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Jenseits von Kontemplation und Aktion?
Die Frage, ob es christlich ein Jenseits von Kontemplation und Aktion gibt, wird heute oft gestellt. Wir können sie bejahen, vorausgesetzt, daß man weiß, was Kontemplation und was Aktion christlich bedeuten; dann sehen wir beide zu einer geheimnisvollen Einheit verschmelzen, in der die Einzelglieder sich auflösen. Wir müssen sie energisch verneinen, wenn man mit einem solchen Jenseits eines der Glieder als überholt hinter sich lassen wollte, und dieses eine wird natürlich – in unserer aus lauter Aktion bestehenden Welt die Kontemplation sein. Von ihr müssen wir deshalb ausgehen, um dann zu sehen, wie sie sich mit der Aktion verträgt, wie sie sogar die Aktion innerlich in sich hegt. Es geht im ersten Abschnitt nur darum, ein paar elementare Dinge in Erinnerung zu rufen, die jeder Christ wissen müßte, aber viele vergessen zu haben scheinen.
Vom Sinn christlicher Kontemplation
Es ist müßig, über Worte zu streiten. Wir können ohne weiteres zugeben, daß der Ursprung des Wortes Kontemplation nicht semitisch, sondern griechisch ist, und daß es die Neigung der hellenischen Seele ausdrückt, durch die vergängliche Erscheinungswelt das unvergängliche Wesen der Dinge zu betrachten. Man wird sich aber hüten, dieses Hindurchschauen auf das Wesen (die Idee) einseitig mit einem dualistischen Weltbild zusammenzubringen; wenn Platon die beiden Aspekte der Wirklichkeit unterschied, so hat doch niemand stärker als er auch ihre Einheit gesehen (man denke an seinen «Staat» und dessen grandios aktive Haltung), und die gleiche kontemplative Neigung wie bei den Platonikern findet sich bei den Aristotelikern und Stoikern, die niemand eines Dualismus in ihrer Weltschau zeihen kann. Derselbe, das Wesen aus den Erscheinungen erschauende Blick hat immer wieder größten Gestaltern der Geistesgeschichte gehört, Goethe zum Beispiel, der ebenfalls jedem Dualismus von «Kern und Schale» feind war, und den jüdischen Denkern Philo, Spinoza und Husserl, dem Begründer der Phänomenologie.
Ja, es steht von vornherein zu erwarten, daß die Sache1 «Kontemplation» im alttestamentlichen Raum noch tiefer beheimatet sein muß als im griechischen.
Denn wo Gottes souverän personale Freiheit am Anfang aller Dinge steht, wo also die Schöpfung eine letzte Nichtnotwendigkeit besitzt und in der «Allheit» (Sir 43,27) Gottes einen kaum verstehbaren Raum einnimmt (als «Tropfen am Eimer»), da wird der geistige Grundakt der Kreatur zu einem reinen Empfang ihrer selbst, in der tiefsten Verwunderung darüber, daß sie ist, daß unfaßlicherweise Gott sich gewürdigt hat, sie existieren zu lassen. Von diesem Akt hat der kontemplative Grieche keine Ahnung; für Platon existieren die Seelen ja von Ewigkeit her wie in Ewigkeit hin. Und der angebliche Dualismus zwischen Wesen und Schein hebt sich (im «Timaios» und in den «Gesetzen») auf in einen Monismus, in der Götter und Menschen einen einzigen harmonischen Reigen zusammen tanzen. Der biblische Mensch dagegen darf es keinen Augenblick für (selbst-)verständlich, für (endgültig) «gegeben» ansehen, daß er existiert, und noch viel weniger, daß der ewige freie personale Gott ihn anspricht. Wenn die Propheten mit ihrem ständigen «Höre Israel» gegen die «Wortvergessenheit» des Volkes ankämpfen, so widersprechen sie einer Haltung, die dort schon Bescheid zu wissen meint, wo immer neu vom Ursprung Bescheid erwartet werden müßte. Alles, was Israel ohne Konsultation Jahwes auf eigene Faust unternimmt, ist immer falsch, weil «eure Gedanken nicht meine Gedanken sind, und meine Wege nicht eure Wege, Spruch Jahwes» (Is 55,8). Es gibt handgreifliche Mittel, sich des Denkens und Willens Gottes zu versichern: den Gang zum Propheten, die Befragung des Orakels, aber auch die «Betrachtung bei Tag und bei Nacht des Gesetzes Gottes», um, an «Gottes Bäche gepflanzt», in der Praxis die rechten Früchte zu tragen (Ps 1,2ff.; vgl. Ps 63,7; 77,13; 119; 143,5). Es ist das Wort Gottes – und das ist immer auch seine Tat, sein großes und gnädiges Wirken für das Volk – das der Glaubende sich immerfort «vor Augen hält», «vergegenwärtigt», um handelnd in Gottes Wegen zu verharren.
Im Übergang zum Neuen Bund fallen die äußerlichen Mittel, sich des göttlichen Wortes zu versichern, dahin, denn nun lebt Gottes gesamtes Wort («quem vos nescitis», Joh 1,26) unter uns, und dieses Wort erfüllt die alte Verheißung: es gießt uns den Geist Gottes in die Herzen. Durch beides vollendet sich das Verhalten des Menschen zum sich offenbarenden und an sich Anteil gebenden Gott. War im Alten Bund dieser Gott als eine freie, für sich seiende Person kundgeworden, so waren doch Wesen Gottes und Wesen der Kreatur streng getrennt geblieben: hier «alles Fleisch ist Heu», dort: «Gottes Wort bleibt in Ewigkeit». Jetzt ist Gottes Wort Fleisch geworden, und das Unbegreifliche – wirklich von keiner Theologie je Verstehbare geschieht, daß wir «teilhaft werden der göttlichen Natur» (2 Petr 1,4), eines Wesens also, das in keiner Weise das unsere ist, in dessen Intimität wir aber durch den eucharistisch sich verteilenden Sohn und den uns verliehenen göttlichen Geist eingeführt werden. Nicht nur wird uns «etwas», ein gedanklicher Inhalt von Gott her kund, den wir zu unserem Wissensschatz hinzufügen können; Gott ist sowohl das absolute Sein wie die absolute Personalität, er ist beides zugleich als die absolute dreieinige Liebe, die uns in der Hingabe des Sohnes zugänglich wird, wenn wir uns seinshaft und personal zugleich «hinüberversetzen» (Kol 1,13) lassen: Welch ein Umlernen, welch ein tägliches, stündliches Sich-Umgewöhnen aus der Sphäre der reinen Kreatürlichkeit in die der Gesinnungen Gottes! Glauben, Hoffen, Lieben: das ist der in unser Bewußtsein auftauchende Abklang des in uns wesenden Gottlebens; an uns, diesen reinen Widerhall zunehmen zu lassen, bis er zum dominierenden Klang unseres Lebens geworden ist. Aber solches Wachstum kann nicht so erfolgen, daß wir etwa bloß die praktischen Konsequenzen aus etwas zögen, was wir theoretisch schon wissen, sondern so, daß wir der lebendigen Praxis Gottes (von der keine Theorie einen hinreichenden «Begriff» vermitteln kann) in uns Raum gewähren. Dies als ein Sich-einführen-Lassen – wie das eines Gastes, dem seine neuen Räume gezeigt werden -, ein Gesagt- (und zugleich Geschenkt-)bekommen und ein Sich-Einprägen, um im Neuen so bald wie möglich daheim zu sein. Ist diese Haltung kontemplativ oder aktiv? Die Frage wird verwirrender, wenn wir – beim Gleichnis bleibend – nicht bei irgendeinem freundlichen Gastgeber, sondern bei der ewigen Liebe geladen sind, die uns in ihren Gaben nicht nur irgend etwas «Liebes» erweist, sondern das Wesen von Liebe überhaupt offenbart, um deretwillen alle endlichen Personen und Dinge liebenswert sein können, und die – weil sie selbst dreieinige Personalität ist – nicht als ein im Hintergrund stehendes, intransitives, alles indirekt beleuchtendes Prinzip fungiert, sondern als solche transitiv und thematisch in ihren Gaben geliebt werden muß. Gewiß ladet uns die immer schenkende und somit tätige Liebe in ein Mitschenken ein: aber dies können wir nur, wenn wir die sich schenkende Liebe lieben, und dazu bedarf es einer nie überholbaren Haltung des Empfangs, des Seinlassens, der Kontemplation. Hätten wir das Leben nur im farbigen Abglanz, so möchte solche Kontemplation unmöglich und müßig sein, aber christlich sehen wir im Strahl (dem menschgewordenen Sohn) wirklich die Sonne selbst: «Wer mich sieht, sieht den Vater.» Und das Sehvermögen ist das göttliche Leben in uns, der Heilige Geist.
Das Wort empfangen, um es zu tun
Gottes Wort ist in die Welt gesandt, um in ihr tätig zu sein, aber es trennt sich nie vom Sendenden, um etwa selbsttätig, ohne den Vater, einen ein für allemal erhaltenen und verstandenen Auftrag auszuführen. Joh 5,19f. zeigt uns, daß der Sohn nichts aus sich selber tun kann, sondern nur das zu wirken vermag, was er den Vater tun sieht. Dieses kontemplative Sehen des Tuns des Vaters ist die Wurzel des Mittuns des Sohnes: was der Vater tut, das tut gleicherweise auch der Sohn. Es sind nicht zwei Taten, sondern eine einzige: der Vater handelt im Sohn. Die Begründung dafür wird nicht vorenthalten: denn der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm alles, was er tut. Das Offenbaren der Tat des Vaters an den kontemplativen Sohn ist Liebe – diese betrachtet der Sohn – und das Gezeigte schauend wird er in die gleiche identische Tat einbezogen. Der Sohn betrachtet also keinen in sich seligen, ruhenden, untätigen Gott, keine platonische Idee, kein aristotelisches «Sich-denken des Denkens», sondern einen Vater, der seine Liebe durch Handeln offenbart. Er ist es ja, der die Welt sosehr liebt, daß er den Sohn dahingibt. Der Sohn kontempliert diese Liebe des Vaters, indem er sich ins Hingegebensein verfügt weiß und es mittätig ratifiziert. Was der Sohn sieht, ist die immerwährende Einladung des Vaters, sich mit ihm zusammen für die Welt bis zum Äußersten einzusetzen. Was der Sohn im verborgenen, im öffentlichen Leben und im Leiden tut, ist Frucht dieser ursprünglichen Schau.
Für uns folgt daraus unmittelbar2, daß wir in der glaubenden Schau des Heilswirkens Gottes in Christus in das Mitwirken eingeladen werden, daß aber auch wir aus uns selber nichts tun können, sondern hinschauen müssen auf das Gezeigte, um nicht eigene eitle Pläne ins Werk zu setzen, sondern einzustimmen in das Tun Gottes. Christliche Kontemplation begegnet der Liebe Gottes nicht anders als in deren Einsatz für die Welt; aber dieser Einsatz ist kein beliebiger (man würde heute sagen «kategorialer»), sondern die Tat der absoluten («transzendentalen») Liebe Gottes selbst; wer in diesem Einsatz nicht den ewigen Urgrund der Liebe selbst aufscheinen sähe, der nicht nur um seines Tuns willen, sondern an und für sich selbst liebenswert ist, der hätte keinen christlichen Blick zu Gott hin getan. Er hätte vielmehr die selbstzweckliche Liebe in das Innerweltliche hinein verzweckt, und diese Umkehrung der Ordnung – Gott um der Welt willen da – rächt sich sehr bald durch vollkommenen Atheismus.
Aber weiß denn der Glaube nicht soweit Bescheid, daß er nicht dauernd an die Rockschöße des Wortes sich klammern muß, sondern endlich mündig in selbstverantwortliches Tun entlassen werden kann? Die Alternative ist, wie das Beispiel Jesu gezeigt hat, falsch. Es gibt christlich kein vergangenes Gehörthaben des Wortes, das sich nicht in gegenwärtigem Hören fortsetzen müßte. Es ist nicht wie bei der Predigt am Sonntag: man hat vernommen, vielleicht beherzigt, und kann am Werktag die Konsequenzen daraus ziehen. Denn wir handeln nicht neben oder außerhalb Christi, sondern als seine Glieder, vom Haupt her bewegt. Es gibt ein unbetontes, unmerkliches Zeichen des Einverstandenseins im Glied, das dem Wink des Hauptes gehorcht. Wenn das Glied, wie beim Christen, eine menschliche Person ist, wird dieses Einverständnis zu einem personalen Akt, der, aktuell erweckt oder habituell mitgehend, im Fundament alles christlichen Handelns eingemauert werden muß. Es gibt bei den Söhnen Gottes ein «Getriebenwerden» vom Geist des Vaters (Röm 8,14). Ein solches meint natürlich keine tatenlose Passivität, wohl aber eine Verfügbarkeit, so offen, daß sie jedem, auch dem unerwartetsten Wink gehorcht. Das Wort, das Gott uns als Weisung für unser Handeln zuspricht und das Jesus Christus heißt, muß immer zuerst erlitten werden, bevor sich sein Einsatz in den unsern verwandeln kann. «Pati Deum», sagten die Griechen, wenn es um unmittelbare Gotteserfahrung ging; «Pati Verbum» können die Christen sagen, wenn sie den Schoß ihres Geistes öffnen, um den «Samen Gottes» (1 Joh 3,9) in sich zu empfangen. Maria bleibt hier Paradigma: aktiv-passive Bereitschaft zum ganzen Wort, nicht ahnend, wie es sich in ihr, mit ihr zusammen, artikulieren wird.
Das Leiden des Wortes als entscheidende Tat
Christlich fruchtbar ist unser Wirken, sofern es aus dem Prinzip des göttlichen wirkenden Wortes stammt. «Ich wirke, doch nicht ich, Christus wirkt in mir», läßt Pauli Ausspruch sich sinngemäß entfalten. Innerweltliche Aktion ist immer endlich, auch die äußern Taten Christi waren es. Aber diese Endlichkeit wird überstiegen vom wirkenden Urgrund her. Gott setzt sich nicht endlich und bedingt, sondern unbedingt für die Welt ein. Und zwar auch schon in den endlichen Taten während des Lebens Jesu. Ein Blinder wird geheilt: wenig genug verglichen mit dem unzähligen Haufen der verbleibenden Blinden. Aber im Einsatz Gottes sind sie alle gemeint und erreicht. In dem, was nicht viel mehr ist als ein Gleichnis, ist die Wahrheit gegenwärtig. Wie ist das möglich? Dadurch, daß die Bereitschaft Jesu, sich nach dem Willen des Vaters einzusetzen, ebenso grenzenlos ist wie dieser Wille selbst. Das ist die einzig mögliche Art, wie eine machtlose Kreatur dem göttlichen Einsatz koextensiv werden kann. Und der Vater sprengt die Endlichkeit jeder möglichen weltlichen Aktion dadurch, daß er den Sohn in die Passion führt: hier wird durch Gott in ihm gekonnt, was der bloße Mensch nicht kann: die Blindheit aller Sünder wird ihm aufgeladen, damit sie sehend werden. Das Kreuz ist, als Leiden, die wirksamste Tat, die dort noch kann, wo menschliches Wirken – das liebevollste! – nichts mehr ausrichtet, vielmehr gesteigerte Verstockung bis zum «Hinweg mit ihm!» auslöst. Die Möglichkeit aber, daß Aktion sich in der Passion vollenden kann, liegt darin, daß die alle christliche Aktion fundierende Kontemplation (als Bereitschaft zum ganzen Willen Gottes) deren Grenzen aufsprengt und den ganzen Raum der Aktion mit ihrer Aufnahmebereitschaft des Handelns
Gottes ausfüllt. Diese ist ja immer größer als die sichtbare weltliche Tat, und dieses Größere, falls es vorhanden ist, macht sie zur christlichen Tat. Die Bereitschaft aber (die Ignatius «indiferencia» nennt) war die höchste ethisch-religiöse Leistung des Menschen: aktive Bereitung des Geistes, des ganzen Menschen, zum Nichtwiderstand gegen Gott. Wo diese Bereitschaft erreicht ist, kann Gott, wenn er will, den Menschen über sein menschliches Können hinaus mit seiner Tat belasten. Dann leistet der Mensch buchstäblich mehr, als er kann. Vom Mehr der kontemplativen Bereitschaft geht eine Luftlinie – über alle Berge und Täler innerweltlicher Aktion hinweg – zur christlichen Passion: in ihr realisiert sich voll das in der Bereitschaft liegende aktive und fruchtbare Moment.
Von hier aus verstehen wir, weshalb jene Teilnahme am Kreuz, die man von Johannes vom Kreuz her «dunkle Nacht des Geistes» nennt, vornehmlich rein kontemplativen Berufungen vorbehalten ist. Gott nimmt jene, die er tiefer in die Kreuzesnachfolge einführen will, aus den Zerstreuungen und Vorwänden der weltlichen Aktion hinaus, um sie sich gleichsam als reines Bereitschaftsmaterial für die Form der Passion aufzusparen. Aber es geht nicht bloß um die Erfahrung der dunklen Nacht, die ja relativ selten ist, wenn auch vielfache Verdunkelungen allen kontemplativen Berufungen zukommen werden. Es geht auch, in der kontemplativen Berufung, um ein immer reineres Herausarbeiten der totalen Bereitschaft zu Gott, in der wir das eigentliche Prinzip christlicher Fruchtbarkeit erkannten: einer brennenden Bereitschaft, für das Heil und die Erlösung der Welt verwendet und verbraucht zu werden, einer Bereitschaft, die sich notwendig als personales Angebot, als Gebet der Hingabe ausdrücken wird. Therese von Lisieux hat erkannt, daß dieses Gebet, wenn es echter Ausdruck einer unbegrenzten Bereitschaft ist, sich «im Herzen der Kirche» ereignet, angeschlossen an die unendliche Fruchtbarkeit und Wirkkräftigkeit des marianischen Jaworts. Und daß dieses Gebet, als innerstes Schwungrad, aller äußern Aktion der Kirche seine unbedingte Fruchtbarkeit verleiht. Es geht nicht an, an dieser Erkenntnis Thereses irgendwelche Abstriche zu machen. Diese betende Bereitschaft ist potentielles und sehr oft in irgendeinem Maße aktuelles Kreuz und damit das ernsteste «Engagement» der Kirche für die Welt.
Es ist keine Rede davon, daß dieser Einsatz von den weltlich wirksamen Einsätzen, wie die «leiblichen Werke der Barmherzigkeit» sie fordern, dispensiert. Therese hat in der Enge ihres Klosters jede Gelegenheit wahrgenommen, tätige Nächstenliebe zu üben, gemäß der Lehre ihres «Kleinen Weges» (natürlich muß auch im kontemplativen Kloster für menschliche Aktion ein Raum sein). Und die Christen in der Welt haben darüber nachzusinnen, auf welche Art sie ihr Leben am wirksamsten für die Mitmenschen engagieren können. Aber sie fühlen, falls sie lebendig sind, daß ihnen etwas Entscheidendes fehlt, wenn nicht unter dem wirren Weltgeräusch der lautere Orgelpunkt sich durchhält, der, wie die Erfahrung lehrt, immer neu – in Gebet und erneuerter Bereitschaft zu Gott – ausdrücklich angeschlagen werden muß, wofür man vielleicht öfter eine «kontemplative Pause» in die Aktion einlegen muß.
So greifen Aktion und Kontemplation vielfach unlöslich ineinander, christlich nicht zwei adäquat voneinander trennbare Momente, weil die horchende, empfangende, offene Bereitschaft der Grund aller Aktion ist, und diese sich selbst muß übersteigen wollen in ein tieferes Leisten, das – als Passion – Gottes Handeln im überforderten Menschen ist. Christliches Leben ist insofern immer schon jenseits von beiden Momenten, die sich eben nicht äußerlich ergänzen, sondern innerlich durchdringen.
Wer die Kirche nur soziologisch versteht, kann diese Durchdringung nicht einsehen; und er wird deshalb dazu neigen, das christliche Tun nach weltlichen Ergebnissen zu messen. Aber eine solche Kirche ist nicht der Leib Christi. Kirche ist exemplarisch grundgelegt in der Kammer von Nazareth, wo das Jawort der Jungfrau reine Verfügbarkeit (Kontemplation) zu größter Wirkung (Aktion) hin war – und für immer bleibt.
- Nicht der Terminus. Dazu vgl. «Das betrachtende Gebet», 1955.↩
- Vgl. dazu: «In Gottes Einsatz leben». Einsiedeln 1971.↩

Hans Urs von Balthasar
Titre original
Jenseits von Kontemplation und Aktion?
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Langue :
Allemand
Langue d’origine :
AllemandMaison d’édition :
Saint John PublicationsAnnée :
2025Genre :
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