns den großen Weg der Opfer gebahnt.
Es gibt Zeiten des Wirkens des Geistes, die irgendwie umschrieben werden können. Aber nachher ist man nie «verworfen». Doch gehört es zum Wesen des Geistes und der darin liegenden Forderung, daß man nachher in dieses Wirken zurückstreben soll, muß, darf, kann… Es ist wie ein Besuch, den man nachher einmal erwidern muß, darf, kann. Denn es gibt eine Wirkung des Geistes, die sich in unserem Ich vollzieht und trotzdem im Vollzug unvollständig bleibt, falls die Spuren davon in uns nicht fortbestehen. Diese Spuren haben immer den Charakter eines Im-Geist-bleiben-Dürfens. Man ist von ihm geprägt. Dem entspricht auch, daß es keine ärgeren Ungläubigen gibt, als die, die einmal geglaubt und darin den Heiligen Geist gehabt haben.
Adrienne von Speyr
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Verfügbarkeit zum Geist
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Sprache:
Deutsch
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DeutschImpressum:
Saint John PublicationsJahr:
2023Typ:
Artikel
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