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Die Freude und das Kreuz
I. Die Fragestellung
a) «Vollkommene Freude»
Daß das Christentum eine «freudige Botschaft» ist, sein Grundklang deshalb unbestritten die Freude sein muß, liegt schon im Wort Eu-angelion. Es ist «Ankündigung großer Freude», als «Friede auf Erden» (Lk 2,10.14, und Friede und Freude sind oft austauschbare Bezeichnungen für das letzte Heilsgut; Joh 14,27; 16,33; Röm 14,17; Gal 5,22), Überhöhung der alttestamentlichen Freude des Glaubenden an Gott in seinem offenbaren Worte1, Überhöhung der israelischen religiösen Kultfreude2 – und man weiß, mit welcher Freude Juden bis heute Feste zu feiern pflegen! –, weil das «Wort Fleisch» wird und durch dessen Kreuzigung die Liebe Gottes zu uns vollendeten, unüberbietbaren Ausdruck erhält (Röm 8,32ff.). So ist die neutestamentliche Freude durch keine andere Haltung in Frage zu stellen, einzuschränken, zu relativieren. Sie ist nicht nur Antwort auf die Haltung im Himmel vor Gott, wo jede Träne getrocknet wird (Apk 7,17; 21,4), sondern eine Antwort auf die letzte Haltung Gottes selbst, dessen «größere Freude» sich im Verzeihen der Sünde, im Wiederfinden des Verlaufenen und Verlorenen offenbart (Lk 15,7.103; vgl. V. 24,32). Wenn hier von der Freude Gottes als des Vaters die Rede ist, so muß sich diese Freude auch im offenbarenden Sohn kundtun, der gerade über die Offenbarungsweise des Vaters «jubelt» (Lk 10,21; vgl. Apg 2,26.28), und wie Jesus «im Heiligen Geiste jubelt», so kann der Jubel der Gläubigen, um rechte Antwort auf Gottes Freude sein zu können, auch nur im Heiligen Geiste erfolgen: der Geist wirkt die (das Himmelreich ankündigende, eschatologische) Freude: schon in der Kindheitsgeschichte (Lk 1,14.44.47), erst recht nach der Auferstehung des Herrn (Apg 13,52; vgl. 5,41). Insofern diese christliche Freude einen ewig unüberholbaren Gegenstand hat – die Offenbarung der nicht-an-sich-haltenden Liebe Gottes – trägt sie in sich auch subjektiv eine unüberholbare Qualität, weshalb sie bei Johannes fünfmal als «vollkommene Freude» bezeichnet wird (15,11; 16,24; 17,13; 1 Joh 1,4; 2 Joh 12). Dieses restlose Erfülltsein heißt: «zur eschatologischen Vollendung gebracht werden».4
b) Dilemma Freude und Kreuz
Damit wird das Problem zwischen Freude und Kreuz um so schwieriger, denn vom Gesagten aus läßt sich der Gedanke nicht abweisen, alles Leiden in der endgültigen, neutestamentlichen Offenbarung Gottes sei – sowohl in Christus wie in den Christen – nur als eine Funktion der Freude aufzufassen und zu rechtfertigen. So aber könnte dem Leiden seine letzte, schmerzlichste Spitze in ähnlicher Weise abgebrochen werden, wie sie etwa (durchaus bewußt und beabsichtigt) in Buddhismus oder Stoa durch die Apatheia abgebrochen wird, und dann würde im Christentum das Leiden nicht wirklich ernst genommen. Wenn jedoch diese unmögliche Folgerung abgewiesen und dem Kreuz Christi der absolute Ernst der Gottverlassenheit zugestanden wird, wie es notwendig ist, wenn Christus für uns «zur Sünde» und «zum Fluch» (2 Kor 5,21; Gal 3,13; vgl. Röm 8,3) gemacht, um «unsertwillen preisgegeben»5 wurde, und wenn außerdem eine «Nachfolge» des Jüngers ins Kreuz (Joh 21,19) wenigstens bis zu dem Punkt führen muß, wo mit dem unterscheidenden Kreuzesleiden ernst gemacht wird: wie soll da noch von Freude die Rede sein können?
c) Zwei Lösungsversuche
Man könnte das Dilemma von zwei Seiten her aufzulösen versuchen. Man könnte zunächst den Versuch machen, das Kreuzesleiden Jesu mit Einschluß der Gottverlassenheit als einen paradoxen Ausdruck seiner Freude verstehen, wie das einmal von Albert Frank-Duquesne («Joie de Jesus-Christ»)6 mit großem Ernst7 versucht worden ist: «Trotz der Verworfenheit, der unfaßlichen, höllischen Verlassenheit seiner letzten Stunde am Kreuz gibt es kein Herz, das von wahrer Freude so sehr überströmte als Jesu Herz … ein verborgener Jubel durchbebt ihn. Als bildete die ‹Hölle› der verfinsterten Liebe – jenseits alles Genusses, jeder möglichen Rückbesinnung auf sich selbst – gerade die eigentliche, nackte und entblößte Wirklichkeit der Liebe, und also der Freude, … der großartig grundlosen, göttlich freien und spontanen, der Freude am Gehorchen, der Freude, bis zum Opfer zu lieben, der Freude sich dahinzugeben, einer Freude, die ganz in Gott ‹gesetzt› ist… Die Freude ist dann nicht mehr ‹psychologisch› und erlebt, somit irgendwie zukommend, kontingent, akzidentell, sondern wird ‹ontologisch›, wesenhaft, das Sein selbst begründend, transzendent und vergöttlichend8.» Vielleicht dürfen wir in diesem Worte bereits die Lösung unserer Frage erblicken; aber sie überfällt uns zu rasch: kann dort wirklich von Freude die Rede sein, wo nichts mehr von ihr erfahren wird?
Versuchen wir es von der andern Seite her, von der der nachfolgenden Jünger: «Sie gingen voller Freude vom Hohen Rat hinweg, weil sie würdig befunden wurden, um des Namens Jesu willen Schmach zu leiden» (Apg 5,41). Von dieser Aussage her könnte man versuchen, die Selbstaussagen Pauli über sein «Mitgekreuzigtsein mit Christus» (Gal 2,19) auszulegen, auch und gerade wo er seine äußersten physischen und geistigen Leiden aufzählt: Fluch, Verfolgung, Verleumdung, Verachtung bis zum Kehricht der Welt und Abschaum aller (1 Kor 4,10-13), Tragen des Leidens Jesu an seinem Leib (2 Kor 4,10), Stigmatisierung (wie immer sie zu verstehen sei: Gal 6,17) – und man müßte daneben, als die geheime Quelle von alldem, den Satz stellen: «Ich überströme von Freude in all unsern Drangsalen» (2 Kor 7,4). So stehen Bedrängnis und Freude im Neuen Bund noch öfter nebeneinander; Mt 5,13 par.; Apg 7,55 ff.; 1 Thess 1,6.
d) Tiefere Antinomie
Aber haben wir in beiden Versuchen den Boden der Frage schon berührt? «Traurig ist meine Seele bis zum Tod», sagt Jesus (Mk 14,34; Mt 26,38). Und was ist das für ein Zustand, wenn Paulus «am Leben verzweifelt» (2 Kor 1,8)? Wird der Gedanke nicht völlig abstrakt und leblos, der solches von der Freude her interpretieren möchte? Etwas ist hier übersprungen worden: die Zeitlichkeit. Die Abfolge der Augenblicke, die mit verschiedenen, ja entgegengesetzten Inhalten gefüllt werden müssen. «Es gibt eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen. Es gibt eine Zeit zum Seufzen und eine Zeit zum Tanzen …» (Koh 3,4). Nun wird man freilich sagen: weder Christus noch der Christ verlieren sich selbst in diese Gegensätze hinein; es gibt einen überzeitlichen Punkt, von dem her sie die Unterschiede beherrschen, ihnen ihren letzten Wertgehalt zuweisen: den Willen Gottes, die Sendung. Das ist wahr. Aber geht nicht der Gesendete mit seinem Auftrag von Gott «weg» in die Tiefen der Zeitlichkeit hinein, deren Gegensätze, Widersprüche er – gerade christlich! – bis auf den Grund auskosten muß? Beginnt nicht der Hymnus vom gehorsamen Christus damit, daß er sich an seine Gottgestalt nicht klammert, sondern sie fahren läßt, in die Leere der Zeitlichkeit hinein? (Phil 2,6-7). Diese Sinnrichtung der Sendung Christi weist ihn hin auf das Sinnziel des Kreuzes als der Gottverlassenheit und damit des Verlustes jeder Freude, in den «Tod mit der Scheol im Gefolge» (Apk 6,8), und dort ist jede Verbindung mit dem, was im Sinn Gottes und des Gottesreiches Freude heißt, schlechthin abgebrochen (Ps 6,6 usf.). Wer in der «dunklen Nacht» ist, hat nicht die geringste Möglichkeit mehr, seine Erfahrung mit der (für immer!) verlorenen Freude in Verbindung zu bringen.
Es wird deshalb angemessen sein, in einem zweiten Denkgang nicht mehr apriorisch, sondern – auch diesmal anhand der Heiligen Schrift – aposteriorisch den Weg abzuschreiten, der uns von der ganz humanen Leidenserfahrung aus stufenweise christlich tiefer führt. Dabei muß sich dann zeigen, ob wir zuletzt die von Frank-Duquesne aufgestellte Hypothese erhärtet finden oder nicht.
II. Ethische Vorüberlegungen
Wenn Freude nicht einzig von ihrem Gegenstand her definiert werden kann, weil sie zunächst ein Zustand und eine Affektion des Subjekts ist9, so ist sie doch anderseits noch viel weniger mit jenem Zustand gleichzusetzen, der als sinnliches Behagen oder auch nur als geistliches Glücksgefühl beschrieben werden kann. In den Seligpreisungen steht auf seiten des «selig» ohne Zweifel eine Freude, wie verborgen auch immer sie sein mag, während das Subjekt als «armes», «trauerndes», «nach Gerechtigkeit hungerndes und dürstendes», «verfolgtes» und «geschmähtes» weder Behagen noch Glücksgefühl kennt. Diese Seligpreisungen stehen in der religiösen und philosophischen Weltliteratur nicht vereinzelt da; sie sind vielmehr der Höchstfall eines allgemeinmenschlichen Themas: daß auf allen Ebenen – vom Biologischen bis zum Ethischen – das Leid und der Schmerz eine positive Rolle besitzen: bei der Zuchtwahl der Gattung wie bei der Inzuchtnahme des Individuums, nicht nur des Kindes durch Eltern und Schule, sondern immer wieder auch der reifen Einzelperson, die als solche nur existiert in der Spannung zu einem nie voll verwirklichten Ideal, im Selbstüberstieg, in der Unterwerfung des Triebes unter die Vernunft, der Neigung unter die Pflicht, oder, weniger rigoristisch ausgedrückt, im «ethizesthai» der Neigungen (Aristoteles): in der Versittlichung der ganzen untersittlichen Sphäre im Menschen. Und je höher eine Ethik und Religion vom Menschen denkt, je mehr Gottnahes, Ewiges sie ihm zubilligt, desto mehr Entsagung wird sie auch von ihm fordern: als Askese (Indien) oder als Martyrermut (Sokrates) oder als unerbittlicher Imperativ, alle egoistischen Maßstäbe den allgemeinmenschlichen, sozialen unterzuordnen (Kant). Ein Christ wie Boethius kann sich durchaus und mit Recht angesichts des Todes von der «Philosophie» trösten lassen.
Der individuelle und der soziale Gesichtspunkt gehen Hand in Hand. Nietzsche kann vom Einzelnen um seiner Selbstzucht willen jeden Schmerz, jede Überwindung verlangen, da ein «großer» Mensch nur am Widerstand wächst. Ὁ μὴ δαρεὶς ἄνθρωπος οὐ παιδεύεται: der nie Geschundene wird nie erzogen. Und die Lösung aus dem Kantischen Entweder-Oder zwischen Neigung und absoluter Pflicht liegt gewiß nicht in einem Kompromiß zwischen beiden (das hat Schiller jedenfalls nie gemeint), sondern entweder in einer Angleichung der Neigungen an die Pflicht (was immerfort Opfer verlangt), oder in der Entdeckung einer Liebenswürdigkeit in der Pflicht selbst, was vornehmlich auf zwei Arten geschehen kann: entweder indem man in sich eine größere Neigung für das allgemeine Gute als für das private entwickelt (Hegel, Marx), oder indem der «kategorische Imperativ» sich dem Menschen selber entgegenneigt als kategorisch selbstlose Liebe (wie im Christentum).
Verweilen wir einen Augenblick bei der ersten Möglichkeit: die hegelsche Philosophie entwickelte eine solche Leidenschaft für die Vollständigkeit der Wahrheit (das «absolute Wissen»), daß sie diesem «höchsten Gut» nicht nur das Glück, sondern den ewigen Bestand des Individuums, auch des menschlichen, unbedenklich opfert und wenigstens vom Philosophen den bewußten Vollzug dieses Selbstopfers verlangt. Es ist ein «spekulativer Karfreitag» (obschon Hegel den Ausdruck etwas anders versteht als wir jetzt), an welchem der Einzelne seinen ganzen Eigenbestand aufgebend sich der Integration des Ganzen zur Verfügung hält, das ihn ohnedies in Beschlag nehmen wird. Aber während die zwangsweise Expropriation des Privaten für das Gemeinwohl vor allem das Gesicht des Schmerzes und des Todes zeigt, hat der philosophische Mitvollzug der Seinsbewegung den Charakter einer letzten Befreiung, Befriedigung, Freude. In der marxschen Variation heißt das nun aber: die Expropriation des Privateigentums zugunsten des Gemeinguts zeigt als dialektischer Geschichtsprozeß einen unerbittlich harten, ja katastrophenhaften Duktus, aber das Verstehen und Bejahen dieses Prozesses, seine bewußtseinshafte Seite, ist die Opferung des persönlichen Glücks für das Glück der (kommenden) Menschheit: und hier liegt das unauflösbare Paradox des Marxismus: daß die Freude der Selbsthingabe für dieses eschatologische Ideal, an dem ich persönlich nicht teilhaben werde, größer ist als das erstrebte Glück einer Menschheit, die eigentlich keinen Anlaß mehr haben wird, sich derart heroisch selber zu übersteigen. So wie ja auch bei Hegel das «absolute Wissen» weniger war als die Freude, an seiner Erreichung durch Selbstaufgabe mitzuwirken. Wie bei Homer, in der Tragödie und bei Aristoteles ist auch im modernen Denken der kämpfende und leidende Mensch mehr als der zuschauende Gott, die leidvolle Sehnsucht nach dem Absoluten mehr als das leidlose, in sich geschlossene «Wissen des Wissens». Nur kommt in der Moderne das Bewußtsein des Prozesses (der Evolution) hinzu: das dürfte der Grund und die einzige Entschuldigung dafür sein, daß wir täglich die Presseberichte über immer ausgedehntere Kriege und Hungersnöte, totale Bedrohungen der Menschheit auf allen Ebenen gelassen hinnehmen als die unvermeidliche Hekatombe, die einem transzendenten Ideal, das zugleich immer nebelhafter entschwindet, dargebracht werden muß. Aber mit dem Bewußtsein dieser praktischen Unerreichbarkeit verblaßt dann doch auch die wahre Freude des Opfers, die uns auf den Vorstufen beseelen konnte, und damit zeigt sich, daß der begonnene Weg (und es gibt keinen andern!) von der Welt her gesehen gar nicht vollendbar ist.
Es muß sich das Wundersame ereignen, daß der härteste kategorische Imperativ des Selbstüberstiegs zusammenfalle mit der seligsten Neigung der Liebe: was eben nur im Christentum möglich ist, wo Gott nicht «Denken des Denkens» und «absolutes Wissen» ist, sondern dreieinige Liebe, die uns im menschgewordenen Sohn vom Ziel her entgegenkommt, um unser letztes Scheitern und damit den Verlust unserer Freude an seinem Kreuz zu übernehmen und in ihm unsere Selbstüberstiege mit einer «Hoffnung, die nicht trügt» von neuem in Freude zu wandeln.
III. Das Geheimnis des Christen
a) Das Wagnis der Züchtigung
Die ersten biblischen Schritte gehen denjenigen der individuellen und sozialen Ethik parallel, aber flößen ihnen vom Endgedanken her schon eine neue Seele ein. So steht die harte Züchtigung des Kindes durch den Vater, die eine erzieherische Wohltat der Liebe ist (Spr 13,24 usw.10), bereits unter dem Vorbild der erzieherischen liebenden Züchtigung Israels durch Gott (Dt 8,5f.; Spr 3,11f.), ein Gedanke, der vom Hebräerbrief breit aufgegriffen wird (Hebr 12,5-13), den Paulus auf seine eigene züchtigende Funktion in der Gemeinde überträgt (1 Kor 11,31-32), wobei er bereits zum Zeichen der eschatologischen Güte des richtenden Gottes wird (vgl. 1 Petr 4,17; Apk 3,19). Dabei ist vorausgesetzt, daß der Überblick über den Sinn des Vorgangs zunächst nicht beim Kind, sondern beim Vater, beziehungsweise bei Gott liegt, während im Kind einstweilen nur Trauer, Schmerz und Tränen die Folge sein können. Im Glauben allein und kraft der Glaubensermahnung können die Christen verstehen, daß sie bei solcher Behandlung von Gott als Söhne betrachtet werden: «Zwar scheint jede Züchtigung für den Augenblick nicht Freude, sondern Leid zu bringen, aber nachher trägt sie denen, die durch die eingeübt sind, die Friedensfrucht der Gerechtigkeit» (Hebr 12,11). Dieses «Scheinen» (δοκεῖν) wiederholt sich in der Züchtigung der Gemeinde durch den Apostel, in der sich aber die christliche Dialektik tiefer enthüllt: sein Schreiben hat die Korinther «betrübt, wenn auch nur für kurze Zeit», und diese Trauer war die rechte, «gottgefällige» die insofern (aber nicht als Trauer!) dem Apostel Anlaß zur Freude wurde (2 Kor 7,8-9), und nun erwartet er von der Gemeinde, daß sie, diese Freude des Ermahnens verstehend, ihrerseits daran teilnehme: «ich habe zu euch allen das Vertrauen, daß meine Freude euer aller Freude sei» (2 Kor 2,3), eine Freude jedoch, die auf keine andere Art erreicht werden kann, als durch die rechte Betrübnis der Gerügten: «Denn wenn ich euch betrübe, wer kann mir dann Freude bereiten als eben der, den ich in Trübsal versetzte?» (ebd. 2,2). Dieses Wagnis, zu betrüben, um Freude zu ernten und sie damit auch wieder zu säen, übersteigt bei weitem die Logik alttestamentlicher Pädagogik, sie ist durchaus christologische Kreuzeslogik. Sie ist Abglanz der Haltung Christi, der seine Nachfolger mit ins Kreuz führt und von ihnen erwartet, daß sie dies als eine «Erziehung» («ich bin der Weg!») zur Freude verstehen, von ihr motiviert und in sie zurück mündend.
b) Entfremdung als Läuterung
Es gehört aber zu dieser Erziehung und diesem Weg, daß im Augenblick des Entzugs der Freude eine Verfremdung eintritt. Und der Begleitende – der Herr oder sein Apostel – muß auf diese Verfremdung als auf das Unvermeidliche, Normale aufmerksam machen. «Geliebte, laßt euch durch die Feuerprobe, die ihr durchmacht, nicht befremden, als widerführe euch etwas Befremdliches, sondern freut euch vielmehr, daß ihr am Leiden Christi teilhabt» (1 Petr 4,12f.). «Erachtet es als lauter Freude, meine Brüder, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen geratet» (Jak 1,2). Der erste Text motiviert den Durchgang durch das «Feuer» als ein Mitleiden mit Christus, das (bei der Parusie) seiner Herrlichkeit in Freude und Jubel teilhaftig machen wird, weist aber in der Folge auf die Haltung im Leiden hin, die – als innere Angleichung an diejenige Christi – den Übergang zwischen Dulden und Freude herstellt: «So sollen die, die nach Gottes Willen leiden, ihre Seelen dem getreuen Schöpfer anbefehlen und dabei das Gute tun» (Petr 4,19). Der Jakobustext zeigt denselben Übergang auf, indem er den «echten Glauben» im Leiden die Geduld wirken läßt, die als solche zum Eschaton führt (vgl. Mt 10,22; 24,13). Paulus «rühmt sich sogar der Trübsale, weil wir wissen, daß die Trübsal Geduld bewirkt, die Geduld Bewährung, die Bewährung Hoffnung; die Hoffnung aber kann nicht trügen, denn die Liebe Gottes ist in unsere Herzen ausgegossen durch den uns verliehenen Heiligen Geist» (Röm 5,3-5): «Sich rühmen» ist bei Paulus oft gleichwertig mit «jubeln»: er kann es in der Trübsal, weil die von ihm geschilderte Kette der innern Haltungen nicht nur bis zur «Hoffnung auf Herrlichkeit» (V. 2) führt, sondern sie vorweg im Geist vergegenwärtigt. Dabei kann «das bißchen Traurigkeit, falls es nötig ist, durch allerhand Anfechtung» zu zweierlei dienen: Erprobung (ob der Glaube echt sei) und Läuterung (damit er echter werde), und darüber kann man jetzt schon «jubeln», und zwar vorweg11 mit einer «unaussprechlichen und verherrlichten Freude» (1 Petr 1,6-8). In all diesen einander verwandten Gedankengängen wird gerade das Befremdende des Leidens zum Unterpfand, ja zur verhüllten Gegenwart der eschatologischen Freude. Diese verhüllte Gegenwart erlaubt es Paulus, das höchst reale Leiden, gerade sofern es Mitleiden mit Christus ist, doch mit einem einklammernden Quasi zu versehen: quasi tristes, semper autem gaudentes (2 Kor 6,10; vgl. Hebr 12,11: videtur non esse gaudii). Denn aller Schmerz und alle Trauer gehören wesenhaft zur Zeitlichkeit, die, gemessen an dem «Übergewicht der ewigen Herrlichkeit», das «Augenblickshafte, Unbedeutende der Bedrängnis» bleibt (2 Kor 4,17).
c) Leiden und Tröstung
Aber mit «Erprobung» und «Läuterung» allein ist das Christliche noch nicht herausgestellt, beides gibt es auch im Alten Bund12. Sofern Trauer und Anfechtung christlich Teilnahme an Christus ist, muß sie selber zum Weitergeben bestimmt sein: die erworbene Leidenserfahrung ist nicht privat, sondern in der Gemeinschaft der Heiligen zu verwerten: und zwar sowohl als Ermöglichung andern christlichen Leidens, wie als lindernde Tröstung in diesem Leiden, wie denn ja die «unvergleichliche Teilnahme an Christi Leiden» dem Apostel selber zu beidem verhilft: zu Schmerz und Trost gleichzeitig (2 Kor 1,4-7). Das damit ausgesprochene Gesetz kann nicht auf den Apostel in seinem vermittelnden Verhältnis zwischen Christus und der Gemeinde beschränkt sein, es muß vielmehr ein allgemeines, auch nachapostolisch gültiges Gesetz ausdrücken, sofern alle Leidensteilnahme am Herrn je zur Weitergabe bestimmt ist. Dabei ist nun wesentlich, daß wie im Gläubigen, der an Christus teilhat, Leiden und Tröstung unauflöslich verflochten sind, auch seine Auswirkung in Kirche und Welt nicht einseitig «Tröstung» sein kann (etwa im Sinne von Leidensersparung), sondern zugleich ein Weiterschenken der Leidensteilnahme in der Kirche, «für den Leib Christi, die Kirche» (Kol 1,24) besagt. Hier muß auf das großartigste Beispiel für solche Dialektik in der frühen Kirche hingewiesen werden, auf Ignatius von Antiochien, der auf seinem Leidensweg ins Martyrium nicht nur selbst von der Tröstung Christi überströmt, sondern die Kirchen ins Mitleiden und Mitgetröstetwerden hinein mitreißt und stärkt.
d) Kreuz und Verstörung
Noch ist damit nicht alles gesagt. Getröstetes Leiden ist noch nicht letztes Leiden, noch nicht Kreuz. Unser Thema lautet ja nicht «Freude und Leiden», sondern «Freude und Kreuz». Nicht Paulus, sondern Johannes lüftet hier den letzten Vorhang. Paulus denkt das Kreuz immer von der Auferstehung her, wie es seiner Vision vor Damaskus entspricht. Johannes aber schreitet mit auf dem Weg seines Meisters ins Leiden hinein. Paulus kann über die vollendete Tatsache jubeln, daß «die Liebe Christi»13 sich in der letzten Hingabe in «Sünde» und «Fluch» hinein erwiesen hat. Johannes muß in Liebe vorweg einverstanden sein mit diesem schrecklichen Entschluß des geliebten Meisters und Freundes. Dessen tiefstes, zerreißendstes «Leiden» besteht im letzten darin, daß er leiden lassen muß, ohne Einspruch, ohne Möglichkeit, Einhalt zu gebieten. Über Johannes 12-17 fällt im voraus der dunkle geistige Schatten des Kreuzes: wie Jesus selber in eine «Verstörung» (13,21; vgl. 11,33; 12,27) gerät, so spricht er zu solchen, die mit ihm zusammen «verstört» sind (14,1): ein Verstörter spricht Verstörten Trost zu, indem auch er, wie Paulus, auf die «kleine Weile» des Leidens verweist (16,16f.) – die dann für ihn in der echten Gottverlassenheit ein zeitloses Leiden werden wird! –, diese «kleine Weile» aber mit den Geburtswehen des Weibes vergleicht, in denen die Freude von vorher und von nachher untergeht in den Leiden von jetzt. So ist von keinem paulinischen Quasi mehr die Rede, sondern es heißt, in der vollen Umkehrung: «Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und wehklagen, die Welt aber wird sich freuen.» Dann erst die Wende: «Eure Trauer wird Freude werden», wird so sehr Vergangenheit sein, wie das Weib seine Angst vergißt, wenn das Kind da ist. Aus der Voraussicht und in der Vorschattung durch das hereinbrechende Kreuz fordert nun aber Jesus – fast unglaublicherweise! – ein Einverstandensein der liebenden Jünger mit seiner Passion in der Freude: «Wenn ihr mich liebtet, würdet ihr euch freuen, daß ich zum Vater gehe» (14,28), natürlich auf dem vom Vater bestimmten Weg über das Kreuz.14
Deshalb versammelt Johannes die drei Vertreterinnen der liebenden Kirche im Ereignis von Passion und Auferstehung: Maria von Bethanien, die den Herrn aus Liebe in sein Begräbnis (d.h. zum leidenden Messias) salbt, Maria die Mutter, die unter dem Kreuz ihr Einverständnis vollenden muß, auch mit dem Weggesandtwerden zum neuen Sohn hin, Maria Magdalena, die am Ostermorgen einverstanden sein muß mit der Heimkehr des Sohnes zum Vater, durch Nichthalten des Fortgehenden, der sie stattdessen zu seinen Brüdern entsendet. Das Kreuz als Drama der Weltsünde ist für den Menschen Jesus Überforderung schlechthin; das von der liebenden Kirche geforderte Ja zu diesem namenlosen Leiden des Geliebten ist es in seiner Weise nicht minder. Und daß die liebende Kirche die Gottverlassenheit der ganzen Seele Jesu (und nicht nur seiner «unteren Seelenteile»!) und seinen Abstieg zur Hölle (und nicht nur zu einer von Glaube, Liebe und Hoffnung der Gerechten durchstrahlten Vorhölle!) in «Freude» (Joh 14,28) bejahen und begleiten soll, ist nochmals darüber hinaus Überforderung.
Jetzt erfüllt sich das ganze Paradox zwischen Kreuz und Freude in der «Kirche zwischen den Zeiten». Und zwar deshalb, weil sie das Kreuz nie als eine vollendete Tatsache in der historischen Zeit hinter sich lokalisieren kann, sowenig sie als glaubende und liebende Kirche je ihre Sündigkeit als eine abgeschlossene Tatsache hinter sich zu bringen vermag. Sie kann sich nie so im Osterereignis etablieren – und infolgedessen in der vollkommenen Osterfreude –, daß sie nicht stets auch mit Jesus unterwegs zum Kreuz sein müßte, nicht nur als die Sünderin, die sich darob freut, bald von ihren Sünden erlöst zu sein, sondern auch als die Liebende, der vor Augen steht, welchen Preis der Geliebte für diese Erlösung wird zahlen müssen. Hat der Protestantismus dies genügend bedacht?
Dieses seltsame Paradox ist der Grund dafür, warum die christliche Freude etwas so eigentümlich Brennendes und Verzehrendes behält. Paulus kann wohl in seinen Trostworten den leidenden Mitchristen eine reine gestillte Freude zusprechen – so wie Jesus in den Abschiedsreden seinen Jüngern reine gestillte Freude zuspricht –, seine eigene Freude bleibt durchweht von einem Sturmwind, der ständig in seinem Bewußtsein das Feuer schürt: «Denn die Liebe Christi hat völlig Besitz von uns ergriffen15, wenn wir (nach hinreichender Überlegung κρίναντες, da es um eine κρίμα, eine Entscheidung geht) zur Ansicht gekommen sind: wenn einer für alle gestorben ist, dann sind eben alle gestorben …» (2 Kor 5,14f.). Es ist jedenfalls eine Freude, die sich in weltlichen Gütern nirgendwo genießend niederlassen kann, sondern auch im echten Genuß die Liebe Christi, wie sie sich in der Kirche äußert, vor Augen behält (vgl. Phil 4,10-19; 1 Kor 10,31). Mit einer bloßen symbolischen Beziehung der irdischen Güter (bei deren Genuß) auf die ewigen Güter ist der neutestamentlichen Theologie keinesfalls genuggetan. Weder kann es sich um eine bloße Abwechslung von Freude und Leid (je nach den Zeiten des Kirchenjahres zum Beispiel) handeln, da doch alles von einem einzigen eschatologischen Standort her beurteilt und geregelt wird, noch darf eine einfache Relativierung des Kreuzes (für den nachfolgenden Christen) durch die Osterfreude in Frage kommen (weil diese Nachfolge bis in die dunkle Nacht des Geistes hineingehen kann, nicht bloß auf mystische Art, sondern auf die vielerlei Weisen der desolatio, solange der Mensch dem Gesetz der Zeitlichkeit unterworfen bleibt), noch kann der entscheidende Standort der Kirche einfach als der «nachösterliche» bezeichnet und die Gestimmtheit der Christen undialektisch von dorther bestimmt werden. Vielmehr bleibt die kirchliche Existenz im unauflösbaren Mysterium des «Zwischen den Zeiten». Ja tiefer: ihr Verständnis des Verhältnisses zwischen Kreuz und Freude steht im Raum des Kreuzesmysteriums Jesu selber, der nur kraft seiner sohnlichen Unmittelbarkeit zum göttlichen Vater die volle Verlassenheit vom Vater bis zum Grund ausleiden kann.
- Jos. Nielen: Die Freude am Wort und an der Weisung Gottes im Licht der Psalmen. In: Leben aus dem Wort, Patmos 1962, 36-51.↩
- Bo Reicke: Diakonie, Festfreude und Zelos. Uppsala 1951. P. Humbert: «Laetari et exultare» dans le vocabulaire religieux de l’Ancien Testament. RHPhR 22 (1942) 185-214. Ders.: Opuscules d’un Hebraisant. Neuchâtel 1958, 119-145.↩
- Die Umschreibungen «Himmel» und «Engel Gottes» sind an diesen Stellen Ehrfurchtsnamen für Gott selbst.↩
- Bultmann: Das Evangelium des Johannes 141956, 388.↩
- Wiard Popkes: Christus traditus. Eine Untersuchung zum Begriff der Dahingabe im Neuen Testament. Zwingliverlag 1967.↩
- In: Ma joie terrestre où donc es-tu?, Études Carmélitaines 1947, 23-37. Eine Illustration des von Frank-Duquesne Gemeinten können gewisse Worte der kleinen Therese liefern: «Wenn Sie nur wüßten, wie groß meine Freude ist, keine zu empfinden, um den Herrn zu erfreuen. Es ist eine ganz sublime Freude (de la joie raffinée), obschon sie gar nicht empfunden wird» (Lettres 104). «Ich kann nicht mehr leiden, weil alles Leiden mir süß geworden ist» (Nov. Verba 1926, 20f.). «Ich bin eigentlich dahin gelangt, nicht mehr leiden zu können, weil jedes Leiden mir süß geworden ist» (Gesch. einer Seele 1947, 212). «Der Weg, den ich gehe, hat keinerlei Tröstung für mich, und doch enthält er jede Tröstung» (Lettres 165). «Obwohl mich diese Prüfung jedes fühlbaren Genusses beraubt, vermag ich doch auszurufen: ‹Herr, du überschüttest mich mit Freude in allem, was du tust!›» (Selbstbiogr. Schriften 222f.).↩
- Wir lassen hier absichtlich die scholastische Theorie unberücksichtigt, nach welcher Jesus am Kreuz wegen der ihm stets verbleibenden visio beatifica nur in seinen niedrigen Seelenvermögen gelitten habe. Thomas STh III, q 46, a 7.↩
- L. cit. 24.25.31.32. In einer ähnlichen Linie sucht Pierre Ganne in seinem schönen Büchlein über Claudel die Lösung: Claudel – Humour, joie et liberté, Éditions de l’EPI 1966. Deutsch: Die Freude ist die Wahrheit, Ein Gang durch das Werk Paul Claudels. Johannes Verlag 1968.↩
- Darin muß der Auffassung von E.G. Gullin: Die Freude im Neuen Testament, 2 Bde, Helsinki 1932-1936, widersprochen werden, daß (wenigstens bei Johannes, vgl. II,67-71) von Freude nur im Hinblick auf ihren Gegenstand geredet wird. – Zum Thema der christlichen Freude noch: Sarat: La joie dans S. Paul (These, Lyon 1931). W. Keppler: Mehr Freude (Freiburg 1934). G. Feuerer: Ordnung zum Ewigen (Regensburg 1934). U. Holzmeister: Gaudete in Domino (VD 22, 1942, 257-262). J. Brosch: Jesus und die Freude (M. Gladbach 1946). LThK IV 361f. (E. Schick, A. Auer). – Zur Dialektik von Freude und Leid: P.T. Dehau: Joie et tristesse (Paris 1946). Jean Massin: Le rire et la croix (in: Études Carmélitaines 1947, 88-116). M. Carrez: Souffrance et gloire dans les Épîtres pauliniennes (in: RHPh 31, 1951, 343-353). A. Brunner: Das Geheimnis der christlichen Freude (in: Geist und Leben 26, 1953, 414-422). W. Nauck: Freude im Leiden (in: ZNW 46, 1955, 68-80).↩
- Spr 22,15; 23,13,14; 29,15-17; Job 5,17; Sir 30,1.8.12.↩
- Da sich das ἀγαλλιᾶσθε in Vers 8 auf den nichtschauenden Glauben bezieht, wird auch das gleiche Wort in Vers 6 präsentisch, nicht futurisch, zu verstehen sein.↩
- Gen 22,1; Spr 17,3; 27,21; Jer 11,20f.; Mal 3,3.↩
- Röm 8,35-37; 2 Kor 5,14; Gal 2,20; Eph 3,19; 5,2.25; in dieser Liebe Christi erweist sich die Liebe Gottes des Vaters: Röm 5,8; 8,39.↩
- Zum Folgenden vgl. vom Verfasser: «Ist die Messe ein Opfer der Kirche?» In: Spiritus Creator 31999, 166-217.↩
- Συνέχειν sagt weder bloß «antreiben» noch «in Schranken halten» (angesichts der beiden Möglichkeiten im vorigen Vers: von Sinnen sein und nüchtern sein), sondern (über beide Zustände hinaus): «im Griff halten», gänzlich beherrschen, wobei das Moment des Bedrängenden, Quälenden mitspielt, daher die Vulgata richtig: caritas enim Christi urget nos.↩

Hans Urs von Balthasar
Titre original
Die Freude und das Kreuz
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Fiche technique
Langue :
Allemand
Langue d’origine :
AllemandMaison d’édition :
Saint John PublicationsAnnée :
2025Genre :
Article