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Das Kreuz wird zum Magnet
«Wenn ich erhöht sein werde, werde ich alle an mich ziehen» (Joh 12,32): Eine Meditation zur Passionszeit
Hans Urs von Balthasar
Titre original
Das Kreuz wird zum Magnet
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Thèmes
Fiche technique
Langue :
Allemand
Langue d’origine :
AllemandMaison d’édition :
Saint John PublicationsAnnée :
2022Genre :
Article
Das Kreuz, das ein Nein von Christen, Juden und Heiden zum Ja Gottes war, wird nach Jesu prophetischem Wort zum Magnet. Es zieht alle die Widerstrebenden an, und weil Jesus, um diese Anziehung zu bewirken, erhöht ist, zieht es sie nicht nur in eine horizontal neue Lage, sondern zu sich empor. Was heißt das? Wir fragen mit Recht, weil wir so wenig von dieser Anziehung – gar Anziehung aller! – zu sehen meinen.
Wir können ausgehen von dem Wort Pauli, dass Jesu Kreuz «die Weisheit der Weisen vernichtet, den Verstand der Klugen zuschanden macht» und deshalb «den Juden ein Ärgernis, den Heiden ein Wahnsinn» ist, eigentlich das, was – als Zeichen und Offenbarung des Göttlichen in der Welt – keinesfalls sein darf. Und da Paulus «mit großer Furcht und Zagen» den Korinthern ausschließlich das Kreuz predigen will, ist anzunehmen, dass es den Christen ebensosehr als das Abgelehnte, um jeden Preis zu Vermeidende gilt.
Alle fliehen wir Hals über Kopf vor dem Kreuz, dem wirklichen, so wie es faktisch gelitten und als das unausweichliche Heilszeichen von Gott vor uns aufgerichtet wird. Aber wir werden in dieser Flucht eingeholt – und vielleicht ist es gerade die Ahnung davon, die uns wie in blinder Angst davonstürzen lässt.
I. «Wenn ich erhöht sein werde…»
Schon einmal hat Jesus von seiner bevorstehenden, notwendigen Erhöhung gesprochen, da er sich mit dem Heilszeichen der ehernen Schlange in der Wüste verglich: «…damit jeder, der an ihn (den Menschensohn) glaubt, das ewige Leben habe». Die Erhöhung fällt auch zusammen mit der Dahingabe des Sohnes durch den Vater, womit dieser seine Liebe für die Welt bezeugt, und mit der «Stunde der Finsternis». Das Kreuz ist kein gewöhnliches menschliches Leiden, so schrecklich man es sich auch vorstellen mag, es ist, nach des Täufers Wort, das «Tragen der Sünde der Welt». Was das heißt, kann sich niemand vorstellen, man kann es nur glauben. Aber gerade dies war der Ursprung des christlichen Glaubens: Er entspringt, nach der Auferstehung, aus dem Wissen: Er hat «für uns» gelitten: die ganze Nacht der Gottverlassenheit ausgekostet, den ganzen Abgrund der Gottlosigkeit und bewussten Widergöttlichkeit der Welt in seinem Leiden durchmessen. Man kann nicht sagen (wie das einige getan haben), Jesus habe sein Leben lang in der Gottferne, im Zustand des Gekreuzigtseins gelebt. Er hat als echter Mensch auch die Freude, den Jubel, die Dankbarkeit, den Frieden des Gebetes gekannt. Er hat aber immer gewusst, dass die Stunde der Finsternis ihm bevorsteht, und hat auf sie gewartet, sich sogar nach ihr gesehnt, weil er zuletzt doch um ihretwillen in die Welt kam und erst dort «alles vollenden» konnte. Um so maßlos zu leiden, muss er «erhöht», aus allem mitmenschlichen Zusammenhang heraus «entrückt» werden, in einer gar nicht dionysischen Ekstase, denn wir sehen ja, wie er auf dem Kreuzweg und noch vom Kreuz herab aus seiner Einsamkeit heraus ganz verständliche Worte spricht, Worte, die von allen Seiten den Sinn seines Leidens verdeutlichen. Aber in sein Inneres einzudringen vermögen wir nicht. Er allein ist der eingeborene Sohn des Vaters: Er allein kann ermessen, was es heißt, von dem Vater verlassen zu sein, aus dem er sein ganzes ewiges und zeitliches Dasein hat und zu dem zurückzukehren seine ewige und zeitliche Lebensbewegung ist. Jetzt, da der Vater sich ganz verhüllt hat, scheint er aus dem Nichts auszugehen und seine ewige Sehnsucht nach dem Vater schon unbeantwortet ins Nichts zu verströmen. Dieses Nichts, diese absolute Vergeblichkeit, die sich zwischen ihn und den Vater einschiebt, sind wir alle mit unserer Gottlosigkeit, alle gemeinsam und jeder Einzelne.
Erhöht: In die Ekstase der Einsamkeit; eine Erhöhung, die zusammenfällt mit der tiefsten «Erniedrigung», dem ortlosen Versinken im Abgrund, dem Herausfallen aus jedem Koordinatensystem. Indem aber der Leidende aus allen Systemen der Welt herausfällt, wird er zu dem die ganze Welt Umgreifenden, zum Anfang und Ende, Alpha und Omega aller Dinge, wie er sich nach der Vollendung seines Leidens in der Apokalypse selbst nennt.
Erhöht: In der unendlichen Demütigung, in die der Vater ihn eintaucht – es ist «die Taufe, mit der ich getauft werden muss» – ist er bereits der einmalig Ausgezeichnete, Unvergleichliche, der zum Maßstab und damit zum Richter der ganzen Welt werden wird. Deshalb hat Johannes recht, wenn er das Wort «Erhöhung» im Doppelsinn braucht: Kreuz (das der Inbegriff der Schande ist) und Auszeichnung durch Gott (in der ihm alle Würde und «das ganze Gericht übertragen» wird). In der Welt müssen Karfreitag, Karsamstag und Ostern zeitlich aufeinander folgen, aber für Gott liegt die Erhöhung von Ostern bereits in der Schmach des Karfreitags und im Niederstieg ins Reich des ewigen Todes, in das allein durch das Herabsteigen Jesu das Licht der Hoffnung hineindringt. Der Trost kommt den Trostlosen in dem Augenblick zu, da «das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegträgt», ihre Trostlosigkeit teilt.
II. «… werde ich alle an mich ziehen»
Damit ist der zweite Teil des Satzes imgrunde schon erklärt – soweit wir in dieses tiefste Geheimnis zwischen Gott und dem Menschenherzen überhaupt ein klärendes Licht bringen können. Aber das Wort Jesu ist ja dieses Licht, das wir nicht selbst anzünden, sondern das uns von ihm in die Hand gegeben wird. Es wird also «anziehen». In der Bibel ist mit diesem Wort nicht eine Art Naturkraft gemeint, sondern eine Kraft der persönlichen und selbstlosen Liebe. So spricht bei Jeremias Gott zu seinem Volk: «Mit einer ewigen Liebe habe ich dich geliebt, deshalb habe ich dich in meiner Treue angezogen.» In diesem Sinn sagt Jesus bei Johannes: «Alles, was der Vater mir schenkt, kommt zu mir, und wer zu mir kommt, den werfe ich nicht hinaus… Murrt nicht untereinander. Keiner kann zu mir kommen, es sei denn der Vater, der mich gesandt hat, ziehe ihn an, und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag.» Es geht also um ein Angezogenwerden zu dem Punkt hin, von dem aus das ewige Heilsein bei Gott verschenkt wird. Das wird schlicht und ungeschützt so hingestellt. Wir möchten fragen: Wie aber, wenn der Mensch in seiner Fluchtbewegung verharrt, wenn er sich nicht ziehen lassen will, sondern sich darauf versteift, nein zu sagen, wo Gott zu ihm ja sagt? Es ist aber angesichts dieser Aussage Jesu nicht der Moment, diese Frage zu stellen. Sie ist hier irgendwie überholt. Es gibt andere Stellen genug im Neuen Testament, wo wir davor gewarnt werden, das gerade «heute» an uns ergehende Angebot der göttlichen Gnade zu verscherzen, wo uns auch vom Abgrund der Hölle, vom «Hinausgeworfenwerden in die äußerste Finsternis», vom «Feuerpfuhl, der ewig brennt», gesprochen wird. Man muss auch so zu uns reden, damit wir überhaupt merken, wie ernst das Ganze ist. Und vielleicht auch deshalb, damit wir, wenn wir einmal gründlich über die Tiefe der Gottlosigkeit erschrocken sind, nachzudenken beginnen, was das Kreuz bedeutet, und wovor Jesus uns hat erretten wollen.
Wir wissen – Paulus sagt es uns –, dass Gott in Jesus ein bedingungsloses Ja zur Welt, genauer: zu seiner eigenen Liebe zur Welt gesprochen hat. Er hat diese Liebe, sagt der Hebräerbrief, bei sich selber geschworen: Eine größere Sicherung gibt es nicht. Deshalb ist die christliche Hoffnung, auch als «Hoffnung wider alle Hoffnung» unbedingt und unbeschränkt. Das «alle» in dem Satz, den wir bedenken, ist keine rhetorische Übertreibung; wie sollte Jesus in dem Augenblick, da er von seinem Kreuz spricht, übertreiben! Uns bleibt angesichts seiner Verheißung nichts als fassungslose Dankbarkeit.
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