01. Jugendjahre
Hans Urs von Balthasar wurde am 12. August 1905 in Luzern als erster Sohn des Kantonsbaumeisters Oskar von Balthasar (einer seit dem 15. Jahrhundert in Luzern ansäßigen Patrizierfamilie) und der Gabriele geb. Pietzker-Apor, aus der ungarischen Familie der Barone Apor de Altorja, geboren.
Nach der Gymnasialzeit im innerschweizer Engelberg und im österreichischen Feldkirch (1916-23) studierte Balthasar Germanistik und Philosophie in Wien, Berlin und Zürich, wo er seine Studien 1929 mit einer Dissertation zum Thema «Geschichte des eschatologischen Problems in der modernen deutschen Literatur» abschloss. Schon Balthasars Kindheit war geprägt von der Hinwendung zur Musik, seine Klavierlehrerin war Schülerin von Clara Schumann-Wieck. Noch als Student publizierte er seinen Erstling «Zur Entwicklung der musikalischen Idee. Versuch einer Synthese der Musik» (1925). Sein früher Berufswunsch war Dirigent.
Hans Urs von Balthasar als Kind | Balthasar als Gymnasiast in Feldkirch (A) | Der Student Balthasar zwischen seinen Eltern, mit Bruder Dieter und Schwester Renée
02. Ignatius von Loyola
Nach einem «urplötzlichen» Berufungserlebnis während ignatianischen Exerzitien für Laien (1927) trat Balthasar 1929 in den Jesuitenorden ein. Die Ordensstudien absolviert er 1931-33 in Pullach bei München (Philosophie), 1934-37 in Lyon-Fourvière (Theologie). 1936 weiht ihn der Münchener Kardinal Faulhaber zum Priester; sein Primizspruch war eucharistisch und lautete «Benedixit – fregit – deditque» («Er segnete, brach und verteilte»). Prägend wurden die Begegnungen mit Philosophen und Theologen aus dem Jesuitenorden, insbesondere Erich Przywara und Henri de Lubac. Przywara erschließt ihm die Einsicht in die «Analogia Entis» als Mitte des Katholizismus, de Lubac den Blick für die weltoffene Theologie der Kirchenväter.
Als wichtigstes Ergebnis dieser Lyoner Zeit ließen sich eine ganze Reihe von Balthasars Monographien nennen, so jene über Origenes, Gregor von Nyssa oder Maximus Confessor, zu welchen seine zahlreichen Übersetzungen der Kirchenväter, insbesondere Augustinus hinzukommen. In diese Zeit fällt auch Balthasars Auseinandersetzung mit den großen modernen Dichtern des französischen Katholizismus, – Péguy, Bernanos und Claudel: Autoren, die dank Balthasars Übertragungen, Anthologien und Studien dem deutschsprachigen Raum erstmals breiter bekannt werden.
Nach kurzer redaktioneller Mitarbeit an der Ordenszeitschrift «Stimmen der Zeit» (München, 1938-39), womit ihn seine Oberen nach Abschluss der Studien beauftragt hatten, wurde der aus Deutschland ausgewiesene Jesuitenpater Balthasar 1940 Studenten- und Akademikerseelsorger an der Universität Basel, was er einer angebotenen Professur an der angesehenen Päpstlichen Universität Gregoriana vorzog.
Balthasar in seiner Zeit als Studentenseelsorger, Basel | Balthasar mit der «Studentischen Schulungsgemeinschaft» während eines Sommerkurses (Schweiz, 1948)
03. Begegnung und Zusammenarbeit mit Adrienne von Speyr
In diese erste Baseler Zeit fällt die Begegnung mit der Ärztin Adrienne Kaegi-von Speyr, der Ehefrau des bekannten Geschichtsprofessors Werner Kaegi an der dortigen Universität. Adrienne von Speyr war noch Protestantin, hegte jedoch von Kindesbeinen an ein reges Interesse am Katholizismus. Eine Begegnung und weitere Gespräche mit P. Balthasar, die ihr das verlorene Gebet zurückschenkten, führten sie 1940 zur Konversion in die katholische Kirche, wodurch ihre Seele für ein mystisches Charisma geöffnet wurde, welches auch für Balthasar zum Wendepunkt seiner theologischen Existenz wurde: in täglichen Diktaten Adriennes entstanden viele Bände von Schriftkommentaren, deren Wesen vornehmlich einer vertieften Kontemplation dient. Zur Veröffentlichung der so entstandenen sechzig Bücher gründete Balthasar 1947 den Johannesverlag. In der Herausgabe des Speyrschen Werkes sah er seine wichtigste Unternehmung.
Aus der Begegnung mit Adrienne von Speyr wird Balthasar die innere Einheit des Jüngers Johannes mit Ignatius von Loyola einsichtig; 1945 gründet er mit ihr zusammen das Säkularinstitut der Johannesgemeinschaft, deren Mitglieder die evangelischen Räte, die Lebensform Jesu, inmitten einer säkularen Welt unter dem Patronat des Liebesjüngers und des Ignatius von Loyola zu leben versuchen. Balthasar trat 1950 nach langer Gewissensprüfung aus dem Jesuitenorden, seiner «über alles geliebten Heimat», aus, weil dieser ihn für die Zusammenarbeit mit Adrienne von Speyr nicht freistellte, welche nun wiederum entscheidenden Einfluss auf sein eigenes Werk hatte.
04. Ein katholisches Werk
Durch seine weitgespannte Vortragstätigkeit und eine außerordentlich große Zahl philosophischer und theologischer Publikationen und Übersetzungen wird Balthasar zu einem der bedeutendsten Vermittler abendländischen Geisteserbes. Als Schriftsteller und Verleger lebt er zuerst in Zürich, dann in Basel. Balthasar selbst stellte sein Lebenswerk in eine hierarchische Skala: «Im Zentrum», sagte er einmal, «steht die Johannesgemeinschaft. An zweiter Stelle kommt mein Verlag mit dem riesigen Nachlass Adriennes von Speyr, dazu die Ausgaben fremder Werke, die vielen Übersetzungen. Dann erst, an dritter Stelle, würde ich meine eigene Produktion einstufen.» (Geist und Feuer)
Balthasars theologische Ausrichtung gründet in den Kirchenvätern (vor allem Origenes, Gregor von Nyssa, Maximus Confessor) und bei den großen Mystikern und Glaubenszeugen der Kirche. Zugleich horchte er die bedeutenden Dichter und Denker auf die biblische Offenbarung hin ab (so etwa Homer, Vergil, Plotin, Hegel, Goethe). Auch dem Renouveau catholique widmet er Übersetzungen und Arbeiten: Charles Péguy, Paul Claudel, Georges Bernanos und Reinhold Schneider. Die jahrelange Auseinandersetzung mit dem Werk des großen protestantischen Theologen Karl Barth, mit dem ihn auch eine musikalische Freundschaft verband (Mozart), war ein Meilenstein des ökumenischen Dialogs.
Als «Theologe der Säkularinstitute» trat Balthasar ein für eine der modernen Welt gegenüber «unverschanzte» Kirche (Schleifung der Bastionen, 1952) und wurde so zu einem stillen Wegbereiter des Zweiten Vatikanischen Konzils. Nicht zuletzt durch seine pointierte Polemik an nachkonziliaren Entwicklungen gewann Balthasar eine internationale Beachtung, die in Kontrast zu seiner bescheidenen Rezeption in der Schweiz stand. Im Schweizer Fernsehen erzählt Balthasar 1987 rückblickend: «Mein alter Freund Karl Rahner hat gesagt: früher waren wir links, auf einmal stehen wir rechts, und wir haben uns doch gar nicht verändert. Es ist immer die gleiche Grundhaltung gewesen: das Wesentliche der christlichen Offenbarung.»
Sein eigenes schriftstellerisches Werk umfasste schließlich 113 eigene Bücher, 537 Aufsätze und 110 Übertragungen theologischer und literarischer Werke aus verschiedenen europäischen Kulturkreisen.
Balthasar mit Johannes Paul II. während eines Symposiums über Adrienne von Speyr im Vatikan (1985) | Balthasar während eines Sommerurlaubs auf der Rigi (CH) mit Henri de Lubac SJ
Balthasars Auseinandersetzung mit der deutschen Philosophie fand frühen Ausdruck im dreibändigen Werk «Die Apokalypse der deutschen Seele» (1937-39). Theologisches Hauptwerk ist sein fünfzehnbändiges Tryptichon, in welchem er die Offenbarung Gottes nach den ihm zukommenden Eigenschaften des Schönen, Guten und Wahren entfaltet: Herrlichkeit (1961-69), Theodramatik (1973-83) und Theologik (1985-87). Durchgestaltete Sammlungen seiner wichtigsten Essays hat Balthasar in fünf Skizzenbänden zugesammengestellt (Verbum Caro 1960, Sponsa Verbi 1961, Spiritus Creator 1967, Pneuma und Institution 1974, Homo creatus est 1986). Wegweiser zu dem vielschichtigen, in die meisten europäischen Hauptsprachen übersetzten Werk sind seine eigenen Äußerungen und Überblicke, vereint in «Hans Urs von Balthasar zu seinem Werk» (1990).
Im Johannes Verlag betreute er u.a. dreizehn verschiedene Schriftenreihen. 1973 wurde er zusammen mit Joseph Ratzinger, Henri de Lubac u.a. Mitbegründer der Internationalen katholischen Zeitschrift «Communio», die in 14 Sprachen erscheinen wird. 1969 wurde er zum Mitglied der Internationalen Päpstlichen Theologenkommission berufen. Zahlreiche Ehrungen zeugen von seiner nationalen und internationalen Wirkung: Innerschweizer Kulturpreis (1956), Goldenes Kreuz des hl. Berges Athos (1965), Ehrendoktorwürden der Universitäten Edinburgh (1965), Münster (1965), Freiburg (1967) und der Catholic University of Washington (1980), Romano-Guardini-Preis der Katholischen Akademie Bayern (1971), Gottfried-Keller-Preis der Martin-Bodmer-Stiftung Zürich (1975), Internationaler Preis Paul VI. für Theologie (1984) sowie den Salzburger Mozart-Preis (1987).
Papst Johannes Paul II. ernannte den Schweizer Theologen am 28. Mai 1988 zum Kardinal; Balthasar starb jedoch drei Tage vor seiner Kardinalserhebung am 26. Juni 1988. Sein Grab befindet sich im Kreuzgang der Luzerner Hofkirche.
Postum erscheint sein letztes, gleichsam testamentarisches Buch «Wenn ihr nicht werdet wie dieses Kind» (1988).
«Was Balthasar wollte, kann man wohl am besten mit einem Wort des heiligen Augustinus umschreiben: ‹Unser ganzes Werk in diesem Leben besteht darin, die Augen des Herzens zu heilen, dass sie Gott schauen können.›» (Joseph Kardinal Ratzinger)
Bronzebüste Balthasars, verfertigt von dem Bildhauer Albert Schilling (1965) – © Leonard von Matt / Fotostiftung Schweiz | Ausschnitt aus Balthasars Primizbild zu dem Motto «Benedixit fregit deditque» (Johannes an der Seite Jesu, von Albrecht Dürer)
05. Weiterführende Literatur
- Balthasar, Hans Urs von, Hans Urs von Balthasar. Rede zur Verleihung des Internationalen Preises Pauls VI, in „L’Osservatore Romano“ (29 juni 1984), 11.
- ―. Unser Auftrag. Bericht und Entwurf, Einsiedeln, Johannes Verlag, 1984.
- Balthasar, Hans Urs von – Albus, Michael, Geist und Feuer, in Zu seinem Werk, Freiburg i.Br., Johannes Verlag Einsiedeln, 2000, 103–132.
- Benedikt XVI, Botschaft von Benedikt XVI. an die Teilnehmer der internationalen Konferenz anlässlich des 100. Geburtstages des schweizer Theologen Hans Urs von Balthasar. Vom 06.10.2005.
- Guerriero, Elio, Hans Urs von Balthasar. Eine Monographie, übersetzt von Carl Franz Müller, Freiburg i.Br., Johannes Verlag Einsiedeln, 1993.
- Hans Urs von Balthasar–Stiftung (Hrsg.), Eine Theologie für das 21. Jahrhundert. Zur Wirkungsgeschichte Hans Urs von Balthasars. Die Referate am Symposion zum Gedenken an seinen 25. Todestag, 11. – 13. September 2013 in Einsiedeln, Freiburg i.Br., Johannes Verlag Einsiedeln, 2014.
- Hans Urs von Balthasar-Stiftung, Vorträge ab 1999 vom Jahresgedächtnis für Hans Urs von Balthasar.
- Henrici, Peter, Hans Urs von Balthasar. Aspekte seiner Sendung, Freiburg i.Br., Johannes Verlag Einsiedeln, 2008.
- Johannes Paul II., Leidenschaft für die Theologie. Ansprache bei der Verleihung des internationalen Preises „Paul VI.“ an Hans Urs von Balthasar am 23. Juni 1984, in „IKaZ Communio“ 34 (2005) 2, 164–168.
- Krenski, Thomas, Hans Urs von Balthasar. Das Gottesdrama (= Theologische Profile), Mainz, Matthias-Grünewald-Verl, 1995.
- Lehmann, Karl – Kasper, Walter (Hrsg.), Hans Urs von Balthasar. Gestalt und Werk, Köln, Communio, 1989.
- Löser, Werner, Kleine Hinführung zu Hans Urs von Balthasar, Freiburg im Breisgau, Basel, Wien, Herder, 2005.
- Schulz, Michael, Hans Urs von Balthasar begegnen (= Zeugen des Glaubens), Augsburg, Sankt-Ulrich-Verl, 2002.
- Scola, Angelo, Hans Urs von Balthasar. Ein theologischer Stil : eine Einführung in sein Werk, übersetzt von Friedl Brunckhorst, Paderborn, Bonifatius, 1996.