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Zu Adrienne von Speyrs Johanneskommentar
Einführung zur ersten Privatausgabe (Luzern 1945)
Hans Urs von Balthasar
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Fiche technique
Langue :
Allemand
Langue d’origine :
AllemandMaison d’édition :
Saint John PublicationsAnnée :
2024Genre :
Préface
I
Das vorliegende Werk über das Johannesevangelium bezeichnet sich als eine betrachtende Auslegung. Betrachtend ist sie in dem Sinne, daß sie aus der Betrachtung für die Betrachtung entstanden ist. Betrachtung heißt, im Gegensatz zu wissenschaftlicher Forschung, jene Haltung, die sich betend in die göttliche Tiefe der Heiligen Schrift zu versenken sucht; mehr lauschend und empfangend geöffnet als schöpferisch bestimmend und festlegend, mehr auf den lebendigen Geist als auf den Buchstaben des Textes gerichtet, den Leser mehr zum Gebet als zur forschenden Erkenntnis anregend. Ein solcher Umgang mit dem Worte Gottes entspringt keineswegs einer Verachtung der exakten Exegese; wohl aber ist er von der Überzeugung beseelt, daß auch die wertvollste Bearbeitung des heiligen Textes nach den Methoden und Maßstäben der menschlichen Wissenschaft doch immer nur eine Vorarbeit sein kann, welche den Suchenden erst zur letzten und entscheidenden Haltung dem Worte Gottes gegenüber hinführt: zur Haltung Marias von Bethanien, die schweigend und hingegeben zu Füßen des göttlichen Meisters sitzt, um im Glauben sein Wort als das zu empfangen, was es in Wahrheit ist: das unendliche, alle menschliche Fassungskraft übersteigende Wort der ewigen Liebe.
Der Inhalt des Evangeliums – und insbesondere des Evangeliums Johannis – ist die uns erschlossene, uns geschenkte Liebe Gottes: die Liebe zwischen Vater und Sohn im Heiligen Geist, die von Ewigkeit her unbegreifliches Leben, immer neues Wunder, alles überstrahlende Herrlichkeit war, und in deren Geheimnisse uns das Wort des Vaters aus Liebe eingeweiht hat. Der Sohn erschien in Menschengestalt, um das Wort der Liebe zu sprechen, das Werk der Liebe zu tun und das Reich der Liebe zu gründen. Weil aber der Inhalt seiner Offenbarung so sehr nur die Liebe ist, wird er auch nur von Liebenden verstanden. Die Wahrheit, die sich hier zeigt, die Wahrheit im letzten, entscheidenden Sinn, der die Liebe ist, kann nur Liebenden zugänglich sein. Über alles trockene Wissen hinweg, das außerhalb der Liebe über Gott möglich sein mag, gilt unerschütterlich der Satz des Liebesjüngers: «Wer nicht liebt, erkennt Gott nicht, denn Gott ist die Liebe» (1 Joh 4,7). Kein Anliegen eines Schriftkommentars ist also dringender, keine Voraussetzung für das Verständnis des Textes, der ausgelegt werden soll, ist elementarer als die Weckung der Liebe in den Seelen derer, die dazu bestimmt sind, den Inhalt der Offenbarung zu begreifen. Diese Liebe aber, gleichsam das Apriori jeder Auffassung des Wortes Gottes, ist keine beliebige Liebe, wie sie unter den Menschen verstanden zu werden pflegt, sondern genau die Liebe, mit der uns Gott selbst in Christus geliebt hat und die uns in der Gabe des Heiligen Geistes zu eigen geschenkt wird. Denn «nicht darin besteht die Liebe: daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat und seinen Sohn als Sühnopfer für unsere Sünden gesandt hat» (1 Joh 4,10). Und da die lebendige Mitteilung dieser Liebe die schöpferische Tat Gottes selber ist, bleibt der auslegenden Betrachtung seines Wortes nur diese Aufgabe: unentwegt und unbeirrt auf das Wunder dieser Liebe hinzuweisen, es von allen Seiten her zu betrachten, zu vertiefen, zu preisen und anzubeten, um, soweit dies menschlichen Worten verstattet ist, vielleicht eine vielleicht mehrere Seelen wachsen zu lassen in der Erkenntnis und Anerkennung der Liebe. Nicht also von der Liebe des Menschen, von seinen Bestrebungen und Anstrengungen, noch von seiner Moral und seiner Askese, seiner erreichten oder noch zu erreichenden Vollkommenheit, seinen mystischen Aufstiegen und stufenweisen Erlebnissen, nicht von alldem wird die Rede sein, wo von der Liebe gehandelt wird, sondern Zeugnis soll abgelegt werden von der Liebe dessen, der uns uneinholbar geliebt hat, als wir noch Sünder waren. So, wie der Herr von seiner eigenen Liebe fast gar nicht redet, sondern nur von der Liebe des Vaters, so spricht keiner von den Seinen so wenig von seiner eigenen Liebe als der Liebesjünger Johannes. Liebend zeigt er auf den hin, der ihn geliebt hat, so sehr, daß seine ganze Existenz als Apostel nichts anderes mehr sein kann als eine Offenbarung der Liebe seines Herrn. «Was von Anfang an war, was wir gehört, was wir mit eigenen Augen gesehen, was wir geschaut und mit eigenen Händen betastet haben vom Worte des Lebens – das Leben erschien, und wir haben geschaut und bezeugen und verkünden euch das ewige Leben, das beim Vater war und uns offenbar wurde –, was wir geschaut und gehört, das verkünden wir euch, damit auch ihr Gemeinschaft habet mit uns: unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und seinem Sohne Jesus Christus, und das schreiben wir euch, damit eure Freude vollkommen sei» (1 Joh 1,1-4). So sucht der liebende Jünger die Liebe, die er geschaut und erfahren, und die ihn in die Gemeinschaft der Liebe von Vater und Sohn einbezogen hat, weiterzugeben – denn alle Liebe wird nur geschenkt, um sofort wieder verschenkt zu werden – und damit den Kreis der Liebe Gottes zu erweitern, neue Herzen an ihr zu entzünden und auf diesem Wege die christliche Kenntnis Gottes, das heißt den Glauben, dem Auftrag des Herrn gemäß in die Welt zu tragen.
Die Wahrheit des Evangeliums also ist die Liebe Gottes, und diese Wahrheit versteht nur, wer selber liebt, in wem die Liebe Gottes lebendig ist. So gibt es auch keine gültige und fruchtbare Auslegung des Johannesevangeliums, die nicht mit dem Apostel zusammen im Dienste der Liebe stünde: schauend und hörend und tastend die Liebe Gottes, und das Geschaute, Gehörte, Ertastete den Brüdern kündend und bezeugend, damit sie liebend die Liebe besser begreifen. So redet nur der, der innerhalb der Liebe redet, objektiv von ihr. Und nur wenn es mit der Liebe des Herrn gelingt, die Liebe begreiflich zu machen, so begreiflich, daß der Hörer des Wortes sie selber zu üben beginnt, ist der Zweck einer Auslegung des Evangeliums erreicht. Nur wenn die betrachtende, kontemplative Öffnung des Hörens sich erfüllt in der aktiven christlichen Sendung, wenn das Wissen um die Liebe Gottes sich verwandelt in tätige Liebe zu Gott im Nächsten, ist die Botschaft, die Johannes uns vom Herrn vermittelt, wirklich aufgenommen und als Wahrheit aufgefaßt worden. Nicht das, was der Mensch von sich aus und bei sich selber über das Wort des Lebens sich ausdenkt, ist wissenswert vom Worte des Lebens, sondern das, was er in der liebenden Öffnung zu diesem Worte hin betrachtend erfährt und tätig verwirklicht. Nur in dieser Haltung ist der Mensch für die Wahrheit aufgeschlossen, die ihm hier mitgeteilt werden soll, ja die Haltung der Liebe selbst ist das Zeichen dafür, daß er die Wahrheit aufgefaßt hat.
Der Unglaube freilich, der an die Liebe Gottes nicht glaubt, und in der Schrift nichts weiter erblickt als ein historisches Dokument unter andern, fühlt sich nicht verpflichtet, der hier erschlossenen Wahrheit anders zu nahen als mit den Maßstäben und Meßinstrumenten des sonstigen menschlichen und weltlichen Wissens. Der Unglaube findet keinen Anlaß, dem Worte Gottes liebend statt kritisch richtend entgegenzutreten. Er muß die Wahrheit Gottes wie jede andere Wahrheit vor das Gabbatha des menschlichen Denkgerichts laden und – die müde Frage «Was ist Wahrheit?» vielleicht unterdrückend – das Wort des Vaters an seinen unzähligen Reagentien prüfen: es durch philologische, historische, geographische, archäologische, orientalistische, ethnologische, soziologische, philosophische, religionspsychologische Methoden, deren Ergebnisse schon mehr oder weniger feststehen, in den Rahmen des bereits «gewonnenen» menschlichen Wissens einzuordnen suchen.
Der Glaube dagegen wird an das Wort des Lebens keineswegs mit fertigen und vorgefaßten Begriffen herantreten. Er wird nicht voraussetzen, daß er bereits weiß, was ihm gesagt werden soll: daß er bereits weiß, was die Liebe ist. Denn «nicht darin besteht die Liebe, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat». Und nicht das ist der Glaube, was wir über Gott zu glauben vermeinen, sondern was er uns zu glauben schenkt und zu glauben vorstellt. Und nicht das ist die Wahrheit, was wir ohne Gott (atheoi, Eph 2,12) über Gott dachten, sondern das, was er uns von der Wahrheit, die er ist, zu erkennen gegeben hat. Der Glaube wird sich nicht vermessen, an die Schrift in der Meinung heranzutreten, bereits zu wissen, was Wahrheit ist. Er weiß vielmehr, daß ihm hier einer begegnet, der von sich selber sagt, er sei die Wahrheit (Joh 14,6), in seiner Menschwerdung liege die Fülle der Wahrheit (Joh 1,14), und diese Wahrheit werde nur der erkennen, der sein Jünger ist und sein Gebot hält (Joh 8,31). Wer mit solchem Anspruch auftritt, ist nicht gewillt, seine absolute Wahrheit dem Richterspruch irdisch-endlicher Wahrheit unterzuordnen, er verlangt vielmehr die Bereitschaft liebender Hingabe, die betrachtend den Samen des Wortes auf jungfräuliches Erdreich fallen läßt, die Bereitschaft der Mutter des Herrn selbst, die in der Demut der Magd sich diesem Worte erschloß und deren Aktion es war, es betend und betrachtend in ihrem Herzen wachsen zu lassen. Es gibt diesem Worte gegenüber keine andere sachgemäße Methode, die objektive Erkenntnis seiner Wahrheit verbürgte. Richtig ist hier nur, was in seiner ganzen Existenz auf die göttliche Wahrheit hin ausgerichtet ist. Denn Gottes Wort ist eins mit seinem ewigen Leben. Nur in der liebend versuchten Einheit von Glauben und Tun, Erkenntnis und Leben, in der stets inchoativen Angleichung an die Wahrheit des Herrn, die selbst die untrennbare Einheit von Weg, Wahrheit und Leben ist, liegt die Gewähr dafür, daß ein Mensch in der Richtung schaue, in der die Wahrheit des Wortes zu finden ist, das hier ausgelegt werden soll.
Darum also ist der vorliegende Kommentar ein betend-betrachtender Kommentar. Er versucht – und welche Bemühung um die ewige Wahrheit wäre mehr als ein armseliger Versuch? – sich innerhalb der Wahrheit, die hier offenbar wird, zu bewegen und sie auf keine innerweltlichen Maßstäbe einzuengen. Die Wahrheit Gottes aber ist unendlich; sie überbordet jede menschliche Grenze. In jedem Worte des Herrn liegt die ganze Wahrheit verborgen. Es ist nicht so, daß sich diese Worte wie Teilwahrheiten zu einem geschlossenen System ergänzten. Darum verzichtet diese Auslegung auf jeden Versuch einer endlichen Systematik und Disposition. Sie weiß, daß keinerlei Schema das Wort des Vaters einfangen kann. Sie läßt sich betrachtend vom Worte selber führen. Von Wort zu Wort, von Vers zu Vers sucht sie von der unendlichen Fülle zu fassen, was in der kleinen menschlichen Schale Raum hat. Sie nähert sich damit von neuem der Methode des theologischen Kommentars, wie die Kirchenväter der ersten Jahrhunderte und des frühen Mittelalters ihn pflegten. Diese wussten so sehr um die Unendlichkeit der göttlichen Wahrheit und um die absolute Lebendigkeit ihres Inhaltes, daß sie sich jenseits des Gegensatzes von «wissenschaftlicher Erklärung» und «erbaulicher Anwendung» bewegten. Theorie und Praxis, Belehrung und Erbauung sind so sehr eins, daß eine Trennung gar nicht erwogen wird. Und ebensowenig kann in dieser überschwenglichen Einheit ein Gegensatz zwischen dem buchstäblichen, historischen Sinn und dem darin verborgenen geistlichen Sinn entstehen. Denn das Wort, das Geist ist, ist Fleisch geworden und hat im zeitlichen, buchstäblichen Fleisch die Fülle der ewigen, geistigen Wahrheiten Gottes dargestellt und zum Ausdruck gebracht. Nicht hinter dem Buchstaben liegt der geistliche Sinn der Schrift, sondern unmittelbar in ihm, dem Glauben offenbar, verborgen dem Unglauben; offenbar dem Glauben aber auch nur in der verborgenen Unendlichkeit der göttlichen Wahrheit, die, um auch als gefundene immer weiter gesucht zu werden, unendlich ist (Augustinus, In Joh tr. 63).
Dieser geistige Sinn der Schrift wird aber nur im Heiligen Geiste erschlossen, und den Heiligen Geist besitzt der Einzelne nur, sofern er ein Glied der Kirche ist, die den Geist des Herrn besitzt. Ein Schriftkommentar kann also nur ein kirchlicher Kommentar sein. Und zwar in einem doppelten Sinn: Er muß aus dem Geist der Kirche heraus gedacht und verfaßt sein, er muß, auch dort, wo er sie nicht ausdrücklich erwähnt, aus der Fülle und Breite der kirchlichen Tradition heraus sprechen. Er muß aber auch anderseits die Schrift selbst in die Kirche hinein auslegen. Denn nur in der Kirche ist das Wort Gottes lebendig. Er darf die Schrift nicht als ein geschlossenes System von Sätzen und Worten nehmen und das Gebäude ihres göttlichen Sinnes auf der schmalen Basis des Buchstabens aufführen wollen. Das wäre ein Rückfall in die Philologie der Schriftgelehrten. Er muß vielmehr die Freiheit des kirchlichen Blickes besitzen, die in dem scheinbar beschränkten Buchstaben die ganze Weite und konkrete Fülle des Geistes erschaut, wie sie sich vor ihm in der Kirche ausbreitet. Er hat dann keineswegs etwas in den Text hineingetragen, was nicht darin liegt, sondern nur mit den Augen des liebenden Glaubens, die die wahrhaft hellsichtigen sind, darin erschaut, was andere, weniger geeignete Augen, nicht zu sehen vermöchten. Das Wort Gottes will im Spiegel der Kirche gelesen sein, wie umgekehrt die Kirche sich in keinem anderen Spiegel betrachten soll als in dem des Wortes Gottes. So wird dieser Kommentar an jenen Stellen besonders verweilen, den Fluß der Erklärung zum See sich ausweiten lassen, wo es das kirchliche Leben erheischt.
II
Mit alldem ist nun aber auch schon angedeutet, daß das vorliegende Werk nicht bloß unverbindliche, freischweifende Betrachtung, sondern wirkliche Auslegung ist. Nicht umsonst ist es gerade der Liebesjünger, der am tiefsten in die Wahrheit Gottes hineingeblickt hat und deshalb mit Vorzug der Theologe genannt wird. Wer ihn in seinem Geiste zu deuten versucht, kann nicht anders als selbst um Theologie sich bemühen. So wird auch diese Auslegung durchaus ein theologischer Kommentar im ursprünglichen Sinne des Wortes sein. Er wird dort ansetzen, wo die philologischen und geschichtlichen Vorarbeiten ihr Ende nehmen: beim Verständnis der Worte und Taten des Herrn als unmittelbarer göttlicher Wahrheit. Die Rücksicht und der Gesichtspunkt, unter dem Gott seine Wahrheit in Christus offenbarte, war aber immer die Wendung der Seelen zu ihm, also die Liebe. Und diese Rücksicht ist keine bloß äußere, durch die «Ökonomie» der Erlösung bedingte, sondern eine im Wesen der Wahrheit Gottes selbst liegende, weil auch in Gott das Maß aller Wahrheit die Liebe zwischen Vater und Sohn im Geiste ist. Denn der entscheidende «Ort» der Wahrheit in Gott ist die Adäquation des Abbildes, nämlich des Sohnes, mit dem Urbild, dem Vater, im Heiligen Geist. Diese Adäquation aber ist selbst ein Werk der Liebe: aus Liebe hat der Vater dem Sohn die wesensgleiche Gottheit geschenkt, und aus Liebe will der Sohn kein anderes Wesen haben als das des Vaters. Es gibt hier keine Vorordnung einer physisch-ontologischen Betrachtungsweise vor der geisthaft-moralischen, denn beide sind im reinen Geiste eins. Verhält sich das so, dann wird auch der letzte Maßstab theologischer Wahrheit kein anderer als die Liebe sein können. Es ist ein Wesensmerkmal aller Wahrheit, daß sie erbaut, und das heißt nun eben, daß sie in der Liebe fruchtbar ist; während es das Merkmal aller Lüge ist, daß sie zerstört und auflöst. Nach diesem Gesichtspunkt ist der vorliegende Kommentar entworfen. Er ist weit davon entfernt, alle Wahrheit zu entfalten, die im Evangelium Johannis enthalten ist. Aber seine Auswahl ist überall durch die Liebe bestimmt. Wer in der Auslegung eines Abschnitts nicht findet, was er dort suchen zu sollen glaubte, der frage sich, ob das, was er gesucht und nicht gefunden hat, im Hinblick auf die Liebe wichtiger gewesen wäre, als was ihm geboten wurde.
Der Maßstab der Auswahl ist also die Liebe. Darum wird der Kommentar inhaltlich die mannigfachen in der Offenbarung erschienenen Formen der Liebe zu zeigen trachten. Zunächst die Liebe zwischen Vater und Sohn im Geiste. Diese Liebe ist so reich, so vielgestaltig, so unerschöpflich und stets wieder neu, daß der ausführlichste Kommentar zuletzt gestehen müßte, noch nicht einmal einen schwachen Begriff davon vermittelt zu haben. Dann wird die Rede sein von der Mitteilung dieser Liebe Gottes an die Welt. Von der Hingabe des Sohnes an den Vater und die Welt im Erlösungswerk. Vom innern Wesen dieser Erlösung als Sendung, als Darstellung der Liebe Gottes in Menschengestalt, als Leiden bis zur Gottverlassenheit, als Auferstehung. Von der Nichtaufnahme der Liebe Gottes durch die Menschen. Von den unendlich vielgestaltigen Wegen und Weisen, in denen die Beziehungen zwischen Gott und Mensch angeknüpft und ausgeführt werden, also von dem Lebensreichtum in der Seele von Glaube, Liebe und Hoffnung. Man verwechsle diese eingehenden Schilderungen nicht mit «Psychologie»; es geht vielmehr um die lebendige Theologie des Glaubensaktes in seiner ganzen Konkretheit und darum auch in seiner Ausbesonderung, wie sie uns in den Beziehungen des Herrn zu den Menschen, denen er begegnet, exemplarisch dargestellt wird. Die Welt der Gnade, die sich als Glaube, Liebe und Hoffnung entfaltet, ist unendlich reicher und vielgestaltiger als alle Gesetze der irdischen Schöpfung zusammengenommen. Die Fülle dieser äußeren Welt, die von zahlreichen Wissenschaften erforscht wird, ist nur ein Abbild des überschwenglichen Reichtums des wahren Kosmos der Liebe; und was der eingehendste Kommentar von diesen Gesetzen in Wort und Begriff zu kleiden vermag, wird immer nur wie ein Nichts erscheinen, verglichen mit der ganzen Geheimnistiefe. Endlich wird die Rede sein von der Kirche, als dem fortlebenden und fortwirkenden Erlösungswerk Gottes. Auch hier wird es sich weniger um eine abstrakte, schematische Theologie der Kirche handeln, als um die ganze Breite ihrer inneren Lebendigkeit in Liebe und als Liebe: um die Sakramente als Quellen des Lebens der Liebe, um die Sendung als Grundform katholischer Existenz, um die beiden Stände: Weltstand und Ordensstand, als die grundlegenden Lebensformen der Liebe, um die beiden inneren Formen des christlichen Lebens: Aktion und Kontemplation, um das Verhältnis zwischen Amt und Liebe, schließlich um die für alles kirchliche Leben vollends entscheidende Wirklichkeit der Stellvertretung in der Liebe. Darin liegt beschlossen die Wirklichkeit der Heiligen sowie aller charismatischen Gaben in der Kirche, aller Formen des Gebets, der gewöhnlichen und der außergewöhnlichen, «mystischen» Wirklichkeiten, die gar nicht anders deutbar sind als innerhalb der kirchlichen Amtlichkeit und Stellvertretung. Wenn irgendwo, so gilt bei diesen Gegenständen, daß das Wie des Sagens den Inhalt des Gesagten mitbestimmt. Man achte darum in dem vorliegenden Werk stets auch darauf, mit welchen Akzenten sie geschildert, und nicht zuletzt, was über sie nicht gesagt wird. Das Schweigen wird ebenso richtungweisend sein, wie die Rede.
Aus allem wird sich im abgeschlossenen Werk eine Art von «Summe der Liebe» runden. Weil es aber stets um die Liebe Gottes gehen wird, die in allem führend und tonangebend bleibt, und unsere Liebe dabei nichts anderes sein wird als ein in die einzige Liebe Gottes nachfolgend Einbezogenes, darum wird die Darstellung dieses Kommentars eine bewußt und betont sachliche und zurückhaltende sein. Die Sprache wird weder rhetorisch blühend noch ästhetisch hinreißend sein. Sie wird sich an die Schlichtheit, ja Kargheit der johanneischen Sprache selbst anlehnen. Der Kommentar beansprucht nicht den Titel eines literarischen Kunstwerks; er bleibt ein Buch, das sich keine andern Leser wünscht als solche, die eine Anleitung zur betenden und betrachtenden Vertiefung in die Wunder der Liebe Gottes verlangen. Dieser Aufgabe ordnet sich auch die hier gebotene Übersetzung des Evangelientextes unter, die eine möglichst einfache, wörtliche und sinngemäße sein will und auf jeden sprachlichen Glanz verzichtet.
III
Was hier unternommen wird, ist aber nicht eine Auslegung des ganzen Wortes Gottes, sondern nur des Johannesevangeliums. Die göttliche Offenbarung hat sich menschlicher Gefäße bedient, um ihre unendliche Fülle darzustellen. Sie hat sich gewürdigt, im Medium von vier menschlichen Persönlichkeiten das Geheimnis des Erdenwandels des Sohnes Gottes zu beschreiben. Die Eigenart dieser vier Menschen bedeutet zwar in einer Hinsicht eine Begrenzung der göttlichen Fülle, in anderer Beziehung aber ist diese Eigenart jeweils auch das Gefäß und die Ermöglichung der Offenbarung einer ganz bestimmten Seite des göttlichen Wesens. Das «Johanneische» im Johannesevangelium darf nicht als eine menschliche Zutat oder verdunkelnde Brechung gewertet werden, die man durch irgendeine Methode ausschalten müßte, um an das objektive Wesen Christi heranzukommen. Denn gerade in diesem johanneischen Wesen wollte der Herr sein eigenes Wesen offenbaren. So wenig man einen Schriftsteller der Bibel absolut setzen oder ihm einen wesentlichen Vorrang vor den andern einräumen darf, so sehr ist es anderseits erlaubt, Johannes aus Johannes und durch Johannes zu deuten und zu erklären. Dieser Weg wird sogar der erste und nächstliegende sein. Das Johannesevangelium ist eine unendliche Welt, in der sich alles auf alles bezieht, in der alles durch alles gedeutet werden muß. Der vorliegende Kommentar bietet den Versuch einer solchen Deutung. Ein Zeichen, daß dieser Versuch nicht mißlungen ist, müßte darin zu finden sein, daß diese zunächst immanente Deutung in ihrem Ergebnis zugleich alle Türen zum tiefern Verständnis der übrigen Teile des Neuen Testamentes aufschlösse, jeden Gegensatz zwischen Johannes und den Synoptikern, zwischen Johannes und Paulus, Petrus oder Jakobus überbrückte.
Es gibt so etwas wie eine johanneische Denkform. Sie zu erleben ist leichter als sie zu beschreiben. Man darf vielleicht sagen, daß sie ganz im trinitarischen Wesen der Liebe Gottes gründet, das zugleich den absolut geschlossenen Kreislauf der Liebe und die absolute, unendliche und unschließbare Verströmung und Steigerung dieser Liebe in sich schließt. Diese beiden Seiten des göttlichen Lebens zwischen Vater und Sohn im Geist werden für die Welt offenbar in der Menschwerdung des Sohnes, im Erscheinen des göttlichen Lichtes in der Finsternis dieser Welt. In diesem Erscheinen des Lichtes offenbart sich die Geschlossenheit der göttlichen Liebe, sofern nur innerhalb des Lebens des Sohnes, das heißt innerhalb von Glaube, Liebe und Hoffnung, ein wahres Leben für den Menschen möglich ist, jeder Kompromiß zwischen Licht und Finsternis, zwischen Glaube und Unglaube, zwischen Kirche und Welt restlos abgelehnt wird. Der Übergang ist ein Sprung; wer nicht in den Kreis hineintreten will, der bleibt, auch wenn er die höchsten Fähigkeiten des Denkens oder der Sittlichkeit besäße, unweigerlich draußen. In allen Reden des Herrn mit den Juden wird dieses Entweder-Oder in seiner letzten Schärfe vorgeführt und entfaltet, wobei die Juden (auch im Kommentar) immer nur die Stellvertreter des allgemein-menschlichen, überzeitlichen Unglaubens sind. Anderseits aber ist das Licht, das in die Finsternis scheint, auch und gerade als Licht der Liebe das Offenste, was es gibt. Es kommt, um sich in der Finsternis zu verströmen, jede Grenze zwischen sich und der Finsternis aufzuheben, und es ruht nicht, bis es durch die Nacht der Passion alle Finsternis dieser Welt in Licht überführt hat. Diese Antithetik des johanneischen Denkens stellt nur das unübersichtliche Geheimnis der göttlichen Liebe selbst vor Augen, die der einzige und allgegenwärtige Inhalt dieses Evangeliums bleibt.
Weil nun aber das Johanneische von Gott selbst zur Offenbarung einer Seite seines Wesens benützt und so gewissermaßen zu den Dimensionen Gottes selbst ausgeweitet worden ist, darum besitzt es eine Weite und Fülle, die sich erst im Lauf der Kirchengeschichte allmählich entfaltet hat und sich immer weiter entfaltet. Es ist auf keine einzelne Epoche oder Region der katholischen Kirche festzulegen, sondern hat sich in Zeit und Raum in stets neuen Formen dargestellt. Auch dem hat ein Kommentar Rechnung zu tragen, der Johannes durch Johannes zu deuten versucht. Er wird seine Echtheitsprobe dort zu bestehen haben, wo der unheilvolle und doch illusionäre Riß zwischen einer vermeintlich johanneischen Ostkirche und einer vermeintlich paulinisch-petrinischen Westkirche aufklafft. Er wird den lebendigen Beweis dafür erbringen müssen, daß alle in der Ostkirche und ihrer uralten Tradition überlieferten Wahrheiten in keinem Gegensatz stehen zu den lebendigsten Einsichten der Römischen Kirche, daß also das Johanneische ebenso westlich wie östlich ist. Jeder Kenner der östlichen Tradition wird ohne Mühe feststellen können, daß die entscheidenden johanneischen Grundgedanken der östlichen Kirchenväter, der Alexandriner sowohl wie der Kappadozier, dem vorliegenden Werk keineswegs fremd sind, daß sie vielmehr in seinem Herzpunkt stehen, und daß gerade dieser selbstverständliche Besitz des wahren johanneischen Schatzes des Ostens ihm die Möglichkeit gibt, die Verirrungen der östlichen Kirchen von sich fernzuhalten.
Weniger evident und für manchen Leser überraschend wird es sein, zu entdecken, wie sehr auf der andern Seite Johannes auch die westliche Tradition in sich faßt, wie hinfällig in diesem Licht der künstliche Gegensatz zwischen Johannes und Paulus, Johannes und Petrus erscheint, den eine zänkische ungläubige Wissenschaft feststellen wollte. Die tiefe Einheit zwischen Johannes und dem römischen Westen ließe sich durch die ganze westliche Tradition hindurch, von Augustinus über Thomas zu Newman, erläutern; sie findet vielleicht keinen unwiderleglicheren Beweis als den, daß sogar die scheinbar westlichste Denkform der Kirche, die des Ignatius von Loyola, sich in der Tiefe völlig deckt mit der des Johannes. Die hl. Maria Magdalena von Pazzi hat tiefer geschaut als alle oberflächlichen Beurteiler der Gesellschaft Jesu, wenn sie den Ausspruch wagte: «Der Geist des Johannes und der des Ignatius sind ein und derselbe Geist.»1 Wie wahr das ist, beweist gerade dieser Kommentar, in welchem man das Johanneische und das Ignatianische so innig verschmolzen finden wird, daß jeder Versuch, sie zu trennen, vergeblich wäre.
Zuletzt darf noch an jene Denkformen erinnert werden, die das wahre Johanneische säkularisiert und verweltlicht haben, aber den ganzen Glanz und die Tiefe, die ihnen verblieb, noch immer von ihrem Ursprung her beziehen: der theologische Pantheismus eines Scotus Eriugena und der philosophische eines Fichte, Schelling und Hegel. Manches, was in diesem Kommentar über den Sinn der Welt, die Bewegung des Geistes und über das Wesen der Wahrheit gesagt wird, rettet die entscheidenden Anliegen dieser Systeme, ohne in ihre Bedenklichkeiten zu verfallen. Überhaupt wird auf den folgenden Seiten nicht nur die Theologie neue Anregungen finden, sondern auch die wahre christliche Philosophie der Analogia Entis, und wäre es nur auf Grund der Art und Weise, wie hier die Gewichte verteilt, die Perspektiven gezogen, Licht und Schatten angebracht werden.
Der Kommentar wird fortlaufend Vers um Vers behandeln. Dabei wird sich zeigen, wie sehr es zum Vorteil des Textes gereicht, wenn er in keinen verengenden, systematischen Zusammenhang gepreßt wird, wie sehr jedes einzelne Wort des Herrn für sich allein und in seinem vollen Gewicht genommen werden muß. Auf Grund seines betrachtenden Charakters wird sich der Kommentar auch die Freiheit nehmen, bei manchen Versen länger zu verweilen und von gewissen Kernstellen aus einen Rundblick zu eröffnen, der weitere Zusammenhänge überschaut, als sie im nackten Wortlaut zu liegen scheinen. Das gilt von Begriffen wie «Anfang», «Wort», «Leben», «Licht», «Finsternis», «Nacht», «Blindheit», «Glaube», «Wahrheit», «Zeugnis», «Sendung», «Liebe» und andern johanneischen Wesensworten. Das gilt vor allem vom Prolog, der im Kommentar eine Sonderstellung einnimmt. Er ist breiter gehalten als der spätere Text, denn hier werden im voraus die Grundthemen angeschlagen und mit einer gewissen rhapsodischen Freiheit und Ausführlichkeit entfaltet. Er ist wie ein erster, schweifender Rundgang durch das Reich der Liebe, er will gleichsam Geschmack an dieser neuen Wahrheit erwecken, er verhält sich zum späten Text wie die Zeit der Verliebtheit zur Zeit der Ehe, wie die Ouvertüre zur Oper, die deren Themen in einer freien Weise vorausnimmt. Er entfernt sich daher scheinbar am weitesten von dem im Buchstaben liegenden Gehalt. Aber auch diese Abweichung ist nur eine scheinbare. Gerade hier muß man sich vor Augen halten, daß Johannes in seinem Prolog keine abstrakten, philosophischen Wahrheiten verkündet, vielmehr die konkrete Gestalt Christi, sein konkretes Heilswerk, das sich im Glaubensleben des Christen, in der Kirche und ihren Sakramenten erst vollendet, in einem ersten Überblick darstellen will. Wie sachgemäß diese Form der Deutung des Prologs ist, wird erst dann ganz sichtbar sein, wenn das ganze Werk abgeschlossen vorliegen wird.
Dem dritten Band wird ein systematisches Register beigegeben sein, das die Sammlung verstreuter Äußerungen über ein einziges Thema ermöglichen wird.
Weil diese Auslegung es sich zum Grundsatz gemacht hat, bei jedem Wort des Herrn und jeder Bemerkung über ihn liebend und betrachtend stehenzubleiben, jedes Wort des Evangeliums als eine Offenbarung des Wortes im Anfang zu verstehen und sich darum von ihm immer wieder an den Anfang versetzen zu lassen, kann sie, wie der Text, den sie auslegt, auf jeder Seite und bei jedem Kapitel aufgeschlagen werden. Wer eine Stelle – zum Beispiel die ersten Abschnitte des Prologs – zu schwierig findet, wird an einer andern Stelle – bei der Samariterin vielleicht oder beim Guten Hirten – das finden, was ihm den Zugang verschafft, und später mit mehr Verständnis auf das im Prolog Gesagte zurückgreifen.
Auch dieser Kommentar bleibt, wie jede andere Auslegung des Wortes Gottes, ein Fragment und ein Versuch. Wollte er mehr sein, so hätte er vergessen, daß die göttliche Wahrheit unendlich ist und jedes Wort und jede Tat des Herrn unerschöpflichen Sinn in sich birgt. Darum sieht auch diese Deutung des Evangeliums ihre vornehmste Aufgabe darin, den Menschen unserer Zeit die Augen für die Unendlichkeit der Liebe Gottes zu öffnen und in der Finsternis der Gegenwart das Licht dieser Liebe in einigen Herzen neu aufflammen zu lassen.
- «Sie schaute, wie Gott im Himmel sich so sehr in der Seele des hl. Johannes des Evangelisten gefiel, daß es schien, als gebe es keinen andern Heiligen im Paradies. Und sie sah, wie Gott sich auf gleiche Weise in der Seele des hl. Vaters Ignatius, des Gründers der Gesellschaft Jesu, erfreute. Und so sagte sie rundheraus: der Geist des Johannes und der des Ignatius sind ein und derselbe Geist. Und sie sagte das deshalb, weil der Grund dieses Wohlgefallens und dieser Freude Gottes an den beiden Heiligen darin lag, daß ihr ganzes Ziel und ihr Zweck in der Liebe (amor et caritas) bestand und sie auf dem Weg der Liebe die Geschöpfe zu Gott zu ziehen trachteten.» (Monum. Ignat. Ser. 4. Bd. 1, 535)↩
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