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Der Heilige Ignatius
Von seiner Vision am Fluß hat er uns erzählt, bei welcher ihm Gottes Heilsplan für die Welt so unteilbar einheitlich vor Augen gestellt wurde, daß er, wie er sagt, im Grunde der Heiligen Schrift nicht mehr bedurfte. In La Storta wird er von Gott Vater dem Sohn übereignet, so daß er seiner Gründung den unerhörten Namen Gesellschaft Jesu geben darf. Ein Pater sah sein Antlitz während des Gebetes leuchten, Nadal berichtet, daß er, was immer er wollte, betend in Gott finden konnte. Sonst hat er fast alles, was er an mystischen Erfahrungen aufgezeichnet hatte, verbrannt; er wollte vor den Seinen und vor der Welt nur als der vernünftige Gründer und Ordner erscheinen, und von seinen Konstitutionen – wovon fast alle späteren Gründungen abhängen – ist nach den vielen Jahrhunderten kaum etwas veraltet.
Für die Kirche bleibt er mit seinem linkisch redigierten, unliterarischen Exerzitienbuch lebendigste Gegenwart. Wer zählt die Hunderttausende von Berufungen, die es im Lauf der Zeiten erweckt hat und heute unvermindert hervorbringt? Zu dem darin vorgezeichneten Ereignis gibt es keine Alternative, so viele solcher sich versucht und angeboten haben.
Es räumt auf mit Hunderten von frommen «Anweisungen zur Vollkommenheit», von denen das hohe und späte Mittelalter wimmelt, indem es rücksichtslos praktisch den Suchenden mitten ins Evangelium stößt und ihn dort mit Christus, mit dem zu ihm sprechenden dreieinigen Gott allein läßt. Stößt, sage ich, und damit einer dort wirklich ankommt, muß er zunächst von seinen Illusionen über sich selbst, seinen Einbildungen und Sünden entkleidet werden, damit er nudus nudum Christum folgen kann. Damit Gottes Wort, das Christus ist, ihn persönlich und hautnah zu treffen vermag. Nicht irgendwo, peripher, sondern im Zentrum seiner Existenz, so daß der Anruf zum lebensentscheidenden Ereignis wird. Dieses Ereignis der «Wahl» bildet den einzigen Mittelpunkt, Sinn und Zweck des Ganzen, mit vielen umsichtigen Weisungen («zum rechten Vollzug der Wahl») umgeben, während alles übrige nur auf das Mitabschreiten des Weges Christi abzielt: Menschwerdung, Geburt, verborgenes und öffentliches Leben und Wirken, Passion, Auferstehung mit den kirchengründenden Erscheinungen.
Was sich ereignen soll, ist das, was sich damals am Jordanufer begab. «Als Jesus vorüberging» (und Ignatius betont nachdrücklich, daß Jesus nicht irgendwo stationiert ist, sondern immer vorübergeht), «blickte Johannes auf ihn und sagte: Seht das Lamm Gottes. Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus. Jesus aber wandte sich um, und sehend, daß sie ihm folgten, fragte er sie: Was sucht ihr?» Und auf die Gegenfrage: «Rabbi, wo wohnst du?» antwortet er: «Kommt und seht» (Joh 1,36-39). Entscheidet euch zum Kommen (und das besagt: «Alles liegen lassen» Lk 5,11), dann werdet ihr sehen. «Und sie gingen mit und sahen… und blieben.» Was sich damals begab, ist nicht nur ein Vorbild, es ist genau das, was sich jetzt, hier und heute begibt. Wie das Kreuzesopfer in dieser heiligen Messe gegenwärtig ist, wie der österliche Nachlaß der Sünden sich in jeder richtigen Beichte vollzieht.
Es geht Ignatius um keinen «Weg der Vollkommenheit», dessen Stufen man in Büchern nachlesen und befolgen kann. Schon deshalb nicht, weil niemand im voraus bestimmen kann, auf welchen Weg in Kirche und Welt der Ruf Jesu den Einzelnen stellen wird. Deshalb darf in Exerzitien kein «vollkommener(er)» Weg gezeigt werden. Einzig der Herr bestimmt, was für dich der von ihm gewählte und damit der beste Weg ist. Erfahren aber kannst du es einzig von ihm – falls du bereit bist, von dir aus jeden der von Gott wählbaren Wege zu beschreiten, du dort stehst, wo der Knabe Samuel stand: «Rede Herr, dein Diener hört» (1 Sam 3,10). Oder noch besser die Jungfrau, als «Magd des Herrn» zu allem bereit, zum Schwersten und Schönsten. Sie war Ignatius auf seinem Krankenlager erschienen und hatte ihm sichtlich ihr eigenes Ja ins Herz gelegt.
Ein suchendes, tastendes Leben: Kartäuser? Wanderprediger? Allein oder mit Gefährten? Streiter gegen den Islam am Heiligen Grab? Die Inquisition zwingt den Erwachsenen, sich auf die Schulbank zu setzen, Latein, Philosophie, Theologie zu studieren unter tausend Schwierigkeiten, Geldnöten, Krankheiten. Nach außen der sichere Führer einer immer wachsenden Zahl, nach innen der Offene, der dauernd um Weisung zu bitten hat. Dann in Rom der Angelpunkt, um den alles sich dreht, dessen Dasein und Funktionieren für alle sosehr zur Selbstverständlichkeit wird, daß er, wie nochmals Nadal sagt, «in der Weise seines Sterbens eine wundersame Demut zur Schau trug: als ob er sich selber vollständig geringschätzte und von allen anderen geringgeschätzt würde» (quasi qui se negligeret perfecte, et ab aliis negligeretur omnibus. Epist. P. Nadal, tom. IV 697).
Hans Urs von Balthasar
Teilveröffentlichung aus:
Du hast Worte ewigen Lebens
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Deutsch
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DeutschImpressum:
Saint John PublicationsJahr:
2022Typ:
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