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Die Kirche Jesu Christi ist kein beliebiger Verein
Im Beitrag von Pater Nestor Werlen wird die Frage, die uns Katholiken alle bedrückt, wie nämlich die zerstrittene Kirche zur Einheit zurückgebracht werden könnte, erneut aufgeworfen und im Gefolge eines Zitats von P. Seibel SJ aus den «Stimmen der Zeit» eine einfache, beglückende Lösung vorgeschlagen: durch offene Diskussion. Nun dürfte, wenigstens in der Kirche, aber auch in Staat und Gesellschaft, einsichtig sein, dass bei einer noch so berechtigten, noch so lange dauernden Diskussion (die vielleicht immer verworrener werden könnte) jemand befugt sein muss, ein Schlusswort zu sprechen. Möglicherweise ist der Abschluss gesetzlich bereits geregelt: Man stimmt einfach ab, und die Majorität hat Recht. Andernfalls wird jemandem die Befugnis zum Entscheid gegeben.
Aber die Kirche Jesu Christi ist kein beliebiger Verein, der sich seine Statuten selber gibt, und die Einführung zum Beispiel eines allgemeinen Stimmrechts, wobei die Mehrzahl Recht behält, ist gewiss in dem, was man das Statut dieser Kirche nennen kann, nicht vorgesehen. Sie ist die kleine Herde, der schmale Weg.
Aber wenn schon in christlicher Freiheit diskutiert werden soll (um zur Einheit zu gelangen? Wird diese nicht eigentlich immer schon vorausgesetzt? «Ihr seid ja ein Leib und ein Geist! Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe!» Eph 4,4 f.) – also wenn diskutiert werden soll, so ist die Grundfrage: worüber? Sollen wir über das Wichtigste diskutieren, nämlich, ob Jesus von Nazaret Gott ist, denn davon hängt ja alles übrige ab? Die Väter von Nikäa (325) hatten bereits ausführlich darüber diskutiert und hatten mit Ja entschieden. Warum? Weil am Anfang des Evangeliums das Wort, das Fleisch geworden, «bei Gott war und selbst Gott war», und am Schluss desselben Evangeliums der Apostel Thomas ausruft: «Mein Herr und mein Gott.» Und alles zwischen Anfang und Ende des Evangeliums soll von der Wahrheit dieses Satzes Zeugnis ablegen. Die Frage ist somit einfach die: Sollen wir die Aussagen der großen Konzilien und dahinter die Aussagen des Evangeliums in einem (wenigstens «methodischen») Zweifel einklammern und sie erneut zur Diskussion stellen?
Sollten wir dann aber nicht lieber auch unser sonntägliches Credo, in dem wir «Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott» bekennen, einstweilen in Quarantäne schicken, bis wir ausdiskutiert haben, ob Jesus wirklich «wahrer Gott vom wahren Gott» oder doch eher nur ein menschlicher Statthalter Gottes sei, den dieser ehrenhalber von den Toten auferweckt hat? Wenn aber das letztere aus unserer freien Diskussion sich ergeben sollte, was hätte dann unser sonntäglicher Kirchgang als ganzer für einen Sinn? Denn weder könnte dieser ehrenvolle Statthalter, auch wenn er ans Kreuz geschlagen würde, meine und deine Sünde «hinwegtragen» (was für ein übertriebener Ausdruck!), und noch viel weniger könnte er uns «sein Fleisch zu essen geben», damit wir dadurch «das ewige Leben» erhielten. Man könnte allenfalls darüber diskutieren, ob es sinnvoll wäre, sich – jeden Sonntag? – zu einer Art Gedächtnisfeier für diesen außergewöhnlichen Mann zusammenzukommen und ihm zum Andenken ein Stück geweihtes Brot zu essen. Aber dann sollten wir auch dringend darüber diskutieren, ob denn jemand von uns überhaupt die Vollmacht hat, Brot zu weihen. In einer gesteckt vollen Kirche in Tübingen wurde unlängst von einem Professor mit dem Hebräerbrief in der Hand bewiesen, dass es nach Jesus, unserem «Hohenpriester», überhaupt kein Priestertum mehr geben kann. Sollten wir vielleicht alle darüber diskutieren, ob es so etwas wie amtliche Vollmacht in der Kirche überhaupt gibt? Mit andern Worten: Hat jemand in der Kirche die Befugnis, zu bestimmen, was zum kirchlichen Glauben – der die Mitgliedschaft zur Kirche grundlegt – gehört und was nicht?
Dann müssten wir aber auch unbedingt über die Worte im Evangelium diskutieren: «Hört er auf die Kirche nicht, so sei er dir wie ein Heide» usf. (Mt 18,17). Paulus und Johannes haben diese Grenzziehungen sehr ernsthaft, ja drastisch praktiziert, denn man wusste damals offenbar, wo die Grenze zwischen Glaube und Unglaube lag und scheute sich nicht, sie auch zu ziehen. Aber war das nicht genau das, was heute gemeinhin als Ketzerriecherei gebrandmarkt wird, und was – seit dem Einzug des grundsätzlichen Pluralismus in die Kirche – als ein unerträglicher Rückfall hinter die Aufklärung, ein Attentat auf die «Menschenrechte» gebrandmarkt wird? Nun, hat nicht das Zweite Vatikanum gerade das Recht auf Religionsfreiheit sanktioniert, so dass jeder das Recht hat, den kirchlichen Glauben anzunehmen oder abzulehnen? Sicherlich. Aber eben den kirchlichen Glauben, der nun einmal nicht aufgrund einer abstimmenden Mehrheit zustande kommt, sondern allen einzelnen Glaubenden vorweg, der von den Aposteln überkommene Glaube der Kirche ist, auf dessen Bekenntnis hin man in diese aufgenommen wird. Welchen Sinn hätten sonst die an den Täufling gerichteten Fragen?
Liest man bei P. Seibel SJ weiter, dann entdeckt man, dass er seine Forderung für Diskussionsfreiheit weniger auf die wesentlichen Glaubensinhalte bezieht als auf konkrete Fragen der Moral, Fragen, in denen die Kirche durch Nachdenken über die Grundsätze der Nachfolge Christi zu gewissen Verhaltensregeln gelangt, die nur mit größter Umsicht in etwa verschoben werden können. Hier ist der Fall ein anderer als in den vorerwähnten dogmatischen Fragen. Bei diesen gibt es keine Halb- und Übergangstöne: Entweder ist der Mensch Jesus Gott oder er ist es nicht, Halbgötter gibt es nicht. Entweder haben die Nachfolger Petri eine die Kirche im ganzen betreffende (und gewiss näher zu bestimmende) Vollmacht oder sie haben sie nicht. In den Moralproblemen, die viele Christen mehr interessieren als die Grundlagen des Glaubens und denen sie deshalb gerne dieselbe Dignität zuspielen (nicht selten, um gleichzeitig die Glaubensfragen herunterzuspielen), mag eine seriöse Diskussion über das dem Christen Angemessene durchaus am Platz sein; aber auch hier wird jemandem die letzte Entscheidung zustehen. Eine Kirche, die sich katholisch nännte und zugleich der allgemeinen sittlichen oder gar dogmatischen Permissivität huldigte, hätte sich selber stillschweigend aufgelöst.
So scheint es dem Schreiber dieser Zeilen, dass das Problem, wie eine permissiv gewordene Kirche ihre Einheit und Identität wiederfinden kann, in entgegengesetzter Richtung gelöst werden muss als dem einer freien und endlosen Diskussion, nämlich in Richtung und Rückbesinnung auf die völlig klaren und einfachen Grundlinien jenes Glaubens, wie ihn die großen Konzilien der Urkirche umrissen haben, die nichts anderes wollten, als die im Neuen Testament bezeugten Fakten durch ein paar wuchtige Aussagen vor Verwässerung und Verbildung schützen. Man wird einwenden, dass gewöhnliche Christen nichts von diesen alten Kirchenversammlungen wissen. Doch, sie wissen genug davon, denn was im großen oder im kleinen Credo steht, das sie jeden Sonntag beten, braucht nur seinem Wortlaut entsprechend genommen zu werden, damit der apostolische und urkirchliche Glaube sich ausdrücke, und dasselbe gilt vom römischen Kanon und von den übrigen Canones, die nach ältestem kirchlichem Brauch gestaltet worden sind. Die Liturgie, so gefeiert, wie die Kirche es will (und nicht nach der Phantasie eines Pfarrers oder Vikars verfremdet) stellt uns immer neu vor die Einheit des Glaubens und in sie hinein. «Menschgeworden durch den Heiligen Geist aus der Maria der Jungfrau», «für uns gekreuzigt» (man beachte dieses «für uns»), «am dritten Tage auferstanden von den Toten» usf. Ein jeder, sei er Priester oder Laie, soll sich im Gottesdienst fragen, ob er glaubt, was er hier bekennt, oder ob er Fragezeichen hinter dies und jenes und alles setzt, und wenn letzteres, weshalb er sich dann die Mühe nimmt, in die Kirche zu gehen und all das zu bekennen.
Jeder kann mit diesem oder jenem Teil des Glaubens Schwierigkeiten haben, aber, wie Newman sagt, hundert Schwierigkeiten machen noch keinen Zweifel aus. Und niemand kann Glaubensgeheimnisse vor den Richterstuhl seiner bloßen Vernunft zitieren. Soviel aber ist gewiss: Alle großen Artikulationen unseres Glaubens hängen aufs engste unter sich zusammen, bilden Glieder eines lebendigen Organismus, aus dem man kein Glied ausreißen kann, ohne ihn zu verstümmeln. Dass Gott die Liebe ist (und das ist das Wichtigste), wissen wir nur, wenn er in sich dreieinig ist, und dass er das ist, wissen wir nur, wenn der ewige Vater seinen ewigen Sohn für uns dahingegeben hat «bis zum Tod am Kreuz» in Gottverlassenheit, und uns seinen ewigen Heiligen Geist geschenkt hat, ohne den wir nichts glauben und nichts verstehen könnten. Am Anfang von allem steht die Hingabe Gottes, ihr antwortet unser Glaube und unsere Lebenshingabe an ihn ein für allemal, und nicht unsere nie endende Diskussion.
Hans Urs von Balthasar
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Langue :
Allemand
Langue d’origine :
AllemandMaison d’édition :
Saint John PublicationsAnnée :
2022Genre :
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